„Dort, wo ich daheim war, da war’s mir immer unheimlich. So würde ich es ausdrücken wollen.“ (Wolfgang Hilbig)

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Wolziger See / Am Abend der Ankunft / 17. Juli 2014

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In regelmäßigen Abständen sucht mich das Thema Heimat heim, (sic!) mal aus konkreten Anlässen, mal unvermittelt und diesmal durch – nach einiger Zeit wieder – Lektüre eines meiner Lieblingsdichter, Wolfgang Hilbig. In einem Gespräch über seine Herkunft, die Anfänge seines Schreibens und die Landschaften, in denen er seine Jugend und Adoleszenz verbrachte und die selbstredend prägende Spuren in ihm hinterließen, denkt er auch über das Wort Heimat nach. Jedoch verwehrt er sich gegen diesen Begriff, den er als belastet in etlicher Hinsicht begreift.

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Vor genau 10 Jahren trat ich eine kleine Reise nach Brandenburg an. Wolziger See. Storkow und Umgebung. Ein kleine Pension. Mit eigenem Badestrand. Ein billiges Leihfahrrad und ich fuhr durch die märkischen Wälder, entlang der Kanäle, schwamm in den vielen Seen, stets einen anderen meiner Lieblingsschriftsteller, Franz Fühmann, im Gepäck. Die Theater, an denen ich inszenierte, hatten mich nach einer langen Spielzeit ausgespuckt, nervlich und körperlich zermatscht. Dazu kam ein sich stets wiederholender böser Diskurs, der mich aus meiner Geburtsstadt erreichte, und das Thema Heimatliebe zum Thema machte und mich zum undankbaren Nestbeschmutzer. Also dachte ich schreibend und im Zwiegespräch nach über eben diesen heiklen Begriff. Und welch Unheil oft damit verbunden. Kleines. Großes.

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Erwähnen mich hier vor Ort die lokalen Gazetten, was nicht mehr so oft, aber ab und an geschieht, werde ich stets als der Gießener Regisseur, Autor und Musiker eingeführt. Ich habe mich daran gewöhnt, zwangsläufig, jedoch den Reflex, darüber speiben zu wollen, kann ich kaum unterdrücken. Wie schnell man mit billigen Etikettierungen bei der Hand ist. Ein paar Monate hatte ich auch für diese Heimatblätter Kulturkritiken verfasst. So eine Art Vorgabe war über das Gesehene stets mit sehr milden Sätzen zu urteilen. Hintergrund war, dass es vorrangig galt von der ach so reichhaltigen und qualitativ hochwertigen Kulturszene der Stadt, in der ich wohne, zu singen. Zum Lobe einer wie auch immer gearteten Heimatstadt. Grauslig und schrecklich beschränkt. Lange hat es mir nicht getaugt.

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Zwei Reime aus Brandenburg aus dem Jahre 2014. Das Reisetagebuch hier nachzublättern.

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Heimat

Von Görsdorf der Blick / hinüber nach Allensbach / hinter Bad Saarow im Nebeldunst / der Hohentwiel / vor seinem Schatten ein Kormoran / von West nach Ost / zieht über Launsbach eine der ungezählten Gewitterfronten / eines Sommers / vom Baum hängt das Seil / schwingt im Wind über dem Wasser / gestern noch schwang und sprang hier / ein Junge / hinab

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Heimat 2

Ich mag nicht mehr vergleichen / Ich mag dort sein / wo ich gewesen war / Bleiben / wo ich sein werde / Der Wind weht mich ins / Nirgends / Überall

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Momentan beschäftige ich mich mit einer Art Langgedicht. Arbeitstitel: Ferner den Stränden Ithakas denn je.

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(update 19.07.2024) Las ich gestern noch bei Hilbig: „Man muß unbedingt so weit kommen in der heutigen Zeit, daß man die Erde als Heimat bezeichnet. Das kann ich akzeptieren. Aber der Begriff Heimat, auf ein Land, auf eine Gegend, auf eine Landschaft bezogen, der ist mir einfach immer wieder zu stark ideologisch belastet worden. (…) Ich will’s mal verkürzt ausdrücken; wenn ich den Begriff Heimat höre, da höre ich auch den Begriff Krieg.“

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PS: Der Text stammt aus dem Jahre 1984. 40 Jahre und kein bisserl g’scheiter.

