Die kaufgierig fluten seit Jahrzehnten die aufgesuchte alte Heimat
Die abhängig
Wer liest was schon unter vollem Einkaufsbeutel
Als ich stehenblieb und bemerkte und ich mich fragte
In meiner schlauen Manteltasche ein Zitat
Das Spiel, das wir Gesellschaft nennen ist zu einer Schlägerei geworden
Patient Gesellschaft Klient Familie
Stets und wieder das Karussell an den Ketten
Dreht und dreht sich
Die Erinnerungen minütlich alt und älter als
Der tote Kaiser angeleimten Armes über Mexikos Rasen schlich
Als der Mann dessen Namen auf meiner pubertierenden Zunge verging
Eine ewige Sonne herbeisehnend
Gigi Riva
Oder rombo di tuono
Das Donnergrollen tauften sie ihn wie ich las eben
An – ausgerechnet – Schnellinger vorbeirauschte
Ausgerechnet Schnellinger
Stahlblonde deutsche Sehnsucht nach Arkadien
Schiffe versenken Admiral Dönitz C 7
Verlierer sind wir alle allemal
Wenn uns die Tage verlassen
Wohin auch immer hin
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Nachklapp: Was ich nicht wusste, dass eben jener Luigi „Gigi“ Riva als Kicker auf Sardinien gelandet war, die Insel dann nie mehr verließ und mit dem Inselclub Cagliari Calcio sogar im Jahre 1970 Meister wurde. For sentimental reasons. Die Erzählung Treue.
Aus aktuellem Anlass: Als es 1970 in Mexiko gegen Italien in die Verlängerung ging, schickte mein Vater mich ins Bett. Die Schule. So habe ich Franz Beckenbauer mit seinem an den Oberkörper gebunden rechten Arm verpasst. Und ich war schon über 13!!! Man bedenke dies mal heutzutage. Von der „heldenhaften“ Niederlage erfuhr ich beim Frühstück. Kann aber an dieser Stelle glaubhaft versichern, dass ich davon kein Trauma oder andere bleibenden Schäden davongetragen habe. Glück gehabt.
Jetzt wird es schwierig mit dem Erinnern. Läuft wahrscheinlich auf eine Behauptung hinaus. Aber ein paar Teile könnten oder sollten dann doch so geschehen. John Fitzgerald Kennedy wurde erschossen vor 60 Jahren. Mittags. Also bei uns am Bodensee spät abends. Am nächsten Morgen – mein Vater hörte das Radio in der Frühe – die Nachricht. Vielleicht Schulbrot eingepackt und Ranzen auf den Rücken und los. In der Straße parallel über unserer Straße – wir die Werkssiedlung in der Bücklestrasse (sic!) – die neuangelegte Straße mit den Neubauten. Da wohnten die, wo ein bisserl mehr Geld. Oder bei Telefunken arbeiteten. Mein Klassenkamerad Ulli wohnte dort. In der Moosstraße (sic!). Den holte ich öfters mal ab. Die hatten eine Badewanne. Und er eine Märklineisenbahn. Fette Anlage. Papa war Ingeniör. Ulli sah im Prinzip aus wie Dicki Hoppenstedt. Mein Kampfname auf dem Schulhof war Spargeltarzan. Tut nichts zur Sache, aber ist schmückendes Beiwerk. Pat und Patachon. Also klingelte ich wie gehabt scheu. „Komm der Ulli runter?“ Keine zwei Schritte gelaufen, wir im Gleichklang: „Die haben den Kennedy erschossen!“ Wir waren grade mal 7 Jahre alt, an Ostern des Jahres eingeschult und hatten doch, das erinnere ich, so ein Gefühl von: Die Welt dreht sich mal eben in eine andere und falsche Richtung. Das hatten wir wohl gerochen. So wie die Großen sprachen mit gesenkter Stimme den ganzen Tag über. Und jetzt hoffe ich nicht, daß meine Erinnerung mich komplett bescheißt, aber es war ein seltsam warmer Tag. Ein Novembertag am Bodensee, der fast schon nach kurzen Hosen roch. Das sind die Bilder, die noch über sind.
