„Niemand hat ein Monopol auf Auschwitz!“ (Carl Laszlo / KZ – Überlebender)

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Gewitter / In Tilsit oder in Sowetsk? / Lenin fällt vor dem Hotel Russland um / 1. September 2017

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Geschichte findet nie ihr Ende. Obwohl eine diffuse Sehnsucht danach weit verbreitet ist. Gerade unter Brüdern und Schwestern. Eheleuten. Und anderen Familien. Je weiter der Ausgangspunkt einer solchen Sehnsucht zurückliegt, um so schrecklicher oder grandioser wird er in der Erinnerung.

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Ich gestehe, obwohl ahnend, dass die Wahlen keine grosse Überraschungen bereithalten werden, sondern die Auguren ausnahmsweise Recht behalten würden, war ich den ganzen gestrigen Tag seltsam aufgeregt. Schon nachmittags saß ich im Hinterhof, die Flasche Wein und wartete auf’s Christkind aka erste Prognose. Und las. Das neueste Buch von Ines Geipel, die sich seit Jahrzehnten an ihrer Ost-West-Geschichte abarbeitet. Das Buch erzählt nichts wirklich Neues, fasst aber überraschend zusammen und leuchtet in etliche Ecken, die so nicht wahrgenommen von mir. Sprachlich ist es mir etwas seltsam überladen. Hochgestochen in überheiztem Ton und händeringend ihre alte Heimat beschwörend, bittet Ines Geipel darum das Glück der vom Osten damals aktiv eingeleiteten Wiederverheiratung nicht zu verdrängen. Weiterlesen! Später mehr davon. Aus dem Buch geklaut die heutige Überschrift und so auf einen faszinierenden, mir bis dato unbekannten Überlebenswütigen getroffen, Carl Laszlo. Meine geliebten Querverbindungen. Da sitzt er mit William S. Burroughs an einem Tisch.

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Ich habe selten einen Menschen so in die Kamera glänzen und strahlen gesehen wie gestern Abend „MADAME von und zu Bündnis mit mir“. Wenn dieses monströse Ego noch weiter aufgepumpt wird und dann platzt, werden die politischen Putztruppen etwas länger brauchen, den Sitzungssaal wieder auf Vordermann zu bringen. Und Simsonpilot Björnie H. erklärte derweil den Mikrophonhaltern, wie Demokratie funktioniert.

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Die Moderatoren und Kommentatoren gaben sich ungewohnt beherrscht, aber keiner war dann doch in der Lage auf die Hülsen „gesichert rechtsextrem“ und „darf Faschist genannt werden“ zu verzichten. Die Ampelmännchen schickten danach ihre zerknirschten Vasallen an die Front. Lindner blieb auf Sylt. Sind wir eigentlich noch zu reich? Und wer ist wir?

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Deutschland ist dem großen Bruder jenseits des Atlantiks stets was hinterher. Mit 10 bis 15 Jahren Verspätung. Jetzt wählen hier viele der von was auch immer Enttäuschten / Desillusionierten / Romantiker / Träumer / Anhänger von Traditionsvereinen / You name it: eben auch Alte und Kranke und Lebensmüde keine Programme, sondern das Glitzern oder Glänzen oder Wüten oder ein ominöses FRÜHER. Manchmal verstehe ich das. Kann es jedoch schwer nachvollziehen. Hypermoral ist nicht die Antwort, sondern nur eine Version der Sehnsucht nach dem Ende der Geschichte.

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Das war ja keine Liebesheirat im November 1989. Sprich ein Jahr später. Es war ein heftiger Flirt anfangs. Die Braut OST war am Ende, aber träumte tatkräftig. Dann lag der Freier WEST im Lotterbett und bestand auf sofortige Heirat. Ohne Ehevertrag. Die Braut ein paarmal schick zum Essen ausgeführt, (zwangs)geheiratet, es wächst zusammen und so, Tränen, Krokodile, Helmut Kohl singt schief und kratzt sich kurz darauf zerborstene Eier vom Jackett. Bus verpasst. Und dann wächst über Jahre, Jahrzehnte eine seltsame Erzählung, neudeutsch Narrentief, heran, in der die zwei in einem Eigenheim eingesperrten Ehepartner – die Kinder und Enkel wechselten derweil beflissen die Himmelsrichtungen – nur noch mit dem ausgestreckten Finger aufeinander zeigen und aus der Vergangenheit eine zementierte Wahrheit basteln. Obwohl jedes Einzelschicksal zwischen Ost und West meist filigraner, brüchiger, ambivalenter, müder geschehen war. Loose Ends eben. Kein Ende irgendeiner Geschichte. „Du weisst gar nicht, was ich mit der / dem täglich aushalten muss.“ Das bleibt oft über. Tja.

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Ich kenne etliche solcher verbitterter, griesgrämiger und von der Langeweile des Alltags gehetzter Eheerzählungen in meiner näheren oder ferneren sozialen Umgebung. So sind wir halt. Hoffe ich kann’s vermeiden.

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Gestern war ein 1. September. Am 1.September 1939 überfiel Deutschland. Ja Deutschland überfiel Polen und eben nicht Nazi-Deutschland überfiel Polen. Deutschland überfiel Polen. Später dann aufgeteilt in einen Westteil, der meinte sich via der 68er Aufarbeitung aka Reinwaschung davon frei gemacht zu haben und einen Ostteil, der via eines staatlich verordnetem Antifaschismus seine Teilhabe am Menschheitsverbrechen Number One einfach leugnete. Diese unbeglichenen Rechnungen lagen schon 1990 rum im deutsch-deutschen Lotterbett. Man schob die geflissentlich unter die euphorisch quietschende Matratze. Deshalb die Überschrift und jetzt lese ich mal weiter bei Frau Geipel. Auch wenn ich mich weiterhin ärgern sollte.

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Der Verzicht auf einen G‘TT kann sich auf Dauer als Fehler erweisen. Sonst wird der wild und schickt uns Menschlein, die wir uns gescheit wähnen, die Selbstermächtiger auf die Erde und lässt wählen zwischen sich und denen.

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