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„There is nothing either good or bad, but thinking makes it so.“ (William Shakespeare / Hamlet / act 2 / scene 2)

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Hellas / Epiros / Anilio / 14. August 2013

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Überquellender schein, überlaufende hirne, qualen

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Auf der leeren bühne einst ein gestopfter

Socken shakespeares das lied des narren

Der regen der da regnete einen jeglichen

Tag und wäscht den staub erinnerung

Von den lustvoll knarzenden brettern nun

Aber stille gehämmert von überlautem wissen

Befreit von schwankenden geschichten über-

Tüncht von zeigefingerigen diskursen und hinweg

Gewischt was mal eine welt bedeutete den brettern

Nun vollgenagelt mit thesenpapieren hochmütig

Überrascheln penetrant wie bonbonpapiere

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Das menschenferne spiel

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Das vor leeren rängen nun und halbierten

Stuhlreihen am herzen vorbeitrudelt und beleidigt

Die hirne des auditoriums das nicht dümmer geworden

Nicht vergaß shakespeares diktum dass ein mensch

Ein guter nicht kann sein in selbstgerechtigkeit und

Herzensagonie und in den garderoben keine bierpfützen

Mehr und überquellende aschenbecher in die erschöpfte

Herzen skizzieren konnten einen ungewissen traum

Von fehlerhaftigem und hoffnung statt traktate zu versenden

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(gießen / juli 2024 / warum ich kaum noch ins theater gehe)

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The Boys are back in town / Thin Lizzy

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Kunscht / Wer hat auf den Kaktus gekackt? / Haus Mödrath / Kerpen / Anfang Oktober 2023

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Bubendämmerungen

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Sind wir nicht nur noch Smartphonepunker

Deren Schlauchboot ohne Anker

Fern von Humor und Ironie

So wie ich war so werd‘ ich nie

Auf Teichen voller Trüblichkeit

Kauen auf vergang’ner Zeit

Rum als seien dies Prothesen

Was damals war sei doch gewesen

Ach ich hab’s mir so gewünscht

Manche kahle Wand getüncht

Mit allzu schrillen Farben

Verneig‘ Dich vor den Narben

Und schwätz nit rum

Bleib halt dumm

Den letzten Schuss aus meinem Colt

Denn hab‘ ich leider nicht gewollt

Hätte hätte Fahrradkette

Und ich verlier die eine Wette

Auf alle Ewigkeiten

Länger schon

Bubbele

Das hast Du nun davon

Mann oh Mann

Wer es kann

Lässt es auch mal sein

Trink mer noch ein letztes Glaserl …

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(gießen / regen / kalt / herbstmärchen rules ausdauernd ok)

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„Retrace your steps!“ (sagte mir Oblique Strategies eben / Brian Eno)

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Am Hafen von Sami / Kefalonia / gleich Überfahrt nach Ithaka / 6. Juni 2023

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Schattenbuben

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Wenn ich sagte Einmal nur

Forderte ich ein Immer

Ich sah nur den Schatten den ich werfe

Vor meine eigenen Beine

Sonne im maladen Rücken

Voranstürzend und jene in meinen Fußabdrücken

Fluchend hinterher

Die nicht geboren wurden zu folgen

Seit‘ an Seit‘

Die einsetzende Dämmerung nun

Zeichnet sanftere Konturen

Auf den noch schwitzenden Asphalt

Einmal noch

Diesmal einmal nur

Lügner

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(gießen / regen / kalt / herbstmärchen rules weiterhin ok)

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„Die Spiele von England sind weniger interessant als vom Ufer aus verfolgte U-Boot-Rennen in tiefem Gewässer.“

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Lynmouth / Devon / GB / 2. August 2017

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Auf Geleisen

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Man muss mit den Wassern der Erinnerung sparen

Rief mir zu ein Wasserhahn

Mit mattem Kikeriki

Er aber tropft nun seit Jahren

Gerne nächtens

Zu laut

In den Tagen seiner ausgiebigen Reisen

Hatte er dichtgehalten noch und

Geplappert lediglich leise

Geschickt umschiffend Schmerzen

Fingerzeigend geduldiger

Während unter mir die Schienen

Klopften und sangen

Dadamm-dadamm- dadamm-dadamm- dadamm-dadamm-dadamm

Und ich schlief ein wie heute nimmermehr

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(gießen / regen / kalt / herbstmärchen rules ok)

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Nachtrag: Zitat oben: Rod Stewart. Hat er recht. Auch wenn sich Jude am Sack kratzt.

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„Größer als wir sind nur unsere Schatten!“ (Fred Schreiber)

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Agios Issidoros / Leros / Dodekanes / Hellas / 19. August 2016

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Im Schatten alten Mutes die Flauten und kaum Ufer

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Weh oh Weh Dir Mut

Da unter schlaffen Segeln ich ausharrte auf den Wellen

Da Penelope in mir nicht mal eine Erinnerung blieb

Weh oh Mut der wehte mein Boot gegen die Küsten der Erinnerung

Unzähmbare Gicht nach mir griff und die Ruder glitschig meinen Händen

Entglitten und Dein Schatten Höllenhund glitzerte

Zurück oh zurück zum Weh oh Mutiger

Odysseas Du oh Weh geprüft von bitteren Göttern

Wie wir kein süßer Wein sie sind es nie die Unwirschen

Wehe oh wehe Wind aber vor meinem Bug

Und ich wende nicht den Blick

Das schäumende Wasser wirft mir keinen Schatten zu

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(gießen heute, da ich obiges photo entdeckte in meinen archiven und dachte: da hast du ihn mal vor der linse gehabt, den schwarzen hund)

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Schrieb vor Tagen hier, dass Toni Schumacher seinen Schwarzen Hund als Graue Wölfe bezeichnet hatte im Gespräch mit Litti. Gefiel mir. Einem jedem sein eigenes Lied, wenn das Düstere zupackt. Einer oder die Etlichen. Hat vielleicht damit zu tun, dass der Tünn oft von ganzen Rudeln angefallen wurde. Stürmer. Fans. Presse. Und und und. Ich bleibe beim Schwarzen Hund. Singularität. Ich weiß, wo er entlaufen. Einer reicht mir auch.

