Kann man so sehen. Muss man nicht. Fremd bleibt dem bekennenden Fremden stets auch die Heimat. Spätestens nach jeder Abreise. Der Bahnsteig ist das Zuhause. Rollende Steine. Taumelkraut. Es ist 12 Uhr mittags. Das Fremde kommt zurück um die Heimaterzählung auf der Mainstreet zum Duell aufzufordern. Die Steppenhexen kugeln lachend herum. Ist es wichtig, ob sie von links oder von rechts ins Bild trudeln?
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Heute keine eigenen Worte. Ein Lied – unten der übersetzte Text – des Lieblingssängers einer Seelenheimat. Das einzige Lied, welches Leverkusen im Titel trägt. Falls Xavi Alonso nicht noch ein neues Kapitel schreiben will.
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Die Zeit hat ihre Höhen und Tiefen
Ich weiß auch nicht, wo ich bin
An Stränden, die zum Horizont passen
Oder in einfachen Gesprächen, die verrückt werden
Eine Nacht in Leverkusen
Direkt vor dem Bahnhof
Ich werde mich daran erinnern, wo du es mir gesagt hast
Hey Alter, ich liebe dich
So sehr ich will, verstecke ich mich
Es fällt mir schwer, es zu ertragen
Wie ich vermisse, was ich brauche
Um sich zu zerstreuen und zu schweigen
Eine Nacht in Leverkusen
Direkt vor dem Bahnhof
Ich werde mich daran erinnern, wo du es mir gesagt hast
Zurück nach Leverkusen oder Gießen. Über den Markt von Mires. Hinter Dingelsdorf abbiegen. Lechts oder rinks Richtung Thüringen. Morgen ein zaghafter Monologentwurf: Der Heimatabschaffeler und die Liebesreste.
(gießen / plötzlicher herbsteinbruch / osten? / westen? / jammerwessis? / besserossis? / um mich herum schrillt die welt seit tagen etwas zu laut)
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PS: Gibt es eigentlich ein sprechenderes Bild für den Zustand der deutschen Seelen als die in Dresden eingestürzte Brücke? Das Ufer zu wechseln ist also nur noch unter Lebensgefahr möglich und sowieso nicht mehr erwünscht.
Da lese ich halt gerne Zeitungen in dem Café. Hätte man mir dies vor Jahren vorausgesagt, ich hätte wohl geweint. Es sind Schritte um die Ecke. Übelst überteuerter Wein. Die Zeitungen, die ausliegen, werden von Tag zu Tag dünner. Vor allem geistig. Eine Küche von der zu schweigen geboten ist. Junge Menschen klappern sich laut an. Schwiegereltern auch. Schlimm und schlimmer. Die ein oder andere freundliche Bedienung. Alten Männern um den hängenden Bart gepinselt wird dann. Ich war immer ein überzeugter Trinkgeldgeber. Gespräch. Adele. München. Hat sie noch nie erlebt. Sagt sie.
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Jetzt Auftritt alter Sack: Hat Adele „Make You feel my love“ gesungen? In dem Tempel, da die Musikanten nicht mehr zum Volk reisen, sondern das Volk locken. Quatsch! Zwingen! Was hat das gekostet, das alles? Über 300 Euro? Für das eine Lied lohnt sich das? Warum? Ist nicht von Adele? Nee.
Ich war eine paar Tage unten am Bodensee. Altherrentreffen plus – Verzeihung – inkludierter Damen. M8a. Komprimierte Sommertage. Trocken hingereist. Feuchter abgefahren. Siehe Überschrift. Die Heimat halt und die beeindruckenden Landschaften. Diesmal auf der Bank eines E-Motorrollers. Dranbleiben am Atmen der restlichen Zeit.
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Heimreise. Lese vom Tod von Wolfgang Rihm. Schwammige Erinnerungen. Ein alter Konstanzer Freund damals, der von diesem Künstler schwärmte. Wieder mal vom einem Tod lesen, der wie immer seine Zeit brauchte. Sich streckte und dehnte und schmerzte bis zur Gnade einer erlösenden Himmelfahrt.
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Tags darauf. Zuhause. Nachklapp. Rihm vertonte, um seinen Abschied wissend, Verse eines ihm bis dahin unbekannten Dichters. Uwe Grüning. DDR-Bürger. Selbstredend eigentlich. Vom Überwinden der Zeit. Auch der letzten Tage. Die verheißen nichts und bleiben schwer und leicht. Wie jeder Sommer und seine Versprechen.
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Überwundene Zeit
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Der Sommer verrät schon das Land.
Die Mühlenflügel
stehen still wie mein Schicksal.
Jeder Spiegel scheint blicklos.
Die Augen regen sich nicht.
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Alles
scheint ohne Gewalt
und wird
unendlich leicht
wie mein Leben
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Immer, wenn ich den See besuche, verabschiede ich mich. Wovon? Von den Bildern? Von den alten Freunden, die dort unten noch eine Art von letzter Verheißung wittern? „Schon schön hier!“ Sagen wir da immer vor uns her. Ein Reflex, der bleibt. Nochmal unten Uwe Grüning. Der mir jetzt bekannte Dichter, der wenige Tage vor Rihm gestorben war. Nicht ganz einfach im Antiquariat einige seiner Werke zu bestellen. DDR-Erbe halt.
