bagatelle sieben

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Las heute Morgen

im Auerhaus tief bewegt

zurückgeschossen wie

der stets gefährdete Protagonist auf die Frage

seines Freundes, dem Erzähler: „Und?“

antwortet: „Ich wollte mich nicht

umbringen. Ich wollte

bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das

ist ein Unterschied.“

Also war er lediglich müde gewesen

der Vater

schrecklich müde zu Beginn jenes fürchterlichen Jahres

als die Schweine Allende in den Tod trieben und

brachen

im Fußballstadion

die Gitarrenhände des Victor Jara

den meisten damals eine Bagatelle

worüber ich weinte um dann zu vertrocknen

lange Jahre

bis eine Liebe mich brach

erwachsen

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PS: Lektion zum Algorithmus und dem eingebauten Zynismus. Ich verlinke ein Lied von Victor Jara, der mit tausenden Anderen im Fußballstadion von Santiago de Chile gefoltert und getötet wurde. Und der Algorithmus von You Tube liest nur Estado, also Fußballstadion und zeigt blöd wie ein Meter Feldweg im folgenden nur Fußballspiele. Ich kotze. Dann schießen mir Tränen in die Augen. Hört das.

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Für obiges Foto danke ich dem Mensch an meiner Seite.

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Und ich suche die ich liebe

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Zeit zu Lesen war ausreichend dieses Jahr. Kein dienstliches Lesenmüssen, kein in irgendeine Richtung sammelndes Lesen, nein, ziellos in der Gegend rumlesen, Zufälle, sich beschenken lassen, sogar ab und zu diese nun allüberall hängenden öffentlichen Büchertauschschränke durchsuchen.

Ein Buch hat mich besonders beglückt, weil es den Nagel auf den Kopf von eben Erlebtem traf: Thilo Krauses „Elbwärts“. Ich las eine Besprechung und dachte ja und her damit. Im Juni, als wir nach dem ersten Schließrunter wieder die Nase in etwas weiter entfernte Luft stecken durften, hatten wir eine Woche Urlaub in einer Ferienwohnung im Erzgebirge gebucht, wanderten viel, fuhren in der Gegend rum: Glashütte. Königstein. Bad Schandau. Teplice. Bärenfels. Rechenberg. Usti nad Labem. Mückenberg. Und mehr. Gute Tage, sehr gute Tage. Auch deshalb bestellte ich das Buch.

Ich war eben vom Bodensee zurückgekehrt, ein alter Freund hat mir ein Zimmerchen mit Blick über den See gen Meersburg, separatem Eingang und, wenn gewollt, bestmöglicher Versorgung zur Verfügung gestellt. Ich hatte mir einen Motorroller geliehen, um den Bodanrück zu erfahren. Dummerweise war der Verleiherkerle einer der Chefnichtdenker der Virenleugner / Ortsgruppe KN. Aber des isch ä ganz andre Schtorie. Ich hüpfte jeden Morgen um achte am legendären Hörnle in den See und traf einige alte Weggefährten mit denen ich jene schwerelosen Jahre zwischen Abitur und bis es beruflich ernst wurde verbracht und verfeiert hatte. Nach langer, langer Zeit mal wieder sprachen wir mitenand. Es schrumpfte die Zwischenzeit zu alter Nähe. Gute Tage, sehr gute Tage. Ich versöhnte mich mit der Gegend da unten mit der ich schon ä weng auf Kriegsfuß stand und steh und war fast schon bereit die Heimatliebe in mir aufkeimen zu lassen, als mich wieder die gute alte linke Gerade aus Konschtanz traf, unerwartet diesmal aber wie noch selten. Dies geschah an einem der Tage, als das kürzlich bestellte Buch sich auf dem Postweg befand.

