Des Schwarzen Hundes Familie 10

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Vorletzte Nacht fragte ich den Schwarzen Hund: „Hast Du eigentlich Geschwister?“ Er lachte laut auf, soweit ein Schwarzer Hund laut auflachen kann. „Meine Familie ist so groß, daß selbst das Schloß von Versailles und auch nicht Windsor Castle nur Teile meines Clans unterbringen könnten!“ „Habt ihr denn alle ein eigenes Zimmer?“ „Besser ist das!“ „Wenn ihr Euch auf den weitläufigen Fluren trefft, dann sprecht ihr aber? Oder?“ „Gelegentlich! Aber nicht über Schwarze Hunde!“ „Warum?“ „Familien sind gigantische Verdrängungsmaschinen! Man muß die Mauern hinter sich lassen und draußen jemanden finden! Zum Reden! Am besten einen, der dich nicht kennt, aber kennenlernen will. Und Distanz bewahrt!“ „Distanz?“ „Ja. Meilen und Abermeilen!“ „Hinter den sieben Bergen?“ „Ja. Hinter den Hügeln. Und noch weiter weg!“ „Und wenn man dann wieder ins Schloß zurückkehrt?“ „Kann man über Rezepte, Schallplatten und Rückenschmerzen sowie Gurkensalat reden. Darf sogar ein bisserl klagen.“ „Aber ohne Zeigefinger!“ „Aha. Was gelernt?“

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Gibt es so etwas wie eine Liebespflicht? Oder die Pflicht sich lieben zu lassen müssen? Oder hatten die eigenen Eltern auch Eltern? Und so weiter und so fort und zurück. Und weil sie längst gestorben und liegen hinter den sieben Hügeln, sollte man sie nicht vergessen. Mit eingeklapptem Zeigefinger. Stammt natürlich nicht von mir, sondern vom Schwarzen Hund.

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(Gießen, 8. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Des Schwarzen Hundes Gedächtnis 9

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„Ich bin ein Elefant, Madame!“ „Ich küsse ihre Hand, Madame!“ Peter Zadek hat für seinen ersten Spielfilm eine schöne Verballhornung (solche Worte sind ein Grund dafür, daß man sich öfters hinsetzt und schreibt) des Titels eines Liedes aus den späten Zwanzigern des letzten Jahrhunderts gefunden. Richard Tauber. Warum dies hier? Nun, der Schwarze Hund ist ein Elefant in Sachen Gedächtnis. Jedoch erinnert er sehr einseitig. Jede tatsächliche oder vermeintliche Kränkung wird in Bernstein konserviert und mit der nächsten Flut wieder an Land gespült. Steht man die Ebbe feiernd am Ufer und blickt etwas zuversichtlicher auf das Gewoge kann man jedoch gewiß sein, drehst du dich um, von hinten gurgelt sie heran die alte Verletzung. Schwer fällt es dem lieben Seelenköter Gutes in seinem Erinnerungskästchen aufzubewahren.

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Ich küsse Ihre Hand, Madame, und träum’, es war Ihr Mund.

Ich bin ja so galant, Madame, und das hat seinen Grund.

Hab’ ich erst Ihr Vertraun, Madame, und Ihre Sympathie,

wenn Sie erst auf mich bau’n, Madame.

Ja, dann werden Sie schau’n, Madame

Küss’ ich statt Ihrer Hand, Madame,

nur Ihren roten Mund.

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Besonders mühsam ist es, einem geliebten Subjekt oder Objekt oder Traumziel, das für sich andere, deinem Wünschen, Begehren, Benötigen vielleicht sogar, komplett entgegengesetzte Entscheidungen getroffen hat, wahrscheinlich treffen mußte, diese Entscheidungsfreiheit zuzugestehen. Oft fährt man dann ausdauernd Kettenkarussel, als hätte man das Recht die Außenwelt in sich aufzusaugen und entzieht ihr aber so das Eigenleben. Das füttert leider nur den Schwarzen Hund. Und aus dem kleinen und eigenwilligen Dackel wird eine übel gelaunte, dauerkläffende Dogge.

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Auch jener oder jene, der die das ging, wie verquer und stolpernd auch immer, hat geliebt. Ernsthaft. Schwer dies anzunehmen. Wohl notwendig.

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Was wäre das Gegenteil eines Schwarzen Hundes? Eine weiße Katze? Das weiße Kaninchen?

