Warum meine eigenen Finger mir in den Rachen stecken
Maßlose Träume zu erbrechen
Keine fremden Figuren nachtanzend mehr
Wenn der Ball ins Tor springt
Werde ich unbändig bleiben wollen
Und sei es nur den einen kurzen heißen Winter lang
Schneeschippend
Meine Hemden bügelnd und
Die Zeitungen zurückgefaltet
Als seien sie ungelesen
Hatte ich mit kalten Fingerspitzen
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(es vermischen sich gießen heute und sommer 1990 sowie winter 2021 / der beste aller torbejubler unten, der nur einen sommer lang flog / ab in den süden)
Tupperware pleite. Die Party sei vorüber. Diese Party, während der man in trauter Runde beschloß, dieses und jenes was im Laufe der Zeit zu stinken beginnt, in geruchsdichte Plastikbehälter zu tuppern. Oder dieses und jenes, vom dem man sich nicht trennen kann, dasselbe angedeihen zu lassen.
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Irgendwann begann es. Mütter. Schwiegermütter. Gattinnen. Geliebte. Ein jede mit diesen Plastikteilen in der Hand. Viele von diesen Teilen in ihren liebenden Händen. Farblich aufdringlich. Ich dachte stets, wäre ich Lebensmittel, da drin wollte ich nicht übernachten und alt werden. Habe gerne heimlich so ein paar dieser Objekte entsorgt, doch dann grinsten am nächsten Tag mich schon wieder drei neue Teile im hoffnungslos überfüllten Kühlschrank an. Manchmal ist man chancenlos.
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Die gute alte Party ist eh schon lange vorbei. Nicht jedoch die Sehnsucht danach. Was gestern war, habe ich zwar nicht vergessen, aber in der Tupperware, im Kühlschrank kann es noch ein paar Wochen vor sich hin warten. In sich eingeschlossen. Auf Wiedervorlage hoffend. Und wenn ich das Geraffel dann doch noch wegschmeissen sollte, habe ich den verschimmelnden Erinnerungen zumindest eine letzte Chance gegeben. Die schwäbische Hausfrau in uns allen lebt.
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Das Tor von Rahn. Die Mondlandung. Woodstock. Mehr Demokratie wagen. Stammheim. Birne. Die Mauerspechte. Es gibt nur ein Rudi Völler. Der zweite Turm stürzt ein. Hindukusch. Wir schaffen das. Ihre aller Einlagen sind sicher. Das darf man wohl doch noch sagen dürfen. Es ist nur ein kleiner Picks. Die Brandmauern. Von Jericho? Darf man gesichert so nennen müssen.
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Die Tapperwehr und aus den Kühlschränken des Vergessens
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Der Fisch in Zeitungsfetzen stinkt
Der Käse ein Vergleich der hinkt
Liegt neben faulenden Tomaten
Doch wer schreit auf
Sie dürfen raten
Es ist die Pfütze die vergor’ner Quark versendet
Neben dem ein Stückchen Wurst verendet
Das schon vor Wochen ward erstanden
Im Urlaub einst in fernen Landen
Weil da Erinnerung noch glimmte
Selbst wenn kein einz’ger Tag dort stimmte
Überein mit den alten Gesängen
Die müde nun im Kühlschrank hängen
Von Plastik liebevoll umschlossen
Im Gemüsefach noch ein paar Genossen
Die nicht die Tapperwehr am Stinken hindert
Das Kotlett mit dem Müsli tindert
Was währe nun des Reimes Klammer
Die gute alte Speisekammer
Oder lediglich erstehen
Was für heute reicht
Denn übermorgen gibt es nicht
Verzicht auf Vorwärts
Nicht aufs Vergessen
Was auf den Teller kommt
Das wird gegessen
Auf
Auf
Aufbewahren
Nur die wirklich klaren
Ja was?
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(gießen / heute / jetzt wieder sommer / die nächsten tage am bodensee / mal schauen, wie und wo und was man so mitnimmt und später aufbewahren mag)
Erklärtext machen? Schrieb ich ja gestern von. Ok! Weil ja auch Saskia Ricarda Lindner stets die Wahlergebnisse mit dem gesichert durchdachten Floskelsatz „Wir müssen unsere Politik besser erklären!“ erklären, sehe ich mich heute auch in der Lage zu erklären, was hier manchmal so steht und sogar, wenn man es nicht liest, es nicht versteht. In kleinen Dosen jedoch.
