Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 21

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Balkon / hinten die Bucht von Lourdata / Kefalonia / 3. Juni 2023

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Es lebe der Irrtum!

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Es mögen hoch leben die Irrtümer. Vor allem jene, die man mit Ach und Krach gerade noch korrigieren konnte. Ein Abschiedsreim aus Kefalonia.

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Und wie die Sonne fiel ins Meer

Als sei’s ein letztes Mal

Sang ich ein Lied

In die hereinbrechende Nacht

Der Abendwind strich meine Wangen trocken

Aus dem Zimmer hörte ich Deinen ruhigen Atem

Charon bat ich noch zu warten

Bis die Grillen schweigen

Für immer

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 20

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Garage / Fischerhafen / Argostoli / Kefalonia / 2. Juni 2023

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Die ureignen Reflexe ersetzen? Womit aber?

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We drove that car as far as we could

Abandoned it out west

Split up on a dark, sad night

Both agreeing it was best

(Bob Dylan)

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Wie trennt man sich von seinen Irrtümern? Möglichst geräuschfrei und ohne sich selbst und den in den Verwickelungen Verwickelten zusätzliches Weh zuzufügen? Den Tod wünschen seinen wohlfeilen Vorhaltungen?

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Man meint es mit seinen Münchhausen-Geschichten ja überhaupt nicht böse. Vielmehr ist man es so gewohnt, die Realität mit fiktiven Ereignissen und Details wild auszuschmücken, daß es einem selbst schon gar nicht mehr auffällt, daß man sich immer weiter von der Wahrheit entfernt und immer tiefer in seine Lügen verstrickt. Vor allem sehnt man sich nach Anerkennung der Mitmenschen und denkt, daß man diese nur mit Lügengeschichten bekommt. Man fürchtet irrtümlicherweise, dass man sonst nicht genügt.

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Ein sich einem Ende entgegenneigendes Leben ist eine rechte Schrottkarre. Meist war man selber zu blöd richtig einzuparken, aber oft genug ist auch irgendein Depp einem aufs Heck oder in die Seitentür gerauscht. Gerade wollte man eigentlich aussteigen. Auch da man vergaß rechtzeitig zu tanken und sich dann über den Kolbenfresser echauffierte. Peching! Formulierte es ein lebenslanger Freund gerne mal. Hatte man aber DAS Glück, wohnte in engster Nachbarschaft eine kundige Schrauberin, die die Kiste wieder flott gemacht hat. Aber das Ding eintauschen? Gott bewahre! Ein SUV – Leben hätte ich wohl nicht überlebt. Lieber Pflaster kaufen Tag für Tag als an Langeweile verschrumpeln bis zur Unkenntlichkeit. Und ständig auf der Suche nach einem Parkplatz durchs Leben huschend bös‘ klagen. Dabei Lebenslügen jonglierend. Nicht daß ich das nicht auch täte immer wieder!

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Jetzt verabschiede ich mich hier von Kefalonia, obwohl noch hunderte Bilder auf der Festplatte lauern. Inklusive vieler kleiner Geschichten. Eine Verschwendung eigentlich. Aber ohne Co2 – Fußabdruck. Immerhin. Was mit dem restlichen Sommer auch immer geschieht. Werde nicht zu heiß!

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Katalixi: Griechenland ist das Land, wo mich mein ständiges Nachhirnen weniger schmerzt. Das Zweifeln und das fröhliche Bereuen liegen dort freundlich in der Luft, die kleinen Bescheißereien, die charmanten Lügereien, die selbstironischen Übertreibungen, die Rituale jeder Begegnung und die Irrtümer inklusive des grinsenden „kai loipon“. Tut gut.

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Zurück und weiter, auch wenn die alte Kiste in der Wüste abgestellt wurde, mit dem Meister. Sie rostet dort aber langsamer. Es lebe der Irrtum!

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 19

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Kato Katelios / Kefalonia / 9. Juni 2023

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Das Schiff bleibt im Hafen. Und blickt auf die Berge der Vergangenheit.

