Hat er doch gut wegmoderiert seine Entscheidung, der Tuchel Tommy – siehe ganz unten – als erfahrener Leidensmann, der er ist. Feine, intelligente Nadelstiche gesetzt in Richtung HolterdiPolter-Uli. Viel geseufzt und das Haupt nachdenklich hin und her wackeln lassen. Augen reiben. Haare richten. Von der Trauer sprechen. Die plötzlich aufkeimende Liebe der Schreiberlinge und Kickrentner einatmend. Besser kann man seine persönliche doppelseitige Rückhand in der Sache Rache nicht setzen.
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In den Schreibstuben des Boulevards wird schon die nächste Trainersau geschmückt, die durch die Dörfer gejagt werden wird. Vorschlag: da der FCB an einem schweren Burnout leidet, warum nicht ein Sabbatical in Liga Zwo? Freut sich der HSV. Kriegen die auch nochmal etwas hoch oder höher. Und wenn sogar der Harry Kane von dem ganzen Theater Psycho-Rücken kriegt und der Trainer schweren Herpes anne Lippe hat? Nochmals: Pause machen. Die kann man nutzen, um eine große Abschiedsshow für Uli und Kalle zu inszenieren. Regie führt Paul Breitner, der Übergangstrainer. Oder doch Otto Rehhagelos? Quatsch! Nach Olympia das Kopfballungeheuer. Der weiß inzwischen, wie man Mädels zurück auf das Gleis bringt. Verzeihung!
Lisboa / Largo di Carmo / Foto vom Foto / Installation 40 Jahre Nelkenrevolution / 15. Juni 2014
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Die Wucht der Jubiläen. Seit Jahresbeginn geistert das Jahr 1974 intensiv in der Gegend rum. 50 Jahre sind vorbei gerauscht. Der erste Golf. Drecksack Günter Guillaume. Willy Brandt gibt auf. Hölzenbein fällt. Stirbt fast schon kitschig fünfzig Jahre später. Ein Landschulheim in Meransen. Meine ersten Finger in fremder Mimi. Gerd Müllers Drehschuss. Kippen drehen lernen. Mit afghanischer oder tunesischer Füllung. Wir lassen uns die Heilkräuter vom Bodensee nach Südtirol liefern. Gegen die DDR verliert man dann. Und die wurde auch noch eben anerkannt durch die Blume. Helsinki. Unser Klassendealer rastet aus. Die Nachwirkungen des Vorjahres, die Ölkrise und der selbstgewollte Abgang meines Vaters mildern sich ab und machen Platz einer Art von Aufbruch. Aufbrechen. Die Nelkenrevolution. Rumble in the Jungle. Der erste nächtliche Boxkampf in der Glotze ohne den Vater. Zypern wird geteilt. Als verantwortlicher Redakteur unserer Schülerzeitung stehe ich kurz vor dem Schulverweis. Schließe mich der Schülergruppe des KBW an. Solschenizyn fährt in die Eifel und findet Asyl bei Heinrich Böll. Wir lesen vom unendlichen Tag im Leben des I. D. im Deutschunterricht. Ich halte weiterhin eine rote Diktatur für eine Form der Befreiung. Helmut Schmidt hält dagegen. Aber in Portugal wird doch so schön gesungen. Mein Mofa ist aus Frankreich. Ab und an sitzt auf dem Lenker oder auf dem Gepäckträger eine verzückende Blondine. Klosterschülerin und Tochter eines Grundschuldirektors. Die nächste Katastrophe naht. Die Amis verlassen Vietnam. Nachdem ich mir von Mutter 100 Mark erbettelt habe, fahre ich mit zwei Freunden nach Amsterdam. Es regnet zu oft und wir liegen im Vondelpark durchnässt unter alten Bäumen. Die Niederländer, frisch entmüllert, finden uns nicht sympathisch. Wir reißen aber auch zu gerne das Maul auf. Die Dealer vor Ort lachen uns Flaumbärtige aus. Damals schon nach zwei Amstel blau. Die Musik wird immer schlimmer. Sugar Baby Love. Selbst meine Mutter wagt sich inzwischen auf die Tanzfläche. Jack Nicholson wird in Chinatown die Nase aufgeschlitzt. Wir sitzen im Kino und lachen uns tot, wenn im Großen Fressen das Scheißhaus explodiert. Der Club of Rome veröffentlicht damals schon seine Warnung. Alles frisst auf mein Kommando. Ich lese ein erstes Mal Kerouacs „On the road“. Bob Dylan geht wieder auf Tour. Man munkelt in den Kneipen, dass es nun ernst werden würde mit unser aller Leben. Als ob es dies nicht schon längst gewesen wäre. Jedoch auch eine große Hoffnung, welche ich zwischen den Fingerspitzen hin und her rieb wie ein Komboloi, tanzte leise Sirtaki. Die Zukunft vielleicht ein Schmirgelpapier. Nicht wissend was unten und was oben. Was bleiben wird, wird später mal. Viel weiter heute ich? Eher kaum. Sehnsucht und Selbstironie zumindest leben noch. Darauf einen Dujardin.
Ying und Yang auf den Weg in den Backofen letztes Wochenende in unserer Küche
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Wenn Du einen Wal sehen willst
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Wenn Du einen Wal sehen willst
Kannst Du nach Alaska fahren
Aber Dein Geldbeutel
Wird den Kopf schütteln
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Wenn Du einen Wal sehen willst
Kannst Du Deinen besten Freund bitten
Dein Moped hochzumotzen
Der Schupo wird Dich von der Fahrbahn holen
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Wenn Du einen Wal sehen willst
Umarme sie nicht zu heftig
Und höre auf jede Nacht zu denken
Mit Geschenken sie zu lenken
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Wenn Du einen Wal sehen willst
Wirst Du keinen Delphin sehen wollen
Oder Du musst Deinem Kaninchen
Schwimmunterricht erteilen
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Wenn Du einen Wal sehen willst
Ist es nicht zu vermeiden
Dass die Wale aus den fremden Badewannen
Deinen Abfluss verstopfen werden
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(bedanke mich bei einem alten weggefährten für die wunderbare anregung zum reim / kalt am arsch draussen heute / saß an der lahn / keine wale / aufgeregte kormorane / flügelspreizen soll ja das gefieder wieder in gang setzen / auf auf)
Waschwand vor einer der vielen beeindruckenden und besuchten Moscheen / Istanbul / März 2012
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Die halbierte Pommesgabel und andere Scheinreligiösigkeiten
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Warum den Finger richten in die Höh‘
Statt das Haupt senken
Auch wenn Hand und Fuß gewaschen vor dem Gebet
Oder der pralle Klingelbeutel
Eine Wahrhaftigkeit besingen soll
Die Götter tanzen nicht auf der Agora
Lediglich die Götzen sind es
Und die Heimatlosen
Ein Glauben atmet hinter der
Ikonostase erstmal
Durch und
Hält sei Gosch
Gott scheißt auf große Geste
Mein bekennender Zweifel
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(gießen vor ostern / immer noch beten wir die lächerlichkeiten an / pastor reichelt gegen imam rüdiger / real ramadan gegen dfb kreuzabnahme / am wochenende dann bayern gegen borussia / leiser leben plus lauter schweigen vielleicht / zwiebelschalen sammeln / eier färben / ab und an den bart abnehmen / und die hostien in den whiskey der feinde tunken / notfalls chai)
Wo ich doch seit Tagen bei den Verlusten verweile. Quatsch. Eben nicht nur. Beim Nachdenken – Danke Herr Daniel Schreiber – über das Verorten all der allgegenwärtigen Verluste halt au. Wann man geht. Wann man bleibt. Wann man auch mal die Schnauze hält. Hat was welche Bedeutung. Was blase ich auf. An die Klinken welcher Türen mag ich nicht fassen. Alles ein großes Fass, was jetzt nun mal aufgemacht. Und: Wie geht man? Die rechte Zeit. Die Würde. Die Distanz zur eigenen Scheinriesigkeit. Oder Scheinheiligkeit. Oder Langweiligkeit. Oder aus dem aufgemachten Fass wird irgendwann ein Schnapsglaserl. Und dann trauern. Über was. Aber.
