„Ich glaube, daß wir alle ein Ich haben, einen Charakter, an dem wir nichts ändern können (außer Lügen darüber zu verbreiten)“

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Ich schrieb unten schon von Rückkehr. Die Rückkehr von einer Reise in eine Gegend, von deren Existenz man nichts mehr ahnte, man diese Ländereien auch nie mehr betreten wollte. Die Reise war eine schmerzhafte, aber sie hinterließ einiges an Worten.

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für oder über / wer weiß das schon

gib mir meine kugeln zurück

sie haben dich zu boden gestreckt

gib mir meine kugeln zurück

ich will es nicht gewesen sein

ich weise die schuld von mir

gib mir meine kugeln zurück

der lauf ist noch warm

aus dem ich schoß

der lauf der auf dich gerichtet

war

gib mir meine kugeln zurück

da ich zu feige bin gegen mich

zu richten

das gewehr

gib mir meine kugeln zurück

und du wirst aufstehen und

grinsend an mir vorbei

schreiten

in jenes vergangene leben

welches uns entglitt

gib mir meine kugeln zurück

gott spielen wollte ich nicht

wenn dann gott sein

gib mir meine kugeln zurück

und ich werde mein gewehr

niederlegen dort an der biegung

des flußes wo ich mein herz

vergrub vor langer zeit

die erde darüber bepflanzen

mit rankendem gestrüpp

duftend

von bienenschwärmen umsummt

gib mir meine kugeln zurück

und ich sterbe an deiner statt

(Im ICE nach HH am 28.12.21)

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Als ich dies schrieb im Speisewagen, viel zu frühen Wein trinkend, schien draußen, irgendwo zwischen Göttingen und Hannover, die Sonne und es regnete gleichzeitig. Las heute morgen bei Richard Ford in seinem vor allem für ältere Herren sehr empfehlenswerten Buch „Frank“, daß ein solches Wetter bedeutete, daß der Teufel gerade seine Frau schlage. Soweit ich mich erinnere, gab es keinen das Unheil auflösenden Regenbogen. Die Überschrift ist ebenso ein Zitat aus jenem Buch, welches ich, wieder zu Hause, mit Erkenntnisfreude lese.

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Kälte, Nebel; geliebter Norden / Anfangen? Oder: Aufhören? (Franz Fühmann)

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Obige Worte sind die letzten von Franz Fühmanns Reisetagebuch „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“. Eine Reise zu einem Schriftstellerkongreß in Ungarn, die zu einer Reflexion wird, geführt in faszinierender Offenheit, eine Reflexion über das eigene Schaffen und Wirken, eine Reise in die finstere Ursprünge der beiden deutschen Staaten, die aber nie mit dem Zeigefinger auf andere weist, sondern immer die eigene Verstrickung, die eigene Schuld sucht und dann auch sehr schmerzhaft findet.

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Franz Fühmann wäre heute 100 Jahre geworden. Ein Dichter, der mir immer wichtig war. Ich hatte in diesem Blog schon darüber geschrieben.

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Hier einige wunderbare Beiträge anläßlich seines Geburtstages auf den Seiten von mdr Kultur. Ich empfehle wie der Autor selbst aus den „22 Tagen“ liest. Und das Märchen auch.

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Seinen Grabstein oben fotographierte ich an einem gnadenlos heißen Julitag im Sommer 2014 und hinterließ einen Zweig.

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„Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie!“ (Herbert Achternbusch)

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Rückkehr in meinen Blog. War lange weg. War ziemlich weg. War weit weg. Langsam kehre ich zurück. Davon später mehr. Jetzt – das häuft sich ja mit der Sterberei in letzter Zeit – der Tod als Anlaß des Wiedereinstiegs. Herbert Achterbusch ist verstorben.

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Das war eine Art von Erweckungserlebnis, als ich mit einem guten Freund – weiß nicht mehr genau wer es war – im größten Kino von Konschtanz 1977 oder so „Die Atlantikschwimmer“ von Herbert Achternbusch anschaute. Nicht nur wegen obigen Spruchs, den man inzwischen sogar auf Kaffeebechern und T – Shirts lesen darf, leider meist ohne das kleine Wörtchen „zwar“. Kurz darauf schaffte ich mir die ersten drei Bände der gesammelten Werke von Herbert Achternbusch an. Gab es damals bei Bertelsmann. War Deutschland gar mal eine Kulturnation?