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Natürlich noch das Berliner Zitat, welches meinen Vater, wie viele seiner Generation, beeindruckte und dieses Bonmot, vom Land, das man nicht fragen solle, was es für einen leiste, sondern man selbst könne auch mal schauen und so. Bei meinem Vater, Erinnerung bitte sei gnädig, klang das natürlich immer so, als suche er eine Rechtfertigung für seine traurige Laufbahn als junger Soldat in Diensten des Dritten Reiches. Ich weiß es nicht und werde es auch nicht schlaumeiernd wissen wollen. Für die Beantwortung von Schuldfragen stehe ich nicht zur Verfügung.
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Ein paar Tage später mit meiner Mutter beim Frisör. Also meine Mutter beim Frisör. Ecke Wollmatingerstrasse, Ecke Taborweg. Oder Ecke Enzianweg? Weiß nicht mehr, warum sie mich da immer mitschleifte, aber es war so. Während sie unter der Trockenhaube, habe ich in die QUICK geschaut. Ein Fotostrecke. Jack Ruby erschießt Lee Oswald in den Gängen eines Knastes oder so. In Schwarzweiß. Ich erinnere mich noch recht genau an dieses in der Luft vibrierende Empörungsgefühl. Wer hat geschossen? Warum, wie kommt der da rein? Ist das alles wahr oder was auch immer?
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Vor ein paar Jahren hat Bob Dylan davon gesungen. Sein mit Abstand längster Song. Erinnerungen. Oder eher Einordnungen. Sich sortieren.
Back to school. Also, ich war der Lugi. Dann gab es noch den Micki, den Uli, den Siggi, die Pedie, den Winnie, den Andi, die Andi, die Geli, den Olli, sogar einen Jürgi, Klausi auch und den Zimmi (war ausnahmsweise Lehrer) und never forget Albi! Die WG – Band bestand aus Yogi, Jacki, Robbie und Tommi! Die Hansis nannten sich oft Johnny. Sind das noch Namen? Möglicherweise waren es die Zeiten oder diese süddeutsche Sucht nach der Selbstverniedlichung. Möge man mich bitte! Ich bin doch so lieb! Man schleicht sich geschmeidig aus der Verantwortung. Nur so eine Behauptung!
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Jetzt, nach den Dekaden der Klinsis, Jogis und Ollis, diesen lähmenden Dekaden, die sich nicht zwischen Selbstüberhöhung und der damit einhergehenden Selbstverzwergung entscheiden konnten, hat es Hansi erwischt. Endlich, mag ich gerne aufseufzen. Wohl zu spät. Ein Rudi übernimmt. Nach 2000 scho wieder. Wenn es auch nur Stunden sind.
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Peinlicherweise erreichte mich die Nachricht der seit 2018 überfälligen Demission des hoffentlich letzten Mitglieds des vermeintlichen Gescheitletraineradels aus BW in dem Moment als die Korbleger Weltmeister wurden. (Kurzer Gedanke: Noch nicht mal respektvoll kommunizieren kann der DFB. ) Und der Trainer ist Kanadier und heißt Herbert statt Herbie. Dann wäre er ja wiederum ein Käfer. Gut so! Wunschbundesanweiser ist bekanntlich Kloppo. Isch aber auch ein Schwoab! Wird er nun ab 2024 zum Kloppi? Oder wird es der Julian Nägeli?
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Wenn man ein Haus über Jahrzehnte vor sich her und hin verrotten lässt, ist irgendwann selbst der Abriß keine Option mehr. Auch wenn es am Strand steht. Die dort anlegenden Boote holt keiner mehr ab. Warten wir zu lange?
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Nachklapp 11.9.: Ferndiagnosen sind fragwürdig. Sah ich aber in letzter Zeit Hansi F’s Augen in die Kameras oder ins Nirvana blicken, meinte ich in den Spiegel zu schauen. Ein schwarzer Hund von beträchtlicher Größe saß da mit auf der Trainerbank oder in der Pressekonferenz. Wenn der einst geschätzte Umarmer die ehemals gerne Umarmten nicht mehr umarmen darf und keinen Plan B hat, wenn die Harmonie einstürzt und das Vertrauen diffundiert, wird es böse für alle Beteiligten. Ich weiß, wovon ich spreche. Eine Seele reibt sich wund und wunder. Überkommene Führungsmodelle funktionieren nicht mehr bei den allgegenwärtigen Egoshootern. Oder vielleicht nur noch die ganz, ganz, ganz alten. Stillgestanden! Wegtreten!