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(Gießen, 6. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Der Schwarze Hund am Küchentisch 8

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Wenn man die Krankheit nach ihrem Lieblingsinstrument fragen würde – falsch – wenn man der Krankheit „signature instrument“ benennen sollte, dann ist es die Mundharmonika aka die „harp“. Einst von Seemännern oder Kuhhirten über die rauhe See Richtung ferner Heimat geblasen oder von Kuhhirten ins Lagerfeuer. Oder vom „Schwarzen Mann“ auf die „frontporch“ der Angebeteten geworfen. Wichtig ist die Abwesenheit eines geliebten Objektes. Dort hinten an den fernen Gestaden der Heimat das lustvoll Verlassene oder da drüben – westward ho – das GROSSE VERSPRECHEN, dem man entgegen atmet. Vor allem aber der ewige Betrug am eigenen Wünschen, den man selbst ständig – so geht die Saga – erleiden muß. Stets klagen die Stimmzungen, trifft der Hauch sie und versetzt sie in Schwingungen.

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Der Schwarze Hund – ich spiele dieses Instrument ganz leidlich und tat ich dies in Gegenwart eines Hundes, begann der meist zu jaulen – liebt die Mundharmonika. Er liebt den Blues. Anfangs ist sein Jaulen eine Art von Echo, Verlängerung, Feier des Fernwehs, des Heimwehs. Doch irgendwann mutiert das Geheul zur Klage über den Zustand der Welt. Heute hier, morgen dort. Nie ankommen können, wollen. Stets unterwegs sein zu einem Ort, an dem man angeblich immer schon gewesen war. Oder erwartet werden soll in Hingabe. Vielleicht ist der Ort dort, wo der Atem entstand.

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Ich kenne etliche Menschen, die auf eine Mundharmonika leicht gereizt reagieren. Gerne wird dann Bob Dylan als Beispiel herangezogen. Ich schätze die Harp, weil sie meist ohne vorgegebene Notierung auskommt. Sie jault aus dem Moment heraus. Dieser Moment aber ist vollgesogen mit Erinnerung. An Geschehenes. Geträumtes. Verdrängtes. Verletzung. Man kann versuchen dem Ort, wo der Atem entsteht, zu vertrauen. Das ist nicht einfach. Und jedes Jaulen macht Angst. Vor allem, wenn man selber gerne jault. Dann ist das Jaulen eines Gegenüber Bedrohung. Wie ich schon sagte: zwei Schwarze Hunde in einer Hundehütte. Dann noch Rüde und Hündin.

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Gestern Nacht am Küchentisch schwiegen wir lange, der Schwarze Hund und ich. Als mir endlich die Augen zufielen, da die heiße Nacht draußen etwas abkühlte, trat er mir noch mal ans Knie und flüsterte: „Ständig wird von Liebe geredet. Meist in Form von Vorwürfen. Keiner weiß doch wirklich, was das ist! Oder? Denke mal nach!“ Oder war ich da schon eingeschlafen?

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(Gießen, 4. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Des Schwarzen Hundes Geschlecht 7

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In den letzten Tagen waren wir oft zusammen unterwegs, der Schwarze Hund und ich. Na ja, wie man es nimmt. Ich hatte gedacht, ich könne ihn eventuell schon an die Leine legen, wenn wir da draußen rumlatschen. Ein bisserl überoptimistisch. Er zerrte an dem Führstrick, daß es keine Freude war, zog mich in Wälder, an Ufer, in Schluchten und in manche Einbahnstraße, daß mir ganz schwindlig wurde. Ich versuchte die Leine kurz und stramm zu halten, das ein oder andere „Sitz“ oder „Platz“ oder „Bei Fuß“ versuchend. Die Wirkung? Vernachlässigbar. Manchmal hatte ich das Gefühl, er höre mir zu, verstehe mich sogar, aber wenn er mich hechelnd und mit grinsend hochgezogener Lefze anblickte, las ich in seinen Augen lediglich ein – nein, höhnisch war das nicht, so interpretierte ich das vielleicht – eher ein etwas müdes: „Ach? Plötzlich! Nach Jahrzehnten der ignoranten Angst? Wohlan denn!“ Aber ich hoffte noch ein angehängt gehauchtes: „Nun gut immerhin! Toi Toi Toi!“ gehört zu haben.

