„Somebody is out there beating on a dead horse!“ (Bob Dylan)

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Toreinfahrt Schloß Büdingen / 11. Oktober 2024

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Ausgeweidete Hirsche erschießen

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Hirsch heißt ein Mann

Mein Vater witzelte

Nun Sohn sprich diese Worte schnell

Er kitzelte

Sekundenlang lang mein kleines Hirn

So dunkel und dann hell

Die Hand schlug staunend vor die Stirn

Die eigne

Ein Wort ist nicht dasselbe Wort

Fort mein Sohn

Nun bin ich fort

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Zähl die Enden einer Seite

Und addier‘ zusammen sie

So benennt man dieses Vieh

Viel größer als ein Achtzehnender

Wird er leider nie

Doch wir hängen sie erledigt

Aufgebrochen

Schon lang‘ nicht mehr am Tod gerochen

An die kahlen Wände

Aufschub uns’rem eig’nen Ende

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Man dekoriert die alten Sagen

Mit ängstlich hochgeklapptem Kragen

Schießt den Kirschkern auf des Hirsches Schädel

Und erntet Jahre später

Vom Schädelbaum

Man glaubt es kaum

Seinen längst entträumten Traum

Und backe backe Kuchen

Bleib uns nichts als Fluchen

Ein Weidmanns Heil

Die Kirsche fern

Man hätt‘ so gern

Man hätt‘ so gern

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Hatten wir die Ehre

Entladen wir die Maulgewehre

Lassen tote Pferde ungetreten

Gib mir nur soviel

Daß ich kann beten

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(gießen heute / morgen nach nürnberg / den meister gucken / ein letztes Mal?)

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„Am Schluß noch die Frage: Macht nun der Mensch die Zeit oder die Zeit den Menschen?“ (Caspar David Friedrich)

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Kiel / Förde / Mitte September 2021

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Messer und Macheten, Drohnen und tätige Opfer. Ewige Opfer. Vor allem die Täter. Keiner jedoch hat gehandelt. Das Lärmen über den Lärm gelegentlich lauter als die üblichen Beeinträchtigungen. Die Länge eines Messers wochenlang Thema im Land der „depressiven Duldungsstarre“. Danke SZ für diese Wortschöpfung. Dieser schreckliche Keim wühlt auch in mir. Synapsenstupor. Wie alt sind die Wunden? Wie alt das Land? Wie alt meine Runden, die ich in diesem Land drehte? Wie hinfällig die Brücken zu mir selbst? Meine Frau sagt mir, ich mache mich älter als ich sei. Ich antworte, wenn ich meine berufsjugendlichen Alterskohorten sehe und höre, sei mir dies ein tiefes Bedürfnis. Welche Tat ist ein Opfer, welches Opfer eine Untat? Noch immer und immer mehr fällt es mir schwer und schwerer mich auf eine Seite zu schlagen. Der eine ausgestreckte Zeigefinger löst meist den nächsten ab. Welches Denken macht dich so sicher? Lande dann immer mal wieder beim Franz, dem Woyzeck.

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Woyzeck – Waldweg am Teich. II (Szene 24.)

Nacht. Woyzeck (kommt herangewankt.)

Das Messer? — Wo ist das Messer? — Ich habs da gelassen. — Näher, noch näher. — Mir graut’s — Da regt sich was. Still! — Alles still und todt. — Mörder! Mörder! Ha! da ruft’s. Nein — ich selbst. (stößt auf die Leiche.) Marie! Marie! Was hast du für eine rothe Schnur um den Hals? Hast dir das rothe Halsband verdient, wie die Ohr-Ringlein, mit deiner Sünde! Was hängen dir die schwarzen Haare so wild —?! — Mörder! — Mörder! — Sie werden nach mir suchen. Das Messer verräth mich! Da, da ist’s — — Leute! — — fort!

(Am Teich.)

So! da hinunter! (wirft das Messer hinein.) Es taucht ins dunkle Wasser wie ein Stein. Aber der Mond verräth mich — der Mond ist blutig. Will denn die ganze Welt es ausplaudern?! — Das Messer, es liegt zu weit vorn, sie findens beim Baden oder wenn sie nach Muscheln tauchen. (geht in den Teich hinein.) Ich find’s nicht. Aber ich muß mich waschen. Ich bin blutig. Da ein Fleck — und noch einer. Weh! weh! ich wasche mich mit Blut — das Wasser ist Blut … Blut … (ertrinkt.)

