„I’m alone here. / With emptiness. / Eagles. / And snow.“ (Deep Purple)

…..

Nonnenhorn / Oktober 2022 / Foto: A. Haas

…..

Neverlusen in Mittenwald

*

Im verschneiten Landschulheim

Mittenwald Februar neunzehnhundertzweiundsiebzig

Auf dem Weg von der JH Ganghofer zur Kaserne Edelweiß

Das tote Reich der Vorfahren noch schwer im Rucksack

Streckte das erste Mal eine Klassenkameradin ihre Zunge

In seinen Hals die nicht

Die Auserwählte war

*

Ossi der Metzgersohn der

Wenige Jahre später nur wie sein Vater

Sich den Strick um den Hals legte

Trennte die Knutscher ein Heft in der Hand

POP aus der benachbarten Schweiz

Verwackelte Bilder einer brennenden Spielbank

Unten am anderen See bei Genf

Lugi do schau des isch es

Der Junge schmiss seine mitgeführte MC

Neben den Weg in den Schnee

Und durfte an Ossis Zigarette ziehen

Ihm ward schlecht

*

Im Waschraum zwanzig Waschbecken in Reih und Glied

Ajona zwischen den Borsten kratzte an den Zähnen

Vor angelaufenen Spiegeln

Wo isch Deine T. Rex–Kassette Lugi

Da hätte der Junge gerne geantwortet

Ich werde mich nicht mehr auffressen lassen

Von denen die da so gross mit spitzen Zähnen

Und langen Zungen

Und Neverlusen ab heute

Auch wenn finstere Rauchwolken über dem See aufsteigen müssen

Sie werden es sowieso

*

Er war schon mal in Mittenwald gewesen früher

Auf Hochzeitsreise

Knappe sieben Monate alt

*

Die erste Frage nach der Heimkehr des

Vaters dem ein Jahr noch blieb

Hast du geraucht

Nein

Geknutscht

Pause und nein

So lernt man das sinnlose Lügen

*

(gießen heute / zeitung lesen / fünfzig jahre da da da / da da da da / da da da dada / das eigentliche lied auf der scheibe die wenig später mein kleiner bruder nach hause brachte / er hatte sie einem klassenkameraden aus der tasche geklaut / ein anderes / höre unten / die erinnerungen werden tag für tag milder)

…..

…..

„The Thrill is gone!“ (B.B.King)

…..

Ersatz für eine gute alte Kifferbank / Bodanrück / August ’20 / In der Tüte unten links Herr Mahler

…..

Narrenbehandlung

*

Wenn es mich nicht mehr juckt

Man sich lediglich ab und an kratzt

An den stillgelegten Testikeln

Die gepresst werden von gepackten Koffern

Auf denen ich ausharre laut singend

Alle Aufbrüche vermeidend

Aber die Moralhitparaden hoch und

Runter buchstabierend auf der Suche

Nach den Verletzbarkeiten und ich

Ein Stellvertreter meiner Schäden

Profund und blind jubelnd bleibe

Opfer meiner Narben

*

Letzte Nacht viele Hunderte

Mit Tüten in der Hand

In den Wiegen immer noch schaukelnd

Mutlos befreit

Durch eine Vergangenheit geadelt

Breit leider nicht die Brust

April April

Man legt sich selber rein

Freudlos

Ins gemachte Bett

*

(gießen / heute lese ich bei der physiotherapie auf einem plakat narrenbehandlung statt narbenbehandlung / uli hoeness hatte unlängst sich öffentlich über fliegende punkteraubende tennisbälle beschwert / dann musste er sehen im stadion: für euren scheiß-fußball seid ihr doch selbst verantwortlich, uli / selbst das kiffen ist inzwischen eine langweilige und verantwortungsfreie veranstaltung / den walldorf-schülern und den moral-pianisten sei dank / regnet es noch oder schon wieder in saarbrücken / wurscht / alle lüste flachen sich halt mal ab / in würde hoffentlich / auf alten bänke sitzen später neue)

…..

…..

„Mal ganz ehrlich! Wie ist es Dir damals gelungen, aus dem Mülleimer rauszukommen?“ (Il mio nome è Nessuno)

…..

Hafeneinfahrt / Sami / Kefalonia / Auf nach Ithaka / Juni 2023 / Foto: A. Haas

…..

Rede des Odysseus am Grabe eines alten Widersachers

*

Hier stehen wir ins Grab zu legen

Den göttlichen Polyphem

Zu schließen sein Auge

Welches weder rechts noch links blind

Ich selbstgerecht in Not gepfählt

*

Keiner zog schneller als er

Nur einer

Niemand

Werden wir meißeln

In den Stein

Über seinem zerfallenden Leib

*

Oft trifft es einen

Gerade auf der Straße

Auf der man

Vor seinem Schicksal flüchten wollte

Das war nichts Neues für Ihn

Den Zähler seiner Schafe

Aber für mich

Der ich ihn verhöhnte

Penelope so warten ließ

Lange zehn Jahre

*

(karwoche / die klagewoche wie sie heißt / warum heute tanzen wollen müssen / xabi alonso bleibt / gut so / es regnet und regnet manchmal nicht / wenn man mal alte western schaut / unten der andere junge mit der mundharmonika)

…..

…..

„Die Zisterzienser sagen, dass man sich nicht seiner Verzweiflung hingeben darf. Das nehme ich mir sehr zu Herzen.“ (Karl-Markus Gauß)

…..

Gießen / Botanischer Garten / Palmsonntag / Foto: A. Haas

…..

Lob des Alltäglichen / Versuchsanordnung

*

Statt sich zu versaufen

Vor lauter Warten

Auf himmlische Chöre und Lobpreisungen

Mag es ausreichend werden nach dem Zähne putzen

Den Tag zu begrüßen

Nicht als Feind

Und die Klinke nicht zu verwechseln

Mit dem Schloß

Hoffen wir

Ohne Gewähr

*

(gießen heute / eben hagelgewitter / ostern vor den türen / weihnachtsgeschenke eines alten freundes gelesen in den letzten maladen aua-tagen zwischen wartezimmern, ergo- und anderen therapeuten / eine entdeckung / danke bester thomas / der franke sagt dann: passt scho / in diesem sinne: siehe unten)

…..

…..

„Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ (Karl Valentin)

…..

Waschwand vor einer der vielen beeindruckenden und besuchten Moscheen / Istanbul / März 2012

…..

Die halbierte Pommesgabel und andere Scheinreligiösigkeiten

*

Warum den Finger richten in die Höh‘

Statt das Haupt senken

Auch wenn Hand und Fuß gewaschen vor dem Gebet

Oder der pralle Klingelbeutel

Eine Wahrhaftigkeit besingen soll

Die Götter tanzen nicht auf der Agora

Lediglich die Götzen sind es

Und die Heimatlosen

Ein Glauben atmet hinter der

Ikonostase erstmal

Durch und

Hält sei Gosch

Gott scheißt auf große Geste

Mein bekennender Zweifel

*

(gießen vor ostern / immer noch beten wir die lächerlichkeiten an / pastor reichelt gegen imam rüdiger / real ramadan gegen dfb kreuzabnahme / am wochenende dann bayern gegen borussia / leiser leben plus lauter schweigen vielleicht / zwiebelschalen sammeln / eier färben / ab und an den bart abnehmen / und die hostien in den whiskey der feinde tunken / notfalls chai)

…..

…..

„Mach mal das grosse Licht an!“ (Wie Torsten Sträter seine Mutter zitiert)

…..

Hamburg / Hafenkneipe / September 2021

…..

Dimmergedanken

*

Es muss doch einfach möglich sein

Wenn das Wünschen

Es muss doch einfach möglich

Mach das grosse Licht bitte aus

Wenn ich versuche mich zu erinnern

*

Es muss doch gestern möglich sein werden

Wenn die Wünsche einfrieren

Und wir vergessen könnten

Wo ist der Lichtschalter

Freundliches Zwielicht

*

Es muss doch morgen möglich gewesen sein

Ohne Selbstvergewisserung

Es muß doch einfach nur

Möglich

Werden gestern

*

(gießen heute / hübsche fotos von macrons bizeps allenthalben / hau den lukas für eitle / morgen wird nagelsmann dessen bodentruppen besiegen wollen / darf deutschland weiterkiffen / das gesetz wird wohl gelagert werden müssen / da wir über keine tiefkühltruhe verfügen in unserem bescheidenen haushalt wird es schwierig / vor allem mit dem einfrieren von dem und diesem und den kriegen / osterlämmer muss man eh frisch verbraten / goethe – the show must go on – auf dem sterbebett fordert mehr licht / weniger vielleicht / dunkel wird es von allein)

…..

…..

„Auch ich habe in den Kneipen gesessen und mir das Maul zerrissen, ungezogen und überheblich!“ (J. Flimm)

…..

Auf einer der Bühnen dieses Landes nachdenkend beziehungsweise so tun als ob Kopf noch auf

…..

Es war schon längst vorbei als es begann

*

Als hochroten Kopfes der Theaterleiter die Klause

Wie man manchen Theaterabsturzkeller einst nannte

Stürmte und stürzte an den feuchten und lauten Tisch

Des aufstrebenden gutaussehenden Jungdarstellers

Der seinen Hintern den Fernsehsendern zugewandt

Wo er Jahrzehnte später nur noch rumpilchern sollte

Und der Theaterleiter Schabau und Kölsch im wuchernden Bart

Schrie den Finger streckend nach unserem Tisch

Wo wir billig eingekauften Theaterlehrlinge mit Stolz gefüllt mittranken

Da wir eben am Rande der kleinen Großstadtrampe Texte sprechen durften

Schrie er: Leev Jong mit jedem dieser Buben kann ich dich ersetzen jederzeit

Und da unsere wackeligen Wirbelsäulen sich reckten gen große Rampe

Ein Kranz Kölsch an unserem Tische unser peinliches Schweigen begoss

Den der Theaterleiter mit lässiger Geste geordert und Yamas

So verkroch sich in den noch funktionierenden Furchen meines Hirns

Ein Gedanke der diesen Verlust schon vor der Zeit besingen hätte können

Und es nicht tat

Nach über vierzig Jahren jedoch neben dem Herzen tickert

Prostituierter ohne Reue der ich einer war

*

(gießen döst vor sich hin und die bewohner dösen mit / so do i / vielleicht kauf ich mir dat buch / morgen mehr / es triggert eben so vor sich hin)

…..

