damals: weekend warrior hände einsam

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in manchen löchern treffen wir uns dann

wenn uns die woche freigegeben hat

frei zum grossen sturm

auf unser leben

in plastic

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in manchen rhythmen treffen wir uns dann

wenn uns die maschine freigegeben hat

frei für den großen schwung

unserer hüften

in schweiss und gleichförmigkeit

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in manchen ecken stehen wir dann

wenn johnny travolta uns die letzte mieze ausgespannt hat

kühlend unser fieber

in bier

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und wieder bleibt uns nichts

als unserer hände arbeit

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(konschtanz / im juli 1980)

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So! Schluß jetzt mit Früher Früher. Habe das alte Machwerk (ein Gruß ans damalige Partyvolk männlichen Geschlechts, was es heutzutage ja gar nicht mehr gibt! Oder?) nur gepostet, um die leider vergessenen Strassenjungs in Erinnerung zu rufen. War auch stets eines der Konzerthighlights der Konschtanzertruppe, die sich erst High Voltage, später dann (Achtung: Deutschrock!) Hochspannung nannte. Jetzt wieder High Voltage. Ein letztes Früher Früher noch: selbstverwaltetes JuZe war schon geil. Damals. Nun zurück ins Jetzt und Alter.

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damals: die gute alte brd / alltag voran

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der see läuft über

das ist noch lange keine apokalypse

einer hat die stechuhr zerschlagen

das ist noch lange keine revolution

die saure luft zerfrißt eine rentnerlunge

das ist hier immer noch ein luftkurort

eine zeitung vergißt

das ist hier immer noch die pressefreiheit

ein kindergesicht trägt rote striemen

das ist immer noch erziehung

eine frau voller prellungen

das ist immer noch liebe

ein haus wurde geräumt

das ist immer noch privateigentum

ein säufer liegt im strassengraben

das ist immer noch selbstbestimmung

ein lautes lachen nach zehn

das ist immer noch ruhestörung

eine theaterszene im foyer

das hier ist immer noch eine kulturelle einrichtung

ein grüner im landtag

das hier ist immer noch ein parlament

ein gardinenloses fenster

das ist immer noch exhibitionismus

der verteidigungsminister lächelt

das ist immer noch unsere sicherheit

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unser täglich not gib uns heute

und erhalt uns unsere pein

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das ist immer noch meine heimat

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(konschtanz, 14. juli 1980)

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Da wühle ich in alten Kartons. Und lese und lese und frage mich: Was hat sich nun verändert? Sicher nicht der Mensch. Vielleicht die Verhältnisse. Die sind eher so wie sie sind und bleiben das wohl auch. Oder?

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damals oder visions ahead oder die markgrafenstr. 8 a verlassen müssen

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Man mag ja nicht immer so gerne der sein, der man mal gewesen war. Dennoch, was wäre man ohne den? Nüscht und letztlich lediglich eine schale Behauptung der sogenannten Lernfähigkeit des Homo demenzis wahrscheinlich. Gestern hatte ich anläßlich des Dylan – Konzerts am See mit einem der alten ‚Miggle‘ – Leute gemailt. Er schrieb mir zurück und sprach von der Altersmelancholie und freute sich, das er da nicht alleine ist. Das hat mich wiederum gefreut. Iss halt so! Also – Hose runter – ein ganz alter Text – geschrieben in einer der letzten Nächte – nicht ganz drogenfrei – bevor ich dem guten Konschtanz endgültig den Rücken kehrte. Im dritten Versuch. Erster Versuch war eine große, schöne Katastrophenliebe und ein neues Studium in Freiburg. Knappes halbes Jahr hat es gedauert. Zurück. Fenster putzen. Geld verdienen. Dann ein knappes dreiviertel Jahr USA wegen Seele heilen inklusive erster Versuch Schauspielschule plus Mexiko und Kanada und und und. Wieder zurück und noch mehr Fenster putzen. Noch mehr Geld verdienen. Vorsprechen. Kölle rief. Von nun an sollte es dann andauern mit der Heimatlosigkeit. 41 Jahre sind es bis heute. Voila!