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Christian Streich lief mir stets über meine Wege. Oder eher die Verbindungen zu ihm. Viele Arbeiten in Freiburg. Mein fernnaher Bruder ist Vereinsmitglied und Dauergast beim SC Freiburg. Der Bruder meiner ersten fehlgeschlagenen Liebe wohnt dort. Lebt er. Lebt sie. Der Trainer Vornamensvetter. So eine Art Fußball – Dylan. Für mich. Schrieb ich mal auf meiner alten Theaterseite. Siehe unten. Viel Wäsche die noch trocknen will.
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(gießen im november 2019) Werd ich des jemals schaffe ein Regisseur zu si wie der Streich ein Trainer isch? Selles sagt der einfach so, nachdem er am Bodde liegt: „Ich hab ihn gsehe, er isch halt ein emotionaler und wilder Spieler. Ich kenne ihn von seiner Zeit in Basel, des isch net weit von uns weg, da habe ich ihn oft gsehe. Dann kommt er also, aber er kam so schnell. Der Ball isch an mir vorbeigrollt und dann hat er mich, bumm, über de‘ Hufe grannt. Dann sind leider natürlich alle Spieler aufgesprunge, aber ich bin sofort wieder hoch, weil ich ja keinen Bock auf des ganze Theater hab‘. David isch danach au zu mir komme, er hat sich entschuldigt. Er sagte: ‚Ich hab gedacht, du bisch ein bissle stabiler.‘ Aber er isch ein junger Büffel und ich bin 54. Das darf er natürlich net mache, ich komm‘ ja gar nimme weg bei dem Tempo. Des isch natürlich scheiße. Au‘ für Frankfurt. Er isch wild, alle von Frankfurt sind wild. Aber wenn se net so wild wäre, dann hätte se au net so viel Erfolg. Ich hab viele persönliche Schwächen. Aber eine Schwäche, die ich net hab, isch, dass ich nachtragend bin. Die Sache isch erledigt. Thema erledigt. Weiter geht’s, zum Fußball gehören halt au‘ Emotionen. Ich bin scho so lang aufm Kickplatz, so isch der Fußball au‘. Aber es isch alles gut, des isch keine Story wert. Ich hab wirklich keinen Bock auf des ganze Zeug. Es isch alles gut, die Schulter hat gehalte, ich bin ja au‘ stabil, ich dehne mich ja immer. Wenn mich einer umhaut, isch es net glei gesagt, daß ich sofort verletzt bin. Ich weiß net, wie es am Montag isch, vielleicht hab ich ja ein Schleudertrauma. Aber fertig, Fußball, ab. Thema erledigt, in Ruhe lassen.“ Ich lieg au grad am Bodde rum. Heilandzack. Und Bock uff des ganze Theater hann i au nit me, isch aber au gut, etz mach ich erscht mal Premiere. Die Sache isch erledigt. Und die Schwäche vom Streich wege derer ganze Nachgetragerei, die henn i au nit.
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Seit längerem steht auf meiner Ideenliste für diesen Blog: ein Christian-Streich-Poem. Seit seinem angekündigten Abschied ist es nun eine Steilvorlage. Druck. Quatsch. „Runterfahre! Fertig! Nit noch blöd rumschwätze!“ Aber es kommt. Das Poem. Der Titel steht. „Frohnis!“ Vielleicht wird es auch nur ein Blues. Eine Strophe kurze Minuten gesungen.
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Bin jetzt in Sachen badischer Dialekt ja au kei Dummerle, aber Frohnis henn i noch nie ghört. Mein Lieblingswort isch des ab heut. Und so kling Frohnis, wenn des dä Kies singe tut. Der könnt au mol uffhöre. Wer kann des scho?
