“Wir haben schlicht keine Zeit!” (Julian Nagelsmann / Deutscher Übungsleiter)

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Międzyzdroje/ Ostseeküste / Polen / 5. August 2012

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Wieviele Bücherschränke braucht ein Mensch? Wie sollte man die Bücherschränke aufstellen? Falls man über den Luxus verfügt in einer Wohnung zu wohnen, in welcher Bücherschränke überhaupt Platz finden! Darf man Büchern gegenüber Liebe zeigen? Oder sollte man gerade diesen Büchern, die man gerne selber einstens geschrieben hätte, ein gerüttelt‘ Maß an Zweifel gegenüberstellen? Ist es sinnvoll Bücher mehrfach zu lesen? Oder erfüllt das den Tatbestand der von G’tt beklagten Missetat des biblischen Onan? Ist es nicht das Buch welches ich lesen sollte, welches mein durch sogenannte Vorgängerbücher einbetoniertes Weltbild nicht nur in Frage stellt, sondern gar erschüttert? Verschüttet gar? Wie ambivalent sollte ein Bücherschrank werden wollen können? Ist es sinnvoll sich dem eigenen Bücherschrank in fremden Schuhen zu nähern und sich die Frage zu stellen, was das wohl für ein wohlfeiler Depp sein könnte, der diesen eitlen Schrein errichtet hat? Ich weiß es nicht, jedoch: in dubio pro dubium.

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Ich bin gerade dieser Tage sehr froh einen Menschen Freund nennen zu können – ich hatte ihn ab und an hier schon erwähnt – der mich immer wieder mit Buchgeschenken beglückt, die hier oder dorthin oder ganz woanders hin führen. Froh bin ich auch – Attenzione: Eigenlob! – über eine von den Genen oder G’tt oder – wohl eher nicht – Sozialisation errungenen Eigenschaft zu verfügen: naive und vorurteilsfreie Begeisterungsfähigkeit.

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“Man kann nicht einfach mal locker nach Deutschland fahren. So wie zum Beispiel nach Monaco, Portugal oder nach Ungarn. Nach Deutschland fahren, das ist Psychoanalyse.” Schreibt Andrzej Stasiuk in seinem Büchlein “Dojczland!”. Von den Lesereisen eines Polen durch Neumerkelland. Der Blick von außen tut mir, gefangen hinter den geschlossenen Hirnfenstern Germaniens, gerade dieser Tage gut. Auslöser dieses Buch zu kaufen war eine Kolumnensammlung des Autors, was das ursprüngliche Geschenk des Freundes gewesen war. Die Beskiden könnte ich mir als Heimat erträumen.

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Kurzes Zitat noch: “Im Stillen sagte ich mir: Die Schweiz ist zu schade für mich, wenn dein Herz in der DDR geblieben ist. Und gab mir im Stillen recht.” Von der Schweiz – wie einst Brecht nach dem Ende des Krieges – kommend, las Stasiuk in Konstanz. Wollte. Blieb ein Versuch. Ich denke im Bürgersaal, so wie er den Ort beschreibt. Er hatte keine Zuhörer, außer die Veranstalter. Eine Buchhändlerin. Ja, da kam ich zur Welt. Im Lande der Interessefreien.

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Immer wieder wundere ich mich darüber, daß meine Alterskohorte den fremden Freund sucht auf den Kapverden, in Memphis / Tennessee oder vor oder hinter Matala und gerne auch zwischen Lavendelfeldern den Pastis gurgelnd. Oder halt in Bogota. Wo doch die nahe Verwandschaft woanders hockt und zu sehen wäre, wenn man den Kopf gen Sonnenaufgang dreht. Da hängen wahrscheinlich zu viele Spiegel. Schmeißt die Gläser an die Wand.

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Ich werde der Tage ein zusätzliches Bücherregal kaufen. Sortiere dann um. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Und vice versa. Die Buchrücken schauen sich an. Nicht Aug’ in Aug’. Sondern Arsch zu Arsch. Wie stellt man seine Bücherregale auf? Danach? Oder noch später? Dann gehe ich nachts ins Nebenzimmer. Und reiße, erwacht von den mürben Gedanken, die Tür zum Bücherzimmer auf. Überraschung! Wer mit wem?