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Das Leben als brisante Unwetterlage hat Einzug gehalten in unsere Welt / Gesellschaft / Stadt / Wohnung / Theaterbühne. Allenthalben Prognosen, gerne sensationslüstern, und das wohlfeile Entsetzen über die nächste Katastrophe hinterm Horizont, wo es angeblich ständig weiter geht, der aber auch mal gleich um die Ecke sein kann, quasi ein Art Brett vorm Kopp, während andere Welten / Gesellschaften / Städte / Wohnungen / Theaterbühnen schon lichterloh in Flammen stehen und bei uns endlose Schlangen vor den Eisdielen. Ja, da sind sie schon weitergegangen in Sachen radikaler Umschwünge aller Art, die da hinterm Horizont. Auf der Insel der Seligen, die ja gar nicht mehr so selig ist, aber etliche wünschen es sich halt ganz dolle, daß es so bliebe, jongliert man mit den Moralkeulen und diversen Sternchen und hasst vor sich rum. Den Horizont zu erweitern erweist sich als mühsamer denn je. Es wird nicht mehr verändert, man lässt sich verändern. Seltsam apathisch, aber trotzdem laut und großmäulig und irgendwelchen Prinzipien verhaftet, die man selbst nicht begreift. Und jetzt kleben die auch noch auf der Rollbahn, verhindern die grenzenlosen Freiheiten über den Wo(l)ken. Schnappatmung, hier wie dort. War das Leben nicht schon immer eine brisante Unwetterlage? Wenn man es denn – Achtung! Triggerwarnung! Binsenweisheit! – na ja, allianzfrei lebt? Wie reimten wir als Abiturienten? Und hast Du endlich ausgekichert, hoffentlich allianzversichert.

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Der sichere Hafen. Heimathafen wird ja auch gerne genommen. Heute wurde mir gemailt, daß ein übelwollender Sturm über dem guten alten Bodensee, etliche Boote aus den so sicheren Häfen rausgepustet hat und dann im See versenkte. Wellen bis zu zwei Meter hoch am kuscheligen Bodensee. Nicht schlecht. Der Horizont, so vernagelt er auch bei etlichen sein mag, er wird zum Tellerrand. Man wird den Eindruck nicht los, da der Blick auf die einst erfolgreich bestiegenen Wohlstandsberge fixiert bleibt, hat sich in weiten Teilen wieder die Theorie durchgesetzt, lechts wie rinks, daß die Welt vielleicht doch eine Scheibe sei. Kann auch mal divers sein.

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Einer der dümmsten Sätze überhaupt: Ich will einfach nur meine Ruhe.

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Was ist aber bitte ein Verkehrsversuch? Petting? Ohne Zunge? Güldet nicht. Entschuldigung, bin in die Kategorie Gießen verrutscht. Davon bald mehr.

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Eine genaue Betrachtung des eigenen Denkens ist oft schwer zu ertragen. Die ureignen Reflexe ersetzen? Womit aber?

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 18

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Vathy / Ithaka / 6. Juni 2023

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Es ist alles gut

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Hinter den Horizonten lauere es

Am Ende des Regenbogens auch

Warum aber die Erfindung der Schreibmaschine

Verlängern ins Unendliche

Zurück zu den Bleistiften

Und wer jeden Sonntag sein Knie beugt

Muss die Nacht weniger fürchten

Sie bleibt unerbittlich

Auch wenn die Götzen in die Dunkelheit recken

Ihre einst verbotenen Abbilder

Bleibe zu Hause und wehre Dich redlich

Sprach ein alter Freund

Der stets auf Reisen

Leiser leben

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Zimmerman again: Überleben jenseits der Verletzungen. Das Schiff bleibt im Hafen. Und blickt auf die Berge der Vergangenheit.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 17

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Nach einem letzten Bad / Lourdata / Kefalonia / 11. Juni 2023

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Verabredungen einzuhalten ist nicht immer einfach (revisited)

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Wenn das Trottel – Ich das Zepter schwingt

Und unterm Teppich Dummheit staubt

Wenn ein Zeigefinger alte Lieder singt

Seelenschrot rostet Schlaf mir raubt

Die Hüfte steif die Lende lahm

Und jeden Morgen neben der Zahnbürste

Wartet ein Kilo frischer Scham

Statt Wut

Alles wird gut

Ja alles ist gut

Basst scho wie der Fronge sacht

(Übersetzung: Passt schon, wie man in Franken gerne sagt)

Die Katze tot und

Kalinichta

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Zurück zu Bob. Es ist alles gut.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 16

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Frühstück / Lourdata / Kefalonia / 31. Mai 2023

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Verabredungen einzuhalten ist nicht immer einfach.

