Der Schwarze Hund geht in Rente 14

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Ist selbstredend Schwachsinn die Überschrift. Müsste eher heißen „Wenn der Schwarze Hund mit seinem Rentner!“ oder treffen sich zwei Schwarze Hunde. Sagt der eine: „Na endlich in Rente?“ Antwortet der andere: „Jetzt fängt die Arbeit erst richtig an!“

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Der Übergang zum Nichtstun ist voller Stolperdrähte, Fallgruben und Tretminen. Horror vacui. Es liegt, dass wusste schon Aristoteles, in der Natur des Menschen, der letztlich och nix anderes als ein kleines Stückchen Natur ist, in seiner schlotternden Angst vor der Leere jeden leeren Raum mit irgendetwas füllen zu müssen und ist das Füllmaterial noch so sinnbefreit und / oder extrem gesundheitsschädigend, körperlich wie seelisch. Für sich und gerne auch für das Gegenüber. Horror ruhestandis.

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In Konstanz am Bodensee, wo ich aufwuchs, gab und gibt es die Seestraße. Wie der Name schon sagt eine sehr schöne Promenade entlang des sogenannten Konstanzer Trichters, Blick rüber zum Säntis und eine Wohngegend schon immer der – wie man einstens sagte – Gutsituierten. Die ein oder andere extrem großzügige Wohnung durfte ich über Klassenkameraden auch mal von innen betrachten, inklusive Balkon mit See – und Alpenblick bis Österreich.

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Bevor der sogenannte „shared space“ erfunden wurde, prominierten dort Fußgänger und radelten, dies rücksichtsvoll, obwohl meist Schüler (Wer fuhr in den Sechzigern bis Siebzigern schon Fahrrad als Erwachsener und verkleidete sich auch noch dafür?) Weiße Linien gab es nicht. Man umkurvte einander. Doch manchem Rentner, den inneren Zeigefinger noch am Abzug seines WKII – Sturmgewehrs, passte dies nicht und so landete der schwungvoll ausgetreckte Spazierstock in den Speichen eines Jungradler und der dann in den Rabatten, die die Seestraße schmückten. Nun gut, der Wahrheit die Ehre, mancher Jungspund hatte die Augen im Strassenverkehr nicht wirklich offen, galt es doch die letzte Folge von EWG auszuwerten („Scheiße, ich musste schon um halb neun ins Bett!“ „Echt? Da wurde es doch erst interessant!“) und auch die letzte, erst samstägliche, dann auf Sonntag verlegte, Ausgabe von Bonanza bedurfte genauer Analyse. Und natürlich die Neue in der Parallelklasse. Weshalb ich das hier niedertippe? Letzte Woche als ich meinen Rentenausweis aus dem Briefkasten holte und nachsann, was das jetzt bedeutet RENTNER – Liest sich vorwärts und rückwarts gleich, fiel mir plötzlich auf! – dachte ich an die Seestrasse und gelobte niemals ein solchiger Rentner zu werden. Jedoch man ist nicht davor gefeit. Einige Mitglieder meiner Generation, die einst in den Rabatten lagen, schwingen schon Spazierstöcke durch die Luft. Gerne in Begleitung ihres Schwarzen Hundes. Man muss stets aufpassen sich selbst nicht rechts zu überholen. Und ich legte das Gelübde ab, nur einmal am Tag das kleine böse Wörtchen FRÜHER zu gebrauchen. Besser noch nur einmal pro Woche.

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Seit Tagen habe ich das Gefühl der Schwarze Hund ist bei mir ausgezogen. Aber auch dies ist völliger Blödsinn. Mit dem Schwarzen Hund ist’s wie mit dem Krieg: Er schläft nur. Tut aber trotzdem gut die Pause.

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(Gießen, 8. September 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Zehn Finger ergeben noch keine Hände

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Packe den zeigefinger ein

Verpacke den zeigefinger

Unter die obhut deines daumens

Morgen vielleicht deine faust

Toitoitoi

Drücke ihn dich mich wen auch

Immer aber

Ohne zeigefinger verpassen wir zwar manche abzweigung

Verfahren uns

Eben noch dachte ich

An jene tage

Des trippelns und trappelns

Etlicher finger

Und daß man auch mit gitarren trommeln

Kann man das

Wenn man es will

Mann kann

Auch ohne zeigefinger

Jedoch seltener

Der seele ein opfer

Opfern wir

Drei tage nur

Drei stunden

Drei minuten

Drei sekunden

Lang

Ein leben

Lang

So kurz

Soul Sacrifice

Viele Finger

Tausend hände

Ein dein mein rhythmus

Echo

Erinnerung

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(Gießen / 28. August 2022 / Für M.)

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Wo ist die Zeit? / Von den braven Bürgerkindern und ihrer sentimental ungebrochenen Liebe zur Arbeiterklasse

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Irgendwo in Leipzig / 21. August 2010

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Wir lieben es aus wohlbeheizten räumen

Das gute alte proletariat

Wir sehen uns in uns’ren kühnsten träumen

Als helden auf dem ho chi minh du pfad

Das erbe das uns einstens angeboten

Wir schlagen es auch heute noch nicht aus

Und ziehen mit nur leichten schuldgefühlen

Ins frisch verwaiste bett des elternhaus

Wir sangen schrill die ganze internationale

Und kippten berge totgelebter thesen

Als wären wir dabei gewesen

Ins überhitzte meer

Ach putins heer

Es ist halt immer noch’s gerechte

In uns’ren alten töpfen

Und in den müden alten köpfen

Aus dem pferdekopf da kriechen aale

Mit sichel und dem hammer zirkeln weiter wir

Wohltönend über fremden bier

Das inzwischen nicht nur schal

Sondern einfach nur

Die eig’ne dumme qual

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Man ist ja in manchem Verteiler. Wie man da reinkommt? Keine Ahnung oder selber schuld. Manchmal hast du Nachrichten in der Mehlbüchse, da „schlackert“ man mit den Ohren. Schlackern? Gibt es dieses Wort noch? Gestern lud mich der immer noch existierende DDR – Verehrungsklub Gießen ein mit ihnen am 1.9. gegen alle Kriege auf dieser Welt zu demonstrieren. Echt? Vor dreiundachtzig Jahren hat Hitler Polen überfallen. Putin führt selbstredend dieser Tage nur einen Verteidigungskrieg. Mein Gott! So schnell kann ich mich gar nicht mehr schämen, daß ich nicht rot werde, denke ich an die gute alte und vor sich hin modernde Linke, die tot.

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(Gießen / 21.08.2022 / es regnet immer noch nicht)

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Jeder Körper ist schneller als das Hirn

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Wortlose Dramen lesen

Als sprängen totgesagte Fische

Aus den Teichen

Stinkend und

Zuwinkend dem Fragesteller

Ohne Antwort

Zurückgesehnt wie ich bin

Klopft mir der Beat den Blues

Aus dem Herz und wieder ins Organ zurück

Darf es ein bißchen mehr sein

Fragten einst die Wurstwarenverkäuferinnen die Mutter

Und reichten eine Scheibe Lyoner

Über den blankgeputzten Tresen

Der Junge hinterließ seine Fettfinger

Schweigend

Genießend

Auf den eben noch strahlenden Glasscheiben

Fingerspitzen betrommelten sie ungeduldig

Was kann man lesen danach auf den Scheiben

Rätsel vielleicht

Wer den Worten aus dem Weg geht

Vermeidet eine Lüge

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(Gießen / 20. August 2022 / für M.)

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Ohne weitere Worte lange laut reden

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Der Wal wutschwanger

Man umwickelt die Trommelstöcke

Mit Bast Klebebändern Leim

Sie kennen keine Worte

Sie singen nicht

Ohne Umweg aus dem Arm

Ins schwingende Fell geschlagen

Moby Dick aus dem Ozean alter Verwerfungen und Schmerzen

Taucht auf

Auf spielst Du zum Tanz

Ahab wird verlieren müssen

Das Unterbewußte narrst Du nicht

Nutze Dein Holzbein

Dein Takt

Dein klackender Tanz

Alter Mann

Schwitzende Rachestirn

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(Gießen / 19. August 2022 / immer noch kein rechter Regen!)

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Der Schwarze Hund ist ohne Ruh‘ 13

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In den letzten Tagen sprachen wir wenig miteinander, der Schwarze Hund und ich. Mir war sein Zerren und Zuppeln irgendwann eins zu viel geworden. Ich dachte darüber nach ihn Oliver oder Kahni oder gar Titani zu nennen. „Weiter! Immer weiter!“ Nee. Eben nicht. Die ständige Ruhelosigkeit, die Suche nach einem nächsten Kick, der eh nur – meine Güte, ich werde bald 66 – eine laues Lüftlein ist, eine Art von Erinnerungskaraoke. Kann man nicht einfach wie ein in Würde gealterter Grieche sein inneres Komboloi kreisen lassen und aufs Meer schauen? Oder so fürchterlich das auch gelegentlich ist: auf die Lahn gucken und ab und zu reinspucken? Auch Zwangsheimat ist eine Art von Heimat, die zu ertragen und zu akzeptieren dem Seelenfrieden zuträglich ist. Frage nach bei den Flüchtlingen aller Couleur und Herkunft.

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Dachte heute darüber nach, warum Schlagzeuger gerne mal vor den übrigen Bandmitgliedern sterben. Vielleicht hat es damit zu tun, daß sie ihr ganzes Leben lang einen riesigen Sack voll Wut in ihr Instrument geklopft haben, ganzkörperlich. Das mag müde machen. Aber vielleicht befreit es auch und man sagt sich: ok, war gut so. Und Tschüß.

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Also heute nochmal etwas vom bleiernen Zeppelin – Sollte ich den Schwarzen Hund nicht so nennen? – und bei den nächsten Malen oben Schlagzeugsoli. Und die nicht unter 5 Minuten. So trommelt er auf mich ein. Gelegentlich. Der Schwarze und ruhelose Hund. Am steten Schmerz und dem Regen – der leider auszusterben scheint – mag ich dieser Tage nicht mehr riechen. Und so muss ich zu Hause bleiben. Nixe ramble on. Gelle!

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(Gießen, 18. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Wo ist die Zeit? / Wenn jeder Sommer zur Plage wird und so bleibt lediglich Gegenstand einer hirnleeren Hysterie in Sachen vermeintlicher Leichtigkeit

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Ich höre gerne Radio. Aber warum brüllen sie mich alle an dieser Tage, während Vater Rhein sich auf wenige Zentimeter Pegel zurückzieht, die hysterischen Mikrophonbesprecher und legen mir die neuesten, meist dreißig Jahre alten Sommerhits ans überhitzte Herz? Und dann jubeln sich die Werbungssprecherinnen – es sind halt die hochgetunten weiblichen Quietschestimmen – mir entgegen, daß wir jetzt endlich wieder alle feiern dürfen. Mit Billigbier. Tönnieskotletts. Und WAAACKEN! Und man möge endlich wieder die Harley aus der Garage ziehen. Selbst wenn du die nicht besitzt. Aber die Straßen wären trocken. Die Stadt sei ein Fest. Die Stadt nun fest in fremden Hälsen. YEEEAH! Der Oberbürgermeister trippelt erregt vor dem Photoapparat der für Billiggeld arbeitenden Schreibhilfe hin und her und freut sich wie Bolle, daß seine verarmte Gemeinde jetzt wieder leben täten darf.  Sacht er so. Und die Rentner spüren ihre maladen Körper nur noch in chlorgetränkten Bassins. Die Hartgesottenen unter ihnen springen in verseuchte Flüsse. Weil früher auch schon immer Sommer war. Den Sommer nochmal spüren. Jetzt oder früher? Jetzt. Wie früher. Weia!

