An den Bordsteinkanten / Spiegelfechtereien und Begegnungen / 2025 / Drei

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Ithaka / Das war mal ein Haus / Die Reste nach dem Erdbeben / Juni 2023

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„Geht an die Ränder!“ Dies habe, so lies man heute, der gestern verstorbene Papst als erste Botschaft an die Priester seiner Kirche versendet. Obwohl ich es damals gar nicht mitbekommen habe, wie stets erst im Rückblick, klingt mir das symphatisch. Auch wenn nicht alles gelang dort an den Rändern, was er so vorhatte. Ich halte mich da weiterhin lieber auf als in den Mitten.

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Dreimal schlug einst der Camerlengo mit einem kleinen Hämmerchen auf die Stirn des Papstes, welcher reglos auf seinem Diwan liegend in andere Gefilde zu reisen bereit war. Wenn sich nichts mehr regte, verkündete er das Ableben. Heute übernehmen das die Ärzte. Den letzten offiziellen Gast, welchen Papst Franziskus empfing, war der Stellvertreter des Affen mit der Schreibmaschine.  Ich kann gut nachvollziehen, daß man dann einfach nur noch diese Erde verlassen will. Drei Hammerschläge Tag für Tag auf das Haupt, welches man mal bezeichnen durfte als: Democracy

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Axel Hacke nennt den leitenden D. Duck den Mann, dessen Namen ich nicht mehr schreiben werde. Ich, einen nicht namentlich genannten amerikanischen Diplomaten zitierend, greife ab nun zu obiger Bezeichnung.

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Wir waren über Ostern zwei Tage in Frankfurt. Rippchen, Äppler, Handkäs in Variationen, Palmengarten, Mainufer, Nizza und Bockenheim. Vor allem aber verbrachten wir gestern gute drei Stunden im Jüdischen Museum. Und, als wäre es mir neu, peinigte mich die Erkenntnis, daß der Affe mit der Schreibmaschine einfach nur ein mieser Faschist ist. Wie sein Jammermachofreund aus dem Kreml. Es sind stets dieselben Maßnahmen. Der kleinkarierte, faule, vom Dauerneid befallene und von Minderwertigkeitsgefühlen nach vorne gepeitschte „Rächer der Enterbten“ zerstört erst mal alles, was er nicht begreift aka sein vermeintlich grandioses Mickerego bedroht: Universitäten, Wissenschaft, Philosophie, das Nachdenken vor seinen ausgekotzten Worten, die wirklichen Tempel, die nicht den Götzen dienen. Alte Kontrakte, die auf Grund schmerzlicher Nachdenkarbeiten entstanden. Gewachsene Freundschaften. Und vergisst auf welcher Grundlage er überhaupt sein mieses Geschäft besingen kann. Und rechts und links an den Rändern der Mitten wird eifrig abgenickt.

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Wir saßen, um die Heimreise etwas herauszuschieben, ein meist von mir initiertes Ritual, noch im irischen Pub gegenüber des Hbf Frankfurt. Cider und Guinness. Von den sanitären Anlagen zurückkehrend, fand ich die liebste Gattin etwas erschüttert vor ihrem Nachrichtenportal namens Smartphone. Der Papst ist gestorben. Tags zuvor im Hotel hatten wir in den Nachrichten gesehen, wie er im Papamobil durch die gläubigen (?) Massen fuhr. Ich sagte noch, dies sieht aus wie eine Abschiedsrunde. Ich habe demnach vor der Heimreise noch einen Whiskey bestellt. Auf das Hämmerchen. Unsicheren Beines zum heillos überfüllten Zug nach Gießen.

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Conclusio. Der Tod des Papstes berührt mich eher als der Tod von Lichtgestalten oder in den 70ern hochgejubelten Gitarrenniedlern oder Sentimenttransporteuren aller musikalischen Arten. Warum? Weiß es nicht. Es gibt wohl noch etwas jenseits des Strebens nach der Vergoldung des eigenen Spiegelbildes. Womit wir wieder beim Theater wären. Und zurück im Jüdischen Museum.

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Ein Pfarrer zu einem Juden: „Ich will Ihnen eine hübsche Geschichte erzählen: Ein Jude wollte in den Himmel. Petrus wies ihn ab. Der Jude versteckte sich aber hinter der Türe. Und als Petrus nicht achtgab, schlüpfte er hinein. Drin war er nun und man konnte ihn auf keine Weise loswerden. Aber Petrus hatte einen großartigen Einfall. Er ließ vor der Himmelstüre draußen die Versteigerungstrommel schlagen. Da rannte der Jude schnell hinaus und Petrus schloß hinter ihm zu.“
Der Jude: „Die Geschichte ist noch nicht fertig. Durch die Anwesenheit des Juden war der Himmel entweiht und mußte neu geweiht werden. Man suchte daher im ganzen Himmel nach einem Pfarrer. Es war kein einziger zu finden!“

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Möge, sollte der Affe mit der Schreibmaschine tatsächlich am Begräbnis des Papstes teilnehmen dürfen, ein großer Blitz vom Himmel fahren. Und treffen. Bleiben wir naiv. An den Rändern.

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An den Bordsteinkanten / Spiegelfechtereien und Begegnungen / 2025 / Zwei

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Schwarzwald / Über dem Schluchsee / Kunst im Wald / 15. April 2014

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Und dann stand da der Rothirsch im Wald. Ein schwarzer Rothirsch. Seine Konturen in die sehr heiße Aprilluft geschnitten. April! April? Weit über zwanzig Grad. Der Schwarzwald knirschte bedenklich unter unseren Schritten. Der Schluchsee halb leer. Deja vu. Von heute aus zurück.

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Zwei Tage nach einer Premiere unten in Freiburg wanderten wir da rum. Die Regiokarte hatte noch Gültigkeit. Kein einfaches Thema in der Arbeit der vergangenen Wochen. Selbstmorde. Trauerarbeit. Vorwürfe. Vor den Vätern sterben auch die Söhne. Nach der Mutter auch. Wir haben an Grenzen gekratzt und uns nicht blamiert. Im Gegenteil. Und dann steht da der Hirsch, genauer der Hirschdarsteller, im knirschend verdorrenden Wald.

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Wie heißt es so kokett? Kaufen Sie, wenn Ihnen nichts mehr einfällt: die witzige Postkarte! Harhar! Ist das Kunst oder kann das weg? Der Hirsch blieb stehen. Im Wald. Trotzdem. Blechspielzeug. Eitel.

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Ich hatte mich für diese Inszenierung tief in meinen persönlichen und familiären Trauerwald begeben. Selbstredend von der Umsetzung diffuser Erinnerung überzeugt und wohl auch immer mal wieder selbstgerecht. Aber ohne Krokodilstränen. Sagte mir zumindest die Liebste, die nun auch vor dem Blechhirsch stand. Noch amüsiert.

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Habe ich in den letzten Wochen nicht auch nur eine blecherne Behauptung in den Theaterwald gesetzt? Auch wenn die abgefeiert wurde?

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Der Chef des kleinfeinen Theaters da unten war begeistert. Vorgestern noch. Premierengeschmier. Er hatte vor Jahren, Sohn eines schwäbischen Geschäftlemachers, eingeheiratet in den theatralen Familienbetrieb. Als der Patriarch im Jahre vor unserer Wanderung gestorben war, hatte der kleine Prinz sein Ziel, einst nur ungeliebter Thronfolger der er war, erreicht. Ich bin der Kalif an Stelle des Kalifen. Isnogod. Ab sofort erklärte er mir, wie ich Komödien zu inszenieren habe. Palim. Palim.

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Mal stehen die Hirsche im Wald. Immer auch die berühmten Elefanten im Raum. Theater sind letztlich nur Porzellanläden. Colonel Hathi übernimmt!

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An den Bordsteinkanten / Spiegelfechtereien und Begegnungen / 2025 / Eins

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Castrop-Rauxel (Gastvertrag) / stillgelegte Zeche / April 2008

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Ich kann das Wort Bordsteinschwalbe nicht aus meinem persönlichen Wörterbuch streichen. Es existiert. Ich verbinde damit keinerlei Bedeutung. Keinerlei Scham. Keinerlei Reue. Aber auch kein Bedürfnis damit in irgendeiner senilen und pflegeheimnahen Selbstgerechtigkeit den gichtigen Zeigefinger in die müde Welt hinaus zu strecken. Palim Palim und Depp.

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Anfang der Neunzehnneunziger war ich ein paar Jahre am Landestheater in Tübingen engagiert. Eine gute Zeit. Naiv und einer damals so nicht erahnten Zukunft zugewandt. Spaziergänge in den Probenpausen führten gerne mal an das Grab von Ernst Bloch. Kaum was von ihm gelesen. Jedoch auf den Grabstein blickend bedeutende Luft einatmend. Schlaumeiernd. Walter Jens sei heute im Publikum. Raunte der Intendant. In der Pizzeria nahe meiner Wohnung verkehrte gerne der erblindete Hans Mayer in seinen letzten Monaten. Weltgeist atmete den Duft von Grappa aus. Oder ein. Der Neckar rauschte. Die Stocherkähne stakten. Und die hiesigen Burschenschaftler tranken Bier. Die besoffene Linke protestierte dagegen. Stocknüchtern?

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Jene alte Zukunft ist inzwischen vergoren, übelriechend und schon länger noch nicht mal mehr Vergangenheit, sondern lediglich Erinnerung. Beachten Sie bitte das Verfallsdatum. Am Flaschenhals. Am Flaschenboden. Oder an den hängenden Hoden Ihrer Erinnerungen in Sachen Matratzen.

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Weshalb Tübingen? Bordsteinschwalbe? Was erlaube Gedankenflug?

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Wir Mimen wohnten damals in von der französischen Armee aufgegebenen Siedlungen. Dünne Wände, große Terrassen, preiswerter als preiswert dank der Landesregierung (CDU), viel Grün drumherum und die rauschende Steinlach rechterhand. Einer meiner Kollegen und Mitbewohner, ein wilder Niederbayer, der kraushaarige Michi, schlug die Faust auf den Tisch, wenn das Bier, welches er uns gerne aus seiner Heimat mitgebracht hatte, in Strömen in uns hineingeflossen war. „Dös woas mir mochen. Dös ist nur ein dreckater Nuttenberuf! Nutten sammer! Mir alle! Nutten!“

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Wenn ich auf die letzten Bühnenjahre zurückschau, versuche ich gelegentlich in den beschlagenen Spiegel zu sehen. Eine Art der Selbstvergewisserung? Die Bordsteinschwalbe taucht auf. Stets und gerne. Bei mir. Den Anderen. Das Wort Nutte wird aber vermieden. A bisserl Feigheit vor dem Feind namens Einsicht muß schon bleiben. Wie einen friedlichen Abschied finden von seinem alten Gewerbe? Schreiben wir mal!

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