„Jeder Mensch ist ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemanden zeigt.“ (Mark Twain)

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Keine Liebesgedichte mehr

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Das Wasser welches die

Badewanne eig’nes Leid

Überlaufen ließ

Hat inzwischen die Kläranlage

Verlassen

Rauscht Richtung Meer

Der Mond zieht sie zu sich

Die letzten losen Worte

Die ich auf einem

Papierschiffchen ausgesetzt

Der Strömung übergeben hatte

Auf der Rückseite des Mondes

Dort fände sie mich

Ich wäre schon mal vorgeflogen

*

Ich drehte an den Rädchen

Meines Empfängers

Signalstörungen der Äther fiept

Ein paar verirrte Funksignale

Hadern mit den Frequenzen

Die Tankanzeige zuckt nervös

Die Landebahn im Dunkeln

Black out

Keine Liebesgedichte mehr

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Alles was ich je losgelassen

Trägt Krallenspuren

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„Das Aufhören ist Teil jeglicher Aufgabe.“ (Leslie Jameson)

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Von der Zuneigung unter den Wölfen

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Wolfsstunde

*

In der Stunde des Wolfes

Wenn im Tiefschlaf das

Ruhelose Gehirn

Archaisches Adrenalin

Durch die Adern schießt

Alte Gefahren erinnernd

Wölfe welche die Dörfer

Umkreisen

Ihre Choräle

Der selbstgewählten Einsamkeit in den

Mond heulend

Greife ich nach meiner

Durchgeladenen Flinte

Stelle mich an

Den Gartenzaun der

Mein dämmerndes Bewußtsein

Einhegt

Und nehme ins Visier

Die Sorgen Nöte die Unbill

Schwarz und weiß

Fauchen sie sich an

Unerbittlich

Schlagen sich die

Krallen in die Haut

Der bleiche Nachtmond wirft

Ihre Schatten bis an das Ende

Meines Horizonts und

Der Schlaf lacht mich aus

Tickende klickende Hülle Haut

Karussell ungebremst

*

Das nahende Dämmern

Des kommenden Tages gewährt

Gnade lindernde und die Wölfe

Trollen sich

Sie köteln ein paar wirre Traumbilder

Milder jedoch

Vor meine Tür

Ich erwache in ein

Warmes Grau hinein

Und schreibe heute von

Den Zwischentönen

Versöhnt bis zur nächsten Nacht

Wolfsstunde

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(Konstanz / Februar 2022)

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Die Lagerräume des eigenen Geistes

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War vor knapp drei Wochen an den Bodensee gefahren. Wollte mir etwas an Ruhe suchen, um Herz, Hirn und Körper zu ein wenig Klarheit – was immer dies auch sein mag – zu verhelfen. Nach weniger als zwei Tagen stürzte ich im vom Regen durchweichten Wald – ein gerüttelt‘ Maß an Dummheit beförderte diesen Fehltritt – und renkte mir äußerst kompliziert mein Handgelenk aus. Ab in den OP, dort wurde ich verdrahtet und seitdem überlagern – meist aushaltbare – körperliche Schmerzen die Verwirrungen der letzten Wochen.

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Nichtsdestotrotz – meist schien die Sonne und verjagte den Hochnebel – lief ich täglich mehrere Stunden, meinen geschienten Arm in einer Schlinge vor mir hertragend, durch die alte Heimat. Von mir weg oder vor mir weg, wer weiß das schon, gelegentlich aber auch hin zu mir. Wer immer ich, frei nach Bob Dylan, auch sein mag dieser Tage.

