Der Löwe ist los / Die Ratten verlassen das sinkende Schiff / Kleine Fluchten

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Die Fähre verlassen in Klaipeda / Litauen / 21. Jui 2011

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Nichts gegen Absurdistan. Nichts gegen die notwendige Lautstärke in der ein oder anderen Auseinandersetzung. Nichts gegen alle Spielarten der Verzweiflung oder Hilflosigkeit. Nichts gegen eine rückwärtsgewandte Definition bisherigen Lebens oder Nichtlebens. Nichts gegen Manien körperlicher oder geistiger Spielart. Nichts gegen Obsessionen. Nichts gegen Süchte. Nichts gegen das Umdefinieren von Normalität in Krankheit, um sich selbst eine Art von gesteigertem Wert ans Revers zu heften. Nichts gegen die allgegenwärtigen kleineren oder größeren Fluchten. Noch nicht mal was gegen die Notwendigkeit als Clan überleben müssen zu meinen.

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Sollte man die arme Löwensau abknallen, weil vielleicht so eine Arschkrampe von Clanwichtigtuer das Vieh in Sachen Instagramwichtigkeit benötigte, aber nicht in der Lage war, auf das Teil aufzupassen? Fragen wir Anna oder Olli oder Friederich mit dem abgebrochenen Finger im rechten Nasenloch. Was macht denn Prigoschin so? Der langweilt sich. Feuer frei!

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Vor einiger Zeit lernte ich einen Menschen kennen im Theatergewebe selig. Voller aufrechter Empörung wurde mir mitgeteilt Instagram sei das Allerletzte und nie, nein, niemals im Leben. Unlängst guckelte ich, wie man das gelegentlich macht, im Netze rum und siehe da. Also doch. Wollte ich mal schauen dürfen. Dann wurde ich versperrt oder wie das heißt. Kenne mich da auch nicht aus. Oder nur solala. So simmer halt, wir Menschlein peinlich. Dachte an Gießen, wo sich dieser Tage die Autofahrer Tag und Nacht echauffieren, daß der seltsame Verkehrsversuch doch noch soviel mehr CO2 produziere und überhaupt. Während sie versuchen mit dem Vehikel die Stadt zu umrunden. Und man nehme den Bürger nicht mit, schreien sie, die ganz alleine in ihren überdimensionierten Kisten schwitzen. Quatsch! Die Luftkonditorei rattert bestimmt auf voller Drehzahl. Es ist offensichtlich ein Leichtes dieser Tage als Ratte jedwedes sinkende Schiff zu verlassen und trotzdem ehemals hochgejazzte Werte wider eigenen Tuns zu besingen. Mehr Ambivalenz geht kaum.

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Ulle hat gekokst! Ach nee? Man sieht nur mit dem Nasenloch gut.

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Kann man sich mit weniger Worten als der üblichen Suada gegen die lautstarken Zumutungen der Welt zur Wehr setzen? Könnte vielleicht Lebenszeit sparen. Eigene oder fremde? Gehe gleich mal in mich.

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Eben ein sehr gescheites Interview mit der Witwe von Wolfgang Herrndorf im Magazin der SZ gelesen. Ich zitiere unerlaubt: „Ich gucke manchmal auf Twitter, ob Wolfgang irgendwo erwähnt wird. Oft geht es dann um die Frage: Was würdet ihr machen, wenn ihr nur noch so und so lange zu leben habt? Dann kommen Sachen wie: Ein Buch schreiben, irgendwas Bleibendes schaffen. Das tut mir immer auch ein bißchen leid. Niemand ist gezwungen, sich noch irgendwie in die Welt einzuschreiben. Wenn ihr Bock habt, könnt ihr auch die letzten Jahre irgendeine Seifenoper gucken, das spielt keine Rolle!“ Danke dafür!

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„Die Gnade des Alters ist, daß man das, was man nicht mehr kann, auch nicht mehr will!“ Danke für den Hinweis an einen lieben Leser dieser Zeilen!

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Herrndorf, als eine Art Woyzeck andersrum, hatte sich ein „Pistolche“ gekauft. Nicht um Marie zu töten, sondern um das eigene beschädigte Hirn, sich selbst erlösend und entfesselnd, auszupusten. Er hatte nicht darauf gewartet, daß der Bundestag sich dazu gesetzgeberisch verhält. Genauso wenig wie einst mein Vater. Vielleicht hat das was mit Freiheit zu tun. Was geht die Politik ein Leben an? Was mein Tod? Schwere Frage. Dennoch: Deutschland schreit nach und braucht: zu viele Väter, Mütter. Man weigert sich erwachsen zu werden. Mit Verve. Und lechts wie rinks arg verbissen.