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Taugen die Übungsanleiter von Kickern eigentlich zum Philosophentum?

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“Zurück an die Arbeit!” (Patti Smith)

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Quellhöhle und Schmetterling / Aachtopf / Aach / 20. September 2024 (Foto: A. Haas)

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“Es gibt Zeiten in unserem Leben, in denen wir uns zurückziehen müssen, nicht um uns zu verstecken, sondern um uns selbst zu heilen. Das ist keine Rhetorik. Das ist ein Plan. Ich habe heute Morgen mit meinen Kindern angefangen und dann langsam mit Freunden. Fühlt euch nicht in die Ecke gedrängt, eingeengt. Lasst nicht zu, dass euer Geist und euer Herz von anderen bestimmt werden. Bewegt euch, so gut ihr könnt, durch die Welt um euch herum und lebt in einer Welt eurer eigenen Welt. Das habe ich heute geschrieben. Zurück an die Arbeit.”

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Nach den letzten zwei Tagen. Eben in der SZ davon gelesen und jetzt hier gesehen. Danke! Dem ist nichts hinzufügen als ruhige und stille Arbeit.

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“You know something is happening but you don’t know what it is!“ (Bob Dylan)

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Sonnenaufgang über Rantum / Sylt / 7. November 2018

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Als hätte die vorgestrige Nacht nicht ausgereicht, gestern Abend dieser neverending Brennpunkt. Berlin statt Arizona. Was das alles bedeutet? Geschichte wiederholt sich? May be. Aber stets in Variationen und also nicht vorhersagbar. Das Ende des Diktats der politischen Kindergärtnerinnen? Abgesägte Zeigefinger? Die Rückkehr der doch eigentlich so abwesenden bösen Väter? An ihrer Seite kalte Mütter? Vorbei das alte Rautenglück. Wir schafften es eben nicht. Who the fuck ist WIR? Wo ist Nancy? Jetzt aber Glorioses ante Portas da drüben? Bald bei uns? Der Schwarze Fels aus dem Sauerland als Retter? Oder das endgültige Ende? So gegen 13:37h oder was früher bis später? Der trotzige Hamburger. Der Dreiprozenttrickser. Das strahlende Orangengesicht da drüben. Viele beleidigte Flunsche. Sattes Grinsen auf der anderen Seite des gefluteten Grabens. Warum nur sieht keiner meine Grandiosität? Was hat der, was ich nicht habe? Als knirscht es auf dieser Seite des Ozeans zwischen den abgeriebenen Zähnen. Binsen?

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“Ich habe am Wannsee Rosen gepflückt und weiß nicht mehr, wem ich sie schenken soll!”, steht auf einer Gedenktafel am Alten Wohnhaus des Jakob van Hoddis in Berlin-Mitte, die mich vor Jahren schon erfreut stutzen ließ. Oder war es die gute alte rote Nelke, die er pflückte? Trockenblumen nur?

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Auf dem Asphalt vom Panzer Donald platt gefahrene Tauben. In ihren zermatschten Eingeweiden puhlen die Auguren linkerhand. Hüten wir uns vor der Illusion am Morgen eines langen Tages zur Nacht zu wissen, wie und wo wir ins Bett sinken werden. Das wird kein Fest. Soviel scheint gewiß.

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“Fröhlichen Weltuntergang noch!” (Gießener Klimaaktivisten beim Verlassen des Gerichtssaals nach Verurteilung)

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Strand / Rantum / Sylt / 6. November 2018

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Weltende

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Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,

In allen Lüften hallt es wie Geschrei.

Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei

Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen

An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.

Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

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(Jakob van Hoddis / 1911)

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Und nun? Schuld reklamieren oder Verantwortung übernehmen? Es bleibt anstrengend diffus. Zusätzlich noch die heutige Nacht. Aber vorwärts und nicht vergessen: den eigenen Geldbeutel feste festhalten! Gelle Mensch!