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So kündet der Autor und Regisseur und Darsteller den Film im Inhaltsverzeichnis (!!!) von Band 3 an:

Die Atlantikschwimmer

Zwei Freunde sind allgemein lebensmüde. Sie trösten sich im Tierpark, sie trösten sich im Gasthaus. Da geht es um Liebe, Macht und Geld. Als Heinz das Gewehr auf die Brust gesetzt wird, fällt ihm das Kaufhaus Mixvix ein, daß mit 100000 Mark Schwimmer und Nichtschwimmer zur Atlantiküberquerung lockt. Herbert, Bademeister, bringt seinem Freund, der Briefträger ist, das Schwimmen bei. Eine Schwimmlehrerin schaltet sich ein, die eine große Ähnlichkeit mit Herberts verstorbener Mutter hat. Als sie bei Heinz‘ Atlantikstart Herbert darauf aufmerksam macht (sie trägt ein Kleid seiner Mutter), daß er einen zweiten Schuh seiner Mutter nie mehr finden wird, dreht er durch, wird aus Muttersehnsucht Atlantikschwimmer und gibt von nun an seltsame Gedichtchen von sich, die auf Gartenerlebnisse mit der Mutter verweisen. Atlantikschwimmer werden immer zuerst in einem Binnengewässer zu Wasser gelassen. Sie stoßen auf den Angler Alois, der Heinz von früher kennt. Er hat eine mannigfache Klopapierproduktion, gewinnt Heinz zum Mitarbeiter, seine Rollen mit Herberts Gedichtchen attraktiver zu machen. Herbert, dem Wasser entzogen, zieht jetzt selber die Mutterkleider an und dichtet sich in einen Unsterblichkeitswahn. Er soll im Ausland getestet werden, auf Teneriffa. Er überlebt den Sprung aus einem fahrenden Auto, will aber von diesen beiden Freunden nicht mehr wissen und strebt dem Atlantik zu, findet einen betrunkenen Verehrer, den er zur Nachahmung ermuntert: „Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie!“ und schwimmt hinaus. Das letzte Bild: in der Wasserwüste sein kleiner Kopf.

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Ein sehr schönes Zitat noch von Achternbusch: „Die Zärtlichkeit muß so groß sein wie ein Elefant, sonst nehme ich sie gar nicht an!“ Und nun auf zur Querung des Atlantiks.

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Auch Musik ist eine Pause / kein Zitat

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Weiß jetzt gar nicht, welche Art von Tränen über dieses Konzert zu vergießen wären. Sind es Sentimentalitäten, die sich als Schmerzen tarnen wollen oder eine Art von Scham, die man altersbedingt unter den Erinnerungen an die alten, ach so wilden Tänze abheftet? Da hält der Richards die Hand vom Mick. Nach „It`s only Rock’n‘ Roll“. Dann zelebrieren sie „Tumbling Dice“. Meine erste Stones – Single. Nix begriffen damals. „Frauen denken sie schmecken nach was, aber sie wollen mich nur vernichten.“ Was ein wunderbarer Blödsinn. Und dann lese ich – Spiegel oder war es doch die BILD? / Who tells the difference? – daß Niedecken auf seinem ersten und bis zum letzten Auto immer die Zunge der Steine am Heck kleben hatte.  Was wollen sagen alte graue Mann zu uns? Mit 78 hüpfen wie ein beflügelter Rammler übers Parkett? Ich weiß es nicht. Jedoch: Spotify ist nicht die Alternative. Nee. Bestimmt nicht. Und eigentlich wollte ich nur nochmal kurz an diesen wunderbaren Trommler denken. Da bricht man gerne ein Schweigeversprechen. Watts the Fuck?

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Mit lieben Grüßen an die Kollegen, die immer noch verzweifelt versuchen Band 3 des Kapitals zu Ende zu schustern. Oder war es doch der Faust? Oder lediglich ein weiterer selbstverliebter Jupp Eichendorff? Vielleicht ist das Prinzip der Knitternasen da oben gar kein so schlechtes. Ähem, ist Ronny Wood eigentlich nicht der Jüngste im Verbund? Haarfärbemittel verbieten!

