gemeinsam einsam daran vorbei lügen

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Das war eine sehr würdevolle Trauerfeier gestern bei der ich (Foto oben der mit Hut) anwesend war. Einige die ich gerne getroffen hätte vor Ort fehlten, aber mit dem Finger an der eigenen Nase bemerke ich hier, eigentlich wäre ich auch nicht da gewesen, wenn nicht der Freund Zufall eingegriffen hätte. Ich war auf dem frühen Weg zum „Späti“, weil Spargel ohne Weißwein ein einsamer Stängel isch, als mir zwei liebe Musikerkollegen zuwinkten. So erfuhr ich davon, was sie hier musikalisch „einrahmten“. Kultur begleitet.

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Wie oben geschrieben, es war eine sehr würdevolle Veranstaltung, dennoch:

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Der Kirchplatz in Gießen ist keine Ausgeburt der Ästhetik. Als ich hier ankam wuchs dort noch Gras, ein paar Mäuerchen zeigten den Grundriss der am 6. Dezember 1944 zerbombten Kirche an und man saß darauf rum und Platz für eine kleine Bühne war auch. Eigentlich ein gemütlicher Platz. Dann bekam die Stadt einen Eventmanager, wegen der Zeitläufte oder so, das Ganze wurde plattgemacht, asphaltiert. Eislaufbahn, Weihnachtsmarkt, Weinfest, Walldörfer und und und andere Gelderzeuger erfordern wohl eine gewisse Infrastruktur. Eine urbane Wüste wurde so geschaffen. Kein Platz mehr für einen Platz. Das Beste daran, die damalige Vizebürgermeisterin – die grüne Kalifin anstelle der roten Kalifin – sagte zur Eröffnung: „Wenn man will, daß es so aussieht wie in Tübingen oder Freiburg, muß man schon Geld in die Hand nehmen!“ Gut, ich habe ja etliche Jahre in Freiburg und Tübingen gelebt und / oder gearbeitet. Die meisten Mittelhessen wohl nicht.

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Zurück zum Thema. Gestern Abend also. Da stand eine kleine Bühne auf der Aspahltwüste. Die ein paar Monate Noch – OB bestieg diese mit der Hilfe zweier Gehhilfen. Zerbrechlich, aber ebenso und also sehr anrührend ihre Worte. Nun ist der Kirchplatz ebenfalls ein von der Stadt geduldeter sozialer Brennpunkt. Die Trinker – und Drogenszene in Gießen hat schon ordentlich Wumms. Man möchte nunmal bemerkt werden und sucht das Zentrum. Zwischen der Bühne und dem verbliebenen Kirchturm der zerbombten Stadtkirche steht ein Dixie – Klo. Das stand vor ein paar Jahren ein paar hundert Meter weiter vor unserer Wohnung. Damals traf sich dort die Szene. Wir Anwohner beknieten die Verantwortlichen: „Stellt denen doch ein mobiles Pissoir hin. Die pinkeln uns ständig vor die Haustür.“ Ich war der Sprecher einer kleinen Initiative. „Ihr Dixie – Klo bekommen Sie nicht, Herr Lugerth!“ Sprach die OB. War Wahlkampf. Später kam das Ding dann doch. Irgendwann war es wieder weg. Jetzt steht es also neben dem Kirchturm. Die Feier beginnt. Glockengeläut. Dann drei Posaunen. Schön. Die Szene, ansonsten unbehelligt, fühlte sich wohl belästigt, ist ja ihr Gelände und fährt demnach den Lautstärkepegel entschieden hoch. Die anwesende Polizei sitzt oder steht rum und ist mit ihren Smartphones beschäftigt. Ab und an kreuzt ein Maskenloser torkelnd den Platz und zeigt uns Angstspießern so richtig, wo der Hammer hängt. Die OB hat die Bühne verlassen und steht nun wenige Meter neben dem legendären Dixie – Klo. Das wird natürlich weiterhin benutzt. Hilflos winkt sie mit einer der Gehhilfen. „Bitte nicht!“ Das will sie wohl signalisieren. Keiner hilft.

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Nix in falsche Hälse. Gebt denen Raum. Gebt ihnen öffentlichen Raum. Aber hier wird gerade der achtzigtausend Toten gedacht. Endlich.

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Der Chef der Uni – Klinik Gießen betritt die Bühne und beschreibt das Sterben dreier, vierer Patienten, ruhig, im Detail, stockend, beeindruckend, den Tränen näher als fern. Gott sei Dank, dem er auch dankt. Ein Hauch von Ruhe zieht ein an den Rändern des Kirchplatzes. Als scheine man etwas zu begreifen. Die Ordnungshüter halten ihre Smartphones warm. Sie hören wohl nichts als ihre eigene Erschöpfung.

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An einem kalten Aprilabend, an dem das dieser Tage stets lauthals besungene Gemeinsame im Zentrum stehen sollte, irrlichtern Vereinzelung und ein irritierendes Wegschauen – auf deutsch – das Ignorieren der Realität über den Platz. Gebete werden gesprochen. Kerzen angezündet. Man bewahrt bemüht die Würde. Die Türe des Dixie – Klos fällt ins Schloß. Rumms! ICH! Rumms! ICH! Rumms! Und so weiter!