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Und sprechen wir weiter und öfters von den schwarzen Hunden. Heute im Sportteil der FAZ ein beeindruckendes Foto. Seitenlinie. Thomas Müller wird eingewechselt. Wie er seinen alten Weggefährten dabei anblickt. Er weiß vom bevorstehenden Ende und dem Tanz des schwarzen Hundes. Kein Trost mehr möglich. Man versucht es dennoch. Schon wieder symphatisch.
Als ich Ende der Siebziger die Heimat verließ, um erst in den USA und dann in Köln die Schauspielerei zu erlernen, wurde ich bei meiner regelmäßigen Heimkehr eher nicht gefragt, was ich denn da drüben oder oben so den ganzen Tag über treibe oder lerne, sondern wann man mich denn nun im Fernseher sehen könne. Noch besser allerdings die ernstgemeinte (?) Frage: „Und, wann wirst Du jetzt berühmt?“ Leider kannte ich damals Christian Streich noch nicht. Sonst hätte ich antworten können. Siehe oben.
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Seit Ewigkeiten will ich hier ein Poem für oder über Christian Streich verfassen. Mir fällt aber nix Entsprechendes ein oder wenn, verwerfe ich es sofort. Siehe oben.
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Las heute bei Patti Smith, daß ihr guter Freund und Begleiter Sam Shepard ein großer Beckett – Verehrer war und mußte an Streich denken. Er reinkarniert für mich gerne als ein Beckett der fliegenden Bälle, nicht nur wegen seiner vielfältigen Variationen des so gerne und inflationär von anderen zitierten Beckett – Wortes vom Scheitern. Siehe oben.
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Wenn Streich am Spielfeldrand steht und man zusehen kann wie das Geschehen auf dem Spielfeld durch seinen Körper dringt, aus seinen Augen wieder heraus springt und seine Hakennase becketthaft die Luft zerhackt und nicht die fuchtelnden Arme, wenn er einen kleinen Himmelsstürmer nach dem Spiel trösten will, um ihn dann zu beschimpfen und die Genugtuung über den Sieg ihn schier zerreißt, während das Mitleid ihn schniefen lässt, dann denke ich: siehe oben.
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Wer selbst im Moment eines gefühlten Triumphes vom Selbstzweifel durchrüttelt wird – manche sagen dies sei Wesensmerkmal der Badischen – dem höre und sehe ich gerne zu. Auch wenn ich es manchmal nit kapier. Siehe oben.
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Freiburg und die Championsleague? Auch da wohl: siehe oben.
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Als Leadsänger einer Heavy – Metal – Combo könnt i mir der Streich scho au vorstelle. `S G’sicht defür hätt er. Und wahrscheinlich au de schwarze Hund dehomm. Siehe oben. Und auch unten.
Unlängst feierte ich in meiner Geburtsstadt – der gerne tümelnde Begriff Heimat sei weiterhin vermieden – diesen Geburtstag, an dem das Leben erst so richtig anfangen soll. Peinlich genug so ein Lied. Hinter unserem Tisch obiges Plakat. Die gute alte hoffärtige Hoffnung blickte gnädig auf unsere Tortillas, die frittierten kleinen grünen (HOFFNUNG!) Paprikas und den Arroz Pepe. Mein Blick glitt hinunter – Bild unten – auf Tische trunkener Jugend und aufgeladener Gespräche. Und links oben winkte der Fernseher – ein aktuelleres Modell, gewiß – auf dem wir gerne mal kollektiv Ernst Huberty schauten. Oder war es doch Heribert Jürgen Furler?
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Damit ist mein Konto „Früher“ ab sofort überzogen. Bis gestern.
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Hoffnungslose ziehen statt Nieten mieten
Hoffnungslose ziehen ins letzte Gefecht
Nach lose kommt das Fest
Nach dem Fest kommt es lose in die Hose
Ich heiße Loose und wohne hier
Übers Treiben übern See übern See
Übers Übertreiben als Ausgang aus der selbstgewählten Sackgasse
Ohne zu übertreiben
Weiland
Man kant es auch anders oder ganz und gar oder nichts
Erkenntnisse dann lieber morgens
am Abend
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Home Haus Wohnung Heimat Herzensgegend Hopfen Hope
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In den USA ist Hope sogar ein zulässiger Vorname. Mochte ich je so heißen wollen?