Wolziger See / Wolzig / Wolziger Hauptstrasse / Brandenburg / Juli 2014
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In den Sonnenuntergang reiten
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Nun da wir feststellen müssen
Blumenblätter zupfend
Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich
Was uns täglich verlässt
Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich
Weil es uns verlassen muss
Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich
Sind wir die Ersten und Lautesten
An den Rändern der ausgehobenen Gräber
Die beklagen was zu unseren kalten Füßen nun ruhen mag
Da wir einst den Tod wünschten verächtlich
Wissend wie wir stets glaubten
Den müden Leichnamen dort unten
Nun aber klopfen wir uns hagestolz an die Brust
Wir wären die ersten Zeugen einer Apokalypse
Häschen in der Grube
Am Ende der Welten
Heute den Kaffee ausnahmsweise mit Zucker
Drei Teelöffel
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(gießen heute / über verluste lesen weiter / gar nicht mal vom tod / die etlichen verluste legen sich übereinander wie zwanzig tortenböden / während man den letzten, den obersten zu verschlingen sucht, stößt einem der unterste auf / schon wieder? / wäre die frage / sodbrennen des schicksals? / wäre eine antwort)
Wir haben die alte Kiste, soweit sie mitmachte und wir noch konnten, gefahren. Irgendwo, wir waren unterwegs gen Westen, haben wir sie abgestellt. Trennten uns. Falls ich mich erinnere, war es eine verregnete Nacht. Wir dachten beide, besser wäre das. Singt Bob Dylan.
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Mal wieder ein Jahr perdu. Oben mein liebstes Erinnerungsfoto an eines der besseren, gar guten Jahre. Eine alte Kiste, der ich begegnete am Rande des Fischerhafens von Argostoli auf Kefalonia im letzten Juni. Wenn man sie über den TÜV brächte, sie würde mir vollkommen ausreichen, diese Kiste. Für die restlichen (etlichen) Meilen. Was brauche ich mehr? Meine mich zu erinnern, falls das tatsächlich ein Datsun ist, der sich da in der Garage ausruhte, daß mein alter Freund H und ich im Jahre 1979 so eine Kiste von NY nach Oakland überführten. Rot war jene Kiste auf alle Fälle.
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Ein neues Jahr liegt auf der anderen Seite der Fußmatte vor der Türe und mancher nimmt sich was vor. Versteigt sich gar zu Versprechungen. Besser nicht. Man scheinheiligt schneller als man eh schon sich bescheiden durch die Zeitläufte zu denken meinte. Die alte Kiste Leben ist ramponiert. So oder so. Gott sei Dank. Aber sie läuft noch. Und klappert fröhlich vor sich hin.
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Geht der alte weiße Mann zum Onkel Doktor. „Ich hab‘ da was Komisches, was weh tut. Woher kommt das?“ Antwort: „Schau’n Sie mal in Ihren Ausweis nach. Unter Geburtsdatum.“
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Nach jeder Delle zum Klempner rennen oder sich eine neu polierte Kiste kaufen, würgt nicht nur Mutter Erde, sondern auch die eigene Fähigkeit sich halbwegs brauchbar zu erinnern. Ohne ein bisserl Beulenschmerz: Stillstand. Vor der anderen Kiste. Der Ewiglichen.
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Und wenn die gute alte Kiste Leben lieber in der Garage bleiben will? Wie käme ich dazu ihr Anweisungen zu geben? Unten dann das Boot auf dem ich nächstes Jahr über die Weltmeere schippern werde. Frag nach bei Odysseus, ob das gehen wird. Ich glaube fest daran. Irgendein gewogener Wind weht immer. Glück auf und stets zwei Fuß Wasser unter dem Kiel. Auch an Land.
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Mitnehmen kann man eh nix. Wie der Autor meines Lieblingsbuches des ausgehenden Jahres einst sang. Oder soll man sagen tanzte? Zitat der vielleicht nicht wahren aber wahrhaftigen Tourschlampe Doris: „Die Überzeugung, daß unser Dasein, bei allem Sinn für Arbeit und Rechtschaffenheit, ohne gelegentliche Exzesse eine trostlose Veranstaltung ist.“