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Auch die Pause gehört zur Musik / Zitat

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Hier kehrt nun wieder Ruhe ein. (Zitat oben ist von Stefan Zweig entliehen.) Nicht das mir nichts mehr einfiele, eher im Gegenteil, aber gelegentlich sollte man die Füße länger stillhalten im Öffentlichen und in der Stube still sitzen, nun da der Herbst usw und sofort.

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Hauptgrund aber, das erste Mal nach knapp zwei Jahren – damals die Gundermann – Premiere und meine letzte Arbeit am örtlichen Theaterbau – werde ich wieder in meinem Hauptberuf als Regisseur arbeiten dürfen. Zwei Arbeiten oben an der Förde bis kurz vor Weihnachten. Endlich ans Meer und mal wieder länger absteigen von mittelhessischen Karussellen.

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Ob es noch geht? Die Vorbereitungen fallen mir dieser Tage sehr schwer. Die Selbstverständlichkeiten alter Tage scheinen perdu. Und nichts ist mir unangenehmer als ständige Wiederbekäung meiner selbst. Vermeiden lässt es sich dennoch sehr schwer. Dies sollte aber vermieden werden. Nun denn!

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Also dann bis nächstes Jahr!

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PS: Eine kleine Tastenruhe erspart mir auch Kommentare zu bevorstehenden Wahlergebnissen. Jedoch: in der Hinterhand lauert hinterhältig mein Freund Archibald Mahler plus Gefährte. Wohlsein! Stößchen! Und Gesundheit auch!

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Ein kleines Überbrückungslied!

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Vom Lachen des windlosen Drachens oder dem Ruhen ohne die Bedeutung

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Drachen können selten lachen

Müssen’s halt die and’ren machen

Wenn Professor Ohnewind

Keine Luft unter den Schwingen

Will weiter seine Lieder singen

Weil die doch so wichtig sind

Wie er meint und weiter greint

Doch noch ist er warm der Sand

Es murmelt leise an den Strand

Die See mal schwer und grau

An manchen Tagen dennoch blau

So bleibe liegen

Von den Siegen

Nicht mehr träume

Sondern räume

Ein das Ende des Bedeutens

Die Tage werden schneller kurz

Nicht mehr die Zeit des Häutens

Man lebt als Flatulenz

So erspart man sich den schlechten Reim

Auf den eig’nen Gang hinab

Gräber leicht zu finden

Doch oben in den Winden

Sie segelt noch

Die Schnur

An der wir hingen stets und

Niemals abgenabelt

Blast, Bälger, blast

Die Nüstern bläht

Bald ist’s zu spät

Drum lache

Drache

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Nachbarskindern lauschen oder von der pfeilschnellen Überwindung des Turbokapitalismus und der Hoffnung

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Ich hatte schon mal Anfang Juni von den lieben Tobenden auf dem Nachbarsgrundstück geschrieben. Vor ein paar Tagen saß ich wieder unten im Hinterhof im milden Septembersommer, trank billigen Wein, wie stets ein bisserl zu viel davon. Also und nicht nur aber deshalb lauschte ich grinsend dem Getöse jenseits des Zaunes und war ordentlich erfreut.

„Die Bayern sind Scheiße!“

„Das stimmt überhaupt nicht!“

„Die Bayern sind Scheiße. Die sind so was von Kacke!“

„Die haben 5:0 gewonnen!“

„Das ist es doch!“

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Die Kinder, die da drüben kicken, sind so plus minus 7 oder 10, die meisten Migranten und auch noch Mädels. Das volle Programm also. Sie geben sich gegenseitig Namen. Aishe ist Thomas Müller, Samra ist Lewandowski, Alia ist Marco Reus und Bassam ist ein Schiedsrichterwesen namens Steinhaus.

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Wir kickten einst auf dem Acker, auf einer Lichtung im Wald neben dem Friedhof, wo der Vater liegt, selten auf einem gepflegten Rasen. Ich war Emma. Der, der mich umsenste, nannte sich Horst Höttges und natürlich war da noch ein Franz, der uns alle nass machte. Der hieß Gernot. In echt.

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Die Lütten da drüben tun es immer noch. Den rollenden Ball in Rollen rollen lassen. Sind sie lauter als wir damals? Hoffentlich. Es wächst also was nach an Hoffnung. Frühkindliche Erkenntnisse arbeiten an der Überwindung des Turbokapitalismus. Ätsch! Oder vielleicht doch nicht ganz so unbedingt?

