Nein, dies ist keine photographische Inszenierung. Obwohl ich zwei Loriot – Abende zusammengestellt und auf die Bühne gebracht habe. Man hatte mich beauftragt und dann auch gebeten damals. Wir saßen nun in der Küche beim Abendbrot, die Gattin und ich, und sprachen über den dieser Tage allgegenwärtigen Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow, als mein geliebtes Gegenüber ansatzlos in wilde Heiterkeit ausbrach. „Du hast da was!“ „Ach was!“ „Sagen Sie jetzt nichts!“ Und sie griff zum Telefon und photographierte mein Gesicht.
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Den ersten Abend hatte ich vor etwa 11 Jahren am Wallgrabentheater Freiburg gebastelt. Ein Anruf: „Loriot ist gestorben!“ Gründer, Grandseigneur und auf dem Weg in den endgültigen Ruhestand war dort Heinz Meier, unvergesslicher und neben der herrlichen Evelyn Hamann zentraler Partner des Meisters, der mir in den Rückblicken ein wenig zu gering gewürdigt scheint und mit ausdrücklicher Genehmigung von Loriot, dessen Szenen als Erster und lange Einziger aufs Theater bringen durfte. Ich hatte die Riesenehre und muß dies erwähnen, obwohl mir das „Namedropping“ eine ungute Version von Eitelkeit ist , Heinz Meier, der mich knurrend duzte, ich ihn ehrerbietig siezte, inszenieren zu dürfen. Da wir schon rumeiteln, hier ein Presseausschnitt: „Wer die legendären Loriot-Abende aus dem Fernsehen kennt, hat deren Szenerie und Spielfluss vor Auge. Aber muss man das wirklich Detail für Detail imitieren? Regisseur Christian Lugerth antwortet hierauf mit einem klaren Jein. Denn, und das zeigt der knapp zweistündige Abend unter dem Titel „Ach was! Loriot“ deutlich: Die Texte wirken schon aus sich heraus. Der Abend gibt da schon früh den Takt vor. Da steht ein älterer Herr vor dem Fernsehapparat und betrachtet kritisch einen Sketch, der ihn um ein paar Jährchen jünger zeigt. Der Herr macht eine abweisende Geste, schaltet die Kiste aus, ein Loriot’sches „Ach was!“ auf den Lippen. Der wirsche Tonfall indes ist nicht Loriot – er ist klar Heinz Meier. Als ob der Grandseigneur des Wallgraben-Theaters noch einmal Bilanz zöge über seine Rolle(n) in Loriots Stücken, mit zwei Worten und einer Geste, die viel mehr aussagen als lange Abhandlungen. Dem besagten Sketch, es ist der vom Lottogewinner Erwin Lindemann, gilt auch das virtuose Finale des Abends. Heinz Meier alias Lottemann, äh Lindemann, mit herrlich ostpreußischem Akzent und all den geplanten Versprechern, die, darf man das so sagen?, eine Spur rauer, eine Spur resignativer klingen als früher: Aus Erwin ist ein Estragon geworden, und vielleicht wartet der nicht auf Godot sondern auf Loriot.“
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Heinz Meier war ein großer Fußballfan. Was uns verband. Wir schauten also oft gemeinsam auf den kleinen Fernseher hinter der Bühne, wenn die Bälle rollten. Und redeten eher wenig. Umso mehr redete aber der „Kleine Prinz“, wie Meier den designierten Leiter des Theaters gerne nannte, der – man war „not amused“ – sich das kleine und sehr feine Theaterchen angeheiratet hatte. Er war sich sehr sicher zu wissen, daß es nur eine Sichtweise auf den Humor des Altmeisters gäbe und zwar die seinige. War stets ein freudlos anstrengendes Zuhören, er stand auch auf der Bühne, bis Heinz – inzwischen durfte – Ach was! – mußte ich ihn duzen, ein Machtwort sprach. „Der macht das schon!“ Gerettet! Holleri du dödel di!
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Unlängst las ich Erinnerndes von Tim Moores, ein britischer, nein, ein walisischer Regisseur – Wie passend! – der die ersten Fernsehsendungen von Loriot bei Radio Bremen einrichtete. Der Bremer Sendechef damals war ein Schwabe. Tim Moores erinnerte sich, daß jedesmal wenn der Schwoab an ihrer Humor-Arbeit herummäkelte, sie so wussten, daß sie richtig lagen. Der „Kleine Prinz“ war – Ach was! – der Sohn eines schwäbischen Häuslebauers. Sagen Sie jetzt nichts. Ist Ihr Gatte auch dieser Ansicht?