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Mangy? Mangy ist Englisch (Ach nee? Gruß vom Säzzer) und wäre zu übersetzen mit räudig oder schäbig oder von der Krätze befallen.
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Der Reim zum gestrigen Tag. Leider bisserl traurig auch. Begegnungen.
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Als wir begannen Straßenseiten zu wechseln in Sackgassen abbiegend
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Mit meiner Angst ich schlendern ging
An einem kühlen Morgen
Der Sinn stand mir nach Einsamkeit
Besingend meine Sorgen
Statt Heiterkeit nur Darmverschluss
Die Backen eingefallen
Der Sensenmann klopft an die Tür
Und ich kann nur noch lallen
Meine Lieder schenk‘ ich noch
Dem eigenen Gehörgang
Weil mir die Welt zum Rätsel ward
Wen darf man da belangen
Das Schwert zu schwingen lernt ich nie
Doch triller gern den Abgesang
Und schlender weiter
Aber tät es gerne heiter
Am liebsten ohne Angst und Bang
Nun denn
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Schon wieder dieses Morgen
Schon wieder neue Sorgen
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Fick die Waldfee
Mein guter Freund
Und atme ein und aus
Das Leben wirft dich
So oder so
Zum Fenster raus
Von jeder deiner Straßenseiten
Zu früh vielleicht
Oder bei Zeiten
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(gießen heute / über den tod und die nicht mögliche vermeidung nachdenkend wie immer / warum bin ich nicht pastor geworden / starke und wärmere winde draußen / die letzten tomaten geerntet / alles gut / das war die binse zum tag)
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Texte und Lieder auf Autobiographisches zu reduzieren? Kann man machen. Meint der Dylan sich selbst, wenn er singt? Zweifel ich mal. Schlendern. Flanieren. Zufälle. Die Bücher nicht zu Ende lesen muss erlaubt bleiben.
Gestern ein überraschendes Treffen von Menschen aus meinen sozialen Umgebungen erlebt. Menschen, die sich nicht alle untereinander kannten und dennoch nach kürzester Zeit seltsame Querverbindungen feststellen durften. Hat meine oft despektierliche Sicht auf Heimat aus den Fugen geruckelt. Heute nachdenken drüber. Morgen mehr. Solange ein Reim.
Messer und Macheten, Drohnen und tätige Opfer. Ewige Opfer. Vor allem die Täter. Keiner jedoch hat gehandelt. Das Lärmen über den Lärm gelegentlich lauter als die üblichen Beeinträchtigungen. Die Länge eines Messers wochenlang Thema im Land der „depressiven Duldungsstarre“. Danke SZ für diese Wortschöpfung. Dieser schreckliche Keim wühlt auch in mir. Synapsenstupor. Wie alt sind die Wunden? Wie alt das Land? Wie alt meine Runden, die ich in diesem Land drehte? Wie hinfällig die Brücken zu mir selbst? Meine Frau sagt mir, ich mache mich älter als ich sei. Ich antworte, wenn ich meine berufsjugendlichen Alterskohorten sehe und höre, sei mir dies ein tiefes Bedürfnis. Welche Tat ist ein Opfer, welches Opfer eine Untat? Noch immer und immer mehr fällt es mir schwer und schwerer mich auf eine Seite zu schlagen. Der eine ausgestreckte Zeigefinger löst meist den nächsten ab. Welches Denken macht dich so sicher? Lande dann immer mal wieder beim Franz, dem Woyzeck.
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Woyzeck – Waldweg am Teich. II (Szene 24.)
Nacht. Woyzeck(kommt herangewankt.)
Das Messer? — Wo ist das Messer? — Ich habs da gelassen. — Näher, noch näher. — Mir graut’s — Da regt sich was. Still! — Alles still und todt. — Mörder! Mörder! Ha! da ruft’s. Nein — ich selbst. (stößt auf die Leiche.) Marie! Marie! Was hast du für eine rothe Schnur um den Hals? Hast dir das rothe Halsband verdient, wie die Ohr-Ringlein, mit deiner Sünde! Was hängen dir die schwarzen Haare so wild —?! — Mörder! — Mörder! — Sie werden nach mir suchen. Das Messer verräth mich! Da, da ist’s — — Leute! — — fort!