(Es kommen Leute.)

Erster Bürger. Halt!

Zweiter Bürger. Hörst du? Dort!

Erster Bürger. Jesus! das war ein Ton.

Zweiter Bürger. Es ist das Wasser im Teich. Das Wasser ruft. Es ist schon lange Niemand ertrunken. Komm — es ist nicht gut zu hören.

Erster Bürger. Das stöhnt — als stürbe ein Mensch. Hans! da ertrinkt Jemand.

Zweiter Bürger. Unheimlich! Der Mond roth und die Nebel grau. Hörst? — jetzt wieder das Aechzen.

Erster Bürger. Stiller, — jetzt ganz still. Komm! komm schnell. (eilen der Stadt zu.)

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(Georg Büchner)

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1979 war ich ein paar Wochen in den USA auf einer Schauspielschule. Obige Szene sprach ich dort vor. Die Bürger auch. Auf Englisch. The Knife. The Knife. Blood. Blood. The moon is red, the fog is grey. Silence! Später dann spielte ich in Münster den Doktor. Woooyyyzeck? Hat er an die Wand gepisst? Nochmal später spielte eine große Liebe von mir die Marie. Wiesbaden. Ich arbeitslos, sie im Nachprobenbett mit dem Franz-Darsteller. Und ich inszenierte dann gar nicht sooo viele Jahre später das Stück in der JVA Butzbach. Mit Tätern. Opfern? Ein Höhepunkt meines Berufslebens. Wo fängt etwas an, was nie enden wird. Oder darf?

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Saß eben im Cafe, welches ich eigentlich meiden will und sollte. Zeitungen lesen halt. Am Nebentisch junge Menschen. Sie sind es gewohnt laut zu sprechen. Wir hätten gern das Frühstück Sowieso drei. Können wir dies ohne das und dies und jenes haben? Dafür aber mit? Denke an Wähler. Könnten wir noch ein Brötchen mit Demokratie haben? Aber bitte ohne selles und jenes und überhaupt! Greife erschreckt an meinen Gürtel. Da hängt mein Messer. Das Opinel für die letzten Tomaten, die ich heute Morgen geerntet hatte. Waffenverbotszonen einrichten wir müssen. Die Köpfe jedoch davon freihalten. G’tt ist eh stets mit sich selbst beschäftigt. Draußen wird es wieder etwas wärmer. Im Osten fällt noch mehr Regen. Der nicht einfach so an uns vorbeifließen wird.

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„Ich weiss nicht, wer ich bin. Aber das Leben ist zum Lernen da.“ (J. Mitchell)

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3. Mai 2024 / Schauenburg / Hinten Hotel und Mietwagen / Nachts kam ein Marder vorbei

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Da ich vorüber ging

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Die Milch sei ausgetrunken

Ist die Milch doch verschüttet aber

Die Euter sind noch leere Lappen baumelnd

Am Strassenrand aufgereiht stehen alte Kannen

Passanten nickend daran vorüber gehen

Und den eigenen Erzählungen

Lauschend ohne etwas zu hören

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Wenn ich am anderen Ufer werde sein

Dies verspreche ich dir

Lass uns einen letzten Witz erzählen

Du musst nicht lachen

Wenn du mir lauschen kannst

Falls ich zuhöre

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Mich durch die Nächte wälzend erinnerte ich

Welcher ich nicht wurde

Hatte ich die Milch verschüttet

Hatte ich die Milch getrunken

Ist was bleibt der Milchbart

Ewiglicher

Heute keine Milch mehr

Heute keine Milch

Heute kein Morgen

Morgen aber

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(gießen / heute / juni 2024)

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„Wer am Ende ist, kann von vorn anfangen, denn das Ende ist der Anfang von der anderen Seite.“ (Karl Valentin)

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Vor einer Woche war meine Nacht in Recklinghausen. Ich hatte es angedeutet im letzten Beitrag. Das ‚Weia‘ hindert mich immer noch, davon zu berichten. Einer alten Liebe pisst man nicht so einfach ans Bein. Gehört sich nicht. Aber trotzdem …

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Jetzt also mal wieder ein bisserl was Sinnbefreites zum Thema Pöhlen, obwohl etliche G’scheitle wie ich dahinter Botschaften vermuten. Und die sind da auch die Hoffnungen. Voran also ge(s)türmt ohne ein ‚Weia.‘

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Ich habe keine Lieblingsmannschaft. Meine diversen Sympathien machten es mir nicht einfacher, da ich mir es mir sowieso stets schwerer machte. Ich bin einer, der mal dort, wo er eine Zeit lang war, gerne emotional ein bisserl länger – gerne zu lange – hängen bleibt. Daraus ergibt sich meine persönliche Bundesligatabelle. Dieses Jahr, warum auch immer, waren sehr viele alte Weggefährten – wie gendere ich jetzt noch korrekt? – dabei.