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Als ich obiges Photo machte, war der Schwarze Hund mir so fern und so vergessen wie selten überhaupt. Wahrscheinlich hat er sich deshalb ins Bild gemogelt. Der Hund, der gescheite. Wobei ich mich nicht erinnern kann, ob nicht vielleicht sogar die liebste Gattin dieses Bild gemacht hat. Die kennt mich eh besser als ich mich selbst.

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„Man vergisst, wo man die Friedenspfeife vergraben hat, aber vergisst niemals, wo die Beile liegen.“ (Mark Twain)

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August 2011 / Steilküste Rügen / Nach einem Unwetter nachts / Nicht von Caspar David Friedrich

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„Shut up and breeze!“ Dies sagte wohl mal ein Zenmönch zu Doris Dörrie, als sie keinen Ausweg fand aus einer Traurigkeitsspirale. Atmen. Aus. Ein.

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Gestern mal wieder Dylan gesungen. Unfassbares Wetter. Vor dem Unwetter und dem Anpfiff gegen die Dänen. Luft zum Schneiden. Kreislauffolter. Handverlesen das Publikum. Belesene Damen und ein paar versprengte Herren unseren Alters. Rentner musizieren für Rentner. Schön. Aber Sport.

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Apropos Sport. Weil es in Dortmund unwetterte, kamen wir rechtzeitig zur zweiten Hälfte heim. Kurz und knapp: ich kapiere diese sogenannten Hinweis- und Bewertungskeller nicht mehr. Die grauenhaft und so menschenfremde Sehnsucht nach einer Wahrheit und angeblich daraus resultierender Gerechtigkeit ist nicht nur bei der Pöhlerei der größte Schwachsinn ever. Behauptungen werden nur auf andere Deutungsfelder verlagert. Die Schiedsrichter werden als Deppen vorgeführt. Und gechipte Bälle übernehmen das Regiment. Der im Nachtrag Bewertungen bewertende Nagelsmann bleibt dann doch nur noch als ein kleiner Unsympath über.

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Irgendwann kommt noch jemand auf die Idee meine Erinnerungen aus den Kölner Kellern heraus zu beurteilen. Die Abschaffung der Fehlbarkeit ist unmöglich. Den alten Göttern sei Dank. Die Christen und ihre schrecklichen Nachahmer rund um Mekka haben dies lediglich versucht und fallen über ihre Selbstgerechtigkeit in die selbst ausgehobenen Gräber. Man mag wieder der Anarchie huldigen. Und aus Gedärmen die Zukunft lesen.

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Und natürlich: Hop Schwyz! Wie hurengeil isch das denn! Senza Italia isse wunderbar! Jetzt noch Georgien nach vorne, die hoffentlich erst Espana und dann Almanya rauswerfen. Und später im Endspiel ein herzliches Duell der Löhlis gegen die Ösis. Utopien entwerfen. Nach der letzten Europawahl.

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Was oder wer bitte ist eigentlich Europa? Die Tochter des Aganor!

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Werde die nächsten Tage weinen ohne Ende, weil ein Spiel der Türken nicht im TV übertragen wird for free. Schnief! Sammer deppert, liebe Landsleute?

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Hier singt Österreich. Hier singt die Schwyz.

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Auch Dylan stolpert. Oder muss sich echauffieren. Ermahnt. Und stolpert also. Steht schneller auf als Joe Biden. Spielen wir oder posieren wir?

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„Humor ist, bei einer Medaille die dritte Seite zu sehen.“ (Zitat / nicht von Dylan)

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Hellas / Kreta / Kreuzung zwischen Matala, Pitsidia und Kommos Beach / September 2009

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Warum Bob Dylan wichtig ist

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Als wir auf jener Kreuzung verharrten

Und Du und Dein Fuchteln

Und ein wenig Wind um meine Nase

Ich müsse mich entscheiden

Endlich

Ende oder Scheiden

Da oder hier lang

Oder schmeiß die Münze

In welche Luft auch

Immer

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Der Teufel hatte keine Zeit uns zu helfen

Also blieb ich stehen

Was Dir missfiel

Ich vergaß wohin Du abgebogen

Obwohl ich mich nicht erinnern mag

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Heute ist unsere Kreuzung ein Karussell

Wir dürfen nur nicht vergessen

Uns

Festzuhalten

Nichts zu wissen aber auch

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(gießen heute / morgen ein auftritt)

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