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todtraurig besoffene nacht. der ewig regenschwere sommerhimmel versteckt die sterne, als hätte er sie im supermarkt geklaut. ich bin so müde, daß die hände ich nicht hochkrieg, um mir tränen ins gesicht zu wischen. an die teppichstange gelehnt, der kalte kies knirscht zwischen meinen arschbacken, trage ich meine zerfließenden augen die hauswand hoch und runter. hinter jedes fenster schreiben lange rote filzstifte die namen. ich steh auf allen fensterbrettern und tanze fallend alle verlorenen träume und sprenge den hinterhofkies mit meinen aufgebrochenen adern. und das blut fließt wie eine ewige liebe über die hilflos glücklichen gesichter. ich halte kleine bildchen, die ich aus den versoffenen jackentaschen ziehe, juwele durchjubelter nächte, wundgeschlagene fingerknöchel, blutige gitarren, verzerrte witze über klagevolle schwänze, reine mädchen und abservierte fremdlinge. umarmungen, die über das ende der horizonte greifen, geahnte küsse auf die bauchnäbel, der große taumel des jetzt wieder einmal alles verstanden haben. das plötzliche aufbrechen des nichts und abgetretene rückspiegel. (?) meiner ewigen freunde verkünden vom versuch anzuhalten, stehenzubleiben, sich umzuschauen um was zu sehen. der unbedenkliche mut zur euphorie, das kindliche durchstreifen der abgetakelten zukunften, der wahn des sich ständigen wiederholens einer seltsamen, fixen schönheit.  und alles in diesem haus, das seine zerbröckelnden schatten mir in ein biergesicht wirft. aus den verschlossenen doppelfenstern. aus der sinfonie von fußschweiß und grasrauch. aus den fußpilzverseuchten strohmatten, über hügelige küchenböden gelegt.

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entnervend verachtend geliebter biorhythmiker. unlust und schrei. tausendmal haben wir liebevoll um uns geschlagen. in dieser nacht breitet sich ein grosses bett in meinen köpfen aus. hundert stöhnende matratzen und das eine todtraurig besoffene rezept. eben das stehenbleiben. das festhalten. das weinen um die zerbrechenden sekunden, das aushauchen des katerzerfressenen schädels. die logische ahnung vom wecker. raketensätze zünden im keller, das haus steigt und zieht ruhige wilde runden über seinem so entsetzlich metaphorischen standort. der wall der bürger , der erschreckt, hassend, fürchtend und bewundernd sich um die idylle der romantischen rattenfänger legt. jede unserer lauten nächte war ein mahnmal, ein kettenrasseln, ein nicht zu bremsendes sehnsuchtsgetanze, ein langes weinen am eigenen offenen grab. eine autobahn – atomkraft – rüstungs – arbeitslosigkeit – kümmer – kümmer – freie sentimentalität – ein gruss an eine ahnung der richtung des lebens, ein unschuldiges versuchen dieses wort auszusprechen, dieses wort leben. ein  ‚i don’t care‘, ein umstürzen vom nachbar frisch ausgewaschener mülltonnen und über dem unruhigen schlaf der malocher die exzentrischen schreie meines bruders und das waldschratige hoppeln des bärtigen hängers, des suchers, nichtfinders, desillusionierend andere, erbaulich in sich und ach stellt den menschen die biere vor die nase, lasst jeden morgen die hirne der generäle und direktoren von den winden des weines zerrissen sein und schmerzen.

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ich wage reinheiten zu träumen, abschiede, das aus dem nest fallen des jungen kuckucks. drei schnitzel muß sich jeder um uns kaufen können, damit wir leben können. hat einer gesagt, allen ernstes. oh mögen die baggerarme, die parteiprogramme und die arbeitsverträge, versicherungspolicen ewig an diesen haus vorbeirauschen. ich bete um die kleine sich selbst zerfleischende illusion, um die reste trunkener lieben, um die klagen und das wissen von der großen leere. ich lehne meinen kopf zurück, schlage ihn an die teppichstange, an die ich immer noch gelehnt sitze. aus dem fenster: clark hutchinson. der ewige trip zurück in die leiber, die tage als das wixen noch eine sensation war. die lachenden tränen fallen aus dem fenstern. liebevoll (selten habe ich so oft dieses wort geschrieben) geh ich mir eine zigarette schnorren, ich weiß nicht, ob der transzendentierende lebensmitteltausch, das mittragen eindeutiger zigarettenschmarotzer, die basis einer neuen gesellschaft ist.

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heute nacht fühle ich wie meine hand auf den sprößlingen, auf den ersten kleinen geschwüren und zellen ruht. vier jahre, viermal dreihundertfünf – und – sechzig tage und stunden und immer eine kleine geschichte, auch der weg zum klo und jetzt will ich gehen und ich höre das gelangweilte stöhnen aus all diesen mündern und das warten und ameisen am arsch und heute nacht will ich diese alten mauern über meinem alkoholleib zusammenbrechen hören und mich in den tanz meiner jugend, meiner illusionen einschütten hören und fühlen und die leiber über mir.

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und ich stehe auf, lege die hand an die feuchten mauern und den kopf in den schoß meiner frau. und jetzt weiß ich, daß ich nie etwas suchen werde und große stahlnägel schlagen mich in den mutterleib zurück.

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todtraurig besoffene nacht. dies ist mein haus und ich schaue hin und fühle so viel von mir und der welt und das sage ich hier.

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(konschtanz / 13. juli 1980)

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PS: Habe den Text, wie er einst getippt ward, heute abtastaturt. Keine Korrekturen, außer die Satzzeichen und (wenige) Rechtschreibfehler. So einer war man halt auch mal. Damals. Man hatte ja seinen Ginsburg oder den Jack „Ti Jean“ Kerouac gelesen. Widme das selbstredend H., der der eigentliche Gründungsvater der Markgrafenstrasse 8a war und ist.

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Encore: Wie Dylan meine Geburtsstadt beehrte, Schweiß von der Decke tropfte und wir die Jugend verabschiedeten

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Nachdem ich heute das Obige bei meinen Geburtstagsrecherchen in Sachen Bob Dylan entdeckt habe, gibt es eine Zugabe. Kann nicht anders.

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„Hosch scho ghört, dä Dillen kummt nach Konschtanz!“ Ungläubiges Staunen am anderen Ende der Leitung in Köln – Nippes. „Awa! Blödsinn!“, antwortete ich. Es war keine Ente. Robert Allen Zimmermann beehrte das noch recht junge Konstanzer Zeltfestival. Im Juli 1996. Ich war damals eh ohne Engagement, also runter an den See. Ein Gewährsmann da unten hatte einen größeren Set Karten besorgt und die Veranstalter waren alte Bekannte und Freunde aus den – nicht nur für mich – schwer bewegten 70ern in KN. „s` beese Miggle“ – Die böse Mücke –  hieß die Kneipe jener schwäbisch – bayrischen Studentengang aus der später die Veranstalter dieses historischen Konzertes hervorgehen sollten. Etliche Jahre war das ‚Miggle‘ unser Stammlokal, von wo aus wir in die langen und längeren Nächte starteten. Wir, das war die konschtanzweit weltbekannte Markgrafenstrasse 8a. Davon später mal mehr Geschichten.

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Viele Wiedersehen vor dem kleinen Zirkuszelt. 16 Jahre nachdem ich die Heimat verlassen hatte. Kaum einer fehlte. Die ganze damalige Szene sehr präsent vertreten und ein extrem gut gelaunter und für seine Verhältnisse staubtrocken rockender Dylan. Es war ein heißer Tag und nach kürzester Zeit tropfte der kondensierte Schweiß vom Zeltdach zurück auf die vom ersten Song an feiernde Menge. Klassentreffen. Homecoming. Anekdoten. A`s dröhnende Lache. HJ`s euphorische Pfiffe. Y`s beschlagene Brillengläser. R`s ewiges Grinsen. J´s esoterische Tänze. T., der nicht begriff, was da vor sich ging, aber ständig labberte. Mein Bruder, der den ganzen Nachmittag auf „Like a Rolling Stone“ wartete, vergebens. Und der große B., der stand wie ein Denkmal und sich lediglich den Bart kraulte. Anerkennend. „It schlecht, der Kerle!“ Ausgestreckter Finger nach ganz oben für ihn.