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Mainz rettet sich. Magdeburg rettet sich. Und Wiesbaden geht in die Relegation. Als Wiesbaden und ich aus Köln in Mainz zusammenzogen, war Mainz kurz darauf dem Abstieg geweiht. Es war ein Rosenmontag voller Schmerzen. Aber Kloppo wurde an jenem Tag als Trainer installiert. Oft war ich danach am Bruchweg. Wiesbaden allerdings floh nach Frankfurt. Ich nach Gießen. Schlimm genug.

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Nach und mit Münster wollte ich damals zusammenziehen mit Köln und gemeinsam arbeiten. Nachdem ich in Düsseldorf gelandet war und sie aber in der Schweiz floh. Als regelmäßiger Stadiongast beim FC Kölle und – vor allem – der Fortuna in der Südstadt – war die längste Altbiertheke der Welt Höchststrafe für mich. Und wenn die jetzt aufsteigen? Mit Bochum wohnte ich lange zusammen in Köln. Und in Tübingen. Aber da spielt Keiner nicht Fußball. Dort dichtet und denkt nach. Fest für Bochum.

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Ich war frisch mit Hamburg verheiratet – Pauli orientiert – und arbeitete sogleich in Rostock im Jahr des ersten Aufstiegs. Pauli folgte nach. Die Ehe war eine sehr kurze Zeit. Pauli oben auch. Jetzt sind sie wieder oben und die zweite Ehe hält. Rostock steigt ab in Dämlichkeit.

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Damals als Köln noch Köln war, stand ich mit Hamburg vor einer Bühne in Köln. Bizarre – Festival. Die ‚Vollen Hosen‘ aus Oldbeertown waren Anheizer für Iggy Pop. Nachmittags hatte der FC Kölle die Düsseldorfer ordentlich nach Hause geschickt. ‚Campelchen‘ rief zwischen jedem Song ins Publikum: „Kein Wort zum Spiel!“ Das Publikum johlte die Berufsjugendlichen in mehrere falsche Akkordwechsel. Campelchen wie immer witzisch, als hätte er damals schon Kloppo als Stiefvater im Portfolio. Man war froh als Iggy Pop die Bühne erstürmte. Heute isses andersheröm. Wird Poldi der nächste Präsident? Klaus Allofs habe ich stets verehrt. Vor allem in Köln-Weidenpesch. Seine Pferde liefen gut. Ich setzte drauf. Wenn ich sage Bremen interressiert mich nicht, riskiere ich die Scheidung.

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Ich habe Münster wegen Hamburg verlassen. Riesenfehler. Den ich vor ein paar Jahren fast wiederholt hätte. Obwohl Gießen von der Bundesliga so weit entfernt ist wie von Städteplanung, Bescheidenheit und dem Versuch sich nicht ein Leben lang als berufsjugendlich zu definieren. Preußen Münster macht einen Durchmarsch. Hamburg eins kackt ab.

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So bleibt Leverkusen. Davon schrieb ich schon und von dem nächtlichen Kreuz. Das nächtliche Kreuz leuchtet mir immer noch. Von innen nach außen und wieder zurück. Und Christian Streich verehre ich nit immer. Er lässt sich gerne feiern. Und dann sagt er, alle täten ihn feiern tun und sell isch au ihm nit recht. Eitler Sack scho au ä bissle. So isch der Badener halt.

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Christian Streich bewundere ich aber au sehr. Die fürchterliche Eitelkeit von der Bescheidenheit zwickt halt. Die einen lindern sie öffentlich g’scheit ab, and’re könne des nit. Der Chrischtian, der kann’s. Der Tuchel muß des noch lerne. Der Jogi hätt des nie halt nie g’konnt. 