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Der erste Loriot – Abend lief zwei Jahre lang mit Warteliste. Der Sommer 2013 war ein sehr heißer. Ich arbeitete wieder in Freiburg und war verantwortlich für die dortige Rathaus – Innenhof – Sommer – Inszenierung. Ab und an traf ich Heinz, der inzwischen ziemlich geschwächt. Er schleppte sich ins Theater für die letzten Vorstellungen. Kaum stand er auf der Bühne geschah diese Verwandlung, die unseren Beruf ausmacht. „Freue mich auf die Sommerpremiere. Du machst das schon!“ Sagt er noch. Nebenher auf den Proben die üblichen „Humordiskussionen“ mit dem inzwischen beförderten „Kleinen Prinzen“. Nach einem größeren Knall, ich hatte die Faxen dicke und dann im guten alten „Litfaß“ die Nacht durchgemacht, klingelt um 7 Uhr in der Früh das Telefon. „Der Heinz ist tot.“ Man hatte ihn in seinem Lehnsessel gefunden. Ein Gläsle Ihringer auf den Tischle und ein Buch in seinem Schoß. Am Tag der Generalprobe die Trauerfeier im Foyer des Theaters. Als – man verzeihe die Eitelkeit – letzter Regisseur des großen Heinz Meier – hielt ich eine kleine sentimentale Dankesrede. Der „Kleine Prinz“ weinte feuchte Lügen in die Dreisam.
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Drei Jahre später ein Anruf. Ein zweiter Loriot – Abend. Das Theater humpelte in Sachen Auslastung etwas am Soll vorbei. Die zweite Erfolgs – Platte auflegen. Noch mal eitle Presse: „‚Spielen Sie doch einfach, was da steht‘, heißt das Programm – und das ist auch die Idee, von der sich Christian Lugerth leiten ließ. Der Regisseur hat Loriots Geschichten von womöglich aus der Zeit gefallenem Beiwerk befreit und sich auf den Kern, auf die zerbröselte zwischenmenschliche Kommunikation, das Aneinander-vorbei-Reden, konzentriert. Sinnfällig wird dies nicht nur im Titel des gut zweistündigen Abend, sondern auch im Bühnenbild auf der Kellerbühne: Das rot-samtene Loriot-Sofa steht als Vergewisserung am Bühnenrand, als Requisiten aber reichen ein paar schlichte Stühle und ein Gazevorhang, mal ein Tisch, mal eine Stele. Und natürlich ein Klavier.“ Moment! Der inzwischen „Große Prinz“ sprach dazu was? Man wiederholte sich in den Auseinandersetzungen. Premiere. Abreise. An der Wiederaufnahme wurde später noch unnötig rumgedoktert. Nicht von mir. Dann starb auch noch Evelyn Hamann.
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Uff! Wurde jetzt letztlich ein Plädoyer für die Heinz Meier dieser und vergangener Bretterwelten. Heinz Meier hatte mir – PSST! – beim Fußball gucken mal erzählt, daß Loriot sich in den Arsch gebissen hatte, ihm den Erwin Lindemann überlassen zu haben, der, wie er fallen ließ, für ihn lebenslanger Fluch und Segen war – und ich bin schuld – auch noch die letzten Worte wurden, die er auf der Bühne sprechen konnte / durfte / musste / wollte. Auf was warten wir? Auf Godot. Zurück zu Loriot.
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Krawehl, krawehl!
Taubtrüber Ginst am Musenhain
Trübtauber Hain am Musengibst
Krawehl, krawehl!
(aus: Die Reime des jungen Bülow)
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Außerdem hat die deutsche Sprache wunderbare Substantive,
die im Rahmen einer Liebeserklärung enorme Wirkung haben,
Auslegeware oder Sitzgruppe beispielsweise.
(aus: Minima Loriotika)
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Moment! Untiges lag noch hier rum. Es flog auf Wunsch des Prinzen – der sich nicht aufblasen wollte, es aber tat – aus dem zweiten Abend. Ach was.
Keine Zeitung mehr zu lesen und ein netzbefreites Leben zu leben ist gewiß erstrebenswert. Wir arbeiten dran. Als Süchtler nicht ganz so einfach. Manchmal verpasst man aber ohne Rituale wirklich Wichtiges. Einen Tod. Heute las ich über Umwege – Kölle! Karneval! Niedecken! BAP – Gedächtnistour 2024! – daß der mir liebste Kölsche Frank Hocker, einfach so gestorben. Ein Konstante der Freundlichkeit, wie ich stets fand, und eine Zeitlang Nachbar in Nippes mit gemeinsamer Kneipe op der Eck. Ein wunderbarer Gitarrist und Minsch. Mein Jahrgang. Schnauze Selbstmitleid.