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PS: Für das Foto oben Dank an den Gießener Anzeiger. Ich habe es mal geklaut.

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neubeginn wiederhol erzähl geschichte

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Neunzehnhundertneunzig spielte ich auf dem Theater den Genossen Stalin. Der bessere Diktator und Massenmörder scherzten wir damals. War noch möglich zu der Zeit. Selbst in der BRD. Das Stück hatte Jörg – Michael Körbl geschrieben. Gorbatschow / Fragment hieß es. Ein Gespensterreigen, ein Parforceritt durch den Großen Vaterländischen Krieg und hellseherische Trauerarbeit über die Klötze am Bein des Erlösers Gorbi et Orbi. Eine zentrale These des Stücks war Michail Gorbatschow, der dann folgerichtig nicht nur auf der Bühne sondern auch realiter am Kreuz endete, sei das Ergebnis einer geheimen Liaison von Lenin und Rosa Luxemburg gewesen.

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Damals lebte ich in Münster im Schatten der Lambertitürme und war am kleinen feinen Borchert – Theater engagiert. Und da der damalige Intendant und Freund Wolfgang Rommerskirchen gute Beziehung zur Volksbühne Berlin hatte, damals weder Ost noch West und vor Castorf, waren wir in den bewegten Tagen gerne zu Besuch bei denen und die bei uns. Unvergessen eine Taxifahrt, das war im April 1990 noch ein Privileg in Ostberlin – Entschuldigung: Hauptstadt der DDR – nach einer schwer trunkenen Nacht in der düsteren Kantine der Volksbühne, das mit den Kurzen mussten wir Wessis noch trainieren, eben in jener Nacht da Stunden zuvor Oskar Lafontaine ein Messer in den Hals gestochen wurde in Müllem zu Kölle. Und der Taxifahrer dreht sich zu uns um, die wir versuchen nicht aus dem Wartburg zu fallen und sagt im breitesten Balinarisch: „Ditte iss Demokratie, wa? Da haun se eurem nächsten Kanzler ne Klinge innen Hals und die Vopos schaun nur zu? Da könn wa uns ja auf watt freuen!“ Und wir waren schlagartig nüchterner, bezahlten einen unfassbar niedrigen Pfennigbetrag in Aluchips und hockten noch mit ein paar Radebergern, Wernesgrünern und Lübzern in der zentral überheizten Plattenbau – Gastwohnung und halluzinierten vom ewigen König Helmut. Fernsehen gab es da ja nicht, Internet war noch nicht erfunden und wir fragten uns, mit Nebel im Hirn, hat der uns jetzt verarscht der Cabby aus Easttown? So gegen 4 Uhr morgens Nachrichten im Radio, Nachtarbeiterprogramm wie das da noch hieß. Tatsache. Taxifahrer lügen nicht. Was aber nun mit der Hoffnung?

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Wie komme ich da drauf? Sah gerade die Pressekonferenz der kommenden Kanzlerkandidatin dieser morgen vielleicht auch noch Grünen und dachte, haben da Oskar und Angela einst im Hinterzimmer? Nach der legendären Elefantenrunde als der besoffen abgewählte Gerd Brioni Kohls Mädchen lächerlich zu machen versuchte? Reinkarnation? Warum nicht Sarah, der Wagenknecht? Eben spricht Laschet. Und macht den Annalenus „Hennes“ Baerbock. (Opjepass: Witz für Kölsche!) In einem Satz mit drei Worten hat der doch achtmal das Mantra „gemeinsam“ ins Mikro gelächelt. Heute Abend endlich wieder Brennpunkt gucken müssen. Wie wird Gollum Söder zurück lächeln? Mein Schatz, meiner? Wieviel Realität ist Realität? Wie haben wir uns die Simulation einer Ehe Schwarz mit Grün vorzustellen? Baden wir in Württemberg bundesweit? Nein, jetzt nicht schon wieder den abgenudelten Beckenbauer zitieren wollen. Vielleicht tritt ja Mutti gegen ihre Tochter an.

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Für obiges Foto danke ich Lukas Noll, der einige meiner Arbeiten in Gießen mit wunderbaren Bühnenbildern versehen hat. Strukturelle Konflikte sind hiermit nicht verschwiegen, gelle! Die Weltzeituhr hatte er mir im Zusammenhang mit dem Gundermann – Abend zugesandt. Danke, icke vawurste dett mal, wa! Ha, darf ich halt wieder mal Gundi verlinken.

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Hoffe uns steht nach dem Ende der Pandemie eine Zeit bevor in der sich tatsächlich was dreht. Was sagte Beckenbauer immer? Nee, nicht das mit Weihnachten. Egal. Lieber das großartige Gedicht von Jörg – Michael Körbl.

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DAS NEIN UND DAS JA

sag niemals ja
denn wer ja sagt
zu dem was ist
tötet die zukunft

und wenn sie dich fragt
ob du sie liebst
sag nein
und küss ihren mund

denn die wahrheit
liegt sowieso
irgendwo
zwischendrin

(j.m.koerbl)

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