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Wir brauchten früher jede große Reise

Wir wurden braun auf Kreta und auf Kos

Doch heute sind die Weißen rot Verbrannte

Denn hier wird man die eig’ne Haut schnell los

Ja, früher gab’s noch Regen und den leise

Das Freibad war im Mai geöffnet auf Verdacht

Ich saß bis in die Nacht in meiner Kneipe

Habe über die Verbissenen gelacht

Die als Riesenquallen lagen rum an Stränden

Und jeder Schutzmann ließ die Mütze auf

Und Du, Felix Germania

Du sauf

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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer

Ein Sommer, wie er früher einmal war?

Ja, mit Regenfall von Juni bis September

Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘

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Und wie wir da wir noch permanente Tiefs begrüßten

Die Regenschirmverkäufer waren froh

Da gab es auch mal fünfzehn Grad im Schatten

Und mit Pullover war es uns noch warm

Die Sonne verbarg sich auch mal hinter Wolken

Da brauchte man die Klimaanlage nicht

Das Schaf war einst noch froh, daß es nicht doof war

Wir lebten nicht in Mali sondern hier vor Ort

Wer niemals fror, der machte dann halt FKK

Doch heut‘, heut‘ summen alle Wespen laut im Chor

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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer

Ein Sommer, wie er früher einmal war?

Ja, mit Regenfall von Juni bis September

Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘

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Der Winter war der Reinfall des Jahrhunderts

Nur über tausend Meter gab es Schnee

Mein Milchmann sagt: „Dies‘ Klima hier wen wundert’s“

Denn Schuld daran ist nur die FDP

Ich find‘, das geht ein bisschen arg zu weit

Doch bald ist wieder – Hosianna – Urlaubszeit

Und wer von uns denkt da nicht dauernd dran

Weil wer beschränkt ist halt und auch nicht anders kann

Trotz allem, glaub‘ ich unbeirrt

Dass unser Wetter besser wird

Nur wann und diese Frage geht uns alle an

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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer

Ein Sommer, wie er früher einmal war?

Ja, mit Regenfall von Juni bis September

Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘

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Wäre ich doch in der Lage einen wirksamen Regentanz auf unsere trockenen Böden zu hüpfen!

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Der Schwarze Hund ist unhöflich 12

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Manchmal ist der Schwarze Hund ein recht selbstgerechter Begleiter. Gewiß, es gibt Zeiten, da ist die pure Gegenwart selbst geschätzter und gemochter und gar geliebter Menschen kaum zu ertragen und man schielt ständig nach Möglichkeiten zu fliehen. Ist zum Essen geladen und verabschiedet sich während der Vorspeise. Gerne auch französisch. Das Rumoren in dir hat dir dazu die Genehmigung erteilt. Und du gehst so weit, daß du ein Recht darauf hast, so zu agieren. Selbstredend.

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Manchmal bist du eingeladen und an der Tafel sitzt ein geschätzter, gemochter oder gar geliebter Mensch. Auch er hat den Schwarzen Hund im Nacken sitzen. Aber er bemüht sich. Oder zwingt sich gar. (Auch nicht gescheit!) Zwischen Dessert und Kaffee aber dann steht er auf und geht. Er war erschöpft vom etwas zu langem Durchhalten. Er winkt etwas verhuscht zum kurzen Abschied. Aber er hat gewunken. Und du bist verletzt, empört, manchmal sogar wütend. Von Null auf Tausend. Jetzt schau kurz mal in den Spiegel. Oder doch etwas länger.

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Manchmal ist gar nicht so schlecht dem Schwarzen Hund ein strengeres „Platz“ entgegenzuschleudern. Ohne anschließendes Leckerli.

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Manchmal hat die Oma gesagt – oder war es der Pfarrer? – ich weiß es nicht mehr: “ Geben ist seliger denn Nehmen!“ Werde ich versuchen bei den nächsten Spaziergängen mit dem Schwarzen Hund zu berücksichtigen. Oder bei eventuellen Einladungen!

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(Gießen, 10. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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