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Dann ein Lied vom Köster auf dessen Homepage gehört. Er singt von der „Schmier“, die man früher so gerne beschimpfte und man heute mehr als froh sei, daß es sie noch gibt. Dann fiel mir obiges Bild über die Füße. Tja, die Jungs von Uncle Sam, die unsere Alterskohorte so haßliebte, aber letztlich froh war, daß der böse Ami Musik lieferte und noch bessere Filme und die bösen Buben mit Osttendenzen, zumindest hier im Westen, wild demonstrieren ließ. Klar, die dreieinhalb letzten Mitglieder der DKP sind da anderer Ansicht. Prinzessin Sarah Eisenherz wohl auch. Dennoch wollen wir den guten alten Sheriff wieder die Weltmeere durchpflügen lassen. Ich weiß es nicht. Andererseits und Sicherheit? Was immer das sein mag.
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Komme eben aus der Innenstadt. Eine traurige Karnevalsimulation vor einer Walldorfkneipe. Kinder hüpfen eine Chorusline. Kein Rudolf Steiner in Sicht. Aber billiges Bier. Und ein OB mit Narrenkappe statt abgelegtem Talar. Wohl ein Humorversuch ala Gießen. Da sind die Jungs also wieder in der Stadt. Zu elft am Elften. Und raten so vor sich hin. Was wäre unser Sinn?
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Mädel schwingt das Bein
Ein Orden ist nicht billig
Helau schreit die Sau
Metzger um die Ecke biegt
Die Sau sie quiekt
Ich bin historisch
Sie protestiert
Die Masse aber chorisch
Schunkelt ein Helau
Weg mit der alten Sau
Genau
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Kurz mal in die alte Kneipe geluurt und raus aus dem Gedankenkarussel. Die Jungs übernehmen. Ab in die Küche. Es gibt „Rouladen nach Oma Höppner“. Rezept aus Sachsen – Anhalt. Ist das auf dem Index? Weia!
Eine ehemalige Fabrikantenvilla zwischen Kölle und Aachen gelegen. Paar Kilometer weiter liegen die gigantischen Narben, welche der Tagebau Garzweiler hinterließ und hinterlässt. Großartiger Film dieser Tage. Zwischen den Kriegen – Welchen Kriegen bitte? Fragt der Säzzer! – war diese Villa so eine Art Hebammenstation, wo u.a. – ohne Namedropping kommt man leider nicht mehr aus – Little Stockhausen betreut wurde. Nun befindet sich die Villa im Besitz eines selbstbewußten rheinischen Fabrikanten. Macht Regale. Jetzt auch Kunscht. „Maache mr ne Ussstellung jedes Johr. Dat arme Schwein vun Künstler muss jo och leeve.“ Frei zitiert.
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Ein eben eingeschultes Mädel aus der nahen Verwandtschaft zwischen ihren in Sachen Kunscht eingespannten Eltern. Man redet meist mit dem Mädel, das gar nicht blöd, aber jung, als sei sie in Sachen Wissen about Kunstgeschichte zwischen drittem und sechstem Semester angesiedelt. Ist der Lütten jedoch drissejal. Sie will mit ihrer Tante nur durch den weitläufigen Park rennen, sich gegenseitig Flummies um die Ohren schmeißen, am besten, daß die der Gegenüber aka „Onkel“ nicht fangen kann. Dann Kastanien sammeln. Und um das „Schloß“ stürmen. Die Tante abhängen. Der „Onkel“ muß aber die Zeit stoppen. Die Eltern des kleinen Irrwischs derweilen tiefgründelnd ob der Kunscht. Wie mein alter Freund Thomas aus Kölle es benannte: „Wichtich! Wichtich!“. Oder „Hurz“?
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Es wird rumgejagt. Die Gebüsche erkundet. Alle Wege im Park müssen einmal abgegangen werden. Quatsch. Abgerannt. Abgestürmt. Man sucht und findet. Man baute ein paar kleine Altare. Den schönsten aka ambivalentesten Altar musste man ablichten. Dafür sind Tanten ja da. Findet sich eben alles. Voll labern muß man die also nicht, die lütten Feger. Dachte ich so leise vor mich hin. Die „Großen“ standen derweilen verständnisvoll nickend vor der Kunst, die ihnen nichts erzählte, nichts erzählen konnte, da der betuchte westgermanisch große Kleinbürger eh meist nur den Gesängen seines etwas verknitterten Egos lauschen kann. Aber die Kunscht! Aber die Moral! Aber das Aber! Trotzdem + jedoch: der halve Hahn war lecker. Für lau. Jenau. Und natürlich habe ich nicht recht.