Ich nahm das Buch aus der Hand des Paketwoyzecks entgegen, packte es aus, schlug es auf und las die Widmung: ein Zitat des guten Gundi. Dann den Rest der Geschichte am Stück. Von der ersten Seite an packte mich die karge, poetische Sprache. Ich wußte nicht – die nächste Empfehlung – daß der Autor als Lyriker begonnen hatte. Keine Ausschweifungen, keine Bordüren. Kein lineares Runtererzählen einer Geschichte. Sprünge. Bilder. Assoziationen. Ich konnte die Wälder riechen, die wir im Juni durchwandert hatten. Fein. Und natürlich traf mich die Geschichte über den Versuch einer Heimkehr auf dem oben erwähnten von linker Gerade noch immer blauem Aug‘. Ich habe mich per Mail beim Autor für das Buch bedankt und er hat mir freundlichst geantwortet. Das ist selten und daher schön. Kaufen. Lesen. Und verschenken. Hier ein Gedicht von ihm. Ich hoffe, ich darf das.

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Hinterland

Im Winter sind in den Bäumen

die Nester zu sehen.

Wenn Wärme dampft innen

sehe ich, was ich selbst bin.

Ein Nest Rippen, ein Herz

an dem ich brüte. Wie lange?

Lange.

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Die Nacht trägt das Schweigen im Maul

bringt es von einem Nest ins andere.

Ich bin durch die Zähne der Sprache gerutscht

ringle mich ein, versuche zu schlafen

unter einem riesigen Himmel.

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Aber die Worte, die ich liebe

lassen sich sagen mit der Stimme des Bettlers

mit der Stimme von einem

der über kahler Erde die Hand aufhält

und wartet.

Verbergen

(Thilo Krause)

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Hymne der demokratischen Jugend

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Anhören. Ansehen. Großartig.

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Ballade von den Abenteurern / Bertolt Brecht

Von Sonne krank und ganz von Regen zerfressen
Geraubten Lorbeer im zerrauften Haar
Hat er seine ganze Jugend, nur nicht ihre Träume vergessen
Lange das Dach, nie den Himmel, der drüber war.

O ihr, die ihr aus Himmel und Hölle vertrieben
Ihr Mörder, denen viel Leides geschah
Warum seid ihr nicht im Schoß eurer Mütter geblieben
Wo es stille war und man schlief und man war da?

Er aber sucht noch in absinthenen Meeren
Wenn er schon seine Mutter vergißt
Grinsend und fluchend und zuweilen nicht ohne Zähren
Immer das Land, wo es besser zu leben ist.

Schlendernd durch Höllen und gepeitscht durch Paradiese
Still und grinsend, vergehenden Gesichts
Träumt er gelegentlich von einer kleinen Wiese
Mit blauem Himmel drüber und sonst nichts.

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Vom ertrunkenen Mädchen / Bertolt Brecht

Als sie ertrunken war und hinunterschwamm
Von den Bächen in die größeren Flüsse
Schien der Opal des Himmels sehr wundersam
Als ob er die Leiche begütigen müsse.

Tang und Algen hielten sich an ihr ein
So daß sie langsam viel schwerer ward.
Kühl die Fische schwammen an ihrem Bein
Pflanzen und Tiere beschwerten noch ihre letzte Fahrt.

Und der Himmel ward abends dunkel wie Rauch
Und hielt nachts mit den Sternen das Licht in der Schwebe.
Aber früh ward er hell, daß es auch
Noch für sie Morgen und Abend gebe.

Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war
Geschah es (sehr langsam), daß Gott sie allmählich vergaß
Erst ihr Gesicht, dann die Hände und ganz zuletzt erst ihr Haar.
Dann ward sie Aas in Flüssen mit vielem Aas.

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Alter, guter Freund der deutsche Sprecher. Im Jahr der Wende teilten wir uns in Münster manches Stück. Baal und Eckhart. Shlomo und Hitler. Drache und der blinde Diener des Drachentöters. Sangen und sprachen obiges. Und seit gestern lese ich das Buch, welches er mir dieses Jahr zum Geburtstag schenkte: Serhij Zhadans „Hymne der demokratischen Jugend“. Eine Empfehlung. Gute Verbindungen. Man braucht sie.

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