Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022
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die flucht in den frühling
brach er ab
die kleine lauchzwiebel
hing geknickt und von einer
gnadenlosen sonne geprügelt
windschief über der krume
nicht zu viel gießen
dachte er noch
als er die dritte kanne über das halbtote
gewächslein zart
gekippt hatte
man könne auch ersaufen in der
trockenheit
fiel es ihm auf die feuchten schuhe
denke nicht an das gericht
an die pfanne
an die vollendung
weit vor der ernte
morgen anders
gießen
sachter verbrennen
üben
es ist kein spiel
das man nicht erlernen
könnte oder
*
Erwachte heute Morgen aus einem seltsamen Traum. Lief durch ein altes Theater. Überall wurde gearbeitet. Hektisch. Es wirkte ein bisserl wie Aufräumarbeiten nach einem Überfall, Krieg. Viel Schwarz, viel Verkohltes. Alle Türen waren zugestellt mit Sperrmüll. Zum Mitnehmen. Zum Verschenken. Viele neue Türen auch noch. War da was? Ich kannte mich nicht mehr aus. Wurde angesprochen: Als sie noch hier waren, war es aufgeräumter. Ich verneinte und stieg über einen Sperrmüllberg. Ein letzter Raum. Kaum beleuchtet. In lumpigen Kostümen – Motto: der morbide Chic – lagen alte Kollegen von mir erschöpft auf den Boden. Keine Regie in der Nähe. Es war kalt. Ich fragte: Ist das jetzt so eine Art Hauptprobe? Habt Ihr die schon gehabt? Ein geschätzter Kollege, mit dem ich viel gestritten habe, bis wir uns endlich „liebten“, antwortete: Ja. Hauptprobe. Wir haben morgen Premiere: am 3. Mai. Ich erwachte sehr verwirrt und flach ATMEND. Aber atmend immerhin noch.
*
Jetzt ist es weit nach Mittag und dieser Traum läuft mir immer noch hinterher und beißt mir in die Waden. Ich schiebe die Steuererklärung vor mir her.
*
Es wird Zeit – Eintracht Frankfurt hin oder her, liebe Hessen – mal ein richtiges Langgedicht auf Christian Streich zu verfassen. Auch die Rente muß man üben. Hoffentlich spielerisch wie Christian Streich. Jedoch: Der übt jetzt auch das Verlieren. Tja! Scheinsouveränität rules ok!
Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022
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Den Frühling auf den Wangen
den Winter im Herzen
brachen wir auf
leugnend unsere übereilte Flucht
Als wir stolperten
lachten wir auf laut und zu schrill
als wollten wir spielen mit dem
Schmerz
Wir zogen uns
mutig kichernd wie einst auf dem Bolzplatz
die Kiesel mit Pinzetten
aus den schrundigen Knien
liefen weiter
mehr wissend von der Vergeblichkeit
nicht dies nein nicht dies
Schweige bitte
*
Als ich vor der Mauer stand
mich umdrehte in Panik
blickte ich in voll aufgeblendete Scheinwerfer
Ich schrie auf
unter Wasser schwerer Traum
Das Licht implodierte
Es blieb nicht als ein funkelndes Katzenauge
welches reflektierte die Glut des Eisbrockens
der wuchs in mir unaufhörlich
Ein Passant lobte mich ob meiner gesunden
Gesichtsfarbe
Wenigstens auf meine Wangen ist
Verlaß
Mich aber nicht
*
Ein Traum endet mit dem Erwachen
Manchmal
Ich schlug die Augen auf
Spatzen pickten die Brotkrumen des gestrigen Tages
von meinem Fensterbrett fordernd
Die Tauben verscheuchte ich
vom Dach
und streckte die Hand aus dem Fenster
Hagelkörner fielen
aus einem stahlblauen Himmel
Eisheilige
die wir waren
*
(gießen / türmchen / 11. mai 2022 / grauburgunder)
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Das war die Anregung:
GOUVERNANTE. Denken Sie nicht an den Menschen!
LENA. Er war so alt unter seinen blonden Locken. Den Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen! Das ist traurig. Der müde Leib findet sein Schlafkissen überall, doch wenn der Geist müd ist, wo soll er ruhen? Es kommt mir ein entsetzlicher Gedanke: ich glaube, es gibt Menschen, die unglücklich sind, unheilbar, bloß weil sie sind.
(Leonce und Lena / 2. Akt / 3.Szene)
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Und das noch:
„Es wäre schrecklich, wenn Russland siegt, aber womöglich noch schrecklicher, wenn es verliert!“ (Jens Stoltenberg)
Ich weiß: Zweifel rettet keine Menschenleben. Aber erlaubt sollte er bleiben.
Konstanz / hinter der HInteren Sonne / 11. März 2022
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6
Dorthin
Wo meine größte Niederlage
Mir gegenüber saß
Erschöpft hinter dicken
Brillengläsern
Kehrte ich zurück
Nach genau zwanzig
Jahren
Als wollte ich feiern
Den Schmerz
Um wieder zu leben
Und lese:
„Wann ist ein Mensch ‚wahnsinnig‘? Wenn er das Normale tut und der Wahn nur in seinen Gedanken existiert oder wenn er unnormal handelt, aber mit der völligen Überzeugung, gesund zu sein?“