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Ein kleiner Ausblick auf ein paar Fragmente des „Blumenspaziergängers“. Sie schreitet voran die Arbeit. Gemächlich.
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Psychologin
Wie meinen Sie das? „Ein ganzes Leben immer auf Gleisen!“
Mann
Schule. Mittlere Reife. Ausbildung. Führerstand. Keine Umwege. Die Gleise sagten mir und meiner Lok, wo es lang geht. Die Fahrpläne strukturierten meine Tage. Das Unvorsehbare ist der Todfeind. Wir dienen. Wir bringen Menschen vom Leben zur Arbeit zum Leben. Wir fahren auf festen Gleisen und geben den Menschen etwas Freiheit. Sie bezahlen uns schlecht und beschimpfen uns dafür. Aber das hat mir nie etwas ausgemacht. Ich liebe Struktur. Ich liebe Gleise. Ich liebe die unwahrscheinliche Kraft, die ich mit einem Knopfdruck in den Motoren meiner Maschine freisetzten kann. Das Schnurren. Das Schlagen der Schienen. Wie es sich anhört, wenn ich eine Weiche überfahre. Auf festen Geleisen. Ist das die Freiheit? Ja, die Zeit zwischen den Bahnhöfen, den Haltestationen, die gehört mir. Linker Hand der See: Hinfahrt. Rechter Hand der See: Rückfahrt. Mein See. Seine Farbenspiele. Schlag nach bei Martin Walser. (er zitiert) „Kann man, darf man einer Gegend Zärtlichkeit nachsagen? Einem See? Diese Temperaturen, Farben, Strömen und Ruhen, Wildheit und Schwere – er hat alles, einen unerschöpflichen Reichtum an Zuständen und Stimmungen.“ Das war mein Fahrtenbuch. Meine Freiheit. Und dann tritt jemand aus dem Schilf auf meine Gleise, meine Gleise, und nimmt sich seine Freiheit. Und jetzt habe ich nicht mehr die Freiheit darüber zu entscheiden, ob meine Hände zittern wie Espenlaub, wenn ich eine Lok nur sehe, mein Atem stockt, wenn der Nebel aus dem See kriecht, meine Brillengläser blutrot beschlagen. Ich muß mir ein Bild von der Freiheit der Anderen machen.
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Pastorin
Schön, daß Sie mich nicht mehr nur anschweigen.
Mann
Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Diese ganze Geschichte ist ein Baumkuchen. Schicht für Schicht aufgetragen. Von Hand. Das ganze Leben ist ein Baumkuchen. Das Problem ist, es gibt zu viele Bäcker. Und wahrscheinlich zu viele Geschichten. Geschichten, die erzählt werden wollen. Unwichtige, unwesentliche Geschichten. Aber wenn Du einmal angefangen hast zu erzählen, ist das wie Salzwasser trinken. Du säufst und säufst, bis Du einen Ranzen hast wie ein Kamel und der Durst wächst und wächst. Und wenn Dir keiner mehr zuhört, stört das auch nicht weiter. Im Gegenteil, das ist wie eine Befreiung. Keine Oma, keine Lehrer, keine unbefriedigt neben Dir liegende Frau, keine Schalterbeamten, keine Fahrschulprüfer, keine Fragebogen, keine Mikrophone. Niemand, der erwartet, daß Du irgendwann ein Ende findest. Kein Publikum. „Können Sie das bitte auf den Punkt bringen. Fassen Sie sich kurz. Was wollen Sie damit sagen? In der Kürze liegt die Würze. Kompliziert denken, einfach sprechen.“ Dieser unstete Blick auf die innere Uhr. Ungeduldig nach oben gezogene Augenbrauen. Trippelfüße. Nix da. Nix da. Nix da. Die Worte fließen durch Dich durch, fallen vor Deine eigenen Füße, bleiben liegen, stehen auf und tanzen weiter. Keine Ordner, keine Dateien, keine Festplatte. Loose ends. Keine Verknüpfungen. Keine zweiten und keine dritten Plätze. Niemand hängt an Deinen Lippen, bis auf einige Speichelfäden. Es gibt Geschichten, wenn Du versuchst die zu erzählen, ist es, als wolltest Du Gelatine an die Wand nageln. Und obwohl die Geschichte in Dir wohnt, Deine Adern von innen mit Ihrer Traurigkeit tapeziert hat, finden Dein Gaumensegel, Deine Stimmlippen, Deine Zunge keinen Ausdruck für die Geschichte. Die Geschichte bleibt in Dir sitzen und glotzt aus Dir heraus in die Welt, aus der sie in Dich gekrochen ist. Und so bleibt Dir nichts anderes übrig, als den Baumkuchen Millimeter um Millimeter abzutragen, durchzukauen und aus dem halb verdauten Brei kleine, neue, vielleicht mit der Urgeschichte verwandte Kurzgeschichten in die Welt zu spucken. Und die Portionen sind so klein und die Sätze sind so kurz, die versuchen diese Portionen in Worte zu fassen, daß kein Mensch bemerkt, daß Du sprichst. Und dann kannst Du auch schweigen.
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