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Gestern kam meine liebste Gattin vom Wäscheaufhängen hoch und berichtete von folgendem Kurzdialog. Wieder zwei der wilden Mädels.

„Du willst immer nur Geld. An Weihnachten. Zum Geburtstag. Immer!“

„Ja und?“

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Die meine, glückliche und verwöhnte Generation fordert von den Nachfolgenden den Verzicht. Nach intensiver Lebensnutzung. Schon strange. Ich weiß immer noch nicht was ich wählen werde. Ich werde versuchen eine Entscheidung jenseits meines Bauchnabels zu finden. Aber die sind schwer in Ordnung da drüben. Die Mädels jenseits des Zaunes.

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Ein dreifaches Halleluja sei gesungen auf die Kraft der deutschen Jugend

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Die Sprache ist die, die man schreibt. So war das mal gewesen. Vielleicht. Die Sprache ist die, die man spricht. Teils, teils ist’s noch so. Eventuell. Die Sprache dieser Tage scheint die zu sein, die einem um die hilflosen Ohren und Augen gehauen wird. Gewiß. Es sei denn, man meidet öffentliche Plätze, verschrottet die Glotze, versenkt das Radio im nächst erreichbaren Gewässer. Leider sollte man auch etliche Printmedien – vor der Lektüre – nur noch zum Gemüse einwickeln nutzen. Tschüß FRAZ. Hallo FAZ.

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Gut, ein schön polarisierendes Duell Habeck versus Söder mag so nicht stattfinden. Lieber mögen sich alle in der Kuhle namens Mitte wohlig gestresst rumwälzen. So haben wir nun drei – wer hat da eigentlich das Copyright (Ricola natürlich, Du Sirch. Gruezi, dä Säzzer!) – TRIELLE. Oder Trielli? Wurst oder Salsiccia! Schlimm genug das schon. Samstagabend aber, in irgendeinem der komplett sinnfrei gewordenen – ich schau trotzdem – Strafräume der Liga stiegen zwei Undercutler nach einem Eckball hoch und ein Dritter rumpelte, wie die Faust des kleinen Boatengs ins Gesicht seiner Ex, in die sich in der Luft befindliche Zweiertruppe. Der Kommentator – die achtundvierzigste Kopie des mich schon damals nervenden Marcelo Überreif – schrie, die Hand am eigenen Glied, das neue Wort in meine Lautsprecher: ein Kopfballtriell! Ich wiederhole: DAS KOPFBALLTRIELL! Da wir, blöd wie wir sind, unsere Glotze eben auf Internetgucken aufgerüstet haben, steht der Empfänger immer noch gegenüber von unserem Sofa und schwimmt nicht lahnabwärts.

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1965 oder so mein erstes Spiel für den 1. FC Wollmatingen als Halbrechter. WM – System hieß das damals. Oben der Platz des Gegners. Getuntes Photo von diesem Sommer. Kunstrasen jetzt. Damals war das noch Ascheplatz. Ich war sehr engagiert und schoß gleich im ersten Spiel – 2:2 – den Ausgleich. Nach dem Spiel pickte meine Mutter dem Buben mit der Pinzette die Kiesel aus den Knien und Jod drauf. Ein schöner Schmerz ist das nach so einem wichtigen Tor. Wenige Hütten sollten folgen. Fünf Spiele später der Trainer: „Lugerth, Du bisch ein Schatte von Deinem Selbscht!“ Der erste Gegner hieß DJK Konstanz. Erst heute habe ich mal geguckelt, was DJK eigentlich heißt. Deutsche Jugendkraft. Weia. Deutsche Jugendkraft. Halleluja. Hät mr au wisse könne solle. Gegeüber vum Kickacker war‘s Kolpingheim. Ein Unentschieden gegen die Kirche erzielte ich also. Isch au heut noch so.

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Zurück zum Driell. Der Gute, die Böse, der Häßliche? Die Gute, der Böse, der Häßliche? Der Gute, der Böse, die Häßliche? Ich werde Eli Wallach wählen. Der gräbt wenigstens die Leiche der Mutti aus. Wenn auch unter Druck.

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