(Am Teich.)
So! da hinunter! (wirft das Messer hinein.) Es taucht ins dunkle Wasser wie ein Stein. Aber der Mond verräth mich — der Mond ist blutig. Will denn die ganze Welt es ausplaudern?! — Das Messer, es liegt zu weit vorn, sie findens beim Baden oder wenn sie nach Muscheln tauchen. (geht in den Teich hinein.) Ich find’s nicht. Aber ich muß mich waschen. Ich bin blutig. Da ein Fleck — und noch einer. Weh! weh! ich wasche mich mit Blut — das Wasser ist Blut … Blut … (ertrinkt.)
(Es kommen Leute.)
Erster Bürger. Halt!
Zweiter Bürger. Hörst du? Dort!
Erster Bürger. Jesus! das war ein Ton.
Zweiter Bürger. Es ist das Wasser im Teich. Das Wasser ruft. Es ist schon lange Niemand ertrunken. Komm — es ist nicht gut zu hören.
Erster Bürger. Das stöhnt — als stürbe ein Mensch. Hans! da ertrinkt Jemand.
Zweiter Bürger. Unheimlich! Der Mond roth und die Nebel grau. Hörst? — jetzt wieder das Aechzen.
Erster Bürger. Stiller, — jetzt ganz still. Komm! komm schnell. (eilen der Stadt zu.)
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(Georg Büchner)
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1979 war ich ein paar Wochen in den USA auf einer Schauspielschule. Obige Szene sprach ich dort vor. Die Bürger auch. Auf Englisch. The Knife. The Knife. Blood. Blood. The moon is red, the fog is grey. Silence! Später dann spielte ich in Münster den Doktor. Woooyyyzeck? Hat er an die Wand gepisst? Nochmal später spielte eine große Liebe von mir die Marie. Wiesbaden. Ich arbeitslos, sie im Nachprobenbett mit dem Franz-Darsteller. Und ich inszenierte dann gar nicht sooo viele Jahre später das Stück in der JVA Butzbach. Mit Tätern. Opfern? Ein Höhepunkt meines Berufslebens. Wo fängt etwas an, was nie enden wird. Oder darf?
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Saß eben im Cafe, welches ich eigentlich meiden will und sollte. Zeitungen lesen halt. Am Nebentisch junge Menschen. Sie sind es gewohnt laut zu sprechen. Wir hätten gern das Frühstück Sowieso drei. Können wir dies ohne das und dies und jenes haben? Dafür aber mit? Denke an Wähler. Könnten wir noch ein Brötchen mit Demokratie haben? Aber bitte ohne selles und jenes und überhaupt! Greife erschreckt an meinen Gürtel. Da hängt mein Messer. Das Opinel für die letzten Tomaten, die ich heute Morgen geerntet hatte. Waffenverbotszonen einrichten wir müssen. Die Köpfe jedoch davon freihalten. G’tt ist eh stets mit sich selbst beschäftigt. Draußen wird es wieder etwas wärmer. Im Osten fällt noch mehr Regen. Der nicht einfach so an uns vorbeifließen wird.
Der Zwickauer Daum und der Ulmer Hoeneß waren lange ein Traumpaar gewollt oder inszenierter deutscher Missverständnisse, bevor sie selber davon wussten. Der getriebene Daum zieht sich ab und an ein Näschen rein. Der nicht weniger getriebene Hoeneß verschiebt Millionen, Milliarden. Der dicke Schwoab sägt dem rheinischen Sachsen im entscheidenden Moment das Stuhlbein ab. Wenn sich Alkoholiker über Drogennutzer echauffieren. Tun sie gerne mal. Daum floh gen USA, kehrte dann zurück. Hoeneß saß ein in Bayern und ist auch wieder da inzwischen. Man redet von Versöhnung. Wieviel Feudel braucht man, um all die Krokodilstränen aufzuwischen?
