Als ich Ende der Siebziger die Heimat verließ, um erst in den USA und dann in Köln die Schauspielerei zu erlernen, wurde ich bei meiner regelmäßigen Heimkehr eher nicht gefragt, was ich denn da drüben oder oben so den ganzen Tag über treibe oder lerne, sondern wann man mich denn nun im Fernseher sehen könne. Noch besser allerdings die ernstgemeinte (?) Frage: „Und, wann wirst Du jetzt berühmt?“ Leider kannte ich damals Christian Streich noch nicht. Sonst hätte ich antworten können. Siehe oben.
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Seit Ewigkeiten will ich hier ein Poem für oder über Christian Streich verfassen. Mir fällt aber nix Entsprechendes ein oder wenn, verwerfe ich es sofort. Siehe oben.
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Las heute bei Patti Smith, daß ihr guter Freund und Begleiter Sam Shepard ein großer Beckett – Verehrer war und mußte an Streich denken. Er reinkarniert für mich gerne als ein Beckett der fliegenden Bälle, nicht nur wegen seiner vielfältigen Variationen des so gerne und inflationär von anderen zitierten Beckett – Wortes vom Scheitern. Siehe oben.
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Wenn Streich am Spielfeldrand steht und man zusehen kann wie das Geschehen auf dem Spielfeld durch seinen Körper dringt, aus seinen Augen wieder heraus springt und seine Hakennase becketthaft die Luft zerhackt und nicht die fuchtelnden Arme, wenn er einen kleinen Himmelsstürmer nach dem Spiel trösten will, um ihn dann zu beschimpfen und die Genugtuung über den Sieg ihn schier zerreißt, während das Mitleid ihn schniefen lässt, dann denke ich: siehe oben.
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Wer selbst im Moment eines gefühlten Triumphes vom Selbstzweifel durchrüttelt wird – manche sagen dies sei Wesensmerkmal der Badischen – dem höre und sehe ich gerne zu. Auch wenn ich es manchmal nit kapier. Siehe oben.
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Freiburg und die Championsleague? Auch da wohl: siehe oben.
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Als Leadsänger einer Heavy – Metal – Combo könnt i mir der Streich scho au vorstelle. `S G’sicht defür hätt er. Und wahrscheinlich au de schwarze Hund dehomm. Siehe oben. Und auch unten.
Und dann kommt alles auf einmal auf den Boomer eingestürzt. Er wird alt, nicht mehr geliebt, sein Therapeut rät ihm sich dem Bedeutungsverlust („Nehmen Sie sich ein Beispiel an Oliver Kahn!“) offensiv zu stellen, seine Eier daher weicher zu dämpfen, Smartphone inhalierende Jungschönheiten würdigen ihn keines Blickes, beleidigen ihn nicht mal mehr und dann stellt der Robbi auch noch, nach Angies Maßgabe, die Atommeiler ab. Endgültig und trotz Kubicki und seiner fidelen Sylter Jungschar. Dabei hatte das Zeugs doch einst identitätsspendendes Potenzial. Über jene Jahrzehnte zwischen Wyhl und Gorleben. Andererseits aber? Keine „Nukes“ mehr, Leute? Wie hätte denn uns Bruuuuuce derart overloaded über die Bühne hüpfen können ohne Brennstäbe im Allerwertesten? Und wie bitte wurden die meterhohen Marshalltürme der verehrten Gitarrenniddler beheizt? Mit veganer Grillkohle? Genau. Es ist nicht fünf vor Zwölf, sondern schon Viertel vor drei und deshalb flieg ich jetzt mit Ryan – Air nach Dings. Oder ins Häusle auf Jamaika. Egal! Und überhaupt: wie krieg ich