*

Meine Füße hatten das Kommando übernommen. Sie erinnerten sich für mich und führten mich durch Straßen, Wälder, Hinterhöfe, Anhöhen, welche ich teilweise seit Jahren, ja Jahrzehnten, nicht mehr besucht hatte. Meine Grundschule. Unsere erste Wohnung. Im Wald dahinter der Hügel, wo ich das erste Mal rodelte. Der Schulhof auf dem ich Fahrrad fahren lernte. Das Haus in dem meine erste Freundin wohnte. Sie wohnt da noch immer. Der runtergekommene Hinterhof hinter der Hinteren Sonne, der zur Teestube führte. Von dort zur Bank, wo mir der erste Joint gereicht wurde. Das Ufer am Wasserwerk, wo wir die ersten Nächte am Lagerfeuer durchwachten. Trennungsbänke im Hörlepark. An der Schmugglerbucht. Sonnenhalde, Fürstenberg, Allmannshöhe, Riesenberg. Anhöhen im Stadtgebiet, von denen aus man bei Föhn den Säntis anfassen kann. Das einst so schön behäbige Sierenmoos, entsetzlich zugeparkt – diese Klage sei erlaubt – mit entsetzlich häßlichen Automobilen. St. Katharinen mitten im Wald. Wir fuhren mit dem Leukoplastbomber über Waldwege dorthin. Der Vater ein Bier. Die Kinder eine Bluna. Später Jahrtzehnte des Zerfalls. Nun wieder bewirtschaftet. Irgendwann stand ich bei den Tennisplätzen am Hörnle. Steht der Baum noch, an dem heute vor neunundvierzig Jahren mein Vater aufgegeben hatte?

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Und das Gute an diesen Gängen war, sie waren – endlich? – frei von jeglichen dem Alter geschuldeten Sentimentalitäten. Eher so ein verwundertes „Sieh an! Was so alles geschah!“ Die Reime unten zielten eigentlich woanders hin, las sie heute Morgen und dachte an den heutigen Todestag. Vor dem Fenster in Gießen hörte ich dabei Kraniche schreien. Sie kehren nach Hause zurück. Vor der Zeit?

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Den Lagerräumen des eigenen Geistes entkommen

*

Gestern noch von schwärmerischer

Ungeduld erfüllt eile ich

In den Lagerräumen des

Eigenen Geistes

Von Regal zu Regal

Schichte um sortiere suche

Reiße Aktenordner aus den

Fächern Schubladen Pappkartons

Blättere fluche finde nicht

Auf dem Boden alles ausgebreitet

Die Beweisstücke

Wütend beginne ich zu

Shreddern

Um sogleich den Verlust zu beklagen

Die eine Kladde jedoch

Bleibt mir verborgen

In die ich einstmals notierte

„WARUM DAS GANZE NUR?“

Der Schlüssel stecke nicht

Innen im Schloß so dachte ich

Welche Täuschung!

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(Konstanz – Staad / Ende Januar 2022)

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In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine (Marika Rökk)

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mein arschlochteil besuchte mich heut‘ nacht

gestern nacht traf ich es

mein arschlochteil

gestern nacht sprach ich mit

ihnen

meinen dämonen

streng doch stets gütig

erscheinen wollend

verwies ich sie an ihre

angestammten plätze

ich wußte gar nicht wo die sind

redete ihnen ins gewissen

da ich hoffte sie hätten eines

doch sie grinsten mich an feist

bohrten mir ihre stinkefinger

in die nase

und ließen mich wissen

wer ich denn wäre

der sich erlaube

gefühlen vorschriften zu machen

ich schickte sie in die verbannung

sie lachten

auf einem bein stünde ich

nur noch dann und fiele um ohne sie

wie dumm

und so in ihrer begleitung

könne ich wenigstens noch

vorwärts humpeln

*

als ich in den anbrechenden tag

schritt merke ich wie ich

das eine bein etwas hinter mir

herzog

nach dem zweiten kaffee

begannen wir mit den

friedensverhandlungen

*

(vorgestern)

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Werden müssen, was man flieht – ist es unabwendbar? (Franz Fühmann)

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Der Wahrheit nachsinnen; viel Schmerz (Zitat Georg Trakl)

Ich hatte gedacht unsere Verbindung enger sei sie.

So eng, daß wir in der Lage wären Sieg und Niederlage zu teilen.

Mit diesen Gedanken erwachte ich.

Mir träumte ich läge im Meer,

warm. Das Meer zog sich langsam

zurück. Ebbe und legte

frei gigantische Felsformationen. Scharfkantig,

bewohnt von giftigen Seeigeln.

Noch vor Stunden schwammen und

Tollten wir arglos über diesen

Abgründen. Ich griff nach einem Buch,

um wieder in den Schlaf zu finden,

zu einer Zeit, in der sie

wahrscheinlich erst zu Bett geht.