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Die Ratespiele am Anfang jeden Songs. Ein Ritual bei jedem Dylan – Konzert. Mein Ehrgeiz: stets der Erste zu sein, welcher den angespielten Song erkennt. Es gelang mir recht häufig, nicht immer. Übung für den Meister macht es. Ein großer Nachmittag. Man meinte sich später sogar daran zu erinnern, der Bobby habe, angesteckt von dieser unglaublichen Euphorie, den Bodensee gelobt. „Great place!“ Oder so ähnlich. Schöne Legende. Was er tatsächlich sagte: „Alright so … We gotta go now… we got places to be and things to do.“

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Es war mit das intensivste und beste der vielen Konzerte, die ich seither besucht habe. Danach hockten wir noch in großen Runden und tranken Bier und als ich ging, mit meiner damaligen, der ersten Gattin, sehr wehmütig, schien es mir als hätte Dylan für uns, die wir alle so um die vierzig Jahre alt waren, zum endgültigen Abschied von unser aller Jugend ein gutgelauntes Ständchen gegeben. Gut. Wir müssen gehen. Es gibt genügend Orte, die auf uns warten. Und wir haben noch einiges zu erledigen. Hatte er das gesagt?

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Wie man es nimmt. Ein paar Monate später wurde ich vierzig und kurz danach verließ ich die Ehe. Es folgte über Jahre eine wilde emotionale Achterbahnfahrt, Höhen und Tiefen in Sachen Herzeleid, die man eigentlich in diesem Alter überwunden zu haben glaubte. Nein, weitere zehn Jahre dauerte es bis ich zur Ruhe kam. Und es hält an. Ein stabiles Azorenhoch in Sachen Liebe.

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Will ich mal wieder etwas Achterbahn fahren – oder war es doch eine Geisterbahn? – greife ich zu dem ein oder anderen Lied des Meisters.  Und da Dylan seit 2006 mehrere Kreativitätsschübe hatte und immer noch hat, gibt es sie nun mehr und mehr die Lieder des Alterns, die Lieder von der Fahrt über eine ruhige See. Wobei, bei ihm darf man sich nie sicher sein, ob nicht vielleicht doch Moby Dick vor dir auftaucht oder dein Boot auf Grund läuft. Never be too sure. Wir sind nur Menschen. Nicht immer die Hellsten. Also weitermachen. Das hilft. Gerade in Zeiten der Pandemie. It’s not over.

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Wie Dylan in Dresden seinen 59ten feierte, ich Gundis Geist nicht erkannte und die Marie sich vom Acker machte

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Im Frühsommer 2000 arbeitete ich im damals noch recht neuem Osten in einem sehr obskuren freien „FAUST – Projekt“ mit. Financier war eine Schweizer Großbank. Ich spielte den Mephisto, genauer einen bei Tom Waits „Magic Bullets“ entlehnten Peg Leg. Untergebracht war ich in einen kleinen Ort im Süden von Leipzig. Die Regisseurin bewohnte dort mit ihren Pferden, vielen Katzen und ihrem Mann eine alte Fabrikantenvilla auf dem Gelände eines abgewickelten VEB. Schuhe wurden dort einst produziert. Vor dem zweiten Weltkrieg. Nach dem zweiten Weltkrieg. Nun nicht mehr. Die Wende halt. Wir probten in den Stallungen, die zu der Villa gehörten oder im Ratshauskeller des Ortes. Ansonsten saßen wir im großen Garten, grillten, kochten, machten Musik, tranken, quatschten und ich zog eine kleine kranke Katze groß. Und die Nachbarn schauten auch gerne mal vorbei. Oder luden uns zu ihren Dorffeierlichkeiten ein.

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N., der Mann der Regisseurin, war Schweizer, so um die fünfzig und immer noch ein bekennender Kiffer. Eines Tages hielt er mir die Leipziger Volkszeitung unter die Nase. „Hier, Dein Dylan spielt in Dresden in zwei Wochen.“ „Fährst Du mich hin? Ich lad‘ Dich ein!“  Auf der Hinfahrt rollte ich auf der Klappe des Handschuhfachs des alten Volvos einige Kräuterzigaretten für den Chauffeur. Das verlernt man nie. Wir erreichten die Freilichtbühne „Junge Garde“ beseelt. Es war N.‘s erster Bob live.