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Zurück zu den kleinen Fluchten. Was für ein herrlicher Film. Es lebe das Mofa! Statt Auto. Und auch statt brüllend ideologischer Fahrradfahrer.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 19

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Kato Katelios / Kefalonia / 9. Juni 2023

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Das Schiff bleibt im Hafen. Und blickt auf die Berge der Vergangenheit.

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Das Leben als brisante Unwetterlage hat Einzug gehalten in unsere Welt / Gesellschaft / Stadt / Wohnung / Theaterbühne. Allenthalben Prognosen, gerne sensationslüstern, und das wohlfeile Entsetzen über die nächste Katastrophe hinterm Horizont, wo es angeblich ständig weiter geht, der aber auch mal gleich um die Ecke sein kann, quasi ein Art Brett vorm Kopp, während andere Welten / Gesellschaften / Städte / Wohnungen / Theaterbühnen schon lichterloh in Flammen stehen und bei uns endlose Schlangen vor den Eisdielen. Ja, da sind sie schon weitergegangen in Sachen radikaler Umschwünge aller Art, die da hinterm Horizont. Auf der Insel der Seligen, die ja gar nicht mehr so selig ist, aber etliche wünschen es sich halt ganz dolle, daß es so bliebe, jongliert man mit den Moralkeulen und diversen Sternchen und hasst vor sich rum. Den Horizont zu erweitern erweist sich als mühsamer denn je. Es wird nicht mehr verändert, man lässt sich verändern. Seltsam apathisch, aber trotzdem laut und großmäulig und irgendwelchen Prinzipien verhaftet, die man selbst nicht begreift. Und jetzt kleben die auch noch auf der Rollbahn, verhindern die grenzenlosen Freiheiten über den Wo(l)ken. Schnappatmung, hier wie dort. War das Leben nicht schon immer eine brisante Unwetterlage? Wenn man es denn – Achtung! Triggerwarnung! Binsenweisheit! – na ja, allianzfrei lebt? Wie reimten wir als Abiturienten? Und hast Du endlich ausgekichert, hoffentlich allianzversichert.

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Der sichere Hafen. Heimathafen wird ja auch gerne genommen. Heute wurde mir gemailt, daß ein übelwollender Sturm über dem guten alten Bodensee, etliche Boote aus den so sicheren Häfen rausgepustet hat und dann im See versenkte. Wellen bis zu zwei Meter hoch am kuscheligen Bodensee. Nicht schlecht. Der Horizont, so vernagelt er auch bei etlichen sein mag, er wird zum Tellerrand. Man wird den Eindruck nicht los, da der Blick auf die einst erfolgreich bestiegenen Wohlstandsberge fixiert bleibt, hat sich in weiten Teilen wieder die Theorie durchgesetzt, lechts wie rinks, daß die Welt vielleicht doch eine Scheibe sei. Kann auch mal divers sein.

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Einer der dümmsten Sätze überhaupt: Ich will einfach nur meine Ruhe.

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Was ist aber bitte ein Verkehrsversuch? Petting? Ohne Zunge? Güldet nicht. Entschuldigung, bin in die Kategorie Gießen verrutscht. Davon bald mehr.

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Eine genaue Betrachtung des eigenen Denkens ist oft schwer zu ertragen. Die ureignen Reflexe ersetzen? Womit aber?

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 14

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Agios Nikolaos / Friedhof / Peratata / 3. Juni 2023

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Was wird auf meinem Grabstein steh’n. Überraschung?

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Wollte er gehen, so stolperte er? Wir hatten uns in ihm getäuscht? Er war einer von uns? Hätte er weniger gedacht, wäre mehr Leben möglich gewesen? Wanderer, verweile nicht länger als nötig? A schöne Leich‘? Da liegt einer (ohne Name!)? Entschuldigung? Es war nicht zu vermeiden?