Ich las von der Versuchung

Bei halben Wahrheiten stehenzubleiben,

daß wir meist jene mißbrauchen,

die uns am meisten lieben,

vom Verlangen sich stets einen

schmalen Ausschlupf offenzuhalten,

um nicht vor der Scham eines Geständnisses

zu kapitulieren, seine „kleinen

ergötzlichen Lügen“ zu hätscheln

und um jeglicher Pein einer

Konsequenz zu entgehen sich den

„angenehmen Irrtum“ zu erlauben,

Kurzum den Qualen und Zumutungen

Einer kompletteren Wahrheit auszuweichen.

Ohnmacht klumpte sich zusammen in mir.

Der Schlaf rannte davon mit wedeldem Arm‘.

Ich versuchte ihm zu folgen in sinnloser Raserei,

sprang auf, eilte ins Bad und bohrte meine

Faust in den Spiegel.

Splitter für Splitter zog ich aus

Meiner blutenden Hand das

Reine Lamm, welches sie war in mir.

Ein Geschirrtuch befleckt mit geronnen Blut

umwickelt meine Erinnerung

und mit zufallenden Lidern

lege ich mich in die dahinschmelzende

Wahrheit Schnee.

„Wir tun uns selber und einander weh.

Aber wir sollten es dann wenigstens ehrlich meinen!“,

rief mir das Buch noch hinterher.

Ich wolle es versuchen, antwortete ich noch.

Aus der Nacht kein Echo.

Wie eine Drohne blickte ich hinab auf das Gewusel Welt

Und es schauderte mich vor der

Kalten, eisklaren, nüchternen

Objektivität, diesem brüllenden Ausdruck

Einer Hoffnungslosigkeit

Dann machte ich mich auf den Weg.

Wohin weiß ich nicht.

Oder nicht mehr.

Vielleicht noch nicht.

Ich lief in die untergehende Sonne.

Ich würde mich erst wieder umdrehen,

wenn ich mir vergeben konnte.

Dann wurde aus dem Westen der Osten

Und ich lief auf sie zu.

Langsam, sehr langsam.

Hinein in ihr Schweigen.

(gießen / im januar 2022)

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„Und das es so gewöhnlich ist, daß man es nur bemerkt, wenn es einen selber trifft, doch dann mitten ins Herz.“ (Franz Fühmann)

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Eine Sprache der Liebe suchend

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eine sprache der liebe

ausufernd

sich selbst genug

eine sprache der liebe fordernd

den eigenen atem abschnürend

eine sprache der liebe

die alles auf eine zahl setzt

die die freiheit fordert

aufzugeben alles

für ein bloßes versprechen

*

hilflos sitzen wir

vor dem eigenen verstummen

den stammelversuchen zu erklären

diese sprache

greifen in die regale und halten

in den händen ratgeber wohlfeile

stellvertretersprache

*

In fremden räumen

die ich mein eigen nannte

saß ich

füllte die luft

mit meinem verlangen

das ich hatte gesammelt

in jener fremde

die ich niemals wieder fand

tanzend um die eigene achse

derwisch

*

papierschiffchen gefaltet

die lippen gespitzt

der föhn fällt knarzend auf den see

die haare kräuseln sich

gegen die wellen

ein zärtliches fingerschnipsen

da lang

hinaus dein kurs

noch winke ich ihm nach

dem schiffchen wohlgesinnt

dann verschwindet es

hinter der erdkrümmung

in den gelben seiten blättere ich

bestattungsunternehmen

liebestod

flache steine flitschen über das wasser

*

(gießen / im januar 2022 / nachts )

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Ein Teil der Heimkehr

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Der pirat ging an land

Fluchend schmiß er sein glasauge

An die wand

Spuckte in sein glas rum

Schnallte sein holzbein ab

Spaltete es mit seinem krummsäbel

Entfachte damit ein herdfeuer

Und kochte im kupferkessel

Offene flamme

Seine alten hoffnungen aus

Verschlang die brühe

Und pisste sie am nächsten morgen

In die schäumende see

Das meer würde er fortan meiden

Das war ihm klar

(gießen / 10. Jan. 2022 / quantum)

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