Der Blumenspaziergänger / Plot

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Las unlängst, weiß gar nicht mehr wo und wann genau, das Beste was man in diesen virulenten Tagen, Wochen, Monaten tun könne, sei frei nach Proust sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit zu begeben und mit seinen Erinnerungen spazieren zu gehen. Muß wohl ein Wink des Unterbewußtseins gewesen sein diese Seite ins Leben zu rufen, wobei ich schon wieder vergessen habe, in welcher Gehirnhälfte Selbiges haust, das Unbewußte selbstredend. Lechts und rinks kann man leicht verwechsern. Unterbewußtsein! Oberbewußtsein? Gibt es nicht. Manche munkeln vom Überbewußtsein. Wo wohnen die Erinnerungen?

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„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.“ Das Buchmonstrum, genauer gesagt, die Büchermonstren, seit Ewigkeiten spricht das Lesemännlein zu mir: Kaufen! Lesen! Neue Ausgabe! Neuübersetzung! Jetzt! ES TUN! Die Chance. Wird wohl beim Ruf bleiben, ähnlich wie der Mann ohne Eigenschaften und Ulysses, sogar in originaler Penguin – Ausgabe, in meinem Bücherregal wohnen und dort schlafen, wie einst die ZEIT unter meinem Arm, die ich letztlich des Rätsels im Magazin wegen erwarb. Ungelesen gelesen quasi, Wartebücher über die und nicht in denen ich regelmäßig lese. Ein Buch, welches mir meine Schwester vor Jahren schenkte, habe ich dieser Tage endlich zu Ende gebracht, fast, 30 Seiten fehlen noch. Wußte nicht, daß Gehirnforschung so unterhaltsam serviert werden kann. Und lehrreich. Damit sind wir beim Thema: Dem Blumenspaziergänger.

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Erste Gedanken:

Der Blumenspaziergänger

Ein Dialog über das Erinnern

Personen

Mann (ein Schauspieler kurz vor oder nach dem Erreichen des Rentenalters)

Frau (eine Schauspielerin, 10 – 20 Jahre jünger, muß sehr wandlungsfähig sein, da sie 6 verschiedene Varianten ihrer selbst zu spielen hat)

Ein Musiker oder eine Musikerin (Cembalo und / oder Harfe vielleicht)

Zu dem zu verfassenden Stück regte mich an ein Geschehnis im letzten Sommer: Landkreis Gießen: 66-jähriger Thüringer zu Fuß auf Autobahnen unterwegs. Der Mann war mit seinem Auto liegen geblieben, verkaufte Blumen, um damit einen Notkanister Benzin zu bezahlen, fand dann aber seinen Wagen nicht wieder und spazierte auf zwei Autobahnen herum.

Das Stück beginnt und endet auf einer mittelhessischen Polizeiwache. Verhörsituation. Man will herausfinden, was den etwas skurrilen älteren Herren zu seiner Aktion bewog. Da er darauf besteht nur mit Frauen zu sprechen, sein Wunsch wurde ihm erfüllt, versuchen nun eine Polizistin, eine Rechtsanwältin, eine Psychologin, eine Pastorin, eine Krankenschwester und eine ehemalige Geliebte / Frau / Mutter – mal sehen – zum Reden zu bringen. Der Mann, gefangen in einem anfangs kaum zu entwirrendem Gestrüpp von widersprüchlichen Erinnerungen, findet nach und nach zurück zu dem Anlaß, der ihn über die Autobahn laufen ließ. Dement ist er nicht, er traut sich nur selber nicht so recht über den Weg. Vor allem seinen Erinnerungen. Ist das sein eigenes Leben oder das eines Anderen, von dem er spricht? Die Frau(en) lassen nicht locker.

Erste Kurzbiographie des Mannes: Geboren 1955, aufgewachsen in der DDR, am 19.8.1989 (magische Zahlen?) über Ungarn im Rahmen des Paneuropäischen Frühstücks in den Westen, nach Aufenthalt im Notaufnahmelager Gießen Umzug in den Süden, dort Arbeit gefunden als Lokführer bei der Schweizer Eisenbahn. Ende der Neunziger laufen ihm innert kurzer Zeit dreimal Menschen vor seine Lok. Das wirft ihn aus der Bahn. Reha, Versuche in den Beruf zurück zu kehren, privates Chaos, Scheidung, schließlich Berufsunfähigkeit und Frührente. Rückkehr nach Thüringen. Alkoholprobleme. Entzug. Arbeitet nun nebenher als Grabredner und Mietmusiker für Hochzeitem und Geburtstage. Dann die letzte Reise in den Westen.