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Ich war mein Leben lang ein Schauspieler oder Regisseur, der zwischen zweiter und dritter Liga pendelte. Ein oder anderhalb Mal roch ich die Socken der ersten Liga, die in einer frei gewordenen Kabine noch rumlagen. Reichte mir. Aufstieg. Abstieg. Ebenen. Inszenierungen satteln. Den Schuster anrufen. Nur überzeugte Kamele schaffen es durch die Wüste Gobi.

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Jetzt Leverkusen. Weiter. Weiter. Und weiter, wie Olli K. einst ausatmete. Am nächsten Samstag kann Groß-Gießen aufsteigen und am Tag danach Klein-Gießen die Liga halten. Do simmer dabei. Man ist nicht umsonst verheiratet.

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Und dann auch noch die Kieler Störche. Meine letzte überdrehte Aufstiegshoffnung. Geht doch. Aber nur beie Pöhlerei. Nächste Saison tanzen alte Gespenster den nächsten Ringelpiez. Glück auf. Oben. Unten. Und dann noch die alten Recken Kroos und Hummels im letzten Gefecht. Schlußpfiffe bleiben vorläufig.

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Nach dem Aufstieg ist vor dem Abstieg

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Nach einem Gewitter nahe der Landungsbrücken zu Hamburg / September 2021

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Natürlich habe ich mich gefreut, daß erst Kiel und dann Pauli aufgestiegen sind. Das Hoch im Norden, wie man so rumboulevardt. Und der HSV? Keine Schadenfreude. Unten ein alter sehr sentimentaler Text in Sachen Abstieg.

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Gespräch zweier Mondknoten an einem vielleicht sogar warmen Tag in Hamburg

oder

Es lebe die Unendlichkeit, die mal lebte

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Jahre später saßen sich beide wieder gegenüber. In jenem Café von einst.

Sie, kaum gealtert, lebte allein mit einer neuen Katze in ihrer alten Wohnung.

Er ging am Stock. Das Leben ist nun mal Abnutzung.

„Meinst Du nicht, daß man die Fenster mal wieder putzen sollte?“, fragte er sein Gegenüber.

„Damit die wieder eingetreten werden. Nee! Es lohnt sich nicht!“, antwortete sie und goß sich ein Glas Sekt ein.

Er nippte an seinem Yogatee mit Hafermilch. „Ich könnte Dir auch nicht mehr helfen. Die Hüfte. Du weißt ja!“

„Bist Du alleine?“ Sie brauchte etwas länger, dies zu fragen.

„Ja. Seit wir das letzte Mal die Fenster putzten!“ Sein Kopf nickte vor sich hin. Wackeldackel. „Ja. Seitdem bin ich alleine.“

„Aber ich dachte, also ihr wohnt doch noch zusammen, also dachte ich.“

„Du hast mich gefragt, ob ich alleine bin und nicht wie ich wohne!“

Vor dem Fenster des Cafés zog ein Schar Pauli–Anhänger vorbei. Trauriger Haufen. St Pauli war nach zwei Spielzeiten wieder aus der Liga abgestiegen.

„Und Du? Also?“, fragte er dann. Er brauchte sehr lange dafür. Sie nutzte die Zeit einen zweiten Sekt zu öffnen.

„Na ja. Verheiratet. Zwei Kinder!“

„Du?“

„Hallo! Tu nicht so als seist Du blöde!“

„Kannst Du mir bitte einen Pastis machen?“

„Hattest Du nicht gesagt, Du trinkst nicht mehr?“

„Eigentlich schon, aber wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt darin um!“

Ach ja, sie war inzwischen Besitzerin des Cafés und hatte sich von ihrem eigentlichen Beruf abgewandt. Und er war – schwer fällt es mir dieses Wort in die Tastatur zu klopfen – er war inzwischen Rentner und arbeitete gelegentlich in einem Bioladen und verkaufte sein selbst angebautes Gemüse.

Als sie ihm den Pastis servierte mit der Bemerkung „Aber ich will nicht daran schuld gewesen sein! Gelle, mon ami!“, da schmunzelte er.