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Flummies Kastanien Rinden
Lommer se selver finden
Un den Kraaten
Weniger raten
Und den Zeijefinger aff
Alaaf
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Glück auf, Kleene. Die Erwachsenen sind auch nur Besserwisser. Frage die Oma und den Opa. Die haben es bald hinter sich. Und wissen es … Fuck! Meine Tastatur reagiert nicht mehr! … (schreckliche Geräusche, die der Leser leider nicht hören kann, da kaum beschreibbar!) … Zu späääääät …
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PS: Aus der Ohnmacht grüßt der Schreiber dieser Zeilen. Da hat ihn doch ein Flummie am Kopp getroffen. Oder war es eine Kastanie? Fragen Sie Roland den Kaiser oder Franz die Lichtgestalt Adorno. Die Apotheker streiken noch.
Zurück zu Peter Kurzeck. Siehe vorletzte Tastaturmeldung. Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Schrie man. Schrie ich. Schrien wir. Wer, bitte, ist aktuell dieses Wir? Die letzte Sure vor der Ausfahrt Thora? Onkel Donald’s Hütte? Winnetou und Friedrich Merz im Tal der Toten? Horst Eberhard Hrubesch als neuer Trainer von Schalke 05? Der Beliebigkeiten so viele unterwegs dieser Tage. Das letzte Lagerfeuer der untergegangenen BRD lodert ein letztes Mal? Weia! Tötet Onkel Gottschalk. Der ständig Smokie mit Rock verwechselte. Die Wiedervereinigung? Kleinbürger zu Kleinbürgern! Da wächst doch was! Das Nu nuscheln oder ein Gelle kreischen? Hauptsache Weltmeister! Kurios, ständig wird von der untergegangenen DDR gesprochen / geklagt / geflucht. Die gute alte BRD ist doch genauso abgesoffen. Hand in Hand haben sich Brüderchen und Schwesterchen ins Meer des Vergessens geworfen. Wobei die Wessis meinen, sie würden noch oben auf der Wurstsupp‘ rumschwimmen. In Sachen Kohle und längeren Krawatten gerne, aber emotional genauso amputiert wie die neuen Fünfer. Inschallah! Alle fühlen sich – Schnief! Schniefer! – wie ein Absteiger, aber – HA! HA! FRÜHER! – wie der eigentliche Gewinner. In Zukunft. Zumindest. Eventuell. Wegen FRÜHER halt. Das ganze Land ein einziger trauriger Traditionsverein? Zu viele Mentalultras gewiß. Darauf einen Dujardin mit Club – Cola. Gelle! Nu?
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Zurück zu Peter Kurzeck. Das Erinnern. Das Festhalten. Das Festpicken. Ich schrieb, daß das Lesen seiner gnadenlos mäandernden und sich verzweigenden Texte – ein literarisches Mississippi – Delta quasi – mir Mühe bereitete. Gestern hörte ich dem Erzähler zu. Vom Bewahren redete er und sprach und redete und mäanderte er. Ja und so! Ein Festhalten muß nicht unbedingt zu einem Festklammern werden. Was war verdient mündliche Überlieferung. Der Schamane vor seinem Tipi. Afrikanische Talking – Drums. Hare Hare Rama Rama! Lies die Bibel! Aber Leben in ein Zurück führen zu wollen auf seinen letzten Metern ist ein holpriger Zeichentrickfilm. Oder ein Parteibuch. Der Luftballon, einmal losgelassen, sucht sich seinen Wind. Ich schaue gerne hinterher. Auf der Kirmes – die hieß bei uns im Süden ‚Messe‘ – kriegtest du einen mit Helium Gefüllten. Hältst ihn nicht fest. Aufgeregt halt. Fliegt er weg. Backpfeife. Papa böse. Fünfzig Pfennig waren mal ordentlich Geld wert. Na und? Wie schön dem Reisenden hinterher zu blicken und am nächsten Tag mit dem Finger durch und über den Diercke – Weltatlas zu gleiten. Ist er schon in Afrika? Dein, dein ganz persönlicher Ballon? Oder in New Orleans? Oder in der Wüste Gobi? Was ja oft das Gleiche war. Zumindest für dich! Gone with the Wind! Vorwärts immer, rückwärts nie! Aber’s Erzählen bleibe. Ohne Überzeugung!
