bagatelle einundfünfzig / zweifel’s turm

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da wir uns sonnten

zwischen den fronten

lediglich lagen

ohne zu sagen

bäuchlings verschliefen

das toben

sich selber loben

und nicht lauthals riefen

herbei schwarz oder weiß

und so vermieden

das kentern der boote

weniger tote

den frieden nun störe

der fronten

michel störe

und höre

zu und den kasten

klappe auch

halt dich fern gern

von den allzu klaren

es sei denn im stamperl

nur ein fremdes auge

bildet dich ab

besteige des zweifels turm

vor dem grab

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PS: Geklaute Gedanken. Dazu angeregt hat mich ein sehr lesenswerter Essay im letzten Magazin der SZ. Autor Tobias Haberl. Überschrift „Zwischen den Fronten!“ Schön. Allein die Eröffnung: „Ein Gespräch setzt voraus, daß der andere Recht haben könnte“, hat der Philosoph Hans-Georg Gadamer gesagt.

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PS2: Der Mann ist 103 (einhundertunddrei) Jahre alt geworden. Vielleicht sollte ich ihn mir zum Vorbild nehmen.

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PS3: Obiges Bild zeigt die Ecke des Hauses in der Straße des Friedens Nr. 1 in Ilmenau. Unten eine Buchhandlung. Oben wohnte meine Oma. Unten wurde einst der Zwangsumtausch in Buchstaben umgetauscht. Oben – man munkelt es – entstand ich. Würde mir gefallen. In der Straße des Friedens. Ist mir nicht immer gelungen dem Namen Ehre zu erweisen. Dranbleiben.

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PS4: Hier noch das Lied meines Lieblingszweiflers. Ähem, gab es damals eigentlich schon dieses, ähem, Dingsbums, dieses #haschischetikett?

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Nachklapp eig’ne Sach‘ / Fremder Reim

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Hatte letzten Sonntag eine sehr schöne Lesung hier vor Ort. Mit Texten des eigentlich verschwundenen aber noch aktuellen Wolfgang Borchert. Hundert wäre er geworden dieses Jahr. Theoretisch. Ich mag ja eigentlich keine Jubiläen und Jahrestage, aber das war es wert. Fast vergessene Texte die immer noch abrufbar sind. Und seine Lyrik kannte ich bisher noch nicht.

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Was bleibt aktuell an Borchert? Die Lernfähigkeit der Menschen versus die Verdrängungsmeisterschaft? Das dicke Grinsen der Krisengewinner versus die Ohnmacht der Abgehängten? Die laut tönenden Schuldigensucher versus die Übernahme von Verantwortung? Der fette Ranzen versus das Hungerödem? Die alten Fragen versus das alte Schweigen? Denke wohl ja!

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Hier ein Gedicht von Wolfgang Borchert, welches ich gestern nicht vorlas, welches aber von kompetenter Stelle vermisst wurde. Das Nachklappen.

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Das graurotgrüne Großstadtlied

Rote Münder, die aus grauen Schatten glühn,

girren einen süßen Schwindel.

Und der Mond grinst goldiggrün

durch das Nebelbündel.

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Graue Straßen, rote Dächer,

mittendrin mal grün ein Licht.

Heimwärts gröhlt ein später Zecher

mit verknittertem Gesicht.

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Grauer Stein und rotes Blut –

morgen früh ist alles gut.

Morgen weht ein grünes Blatt

über einer grauen Stadt.

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Es regnet und regnet all dieser Tage. Also immer dann, wenn ich vor die Haustüre trete. Ich hatte vor ein paar Tagen den Regen ja noch gelobt. In Maßen selbstredend. Dürfte ich wählen zwischen ertrinken hier oder verbrennen dort, tja watt? Die Natur reagiert zur Zeit weltweit wie ein schlecht gelauntes Rodeopferd. Wirft uns einfach ab. Noch ein Gedicht.

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Regen

Der Regen geht als eine alte Frau

mit stiller Trauer durch das Land.

Ihr Haar ist feucht, ihr Mantel grau,

und manchmal hebt sie ihre Hand

und klopft verzagt an Fensterscheiben,

wo die Gardinen heimlich flüstern.

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Das Mädchen muß im Hause bleiben

und ist doch grade heut so lebenslüstern!

Da packt der Wind die Alte bei den Haaren,

und ihre Tränen werden wilde Kleckse.

Verwegen läßt sie ihre Röcke fahren

und tanzt gespensterhaft wie eine Hexe!

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Heute scheinen mir die Städte nicht mehr grau, sondern in hysterisch bunten Farbtöpfen ersoffen. Die Blätter eines nächsten Morgen sind schon länger welk geworden. Die Hoffnung färbt sie nimmer mehr grün. Die Zecher aber gröhlen weiter. Gott sei’s gedankt. Mögen auch manche Rentner müde protestieren. Morgen früh ist alles gut. Verknittert.

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Will alles und jetzt / Der zentrale Irrtum

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Ich weiß nicht, wann es anfing. Ich weiß nicht, wer damit anfing. Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand damit anfing oder ob es einfach in der Luft lag oder Gott an seiner Spielkonsole eingeschlafen war. Ich weiß nur, es muß irgendwann im schlimmsten aller Jahrzehnte in welchem sich Deutschland ununterbrochen seinen Bauchnabel massierte, in den fürchterlichen neunziger Jahren, geschehen sein, als die Gastronomie jener ewigen Jugend, welche damals auch schon in ihren späten Dreißigern rumschlich, Salat mit Putenstreifen und Nachos mit Klebstoff überbacken als letzten kulinarischen Schrei anbot, zynische Besserwisserei namens Harald Schmidt abgefeiert wurde, die Stadttheater milde gezwungen wurden statt Woyzeck Musicals auf die Bühne zu stellen, die Mimen leider mitmachten und auf dem Theaterfest Backstreet Boys intonierten, Privatsender Kirschen und Bananen verteilten, statt echte Pornos zu zeigen und der dicke Ranzen West sich in seinem Spiegelbild suhlte, während der Osten seine angebliche Schuld versuchte wegzuschweigen. King Cabbage – „You can say you to me!“ – regierte sich in die Agonie hinein und sein Nachfolger servierte den letzten Resten der arbeitenden Klasse Brionianzüge, SUVs als Volksfahrzeuge, die Abschaffung sozialer Absicherung und einen selbstverliebten Politikdarsteller und Marathonläufer auf dem Lauf zu sich selbst, der behauptete die vergossenen Tränen über die gescheiterten Revolten hinaus in die Welt zu tragen, mögen sie nun zu Diamanten gerinnen, ab jetzt ohne weiße Turnschuhe und Oskar verzichtete beleidigt auf den Oscar, den entenbeschuhten Junior auf den Schultern, Sarah ante portas. Der Koch aus Wiesbaden dann ließ das Volk abstimmen über doppelte Pässe und jene, die eben noch den ewigen Helmut in die Schwarzgeldrente geschickt hatten, heulten sich schon wieder zurück in ihre um sich selbst kreisende Vergangenheit. Türkman Gemüse billig gib und Strand, aber nix hier Häusle baue. Man begann den Widerspruch in sich zu einem Vektor zu formen und schrieb das Wörtlein ich ab sofort nur noch in Großbuchstaben. Der sogenannte Aufbruch, rot wie ein wunder Pöter und grün hinter den Ohren, mit Eiern und Farbbeuteln beschmissen, sackte recht bald in sich zusammen, Liebling Krugberg verkaufte im Auftrag der sterbenden Post Aktien, die in kurzer Zeit implodierten, an den Ohren klebten die ersten beweglichen Sprechapparate, man schrie hinein, die Städte wurden noch lauter, der Krieg klopfte an Germaniens Türen, Titos Brille zerknirschte unter den jetzt grünen Turnschuhen und – im Hintergrund müßte Angela schießen – was sie auch tat, the Girl of King Cabbage, um anschließend, die Raute fest im Griff, den eben eingesetzten rasenden Stillstand, der Bewegung nur simulierte, zu zementierten. Und wir begannen sie zu lieben, weil ab jetzt bereiteten wir uns darauf vor stets die Ersten zu bleiben. In jeder Beziehung. Ohne handeln zu müssen. Weil der Germane das einfach verdient. Nach den tausend Jahren. Man war ja in sich gegangen. Der Nivea aus Freiburg und the Raute, they ruled ok. Den Stillstand feiernd. Das nahm kein Ende. Dann wurde Götze eingewechselt und unsere Füße blieben stecken im Zement. La Bundesrepublik. Nun vier:

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Nun haben wir alles. Endlich. Sicherheit und Todesangst. Den heißesten Sommer, der der feuchteste ist. Die Freiheit wieder, die keine ist. Schuldige suchen dürfen wir mit Verve, Helden auch und keinen Plan brauchen wir. Impfverzicht und Gesundheitsgarantie. Party for Future. Nachhaltigen Müll. Schweigend und eingeschnappt miteinander zu reden versuchen. Zahle Du bitte für meine Rituale. Hinter Masken grinsen. An der Supermarktkasse halten wir mit vorwurfsvoller Miene den Trenner in der Hand. Altes Arschloch. Dumme Maid. Bitte nicht drängeln. Und jetzt dürfen wir wählen.

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Aber Vrzeihct können wir immer noch nicht richtig buchstabieren. Denn da wo Deutschland draufsteht ist immer der kommende Weltmeister drin. Seltsamerweise wird dieser Tage gerne mal verloren. Wird aber geflissentlich von alten „Helden“ begeistert wegmoderiert. Und die Kanzlereikandidatennen albern rum, tauchen ab, digital oder egal. Viva le Jammertal. Dem Wähler scheint es Wurscht. Aber die bitte bleibe billig.

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Es ist noch Suppe da? Bis ans Ende aller Tage? Denkste Puppe. Wollte heute was essen gehen. Es gab Salat mit Putenstreifen und Nachos mit Klebstoff überbacken. Immer noch auf den Speisekarten der Vollkaskorepublik. Ich verzichtete. Blieb stehen. Oder blieb ich stecken? Wo? Warum? Wann?

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PS: Ersetzen wir das unschuldige Wörtlein Klimawandel durch die korrekte Definition Klimazerstörung. Machen die öffentlichen Verlautbarer mit?

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Heldenfluten und ein Lied der Würger

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Klima oder Wetter oder Wetter statt Klima über das man wettert und eine letztlich erschreckende Ohnmacht und einer aber muß doch schuld sein. Die üblichen Rituale. Brauchen wir um unseren Kontrollverlust, dieses es nicht fassen können, halbwegs zu verarbeiten. Pandemie. Die lokalen – echt? – Wetterereignisse. Die weltweiten Angstmacher. Die wachsende Naturwut. Die Ohnmacht des homo stupidus. Handlungsunfähiges Starren auf die Bildschirme. Wegwischen. Nächste App. Und so wächst die Sehnsucht nach dem Helden. Selbstverständliches und solidarisches Handeln wird hochgejazzt zum Heldentum. Meistens sind das Menschen, die schon immer schlicht und ohne großes Gejaule ihre Pflicht taten. Teils durch Verträge dazu verpflichtet, meist aber herzensgesteuert. Ganzseitige Anzeigen in den Zeitungen – Dann geh doch zu Netto! – danken aggressiv und bejubeln Heldentum. Weshalb? Soll ich jetzt in Gedenken an die armen Opfer meinen Einkaufswagen vollschaufeln mit Billiggemüse aus Spanien? Mit Katastrophen Geschäftle machen ist schändlich. Da ist das Plündern fast schon ein Kavaliersdelikt. Es gibt keine Helden. Vielleicht den einen oder anderen Heroen. Dem wurden jedoch die Aufgaben von den Göttern gestellt. Siehe Herakles. Und sein Scheitern. Helden sind lediglich eine Erfindung der amerikanischen Comiczeichner. Marvelous. Gott sei Dank war Donald Duck nie ein Held, sondern nