Die kaufgierig fluten seit Jahrzehnten die aufgesuchte alte Heimat
Die abhängig
Wer liest was schon unter vollem Einkaufsbeutel
Als ich stehenblieb und bemerkte und ich mich fragte
In meiner schlauen Manteltasche ein Zitat
Das Spiel, das wir Gesellschaft nennen ist zu einer Schlägerei geworden
Patient Gesellschaft Klient Familie
Stets und wieder das Karussell an den Ketten
Dreht und dreht sich
Die Erinnerungen minütlich alt und älter als
Der tote Kaiser angeleimten Armes über Mexikos Rasen schlich
Als der Mann dessen Namen auf meiner pubertierenden Zunge verging
Eine ewige Sonne herbeisehnend
Gigi Riva
Oder rombo di tuono
Das Donnergrollen tauften sie ihn wie ich las eben
An – ausgerechnet – Schnellinger vorbeirauschte
Ausgerechnet Schnellinger
Stahlblonde deutsche Sehnsucht nach Arkadien
Schiffe versenken Admiral Dönitz C 7
Verlierer sind wir alle allemal
Wenn uns die Tage verlassen
Wohin auch immer hin
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Nachklapp: Was ich nicht wusste, dass eben jener Luigi „Gigi“ Riva als Kicker auf Sardinien gelandet war, die Insel dann nie mehr verließ und mit dem Inselclub Cagliari Calcio sogar im Jahre 1970 Meister wurde. For sentimental reasons. Die Erzählung Treue.
Vor oder hinter Gießen / Mal wieder Hochwasser / Irgendwann
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Nachklapp zu Carsten Gansels „Ich bin so gierig nach Leben!“
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Tauwetter nannte man die kurzen Phasen, in denen denkende Menschen der Hoffnung erlagen der Sozialismus ostdeutscher Machart könne sich eine Maske der Freundlichkeit und der Horizonterweiterung überstülpen und diese etwas länger auf den moralinsauren dogmatischen Besserwisserfratzen sitzen zu lassen. Im Westen konsumierte man derweilen masturbativ Revolutionsromantik. Großbürgerkinder killten amerikanische Soldaten und Kleinbürgerkinder applaudierten, des altdeutschen Papa’s Scheck in der Hand. Mama gab’s Trinkgeld bei.
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Immer wieder drehte sich dann die böse Welt andersrum. In wessen Richtung aber? Wessen Richtung ist die Welt? Dann schreibt einer , der unbedingt weiter glauben wollte, als mal wieder ostdeutsche Hoffnung sich verkrümelte: „Sie blieben ihrer alten Überzeugung in gewisser Weise treu, aber das Zutrauen in ihre gemeinsame Kraft war dahin. Sie kämpften noch immer gegen die Karrieristen, fast noch erbitterter sogar, weil diese das Rennen gemacht hatten; aber sie selbst verstanden sich nicht länger als Neuerer, als Pioniere. Lose verbundene Einzelkämpfer, die sie nunmehr waren, deuteten sie ihr Los und ihre Rolle in moralischen statt wie früher in politischen Kategorien.“ (Wolfgang Engler)
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Viel später rückblickend schrieb Herta Müller: „Je eigentlicher, je zuverlässiger Widerstand war, um so mehr war er nichts anderes als eine moralische Geste. Es begann im eigenen Schädel, im Alleinsein mit seinem eigenen Bild. Er kam aus dem Festhalten an moralischen Vorstellungen von sich selbst. Aus dem Bedürfnis, trotz aller lebenslästigen Konsequenzen anständig zu bleiben.“
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Was der Westlinke nie begriffen hat: Es gibt einen kleinen aber wichtigen Unterschied zwischen den Berufsverboten der 70er und Bautzen, Bukarest, Prag oder Hohenschönhausen. Wir möchteten so gerne ein Held sein in warmer Stub‘. Heldinnen gab es da schon. Man schrieb sie anders nur.
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Und was war das gestern in Gießen? Zwischen 13000 und 15000. Sagte die Bullerei (Verzeihung! Reflex! Macht jung! Hihi!), welche ja in der Vergangenheit gerne die Teilnehmerzahlen ungeliebter Demos nach unten korrigiert hatte. Es war arschkalt, aber (Verzeihung! Schmonzette!) ein bisserl warm ums postrevolutionäre Herzelein. Die Mischung macht’s. Lediglich Präzenz zeigen tut schon gut. Und die Jung’schen brüllen die Parolen der gescheiterten Großvatermütter. Auch gut.
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Österreich macht mal wieder Angst. Erst Braunau. Dann Fußball. Dann Handball. Und jetzt Thüringen. Die zwei Sachsen folgen. Aber (Verzeihung!) alle Verbieterei ist kontraproduktiv.
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Schön war‘s gestern, als der nicht enden wollende Zug sich durch den heiligen Seltersweg schob und der Wochenendshopper sich an die Wände gedrückt fühlte oder gar drinnen bleiben musste, glotzend. Man hätte rufen wollen (Verzeihung natürlich!): „Lieb‘ Umland lass das Glotzen, lass das Konsumieren sein, bekämpfe Deine Langeweile und reih Dich ohne Beute ein!“
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Ein guter Strom, der da gestern an mir und anderen vorbeifloss, während ich eine Teilstrecke mitlief.
Gegenüber von Kiel an der Förde / Ein Pirat / Ein Fischkutter / Januar 2015
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Wir brauchen neue Kanzler*innen oder mit dem Volk nach vorne denken
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Heut‘ ist mal wieder Weltuntergang
Es schiebt leere Stühle
Sein Blicken so bang
Ein Wirt durch die Kneip‘
Hadert mit der Gäste Verbleib‘
Zu Haus‘ in den Nichtorten
Vor den Toren der Stadt
Warum nur mein Gott
Geschneiet es hat
Und blitzgeeist
Was heißt
Dass Straßen leer
Die Germanenseele bitter und schwer
Etliche Minuten ganz ohne Konsum
Der EßYouWie bleibt leider stumm
Seit halben Tagen
In beheizten Garagen
Sowie in des Wirtes Port du Car
Drei Benze schweigen wunderbar
Der Krisen mehr
Kommt bitte her
Dann werden
Woll’n wir wetten
Die Schreiber der Lokalgazetten
Wenn’s taut die Pfützen zählen
Und wird’s dann heiß
Derselbe Tastenscheiß
In kurzen Sätzen
Zum nächsten Weltuntergang hetzen
Give the people what they want
Anders sieht es Meister Kant
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PS1: Dieser Beitrag wurde nachträglich nicht mit KI scheinverbessert.
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PS2: Dieser Blog wird gelegentlich von einem gelernten Schriftsetzer kritisch beäugt. Das begrüße ich. Ernsthaft. Und augenzwinkernd.
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PS3: Ich schaue mir gleich die Trauerfeier in München an. Schlimm genug. „Weniger Licht! Stattdessen gestalten!“ Ist das ein Zitat von Goethe, der nicht für die Feierlichkeiten zur Verfügung stand? Der Uli, der Hoeneß, er war da!
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PS4: Die unfassbar gute Menschendarstellerin, die Thalbach, wird heute 70.
Torgau (Sachsen) / Aufgegebenes Ladengeschäft / Sommer 2023
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In den Zeiten leerer Auslagen voller Hoffnung
Den Krieg den Hunger die Schuld
Noch im Profil der abgelatschten Stiefel klebend
In den Sand der Lausitz getreten
Schrieb der junge Schichtarbeiter Volker Braun
Kohlenstaubverschmiert
In seinem ersten Lyrikband
„Provokation für mich“
Den folgenden Reim nieder:
Kommt uns nicht mit Fertigem! / Wir brauchen Halbfabrikate / Weg mit dem faden Braten – her mit dem Wald und dem Messer! / Hier herrscht das Experiment und keine steife Routine. / Hier schreit eure Wünsche aus: Empfang beim Leben.
Heute spiegelt sich vor vollen Schaufenstern
Nicht als verlorene Wut
Auf die dahineilenden Zeiger
Die sich weigern rückwärts zu laufen
Revolutionen finden auf dem Sofa
Statt
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(Hoyerswerda / Sommer 2023)
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Wühle mich in den ersten nervig „positiven“ Tagen des Jahres durch ein großartiges Buch, welches mich ungemein erfreut in diesen Tagen der GROSSEN ANSPRÜCHE und des kleinen mutes zu VERÄNDERUNGEN.
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Auf Brigitte Reimann war ich erst gestoßen – typisch Mann, obwohl mir DDR–Literatur, vor allem Franz Fühmann, immer sehr nah war, blieb doch der größere Teil meiner Familie im Osten – als ich 2019 in Hoyerswerda für meine Gundermann–Abende recherchierte und sofort in Bann gezogen war von dieser Schriftstellerin. Da macht es jemand sich nicht einfach. Mit sich. Mit der Welt. Carsten Gansels Werk hat die Faszination vertieft. Ich lerne viel Neues über die Verfasstheit des Landes, welches meine Mutter mit mir im Bauch 1956 verließ. Es stellen sich über und über neue Fragen. Und die Verunsicherungen schleichen um alle Ecken. Es kippeln und wackeln die Erinnerungen, Einordnungen, Wertungen. Machen Platz für Neues. Gut.
Im Zug zwischen Leipzig und Hoyerswerda / Juni 2023
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Der Gedankenwolf
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Der Gedankenwolf spielt nicht
Gedankengolf
Ein „Hole in one“ ihm scheißegal
Da heult er nö
Und drischt sein Queue
Ratz fatz
In den auf dem Tische liegenden Bälle –
Satz für Satz dann nagt er was über
Und nicht schon eingelocht
Reißt und rupft
Auch planlos drüber
Ohne Weisung ohne Oben
Denken heißt für ihn auch toben
Jenseits von Planken die leiten
Sollen
Fremd ihm alles Wollen
Manikürt nur seine Pranken
Und am Ende seines Nagens
Fragen Fragen’s gerne nach
Neuen Fragen
Und sieht auch wirklich keiner zu
Klagt er zum Mond
Über den Wipfeln
Und all den Gipfeln
In aller Ruh‘
Dann schläft er ein
Ein neuer Tag
Die nächste Frag‘
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Aus aktuellem Anlass: Als es 1970 in Mexiko gegen Italien in die Verlängerung ging, schickte mein Vater mich ins Bett. Die Schule. So habe ich Franz Beckenbauer mit seinem an den Oberkörper gebunden rechten Arm verpasst. Und ich war schon über 13!!! Man bedenke dies mal heutzutage. Von der „heldenhaften“ Niederlage erfuhr ich beim Frühstück. Kann aber an dieser Stelle glaubhaft versichern, dass ich davon kein Trauma oder andere bleibenden Schäden davongetragen habe. Glück gehabt.