So weit, so gut. Jetzt an die Arbeit. Ein erster Text:

Mann          

Ich habe den Nebel immer geliebt. Das Weiche. Das Wattige. Der noch sommerwarme See dünstet sich aus, im Schilf sammeln sich die Wassertröpfchen, kondensieren und kriechen an Land, als wollten sie das sich abkühlende Land in den See hineinziehen zu einem letzten Bad. Meine Lokomotive – so schien es mir immer– sie fährt dann nicht mehr, nein sie schwebt hinein in das milchige Weiß, langsam, ganz langsam, wie die Lenorflasche, die in dieser alten Fernsehreklame in Zeitlupe in das weichgespülte Kissen fiel. Und es wird stiller und stiller. Die Fahrgäste schauen aus den Fenstern und schweigen. Ihre Blicke suchen den See. Doch der ist verschwunden. Seine kondensierte Restwärme läuft die Scheiben meines Führerstandes hinunter. (Pause) Auch letztes Jahr kam der Herbst. Gerade hatte ich meiner Frau eine SMS geschickt. „Plan 100%. Kartoffeln aufsetzen.“ Dann teilte sich das Schilf. Rechter Hand. Wie gesagt: Heimfahrt. Ich drückte auf Notbremsung, die Bremsen schrieen auf und der Nebel färbte sich mit einem dumpfen Schlag blutrot.

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Immer wieder Sonntags …

… ein Blick zum Himmel und in den Kopf / zwei

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Seit einer Woche jeden Sonntag ein Blick in den Himmel im Kopf. Stelle mir vor, ich begebe mich in den Winterschlaf wie ein Bär. Erwache erst, wenn der ganze Mist vorüber. Träume mich durch alte Lieder. Ab und an hebe ich ein Augenlid, blicke in den Himmel und schaue nach, ob es sich lohnt, mich wieder zu bewegen. Jeden Sonntag. Seit einer Woche.

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ich hatte gestern

gestern hatte ich dieses gefühl

hatte es gehabt

wie man sagt

läßt sich nicht dran rütteln

das gefühl hatte ich ging nicht weg

weg ging das nicht

das gefühl schieb den himmel

schieb einfach den himmel zur seite

wenn deine freunde

deine freunde denken tu es nicht nein

nein wenn sie dann denken

deine freunde vielleicht

tu es doch tu es einfach schieb den himmel

schieb einfach den himmel zur seite

und ich denke daß ich fühle

ich fühle daß ich denke weshalb bin ich

bis hierher ist das alles weshalb ich hier bin

wenn du alles hast und nichts mehr

nichts mehr willst du

dann mach weiter schieb den himmel

schieb einfach den himmel zur seite

manche sagen es ist nur

es ist nur rock’n’roll

ist es nur sagen sie aber dort wohnt

wohnt dort schmerz dann

wieder und wieder schieb den himmel

schieb einfach den himmel zur seite

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Ab heute über Fünfzigtausend

oder

„Dem Ochs‘ ins Horn gepetzt“

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Fünfzigtausende Tote nun und sie verkommen zur Randnotiz, die Verstorbenen, Erstickten, ihrer letzten freien Atemzüge Beraubten. Erschreckende Gewöhnungsmuster, Verdrängungsmechanismen. Unsere Gesellschaft findet keine Form um Trauer zu bekunden. Oder ist es der Unwillen? Die eigene Vergänglichkeit? Oh Ängste. Innehalten kurz nur, zeigen, daß man nicht komplett taub, blind und verstummt ist im eigenen Sumpf. Ein Minütchen nur wie Joe Biden in seiner Einführungsrede. Kopf senken, Hände falten, Maschine stop.

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By the way: in den USA starben bis heute mehr Menschen am Virus – iss ja nur ’ne Grippeart – als im gesamten zweiten Weltkrieg. Der dauerte für die Amis ab Pearl Harbour etwa dreieinhalb Jahre. Grundrechenarten! Dig it!

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Hier ein sehr lesenswerter Artikel meines Freundes Götz Eisenberg zur momentanen Verfasstheit unseres Landes. „Dem Ochs‘ ins Horn gepetzt.“ Teile den Pessimismus dieser Worte nicht bis ins letzte Komma, aber die Stoßrichtung ist mehr als richtig.

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bagatelle sechszehn

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Gemüdet von der ewigen Schönheit