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Viele Kilometer haben wir allerdings nicht gemacht. Der Schwarze Hund wird schnell müde. Oder ist es nur meine Erschöpfung? Wir saßen auf einer Bank an der Lahn und starrten, ja starrten, blickten eben nicht offen mit sich bewegenden Augäpfeln die Welt aufnehmend, nein wir starrten starr auf das was uns umgab und umlebte. Als sei es eine Modelleisenbahnanlage. Aber irgendjemand hatte wohl den Stecker gezogen. Die Züge standen still. Was uns nicht weiter interessierte. Wichtig war uns, daß die Gleise da noch liegen, wo sie schon immer lagen. Und die kleine Plastikfigur, die über dem Eingang zum Tunnel steht, dem Triebwagen zuwinkt. In dem wir sitzen. Und dies bis ans Ende aller Tage. Dachten wir. Erstarrend starrend.

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Und wie wir da so saßen und miteinander schweigend die Lieder, welche die Welt uns sang, nicht hören könnend, wollend, leckte mir der Schwarze Hund mit seiner rauhen und stinkenden Zunge erst über den Handrücken, was ich nicht wahrnahm und dann über die Stirn. Ich erwachte, bewegte mein Zwerchfell, atmete ein und aus und fragte: „Bist Du eigentlich ein Rüde oder eine Hündin?“ „Weshalb fragst Du?“ „Ja, es heißt doch die Krankheit?“ „Ist eigentlich Wurst! Gegendert werden muß ich nicht. Tags sind alle Hunde schwarz!“ „Hast Du Hunger?“ „Eigentlich immer!“

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Gestern Abend haben wir beschlossen ab heute gelegentlich getrennt spazieren zu gehen. Tagsüber. Nachts werden wir uns aber wieder am Küchentisch treffen. Und das ist nicht nur schlecht. Mal sehen was das Schwarze Rüde mir dann mitzuteilen hat. Und ich entgegnen will oder kann.

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(Gießen, 3. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Der Schwarze Hund ist scho a Hund 6

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„Hund sammer schon!“ Sagt man gerne in Bayern und das ist so eine Art Ehrenbekundung in eigener Sache. Etwas arg narzißtisch, aber nun denn, wer ist davor gefeit länger als zulässig vor dem Teich zu knien und sich in sein Spiegelbild zu verknallen? Wobei wir beim heutigen Thema wären.

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Wer war zuerst da? Der Hund oder der Teich? Wenn Du morgens, den Schwarzen Hund neben Dir, in den Badezimmerspiegel guckst, vor allem nach Abenden im „Club der heiteren Schwarze Hunde – Ertränker“, meinst Du dort eine Schrumpffassung deiner selbst zu erblicken. Das ist nicht schön und von manchem selbstentwertenden Fluch begleitet, so brichst Du auf, mit geputztem Zahn und denkst, bevor die Aufgaben des Tages anstehen: „Heute, nur heute einmal noch, schaue ich am Teich vorbei!“ Du gehst in die Knie und, siehe da, auf der selten glatten, meist gekräuselten Oberfläche siehst du dich wachsen wieder. Meter für Meter. Dein Kopf stößt an die vorüber ziehenden Wolken. Manchmal. Du fühlst dich nun gewappnet. Für die Ebenen des Tages. Der Schwarze Hund tippt sich an die Stirne, schüttelt den Schädel, markiert den Busch neben dem Teich mit gezieltem kräftigem Strahl und spricht: „Ich bin dann mal zu Hause. Wir sehen uns heute Nacht. Wieder!“ Da hast du schon nicht mehr zugehört.

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Oft denke ich darüber nach, ob es der Schwarze Hund war, welcher mich, die Leine in der Hand, zum Teich zog oder ob ich, gierig nach der einzig gültigen Bestätigung, den Schwarzen Hund hinter mir herzog.