„Ja so kenn ich Dich. Merci Cherie!“

„Fuck off!“

„Und ich dachte schon Du willst nichts mehr mit mir zu tun haben!“

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(Im Norden / Januar 2022)

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„Wenn das Herz denken könnte, stünde es still!“ (aus Sophokles / König Ödipus)

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März 2012 / Nordzypern / Oberhalb von Tatlisu / Kaputtes Kreuz vor zerstörter Kirche lehnt sich an

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Gelegentlich

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Gelegentlich mal sind wir schlauer

Gelegentlich ertragen wir die Schauer

So wütend sie auch seien

Üben wenn es geht Verzeihen

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Gelegentlich klagt man moralversauert

Da Leben stets zu lange dauert

Weil es verzichtet letzte Hoffnung zu gießen

Aber nicht auf das Elfmeterschießen

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Mit altem Freund bei frühen Promillen

Man spricht erst über seine neuesten Pillen

Bevor man sich zum Thema schleicht

Das Halbfinale wär´ erreicht

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Das Herz ein wilder Lügenwicht

Das wollt‘ ich doch und krieg es nicht

Man denkt und hadert durch die Nacht

Zeus Buddha Jahwe es wird gelacht

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Zu Hause wartet das Geschirr

Die Spüle zwinkert zu nur mir

Die Hände feucht das Wasser schäumt

Gelegentlich wird nichts versäumt

Gelegentlich

Ich deck‘ den Tisch

Und denk an Dich

Gelegentlich

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(gießen heute / lob gelegentlich auch mal alten verwirrungen / selbst wenn die einen großen sinnlosen haufen geld kosteten und vielleicht noch tun es / bvb im halbfinale / nicht schlecht / fußball macht mal wieder freude dieser tage / das erste gemüse wird angezüchtet / mal zu kalt / mal zu warm / aprilleben rules ok)

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„Ich guck einfach so lange in den Spiegel, bis ich mir mein Leben glaube!“ (Alexander Scheer in Gundermann)

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München / Juni 2016 / Foto: A. Haas

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Lebensflüsse

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Meine Wege waren oft meine Marotten

Keine Wege jedoch und keine Straßen mit Ziel

An deren Rändern lediglich den Daumen rausgestreckt

Und eingestiegen die Wegweiser nicht lesend

Selten wahrgenommen das Gesicht der Piloten

Bewegung nur Bewegung einfordernd

Den Pistolenlauf Vergangenheit im Rücken

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Hastig Genossin haben wir versucht

Den Genuss

Die Strassen rollten unter unseren Füßen rückwärts

Auf der Suche nach dem Ufer des nächsten Flusses

Um dort zu verweilen

Und der Bewegung zuzusehen

Die uns durch die Finger rinnt

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So viel

So wenig

Nie genug

Strudelte das Wasser ins Meer

Die verheißungsvollen Strassen blieben uns

Sanduhren niemals umgedreht

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(gießen heute / kalter wind bricht das genick des absurden vorsommers der letzten tage / morgen dann nochmal der verschwundene text von gestern)

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„Das gehört dann wohl zum Leben dazu!“ (Sagte Wolfgang Schäuble zu seinem Verleger 2 Tage vor seinem Tod)

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„Altes Haus“ / Sami / Kefalonia / Juni 2023

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Du bist es (Rio Reiser)

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Du bist der Sturm, der Drang, die Enge

Der Donner und die letzte Flut

Du bist der Neid, der Suff, die Menge

Das Wunder und das ruhige Blut

Du bist das Meer, der Wind, die Stille

Die Trauer und mein Untergang

Du bist der Schmerz, das Herz, der Wille

Das Ende und sein Neuanfang

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Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

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Du bist die Angst, die Scham, die Reue

Der Jammer und die nackte Not

Du bist der Hass, die Wut, die Treue

Die Sterne und das Morgenrot

Du bist der Zorn, der Stolz, das Ende

Der Hammer und der Schlag ans Kinn

Du bist der Tritt, der Spaß, die Hände

Das Reden und sein Widersinn

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Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

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Du bist die Sucht, der Müll, die Tonne

Die Hölle und der Pferdefuß

Du bist die Nacht, das Eis, die Sonne

Die Rose und der Abschiedskuss

Du bist der Geist, das Fleisch, das Schlaue

Der Teufel und das ewige Licht

Du bist das Nichts, die Schrift, das Blaue

Der Engel und das As, das sticht

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Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter

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(vor kurzem wegen zweier sehr schöner radioreportagen wieder an meister rio erinnert worden / mit und ohne scherben / mein alter genosse der gesinnung und mancher selbstverbrennung / war meine erfüllendste arbeit / maßlose dezenz / dezente maßlosigkeit / gerne mal durch die wand)

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