Wenn der Anu Branco wüßte …

… wie teuer die Liebe sein mag

Ich wette nie würde er singen

Nie wieder wecken den Tag

(Teil 3)

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Teilzeit – Vaqueros waren wir in diesen Tagen. Keine Prinzen aus Dänemark oder dem Staube Brandenburgs, keine strahlenden Ritter unterm Holderbusch, verliebt ja wie ein Käfer und keine vatermeuchelnden Söhne, nein, wir lebten in der Welt imaginierter Rinderhirten aus dem Sertao, den kargen Steppen im armen Nordwesten Brasiliens. Vaquero, wieviel stolzer klang dies als das Kaugummi kauende Cowboy.  Don’t fence me in. Alles schien möglich. Reine Toren. Betonung auf rein. Nicht sauber, aber rein.

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Während dem Rinderhirte, so die Erzählung, der Hang zur Wortkargheit eigen ist, quatschten und quasselten wir ohne Unterlaß. Wenn nicht auf den Proben, den Nachbereitungen derselben oder den häufigen Vollversammlungen – gerne inklusive Gebrüll und Tränen und Pathos – geschah dies, schon allein um Gebrüll und Tränen und Pathos aufzuarbeiten, in den Kneipen. Drei waren innert zwei Minuten fußläufig erreichbar. Die kleinste rechterhand der Toreinfahrt zu unserer Schule. Hier stand der beste Flipper, also der, der am großzügigsten Freispiele ausspuckte und nicht so schnell tilte. An der Ecke zum Luxemburger Wall eine typisch kölsche Eckkneipe, vor allem zum Fußballschauen genutzt, war ja schließlich WM in Spanien in jenem Jahr. Da sahen wir wie der aufsteigende Stern Maradona einem Brasilianer in den Magen trat und bevor der Schiedsrichter Rot zücken konnte, schon vom Platz marschiert war, wir sahen dort die Schande von Gijón, schämten uns und feierten die starke kölsche Fraktion in der Nationalmannschaft, die sich am sogenannten Schlucksee gewissenhaft auf das Turnier vorbereitet hatte. Ein Kölsch geht noch. Dann Proben oder Unterricht oder auch mal Bürodienst oder Treppenhaus putzen. Diente alles der Ausbildung. Tatsächlich. Abends dann zu Kitty, dem Hauptsitzungsort. Auch mit gutem Flipper ausgestattet. Und soviel mehr.

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Der schwarze M. – es gab noch den blonden M., damals liiert mit K. aus unserer Klasse – sowie T., damals noch K. und ich pflegten in diesen Sommer ein Ritual: Mittagsessen beim weltbekannten Bullettenschnellbrater am Barbarossaplatz. Dort lag Toni „Der Tünn“ Schumacher quer in der Luft und rief uns zu: „Fang Dir den BIG MÄC.“ Machten wir gerne. Mehrmals die Woche. Danach noch zum Büdchen: süßen Krempel kaufen. Mit den Duplobildchen garnierten wir später die Rückseite des Bühnenbilds. Kindsköppe. Apropos Flippern, der schwaate M., leider allzu früh vom Krebs abberufen, war in unserer Truppe der kaum schlagbare Pinball Wizard. Er sollte, für mich das größte Talent der Gruppe, nach seinem ersten Engagement den noch frischen Beruf an den Nagel hängen. Zu viel Stress. Sagte er, erbte und wurde Privatier.

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Zu Kitty. Sie hieß nicht so, war aber blond und resolut und ich glaube man hatte sie nach der Saloondame in ‚Rauchende Colts‘ so genannt. Sie schmiß die Theke dieser wunderbaren Nachbarschaftskneipe. Ihr Mann, ein Studierter, was man ihm nicht ansah, stand in der Küche und briet die besten Frikas in Town. Dazu Äadäppelschlott und Erbsen mit Möhrchen. „Schmälchen, Du musst wat essen. Du fällst ja vom Fleische.“ Kitty kümmerte sich. Ich war damals wirklich ein Hungerhaken. Dort saßen wir, die Theatermäxchen und das eigentliche Publikum ließ sich von uns nicht weiter stören. Und wir redeten die Welt auseinander und quatschen sie wieder zusammen. Mit oder ohne unsere Lehrkräfte. Meistens mit. Noch eine Runde. Kritik mit Kölsch und umgekehrt. Manchmal, wenn die letzte Frika verzehrt, zog der Mann von Kitty – Hieß er Ernst? Weiß nicht mehr! – die Decke von seiner Hammondorgel und spielte und sang. Freddy, Kölsches, aber auch mal Brecht und Weill. Da staunten wir, die kleinen Haie ohne Zähne. Letzte Runde. Ne Schabau noch.

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Wir sangen mehr als das wir schliefen in jenem Sommer. Alles war so bedeutsam, aufgeladen, freundlich und wurde so heiß gegessen wie es gekocht wurde oder gestrickt war. Und dann war da ja auch noch die Liebe, jene jenseits der Bühne. Helter Skelter. Davon später. Waren die Vaqueros müde und trunken, verabschiedeten sie auf dem Heimweg in die Südstadt mit frisch ausgebildeter Sangesstimme gerne mal den alten Tag. Oder grüßten den Neuen. War natürlich gelogen, was wir krakeelten, außer von meinem Freund T., wie er nun hieß. Aber eine schöne Lüge war dieses Lied:

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(wird fortgeschrieben)

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Wenn der Anu Branco wüßte …

… wie teuer die Liebe sein mag

Ich wette nie würde er singen

Nie wieder wecken den Tag

(Teil 2)

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„Sonne und Regen … Die Füchsin verheiratet ihre Tochter. Noch ist September. Was sollen wir tun? Warten. Auf den Regen harren, auf den ersten Donner … Warten. (Pause)“

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Die Pause war lang. Das war damals so eine Art künstlerische Mutprobe. Wie lange halte ich auf einer Bühne eine Pause aus. Und verliere nicht die Konzentration. Ungeschlagener Weltmeister in dieser Disziplin war mein guter Freund T., damals noch K. genannt. „Heinrich! Die Pause ist zu lang!“ Andere Geschichte. Ich stand also zu Beginn des „Speckhuts“ als Erzähler auf einem Erdhaufen, regungslos, barfuß in Unterhose, einen roten Lackledermantel übergeworfen, in der Hand einen Plastikbeutel. Darin ein blutendes Schweineherz. Ein echtes!

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„Ich habe kein Herz mehr. Als ich noch lebte, sagten die Leute, ich hätte kein Herz, aber das stimmt nicht. (Er lacht, schwenkt den Beutel mit dem blutenden Herz) Heute ist mein Herz Erde und Wind … Mira hab ich verziehen.“

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O. schrieb uns zur Premiere ins Programmheft: „An meine Schauspieler: Sie verwechseln das Theater mit dem Leben und das Leben mit dem Theater.“  Meine Axt war scharf, wir schmissen Flaschen – kein Zuckerglas – krachend gegen ein altes Eisentor, trugen bei kleinen Verletzungen stolz unsere Pflaster und K. mußte vor jeder Vorstellung zwei große Cola trinken, um dann erfolgreich in einen Blecheimer hinten in der Ecke zu schiffen. Ein herrlich wahrhaftiges Geräusch. Wir betrieben ein bisserl Hardcore Method Acting. Echte Tränen waren die Meßlatte. O. wollte das so und wir machten gerne mit. Grenzwertig? Haben wir nie drüber nachgedacht. Warum auch.

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„Ich erinnere mich, erinnere mich deutlich der Nacht, in der ich Mira mit der Axt den Kopf spaltete. Mitten ins Hirn der schlafenden Mira schlug das Beil. Die alte Vettel Jorobabel lief herbei und sammelte die weißen Gehirnfetzen auf, als wollte sie den Kopf ihrer Freundin zusammenflicken. Ich bereue nichts. Heute ist es mir gleich. Und sie sagen ich hätte kein Herz, das ist nicht wahr. Aber im Mai wurde Hochzeit gemacht.“

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Das war die Geschichte des Speckhut: Ein armer Vaquero, eine Art brasilianischer Woyzeck, hatte im Eifersuchtswahn seine junge Frau erschlagen, weil sie es, arm wie sie waren, für dringend nötiges Geld mit dem Großgrundbesitzer trieb. Der Erzähler, ein Art Reinkarnation des Mörders, verdiente sein Geld als Zuhälter und damit, als eine Art theatrale Buße, mit seiner Truppe von Wanderschauspielern die Geschichte der Tat immer und immer wieder zu erzählen. Ike, wie wir sie alle nannten, war bei dieser Produktion Dramaturgin und Protokollantin und schrieb auf die Geschichte unseres Versuches die Geschichte zu erzählen in diesem heißen, verwirrenden und verwirrten, euphorisch schmerzlichen Sommer 1982, ich dem ich einiges gewann und viel verlor. Noch eine Geschichte. Hier im Rahmen der Eitelkeitsgymnastik noch ein Ausschnitt aus Ike’s Bericht.

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„Christian, der Erzähler. Ein langer, dünner Kerl mit tief in den Höhlen liegenden Augen und einer weit vorstehenden, zweimal gehökerten Nase. Wie ein Geier. Er hielt sich, weil er so lang und dünn war, nach vorne gebeugt. Als wollte er uns in seiner Kleinheit entgegenkommen und sie uns nicht spüren lassen. Ihn anzuschauen stimmte uns alle gleich weicher. Sein Körper beschrieb eine Kurve der Anteilnahme. Er war die Seele der Gruppe. Alle wollten mit ihm befreundet sein. Sein schulterlanges Haar hing ihm wie einem nassen Reiher vom Kopf. Als Erzähler war er der Einzige im Stück, der eine durchgehende Rolle hatte. Und er konnte, wie ein Reiher, einfach stillstehen und dabei immer durchsichtiger werden, als wäre er ein Teil der Umgebung. Lemmy hatte ihm aus irgendeinem Grund einen langen, schwarzen Ledermantel mitgebracht, in dem er wohl selbst rumgelaufen war. Christian sollte ihn als Kostüm tragen, zumindest für die Proben, aber er zog ihn nicht mehr aus.“

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PS: Ike schrieb dann unter vielen anderen auch ein Buch über die Erinnerung an ihre Studienjahre in einer kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen. Hätte mir damals jemand prophezeit, daß ich dort mal landen würde, vielleicht hätte ich die scharfe Axt geworfen. Damals.

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(wird fortgeschrieben)

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bagatelle siebzehn oder Vom selbstkritischen Wochenbeginn im Februar ’21

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Früher früher früher ja

War’s immer besser dadada

So braucht man nicht vom Früher weder

Sprechen auch nicht richten

Über die Momente

Diesen jeden Augenblick

Hals gedreht nicht auf zurück

Die durchlebte man mitnichten

in Gedichten

Nur in selbiger Sekund‘

Die vor ei’m stund

Der Zeitstrahl noch gericht‘

Nach vorn

Den Reim

Der Esel im Galopp verlor’n

Hat statt

Bagatellen und dem steten

Früher früher dadada

War’s immer besser jajaja

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PS: Danke Peter Handke für den Gedanken und Wolfgang „Kein Schlaf bis Hammersmith“ Welt für die Verwurstung

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