Es klingelt an der Haustür. Ich öffne, obwohl noch im Nachtgewand, etwas verkatert und mit subakutem Rückenschmerz. Ein bebrillter Glatzkopf hält mir einen Ausweis unter die Nase.
„Moin. Sie wünschen?“
„Ich bin Ihr Erhebungsbeauftragter!“
„Schön! Und was wollen Sie?“
„Wissen wie es Ihnen geht!“
„Geht so! Geht es etwas konkreter?“
„Was war gestern?“
„Ich trank Wein, pflanzte Bohnen, fuhr Fahrrad und schlief dann ein.“
„Sonst nix?“
„Doch, ich mußte noch einen Schuldschein entgegennehmen. Nix besonderes. Tut man ja jeden Tag. So als Mensch oder Menschine.“
„Also sind Sie ein Mensch. Darf ich das schon mal in meine Erhebung eintragen?“
„Wenn es der Wahrheitsfindung dient!“
„Und was machen Sie heute so?“
„Ich schnüre ein Entlastungspaket!“
„Und was ist da drinnen?“
„Nüscht oder nur das, was der Empfänger da drinnen zu sehen in der Lage ist. No Expectations!“
„Schönes Lied!“
„Find ich auch! Wollen Sie reinkommen? Hab‘ noch was Wein!“
„Glaube nicht. Ich habe mich, denke ich eben, beim Erheben etwas verhoben. Ohne mich zu loben. Jetzt. Ich muß mal vergessen, was ich eh nie begriffen hab‘! Manchmal ist man doch gehetzt!“
„Sie können aber jederzeit wieder vorbeischauen!“
„Mache ich! Tschööö!“
Die Tür fällt ins Schloß, ich mache das Bett, trinke den Restwein vom Vorabend und gehe zur Akupunktur. Ein weiterer Tag geht. Weiter!
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Ich liebe die Tage nach Wahlen. Egal wo und wie. Der Ausgang ist mir meist wurscht. (Stimmt natürlich nicht. Aber heute will ich mal wieder kokett sein!) Jedoch die GROSSE NACHBEREITUNG, da habe ich einfach Spaß dran. Erst die ritualisierten Elefanten -, Goldhamster – oder Kreuzotterrunden. Mit den wild vorwärts stürmenden Fragen der – den Rücken überstreckt – naja, das ist nicht gesund – Frager und Fragistinnen. Herrliche Scheingefechte. An den Montagen dann die Lektüre des Papiers und die erneuten Hinterherdenkereien schauen. Die ausgestreckten Zeigefinger prangen allenthalben. Das üblich obsolete Politikerbashing, welches vor allem die Verlierer in die Ringecke quatschen soll. Um dann den Gewinnern die Schuhe zu polieren. Aber mit einer farblich anderen Schuhvixe. So simmer halt, wir Wählermenschen … Verzeihung … Staatswürger … so ein Blödsinn auch: STAATSBÜRGER. Den ausgestreckten Zeigefinger aber brauchen wir. Morgens bohrt man sich ja auch gerne mal in der Nase rum.
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Die Menschen in diesem Land verzichten zunehmend auf die Ränder. Können wir uns nicht mehr leisten! So isses. Oder? Man kuschelt sich in die Mitte. Angstvoll. Sollte ich meinen Block … sorry … Blog schließen? Frag ich mich. Oder Dich. Oder jene auch noch.
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Weit über vierzig Prozent nutzten ihr Wahlrecht nicht vorgestern. Ist alles so schön bunt hier. Kann mich gar nicht entscheiden. Ist alles so schön bunt hier. Da ist doch die Eine dööfer als der Andere. Und die Benzinpreise. Ich find‘ mich da nicht wieder. Ich bin denen allen nicht grün. Jetzt wähl‘ ich halt mal die. Solange Krieg ist, gibt es auch kein Tempolimit. Die haben anderes zu tun. Nächstes Jahr im Merz sieht dann alles wieder ganz anders aus. Was weiß ich denn?
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Immer noch mein Mantra: Auch der Wähler ist ein Depp. Vor allem, wenn er nicht wählt. Der Depp.
