Wieder mal Zeit für eine Pause hier. Den Restadvent nutzen, um drüber nachzusinnen, what the fucking x-mas-hassle is all about originally. In den rauen Nächten Zwiegespräche halten mit den Gespenstern. Den Anderen gelegentlich. Vor allem jedoch mit den Eigenen. Und in Erwartung des kommenden Jahres den Zeigefinger kürzer schleifen und sich nicht in Bitternis rumwälzen, weil die Welt, die man gerne externalisiert statt ihr beizutreten, nicht nach der eigenen Pfeife tanzt.
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Also ein besinnliches Fest begehen (Oh schöne alte Sprache, in die ich hineinwuchs!), wenn es dann ansteht und weil uns Donald nächstes Jahr Frieden auf Erden machen wird, müssen wir nicht auf den Dritturlaub verzichten, um ein braver Erdenwürger zu bleiben. Die Verschärfung des Klimas fällt aus nach Ansage vom Vorjahr und weniger denken vor all diesen Wahlen, hüte, oh hüte dich vor all den Qualen, gelle, Germania. Ach.
Im Jahre 1966 kaufte mein Vater unserem Haushalt den ersten Fernseher. Schwarz-weiß. Eigentlich die einzige Farbkombination, in der man Geschichten ernsthaft erzählen mag. Eine WM stand an. Uns Uwe. Der junge Franz. Emma. Sigi, mein Held. Das dritte Tor. Hans der Tilkowski.
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Ein Fernseher tat es nicht von alleine einst wie heute auf Knopfdruck. Antennen mußten her. Ästhetische Dachverzierer, aufsaugend fremde Wellen und Schwingungen zu Diensten stehend den erwartungsfroh Schauenden. Oft aber lediglich blieb Rauschen und Nebel grieselnd und eine Ahnung nur von der Welt. Mein Vater kletterte auf dem Dach rum, die Antenne zu fixieren, zu richten gen Hamburg, Mainz oder Stuttgart. Die Mutter in berechtigter Panik ob der Sandalen des Dachbesteigers. Der Bube bewundert jedoch, muß aber nach unten und über zwei Stockwerke hoch brüllen, ob da mehr als Rauschen und Nebel grieselnd wäre zu sehen. Oben auf dem Dach wird geflucht. Der Bub zu leise sei. Die Fünffingerrüge später folgte auf den Fuße. Also auf die Backe. Zwei Stockwerke tiefer dann.
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Es war ein warmer Samstag. Juni oder Mai. Und die Kiste sprang sichtbar an. Zwei Sender nur. Wir wählten die Eins. Und da isser. Der Heinz Schenk. Frühkindliche Prägung. Wäre der FC Blauer Bock ein Fußballverein, jetzt noch wäre ich knallharte Kurve. Und Reno Nonsens mein ewiger Hrubesch.
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Das Bühnenbild aka der Hintergrund war eine fürchterliche Halle, ein Gemeindesaal oder ein Bürgerdings. Wo? Hessen. Was ist das? Wo ist das? Hätte mir damals jemand geflüstert, daß ich in diesem Bundesland, welches mir damals schon, ich saß am Ufer des Bodensees, als eine gnadenlose Manifestation obskurer Hässlichkeit? Immer noch ist es mir nicht möglich Äppelwoi zu trinken. Ich kann etliche Dialekte bundesweit nachäffen, aber dem Hessischen verweigern sich Glottisschlag, Stimmlippen und meine Zungenmuskulatur. Marmoush oder Yeboah hin oder her. Warum ich hier bin? Weil ich hier halt lebe. Jawoll Frau Wirtin. Das Loch im Eimer blieb.
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Heinz Schenk ist gebürtiger Mainzer. Dann ließ sich Schenk irgendwann zum Vorzeigehessen ummodeln. Unser David Bowie heißt Heinz Schenk singt es in einem der traurigsten und schrägsten Songs der Republik. Ich lebte wenige Monate in Mainz, welches ich, ohne groß zu klagen und trauernd hoffnungsfroh gegen Kölle eingetauscht hatte, um nach einer emotionalen Höllenfahrt in Hessen zu stranden. Ich mochte Heinz Schenk.
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Nie vergessen: „Herr Schenk, ich habe Sie in der Sportschau gesehen. Olympia in München. Sie sind beim 400m-Rennen mitgelaufen. Warum hatten Sie denn eine rote Krawatte umgebunden?“ „Das war meine Zunge!“ Morgen tät er dann 100 Jahre alt gewesen sein. Frau Wirtin! Ein Bembel!
Im Jahre 1986 fiel im Gefolge von Jim Jarmushs “Down by law” Tom Waits, mit gehöriger Verzögerung, auch in Deutschland in die geneigten Ohren. Zu dieser Zeit pendelte ich zwischen Köln, Düsseldorf, St. Gallen, Münster und Basel jungschauspielernd. Viele Nächte in stets pünktlichen Zügen verdöst. Und egal wo ich ausstieg, in den Wohnungen oder Kneipen, lief die 80er Jahre Trilogie Swordfishtrombones, Rain Dogs und Frank Wild Years in Heavy Rotation. Und überall erzählte man sich die Mär vom trinkenden, einsamen Streuner aus LA. Dabei hatte der 1980 seine Frau Kathleen Brennan kennengelernt und den Whiskey in die Ecke gestellt. The Piano wasn’t drinking anymore.
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In Köln aber feiert bis 1993 Gerd Köster und das Klavier dat immer noch jesoffe hätt, den Barden mit dem kleinen Hut. Der kleine Hut blieb mir irgendwann.
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Die Welt war traurig und wunderschön. Damals. Schon immer. Und blieb sie auch dann fürderhin. Mal so oder eben so.
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Roberto: It is a sad and beautiful world!
Zack: Yeah, it’s a sad and beautiful world, pal. Eh, buzz off.
Roberto: Ah, thank you! Buzz off-a to you, too.
Zack: Buzz off!
Roberto: Ah, buzz off. Buzz off? Buzz off? It’s – it’s a sad and beautiful world. Buzz off. [writes it down in a pocket notebook]
Roberto: Buzz – off. Good evening, buzz off to everybody. Oh, thank you. Buzz off to you too. Oh, it’s a pleasure. Thank you.
Zack: [takes a swig of beer, starts singing] O-we, now, now, it’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world …
(Dialog / Down by law / Roberto Benigni / Tom Waits)
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Heute wird er 75 Jahre alt der Mann, den ich in den letzten Jahren etwas aus den Augen und Ohren verloren habe. Bereiten wir ihm zu Ehren einen Hasen zu. An den alten Lagerfeuern. And then we all scream-a for icecream-a.
Seitdem ich hier wohne, wurde mir immer wieder von zu oder neben Gießen Aufgewachsenen, Gestrandteten, Lokalideologen oder Gazettenschreibern Peter Kurzeck ans Herz und in den Bücherschrank gelegt. Ich fremdelte. Nichts gegen ein exzessiv manisches Erinnern einzuwenden, aber aus jedem Stolpern, Holpern, sei es zu Staufenberg, Gießen, Paris oder dem Rest von Frankfurt, aus jedem abbessinischen Herrenschneider, jedem hier oder dort genossenen Käse jeglicher Herkunft, dem Opel Admiral und jedem nicht so fest wie erwartet angenähten Knopf am alten Mantel die Welt erzählen zu wollen? Muß man mögen. War mir nicht vergönnt. ABER:
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Zum letzten Geburtstag hat mir die Gattin das letzte(?), posthum veröffentliche, Buch von Kurzeck geschenkt. Ich hatte vor Jahresfrist Teilchen davon vorgelesen. Ich muß sagen: es war mir eine erkennende Freude. Vielleicht hat es was mit der Zeit zu tun, in der der Roman angesiedelt ist. 1977. Der deutsche Herbst. Ich studierte pro forma in Konschtanz Politik und Geschichte. Gelegentlich hielt der damalige Generalbundesanwalt Rebmann da oben auf dem Berg vor der Stadt Vorlesungen ab. Hubschrauber kreisten über dem Gelände, welches weitläufig abgesperrt wurde und bebrillte Anzugträger mit Beulen in den Jackentaschen fluteten die Hörsääle und manchmal wurde man abgetastet. War man genauso dämlich stolz drauf wie der damals dauertrunkene Autor Kurzeck an den Grenzen zwischen Germania und Frankonia. Im Audimax hatte doch gestern noch Herbert Achternbusch gelesen. Whiskybewaffnet.
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Vielleicht hat es was mit einem Namen zu tun. Sybille. Meine erste Gattin, die mir im Rückblick eine Vermeidbarkeit bleibt ewig. Schlau immer später und immer zu spät. Jedoch: der Schriftsteller erzählt davon Schriftsteller werden zu wollen und trotz allem Gejammer – auf jeder zehnten Seite – über die Abwesenheit von Geld, während er sich Tag und Nacht durch Kneipen hangelte und sich kokett volllaufen lässt: ich mag ihm folgen.
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Viele Freunde und Weggefährten gewährten ihm Unterkunft, Asyl, Schreibtische, Schränke voller Alkoholica und Plattenspieler und Kassettenrecorder. Und dann schreibt er manisch vor sich hin und hört dabei sein Lied. Fremde Kassette. Natürlich hundertmal hintereinander. Emotionaler Sparfuchs. Muß man mögen. Letzte Woche mochte ich es.
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Was ich begriffen habe. Schau ich aus dem Fenster, sehe ich wie der Welt systematisch die Farben entzogen werden. Gießen ist bunt? Lächerlich. Je lauter Vielfalt und bunte Fahnen schwenken beschrieen wird, um so grauer und uniformierter gebärdet sich die Welt. Besuchen Sie morgen einfach einen Weihnachtsmarkt. Vielleicht ist das der Kunstgriff Kurzecks, der der schon vor Jahrzehnten eingetretenen Abschaffung der Lebensfarben eine monochrome Erzählung in Dauerschleife entgegensetzt. Kann man tun.
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Keine Erwartungen. Und untiges Lied erwähnt er auch gerne in diesem Buch. Die ewige Liebe? Blödsinn. Durchhalten. Versus Dauerschleife.
In Sachen Übertitelung: auch ein Arschloch oder wie ich gerne sage: ein Vixfrosch kann ab und an Gehaltvolles äußern. Mein RA Gewehr bei Fuß.
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Saß eben visavis des stillgelegten Riesenrads von Gießen. Tageslektüre. Es bewegte sich das Riesenrad, welches nun nicht mehr leuchten darf. Man sucht wohl den Fehler. Das verletzte Kind sei dem Krankenhaus entronnen. Jubiliert das Stadtmarketing. Ich kann nur hoffen, man findet ihn nicht, den Fehler. Warum Städte vermarkten? Verschont besser die Städte vor kompletter Verwahrlosung. Und das sind eben nicht die Säufer und Junkies und Durchgedrehten und die hoffnungslos verlorenen Migranten, die vor allem dazu beitragen. Es sind die manischen Konsumenten. Ab in den Wald.
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Adventstraum
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Wie ich jüngst vor dem Parkhaus stand
Die Schranke fest geschlossen
Nach Weihnachtsmarkt stand uns der Sinn
Und draußen hat’s gegossen
Aus der Vorstadt reisten wir
An mit Freude groß
4ter Advent und 15 Grad
Was ist da draußen los
Auf dem Rücksitz weint die Tochter
Der Bube starrt auf’s Telefon
Der Gatte auf dem Nebensitz
„Das hast du nun davon!“
Er hätte gerne ferngesehen
Wintersport bis in die Nacht
Dazu das ein‘ und andre Bier
Weil ihm dies Freude macht
Ich krallte mich am Lenkrad fest
Atmete voller Inbrunst ein
Auch Maria mit dem Kind im Bauch
Stand vor verschlossner Tür allein
Dacht‘ ich
Als es an meine Scheibe klopfte
Und ich wachte auf
Wie gut daß wir zu Haus‘ geblieben
So machten wir uns auf
Zu einem Spaziergang durch den Wald
Freuet euch
Weihnacht ist bald
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(Gießen gestern / heute Schneeregen / leises Rieseln / Dylan singt dazu / Flake übernimmt)
Dieser Tage hat mir ein ehemaliger, damals wichtiger, Wegbegleiter einen Hörtip weitergeleitet. Dafür sei großer Dank. Die 40 Minuten lohnen sich. Sehr, wie ich meine. Also anhören erst, dann weiterlesen. Gelle.
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Heinrich Detering, ein praktizierender Katholik, der bei den Grünen aus, dann bei den LINKEN eintritt, über Dylan, Goethe, die Sprache der Rechten und Okölogie und und und arbeitet und auch noch dichtet. Und all dies zwar in extrem professoraler Schnellspreche und -denke, aber komplett dünkelfrei. Besser kann man die Freiheit zum Denken kaum definieren.
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Via Bob Dylan war mir Herr Detering seit einigen Jahren ein treuer Begleiter. Seit ich gelernt hatte halbwegs gehaltvoll zu denken, war mir stets die Frage wichtiger als die Antwort, die Ambivalenz näher als die viel besungene Haltung und der Zweifel hatte stets Vorfahrt vor dem großen “SO IST ES DOCH!”. Ob dies mir in all den mäandernen Gesprächen, Streits und Beleidigtheiten auch, immer gelungen? Eher nicht. Mögen aber andere beurteilen. Den Stimmen aus der Unterwelt höre ich weiterhin gerne zu. Jedes Mysterium zu entschlüsseln hüpfe oder hinke ich nicht auf dieser Welt herum. Wahrscheinlich landete ich so über kurz oder länger bei Bob Dylan.
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Auch mir wurde selten langweilig mit Herrn Zimmermann. Langweilig ward es mir nur, wenn mir, wissend um meine enge Beziehung zum Werk Dylans, ein Gegenüber glaubte erklären zu müssen, wer Dylan „wirklich“ ist. Und überhaupt. Und so. Und das der Blues aber anders. Ist. Und generell. Was der Bauer nicht kennt, aber halt belehrt. Vor vollen Tellern wir verhungerten.
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“Our revels now are ended. These our actors, as I foretold you, were all spirits, and are melted into air, into thin air.” (Tempest / Shakespeare)
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Und so endet unser Sehnen, unser Schwelgen, einem abgespielten Schauspiel gleich, wie ich Dir schon damals versuchte zu sagen, als Geistertanz und verwirbelt sich in die Lüfte, die dünnsten Lüfte.
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When we said good-bye, love
What had we to gain?
When I gave you my love
Was it all – in – vain -?
(Dylan / Shakespeare / Prospero / Der Wind / Die Hoffnung / Karl Marx?)