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Da debattieren sie im Bundestag heute zwei Gesetzentwürfe in Sachen Beihilfe zum Selbstmord. Sie nennen es assistierten Suizid. Was ein grauenhafter Sprech. Sehr zwiespältige Angelegenheit. Erst verlängern wir mit modernster Medizin das Leben ins Unendliche und dann muß eine Abzweigung eingebaut werden. Hatten einst nicht, die die es sich leisten konnten, den Ring am Finger mit dem kleinen Giftbehälter, um sich in der größten Not den Schierlingsbecher selbst zu mixen? Ist man aber tatsächlich Herr seines Schicksals? Ich glaube, obwohl ich nicht wirklich glaube, nicht so recht daran. Gibt es so etwas wie Dankbarkeit für das Geschenk Leben? Lohnen Klagen und Vorwürfe, die man den ungerührten Göttern vor die Füße schleudert? Ersetzt ein Bundesverfassungsgericht den Priester? Die Schuldfragen. Darf man schuldbeladen gehen? Einfach so. Weil man nicht mehr kann? Die Schnauze voll hat? Zurück zur Dankbarkeit. Ich weiß es wirklich nicht. Fällt unser Umgang mit Muttern Erde eigentlich auch unter assistierter Suizid?

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Seit sich mein Vater vor 50 Jahren selbsthändig vom Leben verabschiedet hat – mit gerade mal 48 Jahren und dem Krieg im Körper – bin bei diesem Thema natürlich belastet. Ich weiß immer noch nicht wie tiefgehend das mein Leben beeinflusst hat. Daß dies doch schwierige Startbedingungen waren, war mir nicht immer klar. Mit zunehmendem Alter begreife ich mehr. Es ist jedoch weiterhin nur ein Ahnen, kein Bescheidwissen.

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Sitze ich an der Tastatur schaut mir Helmut Schmidt über die Schulter, wie ihn Bernhard Heisig im Jahre 1986 malte. Darunter Schmidts Lieblingsgedicht von Robert Frost.

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The woods are lovely, dark and deep

But I have promises to keep

And miles to go before I sleep

And miles to go before I sleep

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Bob Dylan sang schon als Jungspund auf seiner ersten Platte mit Altmännerstimme vom selbstbestimmten Tod. Da hatte er noch einige Wegstrecken vor sich. Jetzt ist er „never ending“. Ja, es gibt noch etliche Meilen zu gehen. Besser zu zweit. Verantwortung beginnt beim Gegenüber.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 13

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Am Rande des Parkplatzes vor der Drogarati – Höhle / bei Sami / Kefalonia / 31. Mai 2023

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Besser sich nicht selbst aller Überraschung entledigen. Vor der Zeit.

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Der Bauer oder der Fischer oder der Bergführer blickten kurz zum Himmel. Da kommt heut‘ noch Regen. Heut‘ Abend wird es wohl stürmisch. Heut‘ bleiben wir lieber im Tal. Heut‘? Kaum fahre ich den Rechner hoch überfallen mich Wettervorhersagen. Keine stimmt. Die sinnentleerten Prophezeiungen der Moderne. Die Superlative jagen sich gegenseitig. Kann ich heute noch grillen? Joggen gegen den Wind? Wird mein SUV nass?

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Man kann auch ohne Schirm sein Haus verlassen, wenn das große Unwetter angekündigt wurde, welches den kleinen hysterischen Ort, in dem ich wohne, sowieso ständig meidet. Was soll es da? Darf ja gar nicht mehr in die Innenstadt fahren. Klage, oh Gießen, klage! Neue Lieder sind Dir fremd.

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Hatte gestern noch in Sachen Horst Dieter Höttges hin und her gemailt. Am Spielfeldrand tauchte auf und in den Untiefen der Erinnerung – sinnfreies Wissen – ein Ole Björnmose. Mein Bruder und ich und die gesamte jungmännlich selige Bundesrepublik sammelte damals und tauschte Fußballbildchen. Und klebte. Der zweite BRD – Däne nach Kuh Karoline, der erst bei Werder Bremen kickte und eigentlich erst beim HSV so richtig – Triggerwarnung! Boomerbesserwissersprache! – reüssierte. Man kann sich vorstellen was dieser Name für ein Gegiggel bei den unwissend lederbehosten Buben auslöste. Das hat mich angenehm überrascht, daß dieser Dänenkicker noch in den hinteren Synapsen meines Hirns rumturnte.