jetzt den Kleber mit der roten Grinsesonne vor gelbem Hintergrunde von der Heckklappe meines Volvo V90 Cross Country weg? Des dauert wahrscheinlicher länger wie mer braucht, um die Jungspunde vorm Elbtunnel von der Fahrbahn zu flexen. Au! Sorry! Da isch mir einer rausgerutscht. War it so g‘meint! Aber die letschten drei Meiler mal in Ruhe lassen einfach? Der Pole und der Franzos machen des doch auch und mehr. Also ich sag ja nur. Warum schwätz ich jetzt … also schreib plötzlich südlich? Ah: Kretschmann! Der hats kapiert, der Grüne Benz, also wie mer Eier weich kocht und so tut als wär mer der Titan. Aber jetzt was anderes, also: des toppt alles. Der Lauterbach, der sich mit salzfreiem Pfefferminztee ins Delirium jubelt und so als Tischtennisball oder als Weißer Hase reinkarnieren will, hat ein Gesetz gemacht. Das Gute – Laune – Law oder Sow. (Apropos: des wird nix mehr mit der Eintracht dies Jahr! Der Säzzer!) Man darf jetzt kiffen. In Maßen zwar, wie es der kunstseidenen Republik angemessen ist, aber man darf es. Fünfundzwanzig Gramm am Tag. Aber nur zweimal im Monat. Und drei eigene Pflanzen anbauen auf dem Balkon oder im Kofferraum von meinem Volvo. Toll? Nein und nein! Das ist der Skandal, der wahre. Da wird dem Boomer, der selbst als Pensionsbezieher sein revolutionäres Ein – und Ausatmen über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus bewahren konnte, der Dolch der Spießigkeit ins daueremphatische Herz gerammt. Legal kiffen? Ist doch was für Smartphone – Beauties. Also mit der da hinten … Hä? Was hat sie gesagt? „Boomer! Bitte! Zieh Dir das T – Shirt aus!“ (Hechel! Hechel! Gerne! Gerne!) Reichtum verzeiht so manche Peinlichkeit. Lieder aber bleiben.
Der gestrige Artikel übers Altern und die Jugend treibt mich immer noch um. Hallo Googlia! Was bedeutet Anciennität?
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„Anciennität ist die Rangordnung, die sich aufgrund der Zugehörigkeitsdauer zu einem Gremium oder einer Gruppe bzw. aufgrund des Dienstalters ergibt, im Gegensatz zur Seniorität, die auf dem tatsächlichen Alter basiert. Die Bezeichnung Anciennität entstammt einem Beförderungsprinzip, wonach Offizieren Beförderungen aufgrund ihres Dienstalters zustanden. Auf diese Weise wurde Konkurrenz vermieden und der Corpsgeist gestärkt.“
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Also einfach nur lang genug dabei sein? Kann das ausreichen? (Weshalb denke ich jetzt an Gießen?) Gegenthese und Erfahrungswert: Immer wächst eigene Dummheit schneller als die der Anderen. Vor allen wenn im eigenen Biotop(f) verfangen. Mitgliedschaft schützt vor Torheit nicht. War doch so?
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Conclusio: Niemals ungefragt Radschlägern. Und wenn keiner dich nach dem Weg fragt, ist es angenehm. Lügen vermeidet man gerne schweigend.
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Aber ach auch dies bleibt immer. Jeder wäre so gerne ein ‚Glanz‘ in unserer kunstseidenen Republik. Demnach sprach gestern Olli Scholz … Quatsch … Olaf Kahn in eine verlorene Nacht. Man achte auf Robert Effenbeck unten rechts am Katzentisch, gefangen im Stupor seiner Besserwisserei scheinglänzelnd, selbst wenn die Sicherung durchgebrannt. Der entspannte Abend aber bleibt uns allen. Immer und ewig so leuchtelt er matt und satt.