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„Landschaften sind selten, doch niemals gleichbleibend schön allein aus sich selber. Sie bedürfen des beglückenden Augenblicks, eines Frühjahrleuchtens, eines sinkenden Widerscheins, eines erfüllten Gefangenseins in Wehmut und Erwartung. Tritt die Erinnerung nicht hinzu oder eine empfundene Verwandtschaft mit dem eigenen Dasein, so bleiben sie seellos.“
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Manchmal denke ich, man sollte bevor man ins Reich seiner Erinnerungen eintreten muß, will oder darf, ein Ticket lösen. Müssen? In gereimter Form. Oder ein Lied.
In regelmäßigen Abständen sucht mich das Thema Heimat heim, (sic!) mal aus konkreten Anlässen, mal unvermittelt und diesmal durch – nach einiger Zeit wieder – Lektüre eines meiner Lieblingsdichter, Wolfgang Hilbig. In einem Gespräch über seine Herkunft, die Anfänge seines Schreibens und die Landschaften, in denen er seine Jugend und Adoleszenz verbrachte und die selbstredend prägende Spuren in ihm hinterließen, denkt er auch über das Wort Heimat nach. Jedoch verwehrt er sich gegen diesen Begriff, den er als belastet in etlicher Hinsicht begreift.
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Vor genau 10 Jahren trat ich eine kleine Reise nach Brandenburg an. Wolziger See. Storkow und Umgebung. Ein kleine Pension. Mit eigenem Badestrand. Ein billiges Leihfahrrad und ich fuhr durch die märkischen Wälder, entlang der Kanäle, schwamm in den vielen Seen, stets einen anderen meiner Lieblingsschriftsteller, Franz Fühmann, im Gepäck. Die Theater, an denen ich inszenierte, hatten mich nach einer langen Spielzeit ausgespuckt, nervlich und körperlich zermatscht. Dazu kam ein sich stets wiederholender böser Diskurs, der mich aus meiner Geburtsstadt erreichte, und das Thema Heimatliebe zum Thema machte und mich zum undankbaren Nestbeschmutzer. Also dachte ich schreibend und im Zwiegespräch nach über eben diesen heiklen Begriff. Und welch Unheil oft damit verbunden. Kleines. Großes.
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Erwähnen mich hier vor Ort die lokalen Gazetten, was nicht mehr so oft, aber ab und an geschieht, werde ich stets als der Gießener Regisseur, Autor und Musiker eingeführt. Ich habe mich daran gewöhnt, zwangsläufig, jedoch den Reflex, darüber speiben zu wollen, kann ich kaum unterdrücken. Wie schnell man mit billigen Etikettierungen bei der Hand ist. Ein paar Monate hatte ich auch für diese Heimatblätter Kulturkritiken verfasst. So eine Art Vorgabe war über das Gesehene stets mit sehr milden Sätzen zu urteilen. Hintergrund war, dass es vorrangig galt von der ach so reichhaltigen und qualitativ hochwertigen Kulturszene der Stadt, in der ich wohne, zu singen. Zum Lobe einer wie auch immer gearteten Heimatstadt. Grauslig und schrecklich beschränkt. Lange hat es mir nicht getaugt.
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Zwei Reime aus Brandenburg aus dem Jahre 2014. Das Reisetagebuch hier nachzublättern.
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Heimat
Von Görsdorf der Blick / hinüber nach Allensbach / hinter Bad Saarow im Nebeldunst / der Hohentwiel / vor seinem Schatten ein Kormoran / von West nach Ost / zieht über Launsbach eine der ungezählten Gewitterfronten / eines Sommers / vom Baum hängt das Seil / schwingt im Wind über dem Wasser / gestern noch schwang und sprang hier / ein Junge / hinab
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Heimat 2
Ich mag nicht mehr vergleichen / Ich mag dort sein / wo ich gewesen war / Bleiben / wo ich sein werde / Der Wind weht mich ins / Nirgends / Überall
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Momentan beschäftige ich mich mit einer Art Langgedicht. Arbeitstitel: Ferner den Stränden Ithakas denn je.
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(update 19.07.2024) Las ich gestern noch bei Hilbig: „Man muß unbedingt so weit kommen in der heutigen Zeit, daß man die Erde als Heimat bezeichnet. Das kann ich akzeptieren. Aber der Begriff Heimat, auf ein Land, auf eine Gegend, auf eine Landschaft bezogen, der ist mir einfach immer wieder zu stark ideologisch belastet worden. (…) Ich will’s mal verkürzt ausdrücken; wenn ich den Begriff Heimat höre, da höre ich auch den Begriff Krieg.“
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PS: Der Text stammt aus dem Jahre 1984. 40 Jahre und kein bisserl g’scheiter.