Vom Abnagen krachender Knochen / Fangen wir wieder an zu rauchen 15

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Pfronten / Dorfwirt / 11. Juni 2022

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Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald. Einst klang dies in den Ohren vor allem der Kinder wie eine Verheißung. Der monatliche Höhepunkt auf dem familiären Speiseplan. Papa holt ein / zwei Hähnchen aus Friedrich Jahns Gockelbude, Mama macht Fritten im Backofen. Und Mayonnaise ohne Ende aus der Tube. Und dann wird genagt bis das Zitronentuch zum Einsatz kommt und die Fettfinger wunderbar chemisch und frisch riechen. Es gibt solche und solche Nager. Die einen lassen was am Knochen hängen, die anderen nagen die kleinsten Fitzelchen bis auf die Knochenhaut runter und werden trotzdem nicht satt. Extremisten lassen sogar die Knochen krachen und saugen sie aus. So verfahren wir dieser Tage mit Mutter Erde. Wohlfühlmassaker allenthalben. Lassen wir was über.

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RAUCHPAUSE / Teil 15

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Meine Haustürklingel meldete sich, Sturmklingeln. Ich hatte keine 4 Stunden geschlafen. Ich öffnete. Vor mir ein Mann in Cordjacke. Er hält mir seinen Ausweis unter die Nase. Gesundheitsamt oder Ordnungsamt. Er übergibt mir ein Schreiben: „Wegen Verstoßes gegen das NRSG, Abschnitt 1, Paragraph 6 und weil sie nicht nur Gast, sondern Mitinhaber und als Exempel. Kurz und knapp: 2500€ Bußgeld.“ „Wie? Was? Wo? Und wann?“ „Heute nacht gegen 1Uhr27. Im „Wind und Wasser“. Finden Sie das eigentlich nicht einen bescheuerten Namen für eine Kneipe? Man hat sie gesehen, wie sie es getan haben. Sogar mit einer Rothhändle. Ohne Filter.“ „Zur Feier des Tages.“ antworte ich. „Haben Sie da noch eine übrig?“, fragt er mich. Also sitzen wir da zusammen in meiner Küche und zwei Rothhändle brennen. Er ist sehr freundlich: „Wissen Sie, ich tue nur meine Pflicht.“ „Kein Problem. Eine Frage nur, wer hat mich gesehen?“ „Eine Frau hat uns angerufen.“ „Danke, schon gut, will ich gar nicht wissen.“ Mein Schädel bummert und schreit nach Erlösung. „Ich überweise das heute noch. Kein Problem. Hier, die Packung Rothhändle schenke ich ihnen. Auf Wiedersehen.“

Das Lasso. Total bescheuert. Hansi und ich damals in Texas. Dieser uralte rote Toyota Corolla, den wir überführten vom Osten in den glorreichen Westen war zusammengebrochen und wir hingen in irgendeinem traurigen Kaff fest. Corpus Christi. Hosianna. Kreuzigt ihn. Hansi hatte die vollkommen wahnwitzige Idee ein Lasso zu kaufen, die Zeit zu nutzen und Cowboy zu trainieren. Also stehen wir zwei Tage in der Wüste, während die Mechaniker auf die Ersatzteile aus Yokohama warten und versuchen mit dem Lasso Gebüsche und Zaunpfähle einzufangen. Später haben wir das als kleines Ritual hier in der Heimat eingeführt. Einen leeren Bierkasten auf einen Holzpflock oder Tisch gestellt. Und wer als erster den Bierkasten fängt, gewinnt eine Packung Reval. Bißchen albern, gebe ich zu. Aber kreativer als Everquest oder Warcraft.

Nun gut, vor einiger Zeit im Rahmen von irgendeiner ominösen Basis – Fengshuisierung von Hansis und Gittis Wohnburg hat mir Hansi das Ding vermacht: „Paß Du bitte auf „Holden Caulfield“ auf.“ Holden Caulfield. So hieß das Lasso. Hansi hatte ja die Angewohnheit alle Gegenstände benennen zu müssen. Holden Caulfield. Der Fänger im Roggen. Hansi reichte mir das Lasso, sagte: “Nimm Du das bitte. Ich kann mit diesen seltsamen Energien nicht mehr umgehen. Verstehst Du? Was Erinnerung so auslöst. Körperlich. Und Gitti meint auch, man muß sich von Dingen trennen können. Zum Beispiel von der ewigen Pubertät, die gerade uns Männer öfters krankmacht und so. Verstehst Du?“ „Schon gut.“

Was jetzt kommt, darf ich gar nicht erzählen. Zu lächerlich. Obwohl so lächerlich, wie hier draußen stehen, frieren und klagen ist es dann auch nicht. Meine Fresse. Sehen alle so lächerlich aus, denen man was weggenommen hat? Der gute alte Verlust. Täusch ich mich, oder wird es gerade was wärmer. Selbstgratifikation. Ok. Das noch. Auf Bewährung. (zündet sich eine letzte an)

Ein bißchen komisch kam ich mir schon vor, als ich morgens um 9 mit einem Lasso über der Schulter und einer Stange Reval unter dem Arm durch die Gassen einer deutschen Kleinstadt stolperte. Bevor Hansi überhaupt realisiert hatte, was hier abgeht, hatte ich ihn mit dem dreifachen Nevadaloop zu Fall gebracht, fachgerecht verschnürt – Yeeha! – und an seinen Kühlschrank, den guten alten Gevatter Bosch gefesselt. „Holden Caulfield“ gehorchte mir wie in den besten Tagen. Dann zwei Reval angezündet und die eine, die seine, in seinen Mund gesteckt. „Und jetzt inhalier, Judas.“ Dann ging ich zur Stereoanlage und legte die CD mit seinem Lieblingssong ein – „I´m free“ von THE WHO – und drückte die Repeattaste:

I’m free. I’m free.

And freedom tastes of reality.

I’m free. I’m free.

And I`waiting for you to follow me.

If I told you what it takes to reach the highest high

You’d laugh and say, „Nothing’s that simple.“

But you’ve been told many times before, Messiahs pointed to the door

No one had the guts to leave the temple.

I’m free. I’m free.

And freedom tastes of reality.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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