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Huch! Hoppla! Jetzt aber! Also hömma! Da fällt einem doch glatt die Kinnlade runter. Das habe ich so nicht kommen sehen. Hoffentlich Allianz versichert. Was erwarte Mensch? Drum mach Dir einen Plan und sei ein großes Licht. Und mach noch einen zweiten Plan. Auch der tut es wohl auch nicht. Zu Risiken und Nebenwirkungen in Sachen Existenz auf diesem wüsten Planeten, lesen Sie gelegentlich ein Buch oder fragen Sie Ihren Navi. Überraschung! Wie Rudi Carrell einst nuschelte.

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Vor zwei Tagen, ich saß vor mich hin klampfend im Hinterhof, durfte ich mithören wie mein Nachbar aus Kasachstan, der lieber nicht mehr Russe sein mag, den anderen Nachbarn erklärte, was Deutschland sei. Und was zu tun sei, um dieses Land wieder nach vorne zu bringen. Den DfB auflösen? Die Regierung entscholzen? Belindnern? Theaterzwang und Lesepflicht frei nach Karl Valentin einführen?  CO2 – Abdruckkontrollen in die Steuererklärung einfügen? Sekundenkleber verbieten? Nein. Das Recht auf einen innerstädtischen Parkplatz ins Grundgesetz einspeisen. Er wusste Bescheid. Man grinst, aber leicht bitter. Überraschend war es nicht.

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Zurück zu Herrn Dylan. Halt Dein Gesicht in die Winde aller Art. Ich weiß wie ich heiße, aber ich weiß nicht wer ich bin. Was wird auf meinem Grabstein steh’n. Überraschung?

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 12

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Feuerlöscher im Knast / Feste Agios Georgios / Peratata / Kefalonia / Hellas / 3. Juni 2023

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Nicht die besten Karten auf einmal auf den Tisch legen.

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„Wenn der Drang auszubrechen größer ist als die Selbstachtung. Wenn Freiheit nur ein Wort ist, dessen tiefere Bedeutung man nicht kennt. Wenn die verletzte Seele nach weiteren Verletzungen sucht.“

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Obiges las ich irgendwo dieser Tage. Ich hatte es hier notiert. Leider habe ich komplett vergessen in welchem Zusammenhang. Ein Buch? Die FAZ? Literatur? Theater? Psychologie? Ratgeber? Apotheken Rundschau? Habe ich es gar selber gedacht? Nee! Kaum! So gescheit bin ich nicht. Auch wenn ich es mir öfters einbilde. Aber es klingelte in den denkenden Innereien. Als ich das las. Aber warum?

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Zurück zu den besten Karten, die man holterdiepolter auf den Tisch haute ab und an. Die Einen nennen das Offenheit, die Anderen selbst grundgütig kaum zu verzeihende Naivität. Wenn man zu schnell in einer Begegnung alle Türen aufreißt, darf man sich nicht wundern, wenn ungeladene Gäste die Party entern. Oder besser gesagt aus einem Dialog eine Party machen. Partys dauern eine Nacht. Dialoge könnten langfristigere Perspektiven haben. Und sind die besten Karten wirklich die guten Karten?

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„Wir“ wurden seltsam sozialisiert. In den Siebzigern. Ganz schlimm in den Achtzigern. Konfrontiert mit dem massiven Schweigen der Eltern und Großeltern, denen wir erst jetzt im Alter einen gewissen Respekt oder zumindest Verständnis entgegenbringen können, entschieden wir uns – Pendel hin und Pendel her – dafür jede noch so unwesentliche Belanglosigkeit dem Gegenüber vor die Latzhose zu knallen. Natürlich emotional. Betroffenheit nannte man das. Was nichts mit Empathie zu tun hat. Die schweigt. Oder handelt. Generation Laberrhabera wir aber.

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Beim Schreiben fällt es mir eben ein, woher das Zitat. Hier! Ein Buch übers belastende Schweigen der Eltern. Und wie man dann die Vorwurfsebene verlässt und handelt. Und beginnt eine Suche. Ich las es gerne und mit großem Gewinn. Der genauere Zusammenhang des Zitats entfiel mir aber.

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Vielleicht ist ein Schweigen zu respektieren. Ab und an. Mir fällt das oft sehr schwer. Obwohl ich selbst ein überzeugter Schweiger bin. (Entschuldigung! Das ist kein bemühter Gießen – Witz!) Nicht jede Betrachtung aber mündet in Erkenntnis und Conclusio. Liegt eher im unteren Promillebereich. Außer vermeintlich in unserer Alterskohorte. Do simmer dabei, dat is prima oder janz schlimm. Dat wisse mr stante pede. Ich glaube wir sind zu schnell gewesen. Stets. Und noch. Unsere empathischen Feuerlöscher liegen vergessen im Keller. Wer hat die Schlüssel eigentlich? Sind sie verloren?