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Fremdes Wissen: Gemäß Buch III der Metamorphosen Ovids hatte der Flussgott Cephisos der Nymphe Liriope Gewalt angetan („vim tulit“). Sie wurde schwanger und gebar Narziss. Dieser war mit 16 Jahren ein schöner Jüngling, der von vielen Liebenden beiderlei Geschlechts begehrt wurde, aber niemanden erhörte. Auch die Nymphe Echo verliebte sich in ihn. Diese war von Juno mit einem Fluch belegt worden, weil sie Jupiters Affären mit schönen Nymphen gedeckt hatte, indem sie Juno mit ihrem Geplauder aufhielt: Sie konnte nun nur mehr die letzten Worte wiederholen, die sie gehört hatte. Echo folgte Narziss auf Schritt und Tritt, konnte ihn aber wegen dieses Fluchs nicht von sich aus ansprechen. Doch als Narziss auf der Jagd seine Begleiter verloren hatte und diese rief, konnte sie ihm echoartig antworten und auf diesem Wege ihre Liebe gestehen. Narziss jedoch wehrte dies brüsk ab, er wolle lieber sterben als ihre Liebe erwidern. Darauf schwand Echo dahin und nur ihre Stimme, das Echo, blieb am Leben.

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Ich ertappe mich im Rückblick dabei, wie ich allzu zu oft das Echo, was mir entgegenschallte mit der Liebe verwechselt habe. Damals? Nee. Sogar vorgestern. Und gestern. Und … der schwarze Hund liegt heute friedlich unter meinem Schreibtisch, aber grinst recht unverschämt. Darf er.

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(Gießen, 26. Juli 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Der Schwarze Hund unter Wasser 5

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Jahre, Jahrzehnte lang habe ich versucht den Schwarzen Hund zu ersäufen. Ein fataler Irrtum. Klar, solange ich ihn würge und unter Wasser halte, habe ich Ruhe vor ihm. Aber irgendwann erlahmen die Muskeln und jedes Mal, wenn er wieder seinen Kopf über der Wasseroberfläche hatte, mein Schwarzer Hund, war er ein beträchtliches Stück gewachsen. Für mich natürlich ein Grund ihn möglichst bald wieder zu ersäufen. Und so weiter und so fort.

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Oft traf man sich im „Club der heiteren Schwarze Hunde – Ertränker“. Das jeweilige Haustier war natürlich nie das Thema. Man war ja heiter und der sonnengelben, heilenden und flüssigen Seite der Welt zugewandt, anfangs jubelnd, später dann sklavisch ergeben. Und man war laut, sehr sogar. Wessen Lache am dröhnensten durch den Saal rollte, wessen Witze am schrillsten belacht, heute scheint mir, der war derjenige mit dem dicksten Schwarzen Hund zu Hause in der Badewanne.

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So mancher aber hatte vergessen den Schwarzen Hund zu Hause anzuleinen, so daß dieser durchs gekippte Fenster, zur Not auch durch das Schlüsselloch (Gab es früher noch!) schlüpfen, springen oder diffundieren konnte (zu den verschiedenen Aggregatzuständen des kleinen Kuscheltiers in späteren Beiträgen) und seinem Halter in die Kneipe oder auf die Premierenfeier gefolgt war. Manchmal sogar ins eben bezogene Lotterbett. Dann wurde die Köpfe zusammengesteckt und man raunte: „Der hat heute den Blues!“

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Den Blues zu haben! JA! Man, he got the blues, man! Das war ein bißchen wie das Sportabzeichen in Gold. Damals. Als die Tennisbälle noch gelb und Medizinbälle nicht unter Folterinstrumente gelistet wurden. Und am nächsten Morgen die bange Frage: „War ich peinlich gestern Abend!“ Meist dann die Antwort eines Clubmitgliedes: „Nee! War alles im Rahmen!“ Natürlich wuchs dieser Rahmen mit jeder Zusammenkunft. Unmerklich, aber doch. Es hat Ewigkeiten gedauert, bis dann mal wer fragte: „Du, Dir geht es aber nicht so dolle, oder!“ In den meisten Fällen waren es Frauen. Und noch tausendmal viel länger dauerte es bis ich antworten konnte: „Ja, mir geht es richtig übel. Und: Keiner ist dran schuld!“ Vom stets bis ewig ausgestrecktem Zeigefinger des Schwarzen Hundes dann in Bälde.