„Wohin ginge ich, wenn ich gehen könnte, was wäre ich, wenn ich sein könnte, was sagte ich, wenn ich eine Stimme hätte, wer spricht so und nennt sich ich? Einfach antworten, jemand möge einfach antworten. Es ist derselbe Unbekannte wie immer, der einzige, für den ich existiere, in der Höhle meiner Inexistenz, seiner, unserer, das ist eine einfache Antwort. Denkend wird er mich nicht finden, aber was kann er machen, lebendig und ratlos, ja, lebendig, was er auch sagen mag. Mich vergessen, mich ignorieren, ja, es wäre das Klügste, er kennt sich aus.“ (Samuel Beckett / Texte um nichts / 1950)
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Heute Morgen las ich in der FAZ, die ich nicht geklaut oder gefunden oder geschnorrt, sondern für umgerechnet „SIEBEN MACK“ gekauft habe, einen erhellenden Artikel von Claudius Seidl. Er schrieb von der Abschaffung des Alters und warum die unendliche Verlängerung der Jugend keine gute Nachricht sei, weil sei keiner mehr alt, wäre auch keiner mehr jung. Dummerweise hatte ich mich dazu entschieden meine zwei Toasts mit Bio – Emmentaler, was Dreckszeugs aus dem REWE war, die ich dem Turbokapitalismus trotzend aus Not dort erstanden hatte, geizig wie ich manchmal bin, von den Stones mit „Get Yer Ya – Ya’s Out“ beschallen zu lassen. Mir wurde folglich etwas plümerant. (Versuchen Sie bitte nicht, lieber Autor, mit abgelegten Begriffen einen Hauch von Reife in Ihr Geschreibsel zu tippen. Heute mal ohne erhobene Faust: Der Säzzer!)
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Mein Hirn begann zu schmerzen oder wie der Kölsche saat: ech kreite ne ordentlich präsente Kopping. Ich betrat das Badezimmer, blickte in den Spiegel risslos (oder rißlos?) und empfing … ähem … empfand nichts als Pein. Hätte ich einen Sohn, den ich nicht habe, wie blickte er auf mich? Rauf oder runter? Auf den Rentner im Gewand eines die Kopie kopierenden Juniormitglieds der Stones? Ich nestelte in meiner Jeans rum – Oh Gott! In meinem Kleiderschrank hängen bis an die zehn kaum genutzte Anzüge! – und suchte den Mitgliedsausweis, der mir ständigen Zutritt zur Hybris meiner Besserwissergeneration verschafft, ihn zu entsorgen. Fand aber nur ein Reclamheft mit Widmung. „Lies das nicht. Deine Mama!“ Es war der Werther. Weg damit. Heute ist postösterliches Altpapier. Den Ausweis, ihn fand ich nicht, und dachte an Mama und Papa einst und dann an Hosea Dutschke. Es geht immer noch etwas düsterer. Ich stellte mich also an. In der Schlange in Richtung Tod.
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Hömma hier. Sizze anne Bierbank, sizze anne Bierbank. Wennet im Eichenholz schallt über dich, wird der letzte Nagel inne Ruhetruhe gekloppt, welche man dir mit inne Erdgrube gegeben hat. Dann isset auch gut. Kannse mit der Zeit gegangen sein. Fott iss fott und dann tut dich deine Katze klolos die Wohnung zuscheißen, wennse dat nich mit die deine Nachlassigkeiten reinigenden Weibers geregelt hass. Dein Helge iss dich am Grüßen mit Verlaub.
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Huch! Was war das jetzt? Ich wußte gar nicht, daß meine Zahnbürste sprechen kann, kam mir in den leeren Sinn und ich schlurfte zurück in die Küche. Kalter Kaffee. Heißer Käse. Bröckelnder Toast. Ein Glas Rotwein. Und las ein bisserl von Claudius Seidl weiter.
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„Der Mensch, der seiner Sechzigjährigkeit zum Trotz, heute in den Spiegel schaut und keinen Hauch von Anciennität und Seniorenwürde sehen kann, hat also nicht das Alter neu erfunden, nur die Jugend, die er gedehnt hat bis an die Grenze des Möglichen.“
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Und dachte: Seniorenwürde. Bedenkenswert. Das andere Wort war mir neu. Muß ich noch googeln. Deshalb jetzt Schluß.