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Alternative? Öffentlich hinter einem geschlossenen Vorhang agieren? Möglicherweise schätze ich deshalb meinen Meister Zimmerman. Siehe unten. Besser sich nicht selbst aller Überraschung entledigen. Vor der Zeit.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 10

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Glockentürmchen der Kapelle des Heiligen Paulus / bei Pessada / Kefolonia / 3. Juni 2023

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Egal wohin wir gehen, es ist immer woanders.

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Hier mal ein paar Großbuchstaben: LANGE GALT ES ALS GESICHERT. Weiter im Text oder eher halt Pustekuchen. Man sagte immer, Paulus der Apostel sei auf Malta gestrandet, was lange als gesichert galt. Denkmal dann. Touristen und Pilger folgten. Irgendwann ist einer verbissen, glaubt nicht ans das LANGE GALT ES ALS GESICHERT, hängt sich rein und erzählt eine andere Geschichte. So wehten wieder die Winde andersrum. Wie bei Odysseus. Und man landet an ferneren Stränden. Ich liebe die Zufälle. Auch wenn diese gerne Schmerzen in der Hinterhand bereithalten.

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Der Historiker Heinz Warnecke hat bei seinen Nachforschungen rausgefunden, daß der kirchengründende Fels und Apostel doch wohl eher auf Kefalonia gelandet war. Wie auch der Vielgereiste. Jetzt ist Warnecke Ehrenbürger des Eilands. Die Anwohner in Stolz selbstredend. Mal schau‘n wann der nächste Wind den Jesusjünger und auch den Irrfahrer wieder woanders hinweht. Paulus bleibt im Sturm. So auch wir. Sogar ich. Und das Du eh! Singe mir, oh Muse. Selbst wenn Du das Schweigen bevorzugst.

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Wir besuchten diese alte Kapelle nördlich von Pessada. Unter dem kleinen Gotteshaus vermutet man Reste einer frühkirchlichen Kirche, welche dem Apostolou Pavlou geweiht. Der zweite, dritte, vierte Überbau steht bis auf an zwei, drei, vier besondere Ehren – oder Namenstagen leer. Dann versammelt man sich vor diesem griechischen – vor vielen Kirchen errichteten – Glockentürmchen. Sieht immer ein bisserl aus wie bei Sergio Leone. Und – siehe oben – hinten an unserem Hausberg der wunderbaren Tage wurden Winde zusammengebraut. Wohin sie wehen mögen den nächsten Reisenden? Fragt die Götter! Sie werden Euch nicht antworten.

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Hängen zwei Glocken nebeneinander, nie in dem gleichen Ton sind sie gegossen. Aus der Dissonanz ergibt sich das gemeinsame Singen. Der Gleichklang ist ein veraltetes Modell. Falls es ihn je gab. Wird gerne mit Gleichschritt verwechselt. Lechts wie rinks. Die Risse sind feine. Diese feinsten Risse können aber selbst den Dicken Pitter im Kölner Dom sprengen. Jeder Schlag des Klöppels oder des unruhigen Gewissens birgt Gefahr. Keiner ist gefeit. Und sonst ist sowieso nichts in Sicherheit.

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Merke gerade beim Tippen, daß ich in meinem nächsten Leben wohl Prediger werden sollte. Aber dann so richtig alttestamentarisch. Wie Meister Dylan. Conclusio: Klage nicht die Winde an. Die wehen.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 09

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Lourdata / Strand / Stammbar / Das Gedankenabflußloch / Oben der Regen / 29.5. bis 12.6.23

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Gehen wir woanders hin.

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„Gehen wir woanders hin, gehen wir woanders hin

nur die Verrücktheit des Verstands ist uns als Pfand geblieben

in diesem Gemüseeintopf der Welt

sind wir das Salz geworden.“

(singt Giorgos Dalaras / siehe vorgestern)

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Also betrachten wir die Welt. Sagen wir. Oder ich. Meist bleibt es beim Blick in den Spiegel. Spiegel sind gerne trübe oder voller Zahnpastaspritzer. Was soll man morgens denn tun mit müder werdenden Knochen und Innereien, als sich dem Tag vorsichtig anzunähern? Die Welt retten? Ich bin ja kaum mehr in der Lage meine Vorhaben in die Nähe eines Hauchs von Verwirklichung zu schieben. Und keiner ist dran schuld. Ich auch nicht. Was wäre zu begreifen?

