Man ist ja in manchem Verteiler. Wie man da reinkommt? Keine Ahnung oder selber schuld. Manchmal hast du Nachrichten in der Mehlbüchse, da „schlackert“ man mit den Ohren. Schlackern? Gibt es dieses Wort noch? Gestern lud mich der immer noch existierende DDR – Verehrungsklub Gießen ein mit ihnen am 1.9. gegen alle Kriege auf dieser Welt zu demonstrieren. Echt? Vor dreiundachtzig Jahren hat Hitler Polen überfallen. Putin führt selbstredend dieser Tage nur einen Verteidigungskrieg. Mein Gott! So schnell kann ich mich gar nicht mehr schämen, daß ich nicht rot werde, denke ich an die gute alte und vor sich hin modernde Linke, die tot.
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(Gießen / 21.08.2022 / es regnet immer noch nicht)
In den letzten Tagen sprachen wir wenig miteinander, der Schwarze Hund und ich. Mir war sein Zerren und Zuppeln irgendwann eins zu viel geworden. Ich dachte darüber nach ihn Oliver oder Kahni oder gar Titani zu nennen. „Weiter! Immer weiter!“ Nee. Eben nicht. Die ständige Ruhelosigkeit, die Suche nach einem nächsten Kick, der eh nur – meine Güte, ich werde bald 66 – eine laues Lüftlein ist, eine Art von Erinnerungskaraoke. Kann man nicht einfach wie ein in Würde gealterter Grieche sein inneres Komboloi kreisen lassen und aufs Meer schauen? Oder so fürchterlich das auch gelegentlich ist: auf die Lahn gucken und ab und zu reinspucken? Auch Zwangsheimat ist eine Art von Heimat, die zu ertragen und zu akzeptieren dem Seelenfrieden zuträglich ist. Frage nach bei den Flüchtlingen aller Couleur und Herkunft.
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Dachte heute darüber nach, warum Schlagzeuger gerne mal vor den übrigen Bandmitgliedern sterben. Vielleicht hat es damit zu tun, daß sie ihr ganzes Leben lang einen riesigen Sack voll Wut in ihr Instrument geklopft haben, ganzkörperlich. Das mag müde machen. Aber vielleicht befreit es auch und man sagt sich: ok, war gut so. Und Tschüß.
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Also heute nochmal etwas vom bleiernen Zeppelin – Sollte ich den Schwarzen Hund nicht so nennen? – und bei den nächsten Malen oben Schlagzeugsoli. Und die nicht unter 5 Minuten. So trommelt er auf mich ein. Gelegentlich. Der Schwarze und ruhelose Hund. Am steten Schmerz und dem Regen – der leider auszusterben scheint – mag ich dieser Tage nicht mehr riechen. Und so muss ich zu Hause bleiben. Nixe ramble on. Gelle!
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(Gießen, 18. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
Ich höre gerne Radio. Aber warum brüllen sie mich alle an dieser Tage, während Vater Rhein sich auf wenige Zentimeter Pegel zurückzieht, die hysterischen Mikrophonbesprecher und legen mir die neuesten, meist dreißig Jahre alten Sommerhits ans überhitzte Herz? Und dann jubeln sich die Werbungssprecherinnen – es sind halt die hochgetunten weiblichen Quietschestimmen – mir entgegen, daß wir jetzt endlich wieder alle feiern dürfen. Mit Billigbier. Tönnieskotletts. Und WAAACKEN! Und man möge endlich wieder die Harley aus der Garage ziehen. Selbst wenn du die nicht besitzt. Aber die Straßen wären trocken. Die Stadt sei ein Fest. Die Stadt nun fest in fremden Hälsen. YEEEAH! Der Oberbürgermeister trippelt erregt vor dem Photoapparat der für Billiggeld arbeitenden Schreibhilfe hin und her und freut sich wie Bolle, daß seine verarmte Gemeinde jetzt wieder leben täten darf. Sacht er so. Und die Rentner spüren ihre maladen Körper nur noch in chlorgetränkten Bassins. Die Hartgesottenen unter ihnen springen in verseuchte Flüsse. Weil früher auch schon immer Sommer war. Den Sommer nochmal spüren. Jetzt oder früher? Jetzt. Wie früher. Weia!
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Wir brauchten früher jede große Reise
Wir wurden braun auf Kreta und auf Kos
Doch heute sind die Weißen rot Verbrannte
Denn hier wird man die eig’ne Haut schnell los
Ja, früher gab’s noch Regen und den leise
Das Freibad war im Mai geöffnet auf Verdacht
Ich saß bis in die Nacht in meiner Kneipe
Habe über die Verbissenen gelacht
Die als Riesenquallen lagen rum an Stränden
Und jeder Schutzmann ließ die Mütze auf
Und Du, Felix Germania
Du sauf
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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer
Ein Sommer, wie er früher einmal war?