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(Gießen, 25. Juli 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Litfass / Freiburg im Breisgau / sehr spät nachts / 25. Juli 2009

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Die Schwarzen Hunde der Anderen 4

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„I see people in the park, forgettin‘ their troubles and woes

They’re drinkin‘ and dancin‘, wearin‘ bright colored clothes

All the young men with the young women lookin‘ so good

Well, I’d trade places with any of ‚em, in a minute if I could

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I’m crossin‘ the street to get away from a mangy dog

Talkin‘ to myself in a monologue

I think what I need might be a full-length leather coat

Somebody just asked me if I’m registered to vote

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The sun is beginnin‘ to shine on me

But it’s not like the sun that used to be

The party’s over and there’s less and less to say

I got new eyes, everything looks far away

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Well my heart’s in The Highlands at the break of day

Over the hills and far away

There’s a way to get there, and I’ll figure it out somehow

Well I’m already there in my mind and that’s good enough for now“

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(Bob Dylan / Highlands)

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Man wechselt gerne die Straßenseite kommt einem der Schwarze Hund (mangy dog) entgegen. Du siehst ihn nicht. Aber du bist, auch wenn du dich gerne blöder stellst als du bist, eben: so blöd bist du nicht. Du ahnst mehr als du zu wissen meinst. Man kennt ihn, man riecht ihn, man spürt ihn und man verleugnet ihn. Dein alter Begleiter lacht laut auf. Du denkst dann: „Dem will ich heute nicht mehr begegnen!“ Eine meiner peinlichsten und stets wiederholten Handlungen: die Straßenseite zu wechseln. Rettende Begegnungen vermeiden wollend. Müssend. Nicht könnend.

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Es sind meist die Schwarzen Hunde der Anderen, deren Begegnung du vermeiden magst. Bringt nichts. Gar nichts. Am nächsten Morgen tut es einfach nur weh.

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(Gießen, 23. Juli 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Der Schwarze Hund plus Begleiterin 3

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Oft tritt der Schwarze Hund auf die Bühne mit einer Begleiterin. Auf den ersten Blick eine attraktive Dame von Welt, eloquent, belesen, schlagfertig. Ihren Blick hatte sie über Jahre geschult beim gerne etwas geringschätzigem Blick auf das allzu Laute, das Hektische, Gierige, Maßlose, Gerenne und Geflenne vor deiner Türe. Doch hüte Dich vor diesem Biest. Anfangs noch wirst du ihr gebannt zuhören, gescheit wie sie nun mal ist, gewachsen am eigenen, wohl als einzigartig empfundenen Schmerz, wie sie die Welt auseinandernimmt und vor deinen Augen wieder zusammensetzt. Aber irgendwann wirst du bemerken, daß die Menschen sich von dir abwenden, wenn du mit dieser Dame im Gepäck auftauchst und du schaust die Begleitung fragend an und sie sagt zu dir, feist grinsend: „Ja, mein Junge. Kennst Du mich nicht? Ich bin es, die Selbstgerechtigkeit!“

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Ich habe immer wieder mal diese Dame an die Hand genommen, den Schwarzen Hund zu Hause oder in den Nächten eingeschlossen, draußen die Welt auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, dem nicht enden wollenden Strom meiner eigenen Worte lauschend und so vergessen genauer hinzuschauen oder zuzuhören. Wer selber redet, der begibt sich nicht in Gefahr. Kam ich dann erschöpft und angetrunken, meist beides, nach Hause, saß der Schwarze Hund am Küchentisch, knurrte mich freundlich an und dachte sich – heute sagt er mir es manchmal – : „Kerle, Kerle. Ich kann warten!“

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Ich glaube, es ist ein riesiger Irrtum anzunehmen, daß ein ordentlicher Weltekel dich von der Welt befreit. Ganz im Gegenteil. Sie rückt dir so immer näher auf die Pelle. Man darf seine Kräfte nicht überschätzen. Denn du weißt von deinem eigenen Schwarzen Hund, wenn du es zulassen willst. Aber die Schwarzen Hunde deiner Gegenüber sieht du meistens nicht. Und selbst erzeugte Einsamkeit ist ein hoher Preis. Ich lerne langsam, sehr sehr langsam, nun das Schwanzwedeln, das Knurren, Ohren aufstellen, Fiepen und Kläffen meines Schwarzen Hundes zu lesen. Man muß geduldig zuhören. Es braucht viel Zeit. Vieles der Zeit, die man liegen hat lassen. Unterwegs. Schiß halt! Und immer wieder aufpassen, wenn die eitle Dame deinen Stift führt. Obwohl man es wohl nie ganz verhindern kann.

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(Gießen, 22. Juli 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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