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Damals hatte sich Dylan wieder mal musikalisch in die „Grand Ole Opry“ begeben. Es niddelte, slidete, mandolinte und nashvillte vor sich, daß es eine Freude war. Ich mag diese Phase seines Schaffens sehr. Nach dem fünften Lied – Immer noch kein „Like a Rolling Stone“? Das macht den Laien ungeduldig! – fragte mich N.: „Warum ist der so unfreundlich? Der spricht gar nicht zu seinen Fans!“ „Erstens bin ich kein Fan, sondern verfolge sein Schaffen. Und zum zweiten sprechen seine Lieder!“ „Du bisch en genauso arroganter Sirch wie seller!“ „Ist das jetzt ein Kompliment? Halt die Gosch. I sollt jetzt lose! Und, häsch mir noch ä Ziggi?“

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Das schätze ich an Dylans Arbeit vor Publikum. Er schleudert den Menschen kein dämliches „Hämbörg, how are you?“ oder „Do you fell allright, Treysden?“ entgegen. Er singt, spielt seine Instrumente, atmet in die Harp ein und wieder aus, fertig. Ab und zu stellt er seine großartige Band vor. Selbst das unterlässt er gelegentlich. Man kann so unter vielen sehr schön allein sein. Nur zuhören sollte man. Muß man auch, weil auf jeder Tour eine leicht veränderte Stimme zu hören ist, neue Arrangements, veränderte Setlist. Oft überraschend, seltener ärgerlich. Und je kleiner die Bühne, desto mehr Freude an der Arbeit hat er. Die „Junge Garde“ war eine kleine Bühne. (Gibt es sie noch, frage ich mich eben.) Stimmt schon, so manches Dylan – Konzert ist von einer seltsam andächtigen Stimmung überlagert. „Gottesdienst, oder was?“ hörte ich so manchen lästern. Nun gut, warum nicht? Gott ist nicht die dümmste Erfindung der Menschheit. Wir reden nicht von der Kirche, Genossen!

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Das Konzert in Dresden war tatsächlich ein Gottesdienst. Viele – oft einsame Männer – in Dylans Alter im Publikum, eindeutig Bürger Ost, ergriffen, wissend um die Bedeutung, die die Lieder einst für sie hatten. Ich weiß von manchem Kollegen, was der Erwerb einer Originalpressung bedeutete, einst hinter dem antifaschistischen Schutzwall. Der Applaus zwischen den Songs war meist kurz und artig, fast gerührt. Irgendwann öffnete auch N. sein Herz für Herrn Zimmermann, packte der doch mit den letzten sieben Songs des Sets alles aus, was so Grundwissen sein sollte in Sachen „His Bobness“. (Ein grauenhafter Begriff, der sich irgendwann bei den Schreiberlingen nachplappernd eingebürgert hat. Einmal tippen wollte ich ihn aber doch. I got blisters on my fingers.) Am Schluß des Konzerts flogen Geburtstagsgeschenke auf die Bühne. Blumen. Bilder. Ein Billbox – Hat und ein mit Blumen geschmückter Rolling – Thunder – Borsalino. Dann geschah das „Unfassbare“. Dylan, von seiner Band an die Rampe geschoben, sprach zum ihn feiernden Publikum. „Thank you! I will remember this birthday for a while.“ N. und ich, wir umarmten uns. Kurz.

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Auf der neuen Autobahn Richtung Leipzig, eben hatte wir die Stadtgrenzen von Dresden passiert, überholten uns – N. fuhr nicht gerade langsam – zwei schwarze Busse. Beat the Street stand in fetten Lettern auf den Seiten der Geschosse. In dem einem saß der Chef, im anderen die Band. Die Rücklichter tauchten ein in die noch glühende Nacht und verschwanden, heading for another joint. „Bleibt dran! Gib Gas!“ „Häsch Du sie noch älle?“ Wir konnten ihnen nicht folgen.