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„Ich hoffe bloß, ich lerne jemanden kennen, der mich so liebt, wie ich sein möchte!“ (Sven Glückspilz zu Hägar)

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Fahrweg / Ehemalige Grenze zwischen der DDR und Tschechien / Juni 2020

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Das ist ein Nachruf. Sentimental. Früher und von dem noch früherem Früher schreibend. Voller nebliger – oder sagt man nebulöser ? – Erinnerungen. Inklusive noch heute spürbar entspannter Kopfschmerzen.

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Las gestern die Todesanzeige von Carmelo Parise, dem unvergessenen Padrone des Burghof zu Gießen. Auf dem Weg ins Trübe fallen links und rechts tagtäglich die alten Haltepunkte, Anker und Kurzzeitheimaten in den Orkus. Unvermeidlich. Nicht darüber jammern. Davon erzählen.

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2001 kam ich nach Gießen. Eine fürchterlich zermürbende Trennung zwischen Köln, Mainz und Wiesbaden war der Anlaß. Ich saß in Mainz in einem Nachtlokal mit dem designierten Schauspielchef des hiesigen Stadttheaters. Getränke. Viele. Willst Du mit nach Gießen? Kann ich mit nach Gießen? Weiß nicht mehr. Was tun? Ich stieg kurz darauf hier aus dem Zug, gespaltenes Herzelein, sprach noch was vor, pro forma und ging dann in den Wienerwald ein paar Häuser weiter! Verträge wurden gemacht. Wochen später saß ich Rotz und Wasser heulend im Botanischen Garten. Pures Entsetzen in solch einem auf mehreren Ebenen wüst verwüsteten Ort landen zu müssen. Ich rief die Gegangene an und brüllte entgrenzt ins besoffene Telefon: „Du bist schuld, daß ich jetzt ein Hesse bin!“ Dann machte ich über Jahre hinweg meinen Frieden. Gelang mir gar. Gelegentlich.

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Der Friedensstifter der ersten Stunden und Monate war der Burghof. Endlich Probenende. Nur die Schulstrasse, in der ich eben auch eine Wohnung bezogen hatte, überqueren. Buena sera. Und dann bis drei Uhr morgens gerne. Auch wenn um 10 Uhr am nächsten Morgen die Probebühne rief. War nicht weiter schlimm, da meist das halbe bis vollständige Ensemble plus Regie, Chef und anderen Abteilungen zugegen war. Hart im Nehmen gegen sich selbst. Wüste Diskussionen. Herrlich sinnfreie Dispute. Beleidigte Bühnenwürste. Pathos. Tränen. Ich reise ab. Ganz schlechte Witze. Die letzte Schnapsrunde des ältesten Kollegen. Pflichtprogramm. Padrone Parise aus den Rippen geleiert. Donna Filomena senkte dann den Daumen. Ich weiß, sentimentaler Scheiß, war aber ab und an so. Genauso.

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Eines der ersten Erlebnisse. Jener 11. September. Eine Abendprobe ist komplett unmöglich. Geschlossen in den Burghof. Unter Schock. Wir arbeiteten an einer Komödie. Der Regisseur, von dem ich einiges für meine späteren Arbeiten übernommen hatte, sagte unvergessen: „Wie kann man in solchen Zeiten Komödien inszenieren?“ Oder ein anderer Lehrmeister und Regisseur der ersten Tage unterbrach – starker Raucher – die Probe. „Ach! Wir hauen uns doch nur Binsen um die Ohren! Wechseln wir die Straßenseite!“ Das konnte dann schon auch mal 12 Uhr mittags gewesen sein. Manchmal gelang es dann sogar gar im sanften Tagesdrümmeln einen Ausweg aus einer festgefahrenen Probensituation zu finden. Das alte (weiße?) Erinnerungsrauschen. Ich weiß. Aber frei von den unnötigen Seminaren.