…..

„Ich bin voller Dankbarkeit und voller Frohnis, dass ich das alles erleben durfte.“ (Christian Streich)

…..

…..

Wo ich doch seit Tagen bei den Verlusten verweile. Quatsch. Eben nicht nur. Beim Nachdenken – Danke Herr Daniel Schreiber – über das Verorten all der allgegenwärtigen Verluste halt au. Wann man geht. Wann man bleibt. Wann man auch mal die Schnauze hält. Hat was welche Bedeutung. Was blase ich auf. An die Klinken welcher Türen mag ich nicht fassen. Alles ein großes Fass, was jetzt nun mal aufgemacht. Und: Wie geht man? Die rechte Zeit. Die Würde. Die Distanz zur eigenen Scheinriesigkeit. Oder Scheinheiligkeit. Oder Langweiligkeit. Oder aus dem aufgemachten Fass wird irgendwann ein Schnapsglaserl. Und dann trauern. Über was. Aber.

*

Christian Streich lief mir stets über meine Wege. Oder eher die Verbindungen zu ihm. Viele Arbeiten in Freiburg. Mein fernnaher Bruder ist Vereinsmitglied und Dauergast beim SC Freiburg. Der Bruder meiner ersten fehlgeschlagenen Liebe wohnt dort. Lebt er. Lebt sie. Der Trainer Vornamensvetter. So eine Art Fußball – Dylan. Für mich. Schrieb ich mal auf meiner alten Theaterseite. Siehe unten. Viel Wäsche die noch trocknen will.

*

(gießen im november 2019) Werd ich des jemals schaffe ein Regisseur zu si wie der Streich ein Trainer isch? Selles sagt der einfach so, nachdem er am Bodde liegt: „Ich hab ihn gsehe, er isch halt ein emotionaler und wilder Spieler. Ich kenne ihn von seiner Zeit in Basel, des isch net weit von uns weg, da habe ich ihn oft gsehe. Dann kommt er also, aber er kam so schnell. Der Ball isch an mir vorbeigrollt und dann hat er mich, bumm, über de‘ Hufe grannt. Dann sind leider natürlich alle Spieler aufgesprunge, aber ich bin sofort wieder hoch, weil ich ja keinen Bock auf des ganze Theater hab‘. David isch danach au zu mir komme, er hat sich entschuldigt. Er sagte: ‚Ich hab gedacht, du bisch ein bissle stabiler.‘ Aber er isch ein junger Büffel und ich bin 54. Das darf er natürlich net mache, ich komm‘ ja gar nimme weg bei dem Tempo. Des isch natürlich scheiße. Au‘ für Frankfurt. Er isch wild, alle von Frankfurt sind wild. Aber wenn se net so wild wäre, dann hätte se au net so viel Erfolg. Ich hab viele persönliche Schwächen. Aber eine Schwäche, die ich net hab, isch, dass ich nachtragend bin. Die Sache isch erledigt. Thema erledigt. Weiter geht’s, zum Fußball gehören halt au‘ Emotionen. Ich bin scho so lang aufm Kickplatz, so isch der Fußball au‘. Aber es isch alles gut, des isch keine Story wert. Ich hab wirklich keinen Bock auf des ganze Zeug. Es isch alles gut, die Schulter hat gehalte, ich bin ja au‘ stabil, ich dehne mich ja immer. Wenn mich einer umhaut, isch es net glei gesagt, daß ich sofort verletzt bin. Ich weiß net, wie es am Montag isch, vielleicht hab ich ja ein Schleudertrauma. Aber fertig, Fußball, ab. Thema erledigt, in Ruhe lassen.“ Ich lieg au grad am Bodde rum. Heilandzack. Und Bock uff des ganze Theater hann i au nit me, isch aber au gut, etz mach ich erscht mal Premiere. Die Sache isch erledigt. Und die Schwäche vom Streich wege derer ganze Nachgetragerei, die henn i au nit.

*

Seit längerem steht auf meiner Ideenliste für diesen Blog: ein Christian-Streich-Poem. Seit seinem angekündigten Abschied ist es nun eine Steilvorlage. Druck. Quatsch. „Runterfahre! Fertig! Nit noch blöd rumschwätze!“ Aber es kommt. Das Poem. Der Titel steht. „Frohnis!“ Vielleicht wird es auch nur ein Blues. Eine Strophe kurze Minuten gesungen.

*

Bin jetzt in Sachen badischer Dialekt ja au kei Dummerle, aber Frohnis henn i noch nie ghört. Mein Lieblingswort isch des ab heut. Und so kling Frohnis, wenn des dä Kies singe tut. Der könnt au mol uffhöre. Wer kann des scho?

…..

…..