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Wenn die Kellnerin keine Zeit mehr hat

Und die Ungeduld dreht ein altes Rad

Ouzo ist ein Getränk das schneller spricht als Bier

Warum warte ich noch hier

Am Hafen schläft nun traurig ein meist leeres Café

Ein Seemann malt sich Schafe und pinkelt in den Schnee

Wer zu schnell zu viel vergisst

Mehr als ein Brot Stück Wurst Stück Käse zum Frühstück frisst

Es ist was es war und nun bleibt statt

Einfacher frühstücken und der Hoffnung satt

Den vorletzten Tagen folgen

Ich vergaß die Marmelade

Schade

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Für morgen eine Wiederholung. Verabredungen einzuhalten ist nicht immer einfach.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 15

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Agios Nikolaos / Friedhof / Peratata / Kefalonia / 3. Juni 2023

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Besser zu zweit. Verantwortung beginnt beim Gegenüber.

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„For all these times you said we will go for a walk! But you never came!!! WiR (?)“ Hatte wer an die alten Mauern gesprayt und was wir lasen, als wir den Friedhof verließen. Wer war gemeint? Was war gemeint? Eine Frau? Ein Mann? Die Eltern? Das uneheliche Kind? Die Welt? Die Hoffnung? Der schmerzende Leib? Das geladene Gewehr? Eine wirre Utopie? Der Hund, der sich von der Leine losgerissen hatte? Die erhoffte Revolte? Die verpasste Meisterschaft? Wer ist WiR? Der Friedhof schwieg. Was seine Aufgabe ist.

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Ist es ein Vorwurf? Ist es eine Klage? Ist es ein Jammern? Oder einfach nur eine Traurigkeit. Sogar eine griechischer Art? Meine liebste Fassung all der Traurigkeiten. Verabredungen einzuhalten ist nicht immer einfach.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 14

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Agios Nikolaos / Friedhof / Peratata / 3. Juni 2023

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Was wird auf meinem Grabstein steh’n. Überraschung?

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Wollte er gehen, so stolperte er? Wir hatten uns in ihm getäuscht? Er war einer von uns? Hätte er weniger gedacht, wäre mehr Leben möglich gewesen? Wanderer, verweile nicht länger als nötig? A schöne Leich‘? Da liegt einer (ohne Name!)? Entschuldigung? Es war nicht zu vermeiden?

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Da debattieren sie im Bundestag heute zwei Gesetzentwürfe in Sachen Beihilfe zum Selbstmord. Sie nennen es assistierten Suizid. Was ein grauenhafter Sprech. Sehr zwiespältige Angelegenheit. Erst verlängern wir mit modernster Medizin das Leben ins Unendliche und dann muß eine Abzweigung eingebaut werden. Hatten einst nicht, die die es sich leisten konnten, den Ring am Finger mit dem kleinen Giftbehälter, um sich in der größten Not den Schierlingsbecher selbst zu mixen? Ist man aber tatsächlich Herr seines Schicksals? Ich glaube, obwohl ich nicht wirklich glaube, nicht so recht daran. Gibt es so etwas wie Dankbarkeit für das Geschenk Leben? Lohnen Klagen und Vorwürfe, die man den ungerührten Göttern vor die Füße schleudert? Ersetzt ein Bundesverfassungsgericht den Priester? Die Schuldfragen. Darf man schuldbeladen gehen? Einfach so. Weil man nicht mehr kann? Die Schnauze voll hat? Zurück zur Dankbarkeit. Ich weiß es wirklich nicht. Fällt unser Umgang mit Muttern Erde eigentlich auch unter assistierter Suizid?

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Seit sich mein Vater vor 50 Jahren selbsthändig vom Leben verabschiedet hat – mit gerade mal 48 Jahren und dem Krieg im Körper – bin bei diesem Thema natürlich belastet. Ich weiß immer noch nicht wie tiefgehend das mein Leben beeinflusst hat. Daß dies doch schwierige Startbedingungen waren, war mir nicht immer klar. Mit zunehmendem Alter begreife ich mehr. Es ist jedoch weiterhin nur ein Ahnen, kein Bescheidwissen.

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Sitze ich an der Tastatur schaut mir Helmut Schmidt über die Schulter, wie ihn Bernhard Heisig im Jahre 1986 malte. Darunter Schmidts Lieblingsgedicht von Robert Frost.

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The woods are lovely, dark and deep

But I have promises to keep

And miles to go before I sleep

And miles to go before I sleep

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Bob Dylan sang schon als Jungspund auf seiner ersten Platte mit Altmännerstimme vom selbstbestimmten Tod. Da hatte er noch einige Wegstrecken vor sich. Jetzt ist er „never ending“. Ja, es gibt noch etliche Meilen zu gehen. Besser zu zweit. Verantwortung beginnt beim Gegenüber.

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