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Immer noch mein Lieblingsaufkleber auf dem Flaschencontainer, wo ich eben das Leergut, welches der Erhebungsbeauftragter*in nicht mit mir leeren wollte, entsorgte:
Olaf Scholz ist nur Kanzler, weil der wahre Olaf schmolz!
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Ich glaube, die Ränder wollten eigentlich schon immer Mittelpunkt sein. Ich liebe Rio. Schauen Sie selbst. Morgen mehr über eine wieder neu entdeckte Liebe.
Stolperte (sic!) heute über den herrlichen Ausdruck „wüst gefallen“. Siedlungen, aufgegeben. Verfallen. Ruinenreste. Flucht. Krieg. Langeweile. Unfruchtbarkeit. Man nennt die leeren Orte auch eine Wüstung. Ein paar Brocken liegen noch rum. Seit langem schon hat das Grün des Vergessens alles überwuchert. Man muß sich bücken, um noch etwas zu erkennen.
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Die Bilder hinter der Hinteren Sonne zu Konstanz von letzten März, die hier in den letzten Tagen aufploppten? Eine Wüstung, die meiner damaligen inneren Wüstung entsprach. Der bescheuerte Sturz auf der Flucht. Das kaputte Handgelenk. Erinnerungen. In der Welt rumtrudeln. Das Tja. So sah Konstanz tatsächlich aus in den späten Siebzigern. Noch keine Anzeichen des in der heutigen Zeit überdrehten Wohlstands von Schweizer Gnaden. Nee, wie ich damals gerne sagte: Hier feiert die DDR noch fröhliche Urständ. Hinter der Hintern Sonne. Eine Halbe für zwei Mark. In der Unteren Sonne sogar noch für eine Mark neunzig. (Weniger als ein Euro, Freunde der Jugend!) Und eine Jukebox. Hendrix singt von Dylans Wachtürmen. Die Teestube dort. Die Geschäftle mit den indischen Heilkräutern. Anbetungen. Fummeleien. Phantastereien. Versprechen. Fluchten. Bröckelnder Putz.
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Nebengedanken: Bin ich als Anbeter des Morbiden und des Stillstandes gar deshalb nach Gießen gezogen?
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Bekifft und doch im Aufbruch befindlich, turnen wir damals durch die alten Gemäuer und es war die Normalität, das Bröckeln, das Graue, die Wunden, die die Stadt mit sich rumtrug, zeigte und nicht hinter Geplapper und Selbstoptimierungsmist verbarg. Das prägt wohl. In uns aber war es einstens bunt genug. Unsere Lautstärke überflügelte das beredte Schweigen des Verfallens. Und der glitzernde See war das Gegengewicht. Bis im November der Nebel die Stadt auffraß. Bis in den März hinein. Und die Mauern noch finsterer grüßten. Ich mag solche Ecken, in denen ich vergangene Zeit anfassen kann. Zumindest gedanklich.
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Wüstung. Wüst gefallen. Nicht nur Mauern. Beziehungen. Hoffnungen. Überdrehte Träume. Übersteigerte Erwartungen. Wenn man das Poesiealbum seines Lebens dereinst noch mal durchblättern wird, allenthalben neben den funkelnden Feuerwerken, den selbstvergessenen Tänzen, den überdrehten Premierenfeiern, den schlaflosen Nächten, den ganzen Umarmungen und dem Daumen im Wind: Wüstungen. Herr Lugerth? Betrachten Sie Ihr Leben als ein wüst gefallenes? Antwort: Es gibt solche Tage. Die manchmal lange Wochen anhalten. Jedoch:
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Schlag nach bei Cohen, meinem Meister der gelegentlichen Düsternis und bekennendem Prozac – Fresser. Er singt – hymnisch – von diesem Riss in den Dingen. Der Riss muss sein, sonst fällt das Licht nicht rein. Die Risse hektisch mit Gaffatape und Nebelkerzen zuzukleben mag ein Weg sein. Ich glaube nicht daran. Eher, wie ich schon bemerkte, Kintsugi: also die Risse gülden bemalen. Das Licht spiegelnd quasi. Und die Ruinenreste stehenlassen. Zur gelegentlichen Betrachtung. Dabei die Glocken schlagen. Was halt noch so bimmelt. Und das nicht perfekt. Aber den Hut ziehen!