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Gestern bei Fluß mit Flair, eine der wenigen noch sympathischen Kulturveranstaltungen in Little Gießen und man trifft tatsächlich da noch Altbekannte, saß ich beim Außenstand der Weinstubb in der Steinstrasse, rieslingend. Auf der Nebenbierbank eine Familie und Opi. Das Kind, ich schätze knappe zwo Jahre, entdeckt Bierbank, heißt begreift sie. Fasst dahin, dorthin, von unten, von oben, drauftrommeln aufs marode Holz, Standfestigkeit überprüfen und grinst den Weintrinker visavis dauerhaft an. Die Welt anfassen. Begreifen. Wie anno dunnemals man selbst.

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Später müssen wir anfangen zu sprechen. Meist ein Gelabber. Die Haptik stirbt. Man textet seine vermeintliche Liebe zu. Mit unbedeutenden Wichtigkeiten. Spiegelfechterei. Der Verstand vorgetäuscht und nur ein trauriger Versuch der eigenen Verrückung von der Welt Gestalt zu geben. Wortberge. Bücherschränke. Beschränkte man sich auf den Haiku wurde IKEA schon längst pleite sein. Kein einziges Billy wäre mehr nötig.

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Einschub. Eben klingelt es. Ein Heizungsdingerableser verlangt Einlaß. Er müsse in unsere Küche. Das Ding sei kaputt. Ich: Hä? Das Ableseteil sende keine Funksignale mehr. Neues Teil nötig. Man wird also abgehört. Gut. Iss ja wohl nicht mehr der Putin, sondern Prigoschin Wagner. Perverses Wochenende. Die Welt drückt dem Nachfolgemassenmörder die Daumen.

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Zurück in den Gemüseeintopf namens Welt. Da schwimmt man neben ein paar zu weich gekochten Karotten und meint man sei die Fleischeinlage. Hat aber meist die eigene Suppe versalzen. Hinter Dir, wenn Du Glück hast Gedankenberge, an denen sich jemand abregnen kann und unten am Strand, unter der Straße lasse ein Loch. Da kann das Denkwasser zurückfließen. Ins Meer. Dann wieder zum Regen werden. And so on and on. Asche zu Asche. Schützt auch Gemüsebeete vor dem Austrocknen, die Asche.

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Egal wohin wir gehen, es ist immer woanders.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 08

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Taverna Alexandros / Parkplatz / Divarata / Kefalonia / 5. Juni 2023

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Mann braucht keine Worte, wenn mann mal sehr müde ist.

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An der Kreuzung in Divarata, gegenüber der Taverne gab es einen der herrlichen griechischen Mini – Markets, kaufte ich mir einen neuen Hut. Meine Frau übernahm meinen alten Hut. Und auf dem Parkplatz ließen wir ihren noch älteren Hut zurück. Zur freien Verwendung. Dann fragte meine Frau den Hutverkäufer, ob es vor Ort einen Geldautomaten gäbe. „No, no. Not here. But soon. May be in three oder four weeks!“ Was heißt? Drei Jahre? Oder vierzig? Braucht man den Geldautomaten? Ach Veränderungen!

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Unter den älteren Hüten brodelt ein seltsames Wüten

Schaut man in den Spiegel sitzt du auf einem Igel

Im fremden Fleisch der Stachel juckt mich nicht

Doch meine Angst die sticht und sticht klare Sache kurz mal Rache

Über’s eigene Versagen stellt uns keine Fragen wir antworten später oder nie

Mundwinkel zucken und verziehen sich wo gestern noch Verlass mich nicht

Heute geh‘ ich selber und auf der Schlachtbank Kälber im Ringelreih’n versammelt

Altes Vertrauen gammelt schweigend vor sich hin sage sage deine Klage auf und lauf

Den abgelaufenen Hut an einen Ständer hänge und ändere die Gesänge oder kreisel weiter

Dann wenigstens ein bisserl heiter

Junge Köpfe alte Hüte meine deine gute Güte hüte oder nicht

Kommst du vorbei der alte Hut ist frei

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Giorgos Dalaras wieder. Pame Gi‘ Allou. Gehen wir woanders hin.

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