Ja, mit Regenfall von Juni bis September
Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘
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Und wie wir da wir noch permanente Tiefs begrüßten
Die Regenschirmverkäufer waren froh
Da gab es auch mal fünfzehn Grad im Schatten
Und mit Pullover war es uns noch warm
Die Sonne verbarg sich auch mal hinter Wolken
Da brauchte man die Klimaanlage nicht
Das Schaf war einst noch froh, daß es nicht doof war
Wir lebten nicht in Mali sondern hier vor Ort
Wer niemals fror, der machte dann halt FKK
Doch heut‘, heut‘ summen alle Wespen laut im Chor
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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer
Ein Sommer, wie er früher einmal war?
Ja, mit Regenfall von Juni bis September
Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘
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Der Winter war der Reinfall des Jahrhunderts
Nur über tausend Meter gab es Schnee
Mein Milchmann sagt: „Dies‘ Klima hier wen wundert’s“
Denn Schuld daran ist nur die FDP
Ich find‘, das geht ein bisschen arg zu weit
Doch bald ist wieder – Hosianna – Urlaubszeit
Und wer von uns denkt da nicht dauernd dran
Weil wer beschränkt ist halt und auch nicht anders kann
Trotz allem, glaub‘ ich unbeirrt
Dass unser Wetter besser wird
Nur wann und diese Frage geht uns alle an
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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer
Ein Sommer, wie er früher einmal war?
Ja, mit Regenfall von Juni bis September
Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘
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Wäre ich doch in der Lage einen wirksamen Regentanz auf unsere trockenen Böden zu hüpfen!
Manchmal ist der Schwarze Hund ein recht selbstgerechter Begleiter. Gewiß, es gibt Zeiten, da ist die pure Gegenwart selbst geschätzter und gemochter und gar geliebter Menschen kaum zu ertragen und man schielt ständig nach Möglichkeiten zu fliehen. Ist zum Essen geladen und verabschiedet sich während der Vorspeise. Gerne auch französisch. Das Rumoren in dir hat dir dazu die Genehmigung erteilt. Und du gehst so weit, daß du ein Recht darauf hast, so zu agieren. Selbstredend.
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Manchmal bist du eingeladen und an der Tafel sitzt ein geschätzter, gemochter oder gar geliebter Mensch. Auch er hat den Schwarzen Hund im Nacken sitzen. Aber er bemüht sich. Oder zwingt sich gar. (Auch nicht gescheit!) Zwischen Dessert und Kaffee aber dann steht er auf und geht. Er war erschöpft vom etwas zu langem Durchhalten. Er winkt etwas verhuscht zum kurzen Abschied. Aber er hat gewunken. Und du bist verletzt, empört, manchmal sogar wütend. Von Null auf Tausend. Jetzt schau kurz mal in den Spiegel. Oder doch etwas länger.
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Manchmal ist gar nicht so schlecht dem Schwarzen Hund ein strengeres „Platz“ entgegenzuschleudern. Ohne anschließendes Leckerli.
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Manchmal hat die Oma gesagt – oder war es der Pfarrer? – ich weiß es nicht mehr: “ Geben ist seliger denn Nehmen!“ Werde ich versuchen bei den nächsten Spaziergängen mit dem Schwarzen Hund zu berücksichtigen. Oder bei eventuellen Einladungen!
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(Gießen, 10. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
Es gibt die Tage, da zieht der Schwarze Hund an der Leine und ist nicht einzufangen. Er hechelt, kriegt kaum Luft und zerrt und zerrt. Seine Augen quellen fast aus den Höhlen und – da habe ich meine Zeit gebraucht, das zu begreifen – er sucht wohl Streit. Er benötigt Reibung. Wahrscheinlich um sich seiner selbst mal wieder gewiß zu werden.
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Ist natürlich Blödsinn. Es ist nicht der Schwarze Hund. Ich bin es. Habe ich manchmal das Gefühl zu verschwinden, wie damals ein Tropfen Tinte auf dem Löschpapier, rufe ich Thor an. Man zerfließt sonst. Einen Streit vom Zaun brechen und die erhoffte Wucht des Gegenübers bringt Dich wieder in Form. Wäre die schale Hoffnung. Augen zu und durch. Jedoch: der Schwarze Hund ist kein Blindenhund. Wenn er zieht und zerrt an der Leine ist es gescheiter die Augen weit offen zu halten. Oder ihn einfach mal laufen lassen. Loslassen. Gelle! Er kommt eh wieder zurück zu Dir. Die Strassenseite wechseln in Vermeidung unnötiger Konfrontation? Wäre auch noch zu begreifen als eine weitere Denkaufgabe. Gibt es auch Fühlaufgaben?
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Tief drinnen in mir rumoren aber noch die Gesänge der Väter. Viel Feind, viel Ehr. Wie man einst sang. So eine Art von seelischem Heavy Metal. Vom Solitär zum Eigenbrötler ist es ein kurzer Weg. Na ja! Der Romantiker sentimentalisiert sich zum einsamen Nörgler. Einzelhaft, selbstverordnet.
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(Gießen, 9. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)