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„Roll mir noch einen, dann zeig ich Dir mal was! Revanche!“, sagte N. und verließ die Autobahn. Nach einigen Kilometern auf alten DDR – Betonplatten stoppten wir am Rande eines noch aktiven Tagebaus. Nachtschicht. Aus dem gigantischen schwarzen Loch drang zu uns hinauf das Knirschen der sich in die Kohle wühlenden Schaufelradbagger, das Scheppern der Eimerkettenbagger, das Brummen der Großmuldenkipper, ein ständiges Summen und Grummeln, beleuchtete Wesenheiten aus einer anderen Welt kreuzten durch die Nacht. Fasziniert blickten wir hinab. Ein großes Schauspiel, befördert von unseren Räuschen. So gegen Mitternacht winkte ein kleiner Mann mit einer großen Brille, blonden strähnigen Haaren, die unter seinem Helm hervorzauselten, mir zu und rief: „Nu? Wie woar ern heute so, do Zimmermänn. Isch woar ja och mal sein Vormusikant!“ Ich dachte, was will der Kerl von mir. „Ich komme jetzt drei Sekunden zu dir raus, nur bleiben kann ich nicht!“, sang er daraufhin, um am Ende des Liedes in das Cockpit seines 293 zu klettern. „Wer bist du?“, schrie ich ins beleuchtete Dunkel da unten. „Maschinist für Tagebaugroßgeräte und Volkssänger!“ Das war seine Antwort. Falls ich mich recht erinnere. Was war das? Ich verstand kein Wort! Halluzinationen? Ich hatte doch nur gesoffen, mein Kompagnon hatte doch ausdauernd gekifft. Ich schüttelte mich und schnorrte noch eine Kippe von N., bevor der einschlief, öffnete die letzte Büchse Lübzer und wir fuhren heeme.

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Es war der Geist von Gundermann, der nach mir gerufen hatte. Ich benötigte 18 Jahre, um zu antworten. „Ja, Gundi. Er war gut der Zimmermann, damals in Dresd‘ne. Richtig, richtig gut. Und jetzt zu dir!“

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In jener Nacht schlief Marie mit dem Tambourmajor. Davon sollte ich ein paar Tage später erfahren. Franz weilte im Osten.

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PS 1: Für die Nobelpreisrede – Leonard Cohen bemerkte anläßlich der Verleihung kurz und knapp: „Für mich ist das in etwa so, als würde man ein Schild vor dem Mount Everest errichten, auf dem ‚höchster Berg der Welt‘ steht.“ – kann man sich gern die achtundzwanzig Minuten Zeit lassen. Der Text läuft unten mit. Ansonsten hoffe ich darauf nach dem Ende der Pandemie noch einmal den Meister live erleben zu dürfen. Ich gratuliere hiermit und höre weiterhin einfach zu.

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PS 2: Die Nachdichtung der Texte in den letzten zehn Tagen hat sehr viel Spaß gemacht und war erhellend. Vielleicht mache ich damit weiter. Etwa so: „Mein Dylan zum Sonntag.“  Oder : „Hallo, hier ist Ihr Monatsbob!“

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Mit Dylan durch ein Leben latschen / 1

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Mutter der Musen, komm singe für mich

Sing von den Bergen und der tiefdunklen See

Sing von den Wassern, den Nymphen, den Wäldern, der Kunst

Singt Euch das Herz aus dem Leib, voller Inbrunst

Singt von der Ehre, dem Glauben und dem Ruhm gelegentlich

Mutter der Musen singe für mich

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Mutter der Musen, komm singe für mich

Sing von den Lieben die endeten schnell

Sing von den Helden, die starben allein

An sie erinnert ohne Inschrift ein Stein

Vergiß nicht ihr Ringen mit dem Schmerz, der Welt gelegentlich

Mutter der Musen singe für mich

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Sing von Keith Richards, Samuel Beckett, Willy Brandt

Sing von den Befreiern von Buchenwald

Sing vom Blut das andere für unsere Feigheit vergossen

Wer hat Martin Luther King erschossen

Wir sind getrieben, gejagt vom inneren Ringen

Diese Geschichten mag ich besingen

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Ich habe mich verliebt in die Muse Calliope