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Es gab damals die sogenannte Feierpolizei. Ein, zwei Kollegen an vorderster Front waren meist dabei und der damalige Schauspielchef. Gelegentlich griff mich doch die Verantwortung oder die Textmenge des nächsten Tages am Schlafittchen und man stand früher auf vom Tisch oder mied gar die Überquerung der Straße. Heute nur mal! Prompt darauf: „Aha! Man schwächelt!“ Ab und an standen nach Toresschluss ein paar Hartgesottene unter meinem Balkon in der Schulstrasse. „Lugi? Ab ins Domizil!“

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Epilog. Ich mochte das Gießen von vor 23 Jahren, obwohl anfangs recht verzweifelt, lieber. Viel lieber. Weniger Schminke. Weniger Großmann- und Großfrausucht. Leerer. Einsamer. Mehr eigenen Charakter besitzend. Keine Events. Dafür Begegnungen. Und am Sonntag die leeren Strassen. Dann blätterte ich die Seiten vor der Todesanzeige um. Lese Zeitungen gerne von hinten her. Aha? Ein Professor der THM – eine Zeitlang mein Nachbar – will Gießen beleben. Da gehe doch noch was. Ja wo laufen sie denn? Weia!

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Mille Grazie Carmelo Parise! Sincere condoglianze, cara Donna Filomena!

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„Männer mit weißer Hautfarbe sind Geister von Toten, die ihr Ende nicht finden, leben nicht mehr und sind noch nicht tot.“ (Thomas Brasch / Kargo)

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Im Zug / Fensterblick / Zwischen Leipzig und Hoyerswerda / Das Wo ist vergessen / Juni ’23

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Am 3. November 2001, vor 23 durch die Zeitachse davon gejagten Jahren, starb Thomas Brasch. Auf vielfältige Art und in vielen Zusammenhängen mir eine aufploppende Projektionsfläche und Identifikationsfigur.

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„Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber

wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber

die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber

die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber

wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber

wo ich sterbe, da will ich nicht hin:

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“

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(Thomas Brasch / Kargo. 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu entkommen)

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Im Sommer 1980 hat mir meine damalige Geliebte dieses Buch geschenkt. Mit gereimter Widmung. Wo ist das Buch? Ich habe es – glaube ich – im Rahmen meiner Arbeit an der „Tankstelle für Verlierer“ – irgendwohin verliehen. Manches kehrt nie mehr zurück. Ich erinnere mich, wie ich mich durch diesen wilden Wust versuchte durchzulesen. Viel begriff ich nicht. Was ich aber begriff: wie wuchtig die Heimatlosigkeit, das Atmen ohne Wurzeln, die verlassen, das blinde Tasten namens Wut in diesen Texten. Damals befremdete mich das. Inzwischen ist es Bestandteil meiner Sicht auf das Außen. Obiges Gedicht war Motto meiner Gundermann–Arbeit.

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„Wieviele sind wir eigentlich noch.

Der dort an der Kreuzung stand,

war das nicht von uns einer.

Jetzt trägt er eine Brille ohne Rand.

Wir hätten ihn fast nicht erkannt.

Wieviele sind wir eigentlich noch

War das nicht der mit der Jimi-Hendrix-Schallplatte.

Jetzt soll er Ingenieur sein.

Jetzt trägt er einen Anzug und Krawatte.

Wir sind die Aufgeregten. Er ist der Satte.

Wer sind wir eigentlich noch.

Wollen wir gehen. Was wollen wir finden.

Welchen Namen hat dieses Loch,

in dem wir, einer nach dem andern, verschwinden.“

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(Brasch / DDR-Lyrikreihe Poesiealbum)