Gestern, ein paar wenige Stunden von der Sonne beschienen, habe ich unsere Gemüseparzelle dem Winter übergeben. In den letzten zwei Wochen hatten wir alles abgeerntet und verkocht. Ein paar Reste im Keller noch. Früher baute man Wohnungen mit Speisekammer. Außenwand. Nordseite. Ganzjahreskühl. Intelligent. Jetzt stehen da oben noch drei Rosenköhler in der ersten Reihe, wollen nicht richtig was werden und dahinter 30 m² gerechter (Dig the Doppelbedeutung!) und geharkter Boden. Bisserl Grünreste drauf verstreut zu Düngezwecken. Eine plötzliche Leere, die sentimental macht. Gewiß, der nächste Frühling ist angekündigt, aber die alten Gewißheiten wanken in der Gegend rum wie ich einst nach dem Verlassen rauchiger kölscher Kneipe in früher Morgenstunde. Schreiendes Licht. Dicker Kopp und eine wahnsinnig laut quietschende Straßenbahn bog um die Ecke. Ein hoffnungsfroh geschwängerter neuer Tag schrie dich an. Sogar der Kater von Tigergröße war ein Gruß an die Lebensliebe. Die Zeiten sind andere nun? Man mag es so empfinden. Der Beschuß der letzten drei Jahre war heftig und wahrscheinlich hat es noch gar nicht richtig begonnen. Dennoch saßen wir abends in der Küche mit eigener Kartoffel, Mangold und Bohne und planten, was man im nächsten Jahr wo und wie und anders pflanzen werde. Es geht weiter. Es ist nicht mehr die Sonne, die sie früher mal war, wie Dylan singt, aber sie wird aufgehen ohne die Gescheitles zu fragen. Blutig, gierig, zerstörend, wärmend oder blaß. Warten wir drauf. Bleibt nichts anderes übrig. Auf unserer Insel der grauen Glückseligkeit.
Die Erinnerung. Das Festhalten. Müssen? Habe das Angebot bald in der Nähe mit Anderen von und über Peter Kurzeck zu lesen. Ein Hardcore – Erinnerer, der er wohl war. Vielleicht war dies das Schicksal etlicher Nachkriegskinder. Wer alles verliert, wird es wohl ständig suchen müssen. Oder festpicken, wie es Thomas Bernhard mal formulierte. Viel habe ich vom Kurzeck nicht gelesen. Er nimmt sehr viel Raum ein im Hirn, wenn man sich auf seine gnadenlose Spurensucherei einlässt. Mir ist das besungene Gestern oft recht wurscht. Trotzdem freue ich mich. Sehr.
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Dann las ich heute in der Zeitung von Mesrine. Erinnerung. Ist stets ein Zufallsprodukt. 70er. Konstanz. Viele unserer Freunde Soldaten in einer der drei Kasernen vor Ort. Cherisy. Jägerkaserne. Klosterkaserne. Bekiffte Frage dann: tu connais TRUST? Ausgesprochen wie Droest. Also wie Droste – Hülshoff, welche von Meersburg drüben einst ein Schloß höher situiert über den See gen Konstanz blickte. Die Liedzeile aka der Refrain – MESRINE!- sprang an im Kopp. Im sich an alles erinnerndem Netz gefunden. Le Mitard. Die Arrestzelle. Der Knast. Wir bewunderten damals halt Bonny and Clyde. Jesse James. Billy the Kid. Mesrine. Clint Eastwood. Kaltblütige. Egomanen. Vom bösen Kapitalismus zum Morden gezwungen? Unsere Erzählung war das einst. Und noch immer. Aber er schreibt doch so herzlichste Liebesbriefe aus dem Le Mitard? Der Mörder. Der Mensch. Der Woyzeck! Ach Marie. Blödsinn? Auch das falsch? Meine Bewertung von Erinnerung sowieso.
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Ich gehe über die traurigen mittelhessischen Gassen dieser Tage. Erinnern sich die traurig herum eiernden Unbegleiteten auf den Plätzen dieser Stadt an irgendetwas? Was macht sie wütend? Was macht sie so fürchterlich dumpf? Was hat mich damals fasziniert an der Tatsache, daß eine Knarre in der Hand Probleme lösen könnte? Das öffentliche Posen, was unsere Alterskohorte nur noch verbal, aber nicht mehr qua Körper hinbringt? „Free Palestine“ ist vielleicht auch nur ein trauriger Aufschrei. Mesrine deux. Selbstermächtigung. Man begreift meistens zu wenig in seiner Arrestzelle namens Leben vom Leben. Wir wissen nichts mehr davon wie unsere Vergangenheit überlebte. Wir reden über andere. Stets zu laut. In der Not.
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Noch ein Lied. Bleiben wir verwirrt. Die Jungen dürfen uns ankacken.