Niemandem gehört sie, also gebt sie halt mir

Sie spricht mit mir, es sind ihre Augen, die sagen

Ach, was bin ich es müde Lügen hinterher zu jagen

Mutter der Musen, wo immer Du fern

Der Jahre etliche mehr, ich nehme sie gern

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Mutter der Musen, mit deinem Zorn verschon mich nicht

Was mir im Weg lag, ich erkenn‘ es meist nicht

Schenk mir die Weisheit, was meine Bestimmung sei

Laß mich aufrecht bleiben, halt die Wege frei

Kehre mein Inneres nach außen, zeig mir wer ich bin

Du weißt wovon ich spreche, ich sehe hin

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Führ‘ mich zum Fluss, schenk mir Deine Freundlichkeit

Lass mich ruh‘n in Deinen Armen alle Zeit

Schüttle mich, rüttle mich und befreie mich von der Sünde

Mach daß ich unsichtbar werd‘ wie die wispernden Winde

Ich bin ein unruhiger Geist, ich reise meist allein

Heut reise ich ohne Hast und so langsam kehre ich heim

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Der Mann, der mich als Sänger, Musiker und Dichter ein Leben lang begleitete, lebt noch. Er wird bald 80 Jahre alt werden. Deshalb der kleine Countdown to Zimmermann`s Birthday. Noch 8 Stunden sind es jetzt. Get prepared, ihr Musen alle! Und ölt Eure Stimmen.

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Mit Dylan durch ein Leben latschen / 2

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Es ist sehr sehr lange her

Daß wir uns liebten, aufrichtig

Ein einziges Mal, einen kurzen Tag lang

War ich der richtige Mann für Dich

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Letzte Nacht hörte ich dich sprechen im Schlaf

Du sagtest Dinge die du so nicht sagen solltest

Oh Liebste

Andere sind für sowas schon im Knast gelandet

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Wo sollten wir hingehen?

Wen wollen wir treffen?

Möglicherweise ist das, was dir recht ist

Mir gar nicht recht

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Seit zwanzig Jahren habe ich meine Familie nicht mehr gesehen

Nicht leicht zu begreifen

Vielleicht sind sie alle schon tot

Ich habe jegliche Spur von ihnen verloren seit ihnen das Land genommem ward

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Schüttle dich, dreh dich im Kreis, jauchze, Liebste

Sag mir, was hier eigentlich los ist

Und was machst du da draußen in der Sonne?

Weißt du denn nicht, daß die Sonne dir das Hirn aus dem Schädel brennen kann?

*

Meinen Feind habe ich ungespitzt in den Boden gehauen

Ich weiß nicht, ob er es wert war

Aber er hat alles verloren, alles und noch viel mehr

Für was für einen bekloppten Deppen hielt er mich eigentlich?

*

Ich trage immer eine dunkle Sonnenbrille

Aus meinen Augen blicken Geheimnisse, die ich nicht verbergen kann

Komm zurück, Liebste

Habe ich Deine Gefühle verletzt, möchte ich mich dafür entschuldigen

*

Zwei Züge rollen Seite an Seite

Vierzig Meilen zwischen ihnen, sie rollen nach Osten

Du mußt nicht gehen, denn ich bin ja zu dir gekommen

Du bist mein bester Freund immer noch

*

Ich denke, als ich mich abwendete

Begann hinter meinem Rücken die Welt zu brennen

Vielleicht schon heute, und wenn nicht heute, dann morgen

Endet mein ganzer Kummer

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Wir weinten, beide, an einem kalten, frostigen Morgen

Wir weinten, beide, weil wir spürten, es hat unsere Seelen zerrissen

Soviel zu den Tränen

Soviel zu den langen und verschwendeten Jahren

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Der Mann, der mich als Sänger, Musiker und Dichter ein Leben lang begleitete, lebt noch. Er wird bald 80 Jahre alt werden. Deshalb ab ein kleiner Countdown to Zimmermann`s Birthday. Noch 1 Tag. Get prepared!

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