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Kurz nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 verschob sich auch Brasch mit seiner Geliebten Katharina Thalbach in den Westen. Ließ sich auf eigenen Antrag hin verschieben. Wer bereut was und wann? Das Wortungetüm namens Ausreiseantrag. 1980, eben in Köln auf der Schauspielschule angefangen, sah ich im Schauspiel Köln Flimms Inszenierung des „Käthchen von Heilbronn“. Die junge Thalbach eine Explosion der Darstellungskunst. Tief beeindruckt. Damals verstummte Brasch eine längere Zeit lang, zumindest öffentlich, und besoff und bedröhnte sich, wenig beeindruckt vom „Versprechen West“. Der Grenzgang, das Faszinosum Euphorie, war mir nie fremd gewesen. Früher noch mit etwas mehr Glitzern versehen. Heute gelegentlich erschreckend banal mit dem eigenen Untergang jonglierend. Nie vergessen werde ich den Schluß des Theaterabend zu Kölle. Die Rückwand der Bühne öffnete sich, man sieht die nächtliche Krebsgasse. Kalt zieht und sieht es in den Zuschauerraum hinein. Draußen stehen die Schauspieler und glotzen zurück. Ein Poem von Brasch?

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„Und wenn wir nicht am Leben sind

dann sterben wir noch heute.

Die Liebe stirbt, du lebst, mein Kind

Die Mädchen werden Bräute

Ach, wenn ihr mich gestorben habt,

lebt ihr mich weiter heute,

gemeinsam wird ein Land begrabt

und einsam sind die Leute.“

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(Brasch / Gedichtsammlung: Die nennen es Schrei)

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Der ewige Riß. Laut oder leise. Wie einst der Vorhang im Tempel zu Jerusalem. Die Welten werden weiterhin Pharisäer beheimaten, denen eine gezielte Beerdigung ihres Landes am Schrumpelhirn vorbeigeht. Man setzt lieber fremdes Eigentum am Roulettetisch namens Leben denn den eigenen Arsch. Brasch ging, wie man heute so gerne schwafelt „All in“. Das mochte ich stets und mag es noch, wissend um die Risiken. Und sie auch gerne negierend. Wissend negieren? Geht das? Vor den Vätern sterbend als Sohn, der man ewig bleiben muß, wenn kein Vater? Dann Gott? Anderer Vater?

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„DAS FÜRCHTEN NICHT UND NICHT DAS WÜNSCHEN

darf mir abhanden kommen, auch mein täglich sterben nicht

das seellos süchtig sein auf keinen fall

nur hirnlos reimen wie ein wicht muß beendet werden

da ist ein gott und setzt sich zwischen alle stühle

er sieht genauso aus wie ich mich fühle“

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(Brasch kurz vor seinem Tod 2001)

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Und nun welches Lied? Ich kann nicht begründen warum, glaube aber es passt. Verdammt. Neat übersetzt: sauber. War auch einmal ein höchschtes Lob. „Und wie isches? Sauber!“ Beachten Sie den Bassisten links im Bild!

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„Gehen und atmen und es fertigbringen, daß du dein Leben aushalten kannst.“ (Peter Kurzeck)

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Hellas / Kreta / Matala / Ex-Strand / 11. September 2009 / Das Datum ist nicht von der KI erstellt

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Von der Ohnmacht in den Fluchtkorridoren

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Aber jetzt dann und bald

Werden wir eine Seite umschlagen

Müssen werden

Ruft die Kandidatin von der Bühne

Während sich in den Fluchtkorridoren drängeln

Die Augenränder

Blassgrau untermalt und kein Geschwätz macht sie satt

Die sichere Seite ihrer Konten lange schon geleert

Und begehrt

Die Bücher mit zwei Seiten

Eine wird meist herausgerissen

Medaillen ohne Revers

Aber die Sonne scheint bei Tag und Nacht

Eviva Espana

Wer die Wahl hat

Wählt die Qual

Und nennt sie dann Bequemlichkeit

Früher rollte es und rollte und rollte und rollte

Versprochen hey Alter isch schwör

Und wir glaubten das Leben bleibe ein Duracell-Hase

Rasender Stillstand plus Teilhabe bis in alle Ewigkeit

Zeternd wahlweise Oh Vater Ach Mutter

Ohne rechte Not

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Einatmen ausatmen gehen

Welch Luxus dies noch zu dürfen dürfen

Ohne nasse Füße

Oder verbranntem Haupt

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(gießen nachts / nachdenken über die nächste woche da drüben über dem ozean / mich erinnernd an die nacht der heiligen drei könige im jahre 2021 / noch nicht mal entsetzt / fassungslos eher / mentaler stupor damals / morgen vielleicht über den verkehrsversuch gießen 2023 / warum denn in die ferne schweifen?)

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„Ali, boma ye! Ali, töte ihn!“ (Zaire`74)

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Brunnenfigur/ Zwinger / Dresden / 30. Oktober 2009

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Ich schlafe schlecht dieser Tage aka Nächte. Eigentlich schon länger, aber eben gerade besonders. Vor 50 Jahren schlief ich auch nicht. Aber freiwillig. The Rumble in the Jungle. Aus dem Schlaf geholt nicht mehr von meinem seit einem Jahr nicht mehr existenten Vater, sondern von einem profanen Wecker. Den man aufziehen mußte und der nicht klingelte, sondern schrillte. In den 60ern und bevor Cassius Marcellus Clay, der spätere Ali, aus dem Verkehr gezogen wurde vom ach so demokratischen Amerika, hatte mein Vater mich verlässlich geweckt, wenn die stechende Biene tanzte und wir saßen mit schweren Augenlidern vor der frisch erstandenen Glotze und im Flimmern und Rieseln konnte man stets sehen wie der Meister permanent seine Gegner mit Trashtalk zutextete und dann auf die Bretter schickte. Mir, dem Buben von einst, gefiel das und gefällt mir noch immer.

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Îch weiß nicht mehr, wo ich den Kampf sah. Ich hatte ein Zimmerchen unter dem Dach über der neuen Wohnung meiner Mutter. Ich glaube, ich durfte runterschleichen und ohne Ton gucken. An was ich mich erinnere ist, daß der Held meiner Kindheit ständig in den Seilen hing, Foreman auf ihn einprügelte und er zurückwippte, die Fäuste ständig vor dem Gesicht. Ich war, wieder mit den schweren Augenlidern, enttäuscht, war doch der Plan und mein Wunsch, Vietnam eben amifrei geworden, daß der alte Champion die von außen verwüstete Erbfolge wieder hinbiegt. Quatsch: Rache wollte ich sehen! Hau dem Opportunisten einen auf die Zwölf! Und das mit den Seilen? Rope a Dope. Der Bahn-Babo aus Frankfurt: „Das Leben ist manchmal ein Spagat, mal ist es leicht, mal ist es hart, doch bist du biegsam wie der Baum der im Wind, kein Lebenssturm dich je bezwingt.“ Es hat funktioniert. Die achte Runde. Schlief ich da schon oder erinnere nur noch?

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In diesem Jahre 1974 stand ich etliche Samstage vor der Hermann-Tietz-Kaufhalle in Konstanz und versuchte die KVZ (Kommunistische Volkszeitung), das Zentralorgan des KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) an Hertietüten schleppende kleinere oder größere Bürger zu verkaufen. Ein sogenannter Genosse, dann auch noch so jung, ist halt weisungsgebunden. War nicht so einfach dieser Auftrag. Klar, iss Klischee, aber: „Dich hat man doch vergessen zu vergasen!“ oder „Dann geh halt nach Drüben!“, das durfte ich schon öfters mal hören. Machte aber uns linke Idioten noch ein wenig stolzer. Oder überheblicher? Aber dann gab es aber eine Ausgabe der KVZ, ein paar Wochen vor dem großen Kampf in Zaire, und das Zentralorgan widmete eine ganze Seite inklusive Riesenfoto dem tanzenden Schmetterling und seinen Fäusten. Nie zuvor und nie mehr danach bin ich so viele Exemplare dieser obskuren Gazette losgeworden.

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Darf man Spaß daran finden, daß sich alte schwarze Männer einen aufs Maul hauen und die Bleichgesichter glotzen? Fragen wir Brecht: „Das Erste, was da sein muss, damit ein richtiger Boxer zustande kommt, ist das Herz.“

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PS: Diese Platte welche „uns“ Muhammed Ali zurecht besingend feiert – Remember die zittrigen Arme damals in Atlanta! – darf man sich gerne kaufen dürfen. Ich glaube meine Schwester hat die mir damals geschenkt.