Dem göttlichen Gleichmaß der Landschaft

Zu unseren Füßen erschöpft

Saßen wir auf jener Bank manchen Sonntag

Zu viert fünft oder mehr ich weiß es nicht

Überreif austrainiert bereit für die Welt

Unten stehen die reichen Auen unser Auenland geschaffen

So die Einheimischen

Geschaffen vom Herrn am letzten Arbeitstag Sonnabends

Noch ein Kleinod auf die Erde gezaubert sich zurückgelehnt

Und höchst zufrieden sprach ER

„Etzet Höri uff!“ Oh Hybris der Ureinwohner selbst der Schöpfer

Sei Badener während

Otto Dix dort unten stand

Bis zum Bauch im Weizen und wird zitiert

„Zum Kotzen schön!“ vertrieben aus Berlin von den Mördern

Der Älteste von uns drängte zum Aufbruch

„Was für ein fürchterliches Idyll! Hier muß man weg.“

Sagte er „Will man nicht selbst zu einer Bank werden, nur noch glotzend.“

Fügte er hinzu

„Ach, so schmerzhaft auch immer es ist.“

Keine Bagatelle zu gehen und

Das Herz mitzunehmen

Ganz oder bleiben

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PS: Diesen Ort fand ich wieder ohne zu irren im letzten Sommer. Vor Jahren hatte ich meiner Frau diesen wesentlichen Bestandteil „meiner Legende vom See“ gezeigt. Damals stand noch die „alte Bank“, der Blick hinab aber war zugewuchert. Nun eine neue, designte Bank und die grandiose Aussicht wieder freigesägt. Schon schön hier.

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bagatelle fünfzehn

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Wir krochen durch das Unterholz Sterne in den Augen wegloses Gestrüpp Baumstämme kreuz quer aufwärts altes Holz Der Graf ein Öko vor seiner Zeit und Besitzer des Waldes ließ liegen wuchern verfaulen Neues wuchs aus dem alten Moder Ein Urwald nicht weit entfernt von der Grenzstadt Jener Das – gehört – sich – aber – nicht – Stadt stets bereit jede Bagatelle aufzublasen zu Untaten Hier atmete man freier und wir standen unvermutet am jähen Abgrund erfasst ergriffen fast Ein weiter Blick hinüber nach Nußdorf Sipplingen Auf der Höhe Hof Haldengut Zu unseren Füßen rutschender Hang und der lange schmale Finger des Sees der sich in den Bodanrück bohrte gletschergeschürft

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Dies sei nun unser Britisch Kolumbien sprach der Freund der Wald seiner Lieder und ich sprach vom Vater dem Entfleuchten wie er nachdem der Krieg ihn ausgespuckt hatte in kanadischen Wäldern Holz geschlagen hatte mit Indianern echten die nicht zwischen unseren einst geliebten Buchdeckeln hausten und sich vom Weißen Mann das Fell über die Ohren ziehen ließen dies jedoch verkauften als Kampf für den Frieden zwischen allen Menschen Nein die alten Besitzer der kanadischen Wälder blickten fest und selbstbewußt in die Kamera auf den verwaschenen Schwarzweißbildern die der einstige Holzfäller hinterlassen hatte Bildete ich mir ein zumindest Das Sehnsuchtsland über dem Ozean und kipplig am Abgrund die Zehenspitzen über der Abbruchkante schwiegen wir schneller atmend

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Wir wußten nicht daß wir ein zwei Jahre darauf Ti Jean und Neal hinterher träumend den Kontinent queren würden Easy does it einmal West und zurück und wieder West ich und stand im Stanley Park unter den Totem Poles blickte auf den pazifischen Ozean sah Vancouver Island setzte über Davon wußten wir nichts vor diesem diesem jähen Abgrund Erwachsen werden

Sich fallen lassen oder

Fliegen

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PS: Später teilten wir, mein Freund und ich, diesen Ort mit etlichen anderen. Der engere Kreis weitete sich. Die Freundinnen alle dazu. Die kollektiven Räusche wurden von mal zu mal lauter und vertrieben die Magie. Letzten Sommer versuchte ich nach Jahren diesen Ort wiederzufinden. Ich irrte umher und war mir nicht mehr sicher. Wahrscheinlich lag es auch daran, daß man dort inzwischen mit schwerem Gerät einen breiten Weg durch das Unterholz geschoben hatte, entlang des Abgrundes. Der Blick aber war derselbe noch. Die Magie ein Echo.

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bagatelle vierzehn

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Depressionen schon lange habe er

Man entdeckte ihn am Sonntagmorgen Montags es

Stand in der Lokalzeitung lange schon

Gelitten habe er an diesen

Wovon ich

Nichts wußte was sie jetzt lasen

Nicht kannte das Wort

Das lasen die Nachbarn Lehrer der Mann im Kiosk

Die Bäckersfrau die Eltern der

Klassenkameraden sie schauten mich an wie ich

Zur Türe des Klassenzimmers hinein

Wacklig ein rohes Ei Schweigen schlagartig

Eine Woche danach

Die Gnadenfrist vor der Rückkehr

In den Trott weiter

Sprach der Klassenlehrer vor

Der Klasse der schweigenden weiter

Und weiter gehe das Leben

Legte seine Hand auf meine Schulter ohne mich

Zu berühren das rohe Ei

Und ich beschloß mich hart zu kochen

Fünfzehnminutenhärte das mindeste

Der Schmerz zur Bagatelle werde und

Zum Irrendoktor ich nie

Klang nach die Zornesstimme

Des Verschwundenen Vermächtnis

Viele Jahre

Tränenloser Wut

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