* In den späten 80ern war ich regelmäßig in Müngersdorf zu Gast. Der Tünn. Litti. Icke. Brüder Allofs. Flemming Poulsen. An der Seitenlinie der Irrwisch. Die entscheidenden Niederlagen? Gegen Waldhof Mannheim. Darmstadt. Unterhaching. Roland Wohlfahrt schießt drei Hütten zu Müngersdorf und mir fällt das Kölsch aus der Hand. Wohlfahrt? Wiederhole mich: Wohlfahrt?
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Kein Trainer war so oft ein umjubelter Zweiter. Sogar ob der Schäl Sick von Istanbul. Weit vor Leverkusen. Meine Sympathien? Sind klar verteilt.
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Sobald jemand dem Ulmer in den Vorgarten pinkelt, pinkelte – Not? Verzweiflung? Die Beulen am Kopp nach dem Rennen gegen schwäbische Mauern? Wut? – holte der, lange vor Einführung des Doppelwumms, die Bazooka raus. Die Gewinnenwollenmüsser jubeln dazu. Wie es hieß im alten Süden: „Der hält sich wohl für dä Käß!“ Oder: „Dicken Eiern hinterher zu laufen, macht dir kein Omelett in deine kalte Pfanne.“ Wer hat das gesagt?
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Wir standen gerne in der Südstadt am Zochweg rum und man bejubelte den Daum, der neben dem Dreijestirn schmiss die Kamelle runter. Vielleicht ist das die Qualität des ersten FC Kölle, dat die nie mehr Meister werden. Wollen? Aber die Hoffnung stets fiere donn. Xavi Alonso hat Leverkusen vom ewigen Fluch erlöst. Das durfte der Daum mit ins Grab nehmen. Schön.
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Ceterum censeo: Es ist natürlich vollkommen sinnfrei barfuß über Scherben oder glimmende Kohlen zu gehen. So den Turbokapitalismus überwinden wollen? Weia! Manchmal sollte man dies jedoch versuchen. Da die Not rief! Nun die beste aller Torhymnen. Sinnfrei! Do stonn mr all parat! Kölle Alaaf!
Kann man so sehen. Muss man nicht. Fremd bleibt dem bekennenden Fremden stets auch die Heimat. Spätestens nach jeder Abreise. Der Bahnsteig ist das Zuhause. Rollende Steine. Taumelkraut. Es ist 12 Uhr mittags. Das Fremde kommt zurück um die Heimaterzählung auf der Mainstreet zum Duell aufzufordern. Die Steppenhexen kugeln lachend herum. Ist es wichtig, ob sie von links oder von rechts ins Bild trudeln?
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Heute keine eigenen Worte. Ein Lied – unten der übersetzte Text – des Lieblingssängers einer Seelenheimat. Das einzige Lied, welches Leverkusen im Titel trägt. Falls Xavi Alonso nicht noch ein neues Kapitel schreiben will.
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Die Zeit hat ihre Höhen und Tiefen
Ich weiß auch nicht, wo ich bin
An Stränden, die zum Horizont passen
Oder in einfachen Gesprächen, die verrückt werden
Eine Nacht in Leverkusen
Direkt vor dem Bahnhof
Ich werde mich daran erinnern, wo du es mir gesagt hast
Hey Alter, ich liebe dich
So sehr ich will, verstecke ich mich
Es fällt mir schwer, es zu ertragen
Wie ich vermisse, was ich brauche
Um sich zu zerstreuen und zu schweigen
Eine Nacht in Leverkusen
Direkt vor dem Bahnhof
Ich werde mich daran erinnern, wo du es mir gesagt hast
Zurück nach Leverkusen oder Gießen. Über den Markt von Mires. Hinter Dingelsdorf abbiegen. Lechts oder rinks Richtung Thüringen. Morgen ein zaghafter Monologentwurf: Der Heimatabschaffeler und die Liebesreste.
(gießen / plötzlicher herbsteinbruch / osten? / westen? / jammerwessis? / besserossis? / um mich herum schrillt die welt seit tagen etwas zu laut)
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PS: Gibt es eigentlich ein sprechenderes Bild für den Zustand der deutschen Seelen als die in Dresden eingestürzte Brücke? Das Ufer zu wechseln ist also nur noch unter Lebensgefahr möglich und sowieso nicht mehr erwünscht.