Nachricht aus dem Nachlösewagen 20

…..

…..

Heute müssen wir reden. Nicht mehr sprechen. Wetten daß? Über das Wetter wettern. Darüber kann man nur reden. Wie über die Familie. Über Fußball. Die Krankheiten. Einerseits. Meinerseits. Auf der Suche nach den Gründen muß man wohl langhalsiger gründeln. Aber das Wetter. Und die Welt. Die Lage. Da wird geredet. Gewettert. Generelles. Und zuerst mal über den Lokführer. Die Abwesenden. Stets. Aber gibt es nicht einen NEUEN. Aber der ALTE. Mein – welche Anmaßung – der meinige Schienenbus jedoch steht seit Anfang des Jahres. Vor sich hin. Weder hin noch her. Rum. Oder Cognac. Sinn die Wiever die Besseren. Heute bin ich verliebt wie noch nie. Alkmene. Wo ist sie. Der Schädel explodiert mir. Rakija. Slivja. Her zu mir. Nein. Geht. Geht. Bitte. Geh bitte.

*

Ich setze mich auf den Bahnsteig. Ist es nicht wunderbar neben seinem Zug zu sitzen und darauf zu warten ob er losfährt. Gewiß und wissend daß er stehenbleibt. Und wird. Und lange noch. Der Himmel milchig grau. Und unentschieden. Wie die abwesenden Lokführer. Hörte ich heute Nacht heimkehrende Kraniche. Schreien. Schreie. Was hatte mir Alkmene in mein trunkenes Ohr geflüstert. Bevor sie ging. Und dann ging. Die NEUN. Da könne ich IHN. Erreichen. Jedoch. Ob. Willst Du es wirklich. Überlege genau. Ich überlege selbstredend nicht. Ich bin verkatert. Verlassen. Trübselig. Und wähle. Die NEUN. Zrick. Zrick.

*

„Guten Tag! Sie haben die Nummer des Lokführers gewählt. Das freut uns. Außerordentlich. Leider dürfen wir Ihnen mitteilen müssen daß … Für Fragen gibt es derzeit wenig Zeit. Und Antworten finden Sie nicht weil … Gerne aber können Sie uns morgen und stets weiterhin … Fragen oder auch Klagen. Was aber Kosten nach sich ziehen. Kann schon sein. Machen Sie keine Fehler und verzeihen Sie uns weiterhin. Die Unserten. Wir freuen uns Sie abgewiesen zu haben. Verwechseln Sie Vorsignale nicht mit Ihrer Zukunft. Ob rot, ob blau. Bis Mittwoch tanzt die … Ja. Die auch. Alaaf. Helau. Miau. Und Grunz. Was erlaube Struuuunz?“

…..

Nachricht aus dem Nachlösewagen 19

…..

…..

Gestern noch. Gestern wollte ich mich nicht mehr erinnern. An nichts. Heute aber. Heute aber kann ich mich nicht mehr erinnern. An nichts. Reines Garnicht. Ich liege. Ich liege zu Füßen eines Tresens. In einem Leichttriebwagen. Wo ich eben noch zu Füßen Alkmenes. Schwamm. Durch mein Leben. Durch ein Mehr. Das Meer. An dessen auf das glänzende Blau hinabblickenden Felsen der Schnaps dieser Nacht destillierte. Immer und immer. Wieder und wieder. Die Kristalle glitzerten in den Eingeweiden weiter. Meinen. Und Alkmene sprach und sprach. Und sie redete nicht.

*

Ich habe immer ein paar Reiszwecken in meiner Manteltasche. Vielfältig die Zwecke der Zwecken. Wachstecher beim trübsinnigen Herumkruschteln in alten Behältnissen. Gedankenfixierer. Merkhefter. Zwei ergriff ich meinen anisbefeuerten Zustand vorsichtig bedenkend und pinnte meinen rechten Mantelärmel auf die Holzplatte des Tresens. In der Hoffnung. In der Hoffnung den bevorstehenden Fall hinaus. Hinaus. Hinaus. Zu zögern. Vater unser. Der Du. Und führe uns nicht … Nein. Nicht. Alkmene leuchtenden Auges fiel mir in den nicht komplett abgeschossenen Satz und jetzt lachte sie. Breit wie der Mississippi. Wenn er den Golf von Mexico erreicht. Sie tanzt. Ihr linker Ellenbogen malt Bilder in stickige Schienenbusluft. Ich werde mich nicht verlieben. Schwöre ich mir. Alkmene. Dein das Mikro.

*

„Hör auf Dich vor Dir selbst zu tarnen. Folge nicht den Lokführern. Schmeiße Kleingeld in die Parkometer. Wo Deine Sehnsüchte parken. Ähem. Parkten. Die Müllabfuhr streikt heute. Zu behaupten in Dauerschleife Du seist gescheitert ist lediglich das Spiegelbild Deines selbstermächtigten Größenwahns. Yamas mein Jupiter. Aber weil Du mir eben vor die Füße fällst. Das ionische Meer in Deinen Augen. Mein kleiner Provinzodysseus. Es strahlt. Vergisst sich. Das Selbst. Man darf mich lieben. Man darf mich betrügen. Meine Dummheit gestehe ich. Auch Dir. Jetzt gehe ich. Auch ich werde schwanken. Mir den Kopf anschlagen. An der Türe des Schienenbusses. Wenn ich gehen werde. Aber ich werde gehen. Draußen werde ich mich ins Gebüsch hocken. Den Schnaps unserer göttlichen Nacht auf den noch gefrorenen Boden pinkeln. Werde ich. An Dich denken. Werde ich. Und vielleicht sogar weinen. Gewiß werde ich weinen. Ob Deiner Feigheit. Die mir nicht unbekannt. Jetzt decke ich Dich zu. Mit meinem Halstuch. Und gehe. S’agapo. Werde ich. Mein falscher Held. Der Du immer noch an den Weihnachtsmann glaubst. Bussi! Mein Gott. Oh jemine!“

…..

Nachricht aus dem Nachlösewagen 18

…..

…..

Ich greife in die Wählscheibe. Die Drei. In der Hoffnung auf die Schaffnerin. Zrick hin. Zrick Zrück. Wenig Zeit. Bleibt. Wenn die Drei der Wählscheibe. Zrück kreist. Ich habe aber gewählt. Zumindest. Ich hatte gewählt. Beide Fäuste in den Taschen. Meines Mantels. Wärmer aber da draußen. Letztlich bleibt es kalt. Es klopft. Bevor ich den Hörer in der Hand halte lege ich ihn wieder auf die Gabel. Es hat geklopft. Was ich vernehme. Einvernehmend. Ich habe angeklopft. Es hatte geklopft. Ja. Ja. Iss ja gut. Ich öffnete die Tür‘. Von innen. Hatte ich mich selber eingeschlossen. Oder. FRAGEZEICHEN. Ich erinnere mich nicht. Ich will mich an nichts mehr erinnern. Die Türe steht offen. Sperrangelweit. Ich bleibe drinnen. Die Schaffnerin kommt herein.

*

Ich bemerke. Ich bemerke, daß die Schaffnerin sehr müde aussieht. Violette Augenringe. Krähenfüsse. Rote Flecken im Gesicht. Hektisch. Trockene Luft. Kälte. Aber sie lacht. Lächelt. Versucht es zumindest. Angestrengt leichte Bewegung rund um ihre Mundwinkel. Ich mag sie. Von einem Moment auf den anderen. Ich muß aufpassen. Verlieben will ich mich nicht mehr. Schon gar nicht heute. Und überhaupt. Aber. Was hast Du eigentlich gegen die Schaffnerinnen. Eine kleine Selbstbefragung. Gegenüber des Telefons ein Tresen. Verwaist. Da stehen wir nun. Angelehnt. Rechter Ellenbogen ich. Linker Ellenbogen sie. Die Lächelnde. Mir gelingt es noch nicht. Oder nicht mehr. Meine Lippen bewegen sich. Meine Stimmlippen folgen. Artikulieren.

*

„Da sind Sie ja wieder!“

„Wenn man mich ruft!“

„Aber ich hatte doch gar nicht zuende gewählt.“

„Man hat so seine Vorahnungen! Was wollten Sie wissen?“

„Sie sehen sehr erschöpft aus!“

„Das weiß ich wohl selbst. Was wollen Sie wissen?“

„Der Lokführer?“

„Welcher?“

„Irgendeiner welcher diesen verfickten Schienenbus bewegt!“

„Reißen Sie sich bitten zusammen. Ihre Rentnerfahrkarte berechtigt Sie zu rein gar nichts!“

„Wollen Sie diese etwa sperren lassen?“

„Ach!“

„Heißen Sie Alkmene?“

„Vielleicht! Aber Sie sind nicht Jupiter. Heute Nacht bleibe ich trotzdem noch hier. Bei Dir. Ich habe ein Flasche Schnaps mitgebracht, geliebter Amphitryon. Da wir schon am Tresen festgenagelt sind.“

„Yamas! Obwohl noch früh am Tage!“

…..

Sonntags Reime unter Bildern / 02

…..

…..

Nachträgliche Lamenti enttäuschter Wahlbefugter davor / Auswahl

*

Die Urn‘ ist Schuld

Vivat die Ungeduld

Jetzt soll es werden wie ich‘s wollte

Doch weil der Ball was anders rollte

Hin und her und krumm und

Dümmer

Meine Faust in der Tasche

*

Wer spricht

Ich nicht

Ich will

Die Schulden nicht bezahlen

Ist auch nicht der Sinn der Wahlen

Lautes Schweigen still

Meine Faust in der Tasche

*

Setzt der Urne ein Klistier

Bestattet unter Apfelbäumen

Sie

Man darf doch wohl ein wenig träumen

Mein Wille er geschehe

Wehe Wehe Wehe

Wenn nicht

Meine Faust in der Tasche

*

Ach begrabt mein Herz an der Biegung

Des Überflußes

Lieb Muttiland ist abgebrannt

Der Papa blieb in den Kriegen

Eitel ist nur

Meine Faust in der Tasche

*

Einigkeit und Rechthaben und Freilichternd

Herum das Steuer

Wieviel Grad

Einhundertachtzig auf verbreiteter Autobahn

Bleierner Fuß

Klumpend in den sauren Mägen

Meine Faust in der Tasche

*

Till Eulenspiegel schrie Alaaf

Als er auf dem Seil über den Marktplatz

Und fiel hinab

Schwebend über eingezogenen Köpfen

Die vergossene Milch zu Quark stampfend

Meine Faust in der Tasche

*

Ach

…..

Nachricht aus dem Nachlösewagen 17

…..

…..

Ich werde reden. FRAGEZEICHEN. Blödsinn. Ich werde sprechen. Da ist ein Telefon. Über Telefone und mit dem Gegenüber spricht der Zweibeiner. Wir müssen reden. Ich kratze mir meine Glatze wund.  Wir müssen reden. Ich halte mir die Ohren zu. Halt. Halte keine Rede. Gegen Wände. Fenster. Bildschirme. Sonst spreche. Steh auf. Steht endlich auf. Bewege Dich. Da vorne ist ein Telefon. Geh hin. Sprich. Halte keine Rede. Kurbel. Verbinde.

*

Hallo Telefon. Hilf mir. Sprechen möchte ich. Da isses. Ein altvorderes Telefon. Wählscheibe. 10 Ziffern. Zkrick. Läuft die Scheibe wieder auf Anfang. Zkrick. Zrück. Neben dem vergilbten Sprechapparat ein Rufnummernverzeichnis. Von Hand hingekritzelt. Ebenso vergilbt.

*

Die Telefonliste:

*

1 Stellwerk oder Krankmeldung

2 Vorwärts gehen

3 Fahrpläne (in Absprache Schaffnerin)

4 Rotes Kreuz

5 Alle reden vom Wetter

6 Warteschleifenmusik

7 Weichendienststellungen

8 Kontrolle (kein Vertrauen)

9 Wir fahren immer (herzlich vom Lokführer)

0 Amt und Zeit

*

Es ist warm geworden heute. Der Waggon heizt sich auf. Gelassen. Bleiben. Nun gut. Ich denke nach. Vor mich hin. Hinter mir her. Alle Nummern durchwählen. Oder nicht. Die Null zuerst. Beim nächsten Ton des Zeitzeichens wählen Sie das Amt. Soweit so gut. Dann die Sechs. Bekämpfe Langeweile, indem Du sie verstärkst. Die Sechs antwortet. Aus dem Jenseits.

*

Hör die Wölfe heulen

Wale fallen wie Tränen auf die Strände

Ach, es ist noch nicht zu Ende

Hör die Wölfe heulen

Wale fallen wie Tränen auf die Strände

Ach, es ist noch nicht zu Ende

…..

Nachricht aus dem Nachlösewagen 16

…..

…..

Obwohl ich seit Tagen und Nächten wachliege, frage ich mich ernsthaft, ob ich etwas verschlafen habe. Ich habe die Formeln auswendig gelernt. In den Wolfsstunden bete ich diese vor mich her. Wieder und wieder. Der Frost läßt die Scheiben meiner derzeitigen Behausung knacken und klingen. Der Morgen weckt mich, der ich durchwachte die Nächte gelassen, mit freundlichem, optimistischem Licht. Ein eiskalter Himmel wirft verschmitzt eine Vorahnung hinab. Der Lenz. Der Lenz. Hörte ich unlängst gar Kraniche. Frage ich mich. Was habe ich verpasst. Was habe ich verschlafen. Ist der Schienenbus geschützt. Gesichert. Passwörter. Ich repetiere. Karger Text. Auswendig. Inwendig. Geheimnis. Vielleicht.

BD210%77t40PIP-u15t

Kann man Passwörter trommeln. Wie aber. Oder singen. Oder auf gefrostete Scheiben mit dem warmen Zeigefinger. Schreiben. Was auch immer. Ich bleibe drinnen. Bin aber nicht drinnen. Dort wo ich wäre gerne. Vielleicht.

*

Tagsüber nicke ich stets ein. Ich habe mir es angewöhnt die Helligkeit zum Hüter des Schlafes zu machen. Was hab ich verpasst. Was verschlafen. Ein weiteres Passwort. Der Code. Da Vinci. Leonardo. Wer hat’s erfunden. Wer.

1395mKE-P-A@b17t

Welcher dem Tag zugewiesen. Welcher der Nacht. Was geschieht. Wo eintippen. Einfach nur aufsagen. Die Erde draußen gefroren. Der Wind beißt ins Gesicht. Ich bleibe drinnen. Müheloses Warten. Auf nichts mehr. Aber ich sollte vielleicht wieder sprechen. Mit wem. Ich vermisse die Schaffnerin der ersten Tage. Der Paketbote hetzte von hinnen. Gejagt. Andre. Da geht was. Es spricht. Hörst Du’s nit? Wenn der Code stimmt. Einer der beiden. Welcher ruft den Lokführer. Da hinten. Da hinten im anderen Wagen. Ein Telefon. Da steht ein Telefon. Stumm. In der Ecke. Es gibt keinen Durchgang mehr. Von dem Einen in den Anderen. Wagen. Ich muß raus. Will ich raus. Das Telefon. Es ruft. Wer schreibt Formeln auf einen alten Triebwagen. Und warum. Was hat dies mit dem Stillstand zu tun. Still. Da geht was. Spricht.

*

„Wer spricht?“

„DU! Selbst!“

„Mit wem?“

„Wem wohl!“

„Still! Es geht was!“

„Es geht hinter dir, unter dir, hörst du? Alles hohl da unten.“

„Ich fürcht mich. S’ist so kurios still. Man möcht’ den Athem halten.“

„Was?“

„Red was!“

„Fort. Sieh nicht hinter dich. Wir müssen fort.“

…..