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Seit bald drei Monaten bessere ich meine Rente auf, indem ich gelegentlich als Kulturschreiberling arbeite. Ich bemühe mich dabei ein gut und gütiger Mensch zu bleiben, so nicht auf die von mir besehenen Bühnentätigen und – tätigerinnen draufzuhauen. Manchen Zweifel an den betrachteten Darbietungen schlucke ich runter und konzentriere mich darauf, wird der Schalter denn gedrückt, nicht zu heftig auf die Empathiebremse zu treten.
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Gestern war ich entzückt. Der großartige Christian Baron stellte hier in Gießen seine zwei – Achtung: Wiederholung! – großartigen Bücher „Ein Mann seiner Klasse“ und „Schön ist die Nacht“ vor. Auf dem Nachhauseweg, drüber hirnend, wie ich über das eben Erlebte mit den wenigen mir erlaubten Zeilen berichten soll, hörte ich die ersten Kraniche dieses Herbstes nach Süden ziehen. Finster war es, es regnete und ich sah die Vögel nicht, hörte sie nur. Als klängen die zwei Bücher Barons, die mich entfernt an meine Kindheit und Jugend gemahnten, in mir nach. Ich kramte nach meinem Telefon, um der schon schlafenden Gemahlin per SMS von der Herbstflucht der von uns verehrten Vögel zu berichten, blickte so auf Bildschirm und Fußspitze, als mich ein junger, sehr trunkener Bub anhielt mit den Worten: „Hier! Ich muss mal was fragen! Was ist des Pudels Kern? Wissen Sie das?“ Er schwankte, wollte mir schier um den Hals fallen, seine Begleiterin hielt ihn zurück.
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Die Kraniche hörte ich nicht mehr, die Ampel am Berliner Platz war auf rot gesprungen, gegenüber grüßte meine alte Arbeitsstätte, das Stadttheater Gießen mit inzwischen dämlich verhängten Fenstern. „DEINS!“ brüllte es mir statt leise sprechender Butzenscheiben entgegen. Ach nee? Was war noch die Frage? „Was ist des Pudels Kern?“
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Der Teufel sei es, antwortete ich und der Bub, als hätte er erstmalig in seinem Leben einen Leser des FAUST erblickt, wollte mir schon wieder um den Hals fallen. Mit der in Coronazeiten virtuos erlernten GhettoFAUST hielt ich ihn auf Distanz und empfahl ihm, der, wie er sagte, eben im Rahmen seiner ihn euphorisierenden Lektüre bei der „Gretchenerzählung“ angekommen sei, dringendst bei Bedarf mit dem zweiten Teil des FAUST nachzulegen. Da habe er was für den Rest seines Lebens. Auch wenn da nichts drinsteht. Von seinem restlichen Leben.
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Eine wunderbare Begegnung in jenen Tagen, da ich mir vorgenommen habe, das Weltenrund nach den zarten Anzeichen einer Hoffnung abzuscannen. War jetzt kein schlechter Einstieg, diese Begegnung. Gibt es noch Gründe ein Theater zu betreten? Also für mich nur, `tschulligung! Wenn es mich nicht deppert anbrüllt, gerne. Sonst lesen der trunkene Bub und ich, der auch nicht nüchtern war, uns gegenseitig aus dem FAUST vor.
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Bevor ich es vergesse. Oben mein Hut, unten ein Pfaffenhütchen. Und unter den Hüten wohnt? Des Pudels Kern vielleicht. Seien wir also gut behütet.
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Zu Hause dann noch ein letzter Gedanke angeregt durch Christian Baron. Wer fällt denn dieser Tage in den Kriegen? Nicht die Söhne der Akademiker. An der Front werden die Buben der armen Leut‘ verheizt. Immer schon. Der Teufel tanzt nicht sich, sondern die anderen tot. Und wer heizt wem die Hütte? Sind wir auf der Hut. Oder ziehen mit den Kranichen von dannen. Die schlimmsten Hüte sind die Hüte der Pharisäer. Lechts wie rinks. Oder?
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Ein Gedanke zu „Wenn des Pudels Kern ein Kranich wäre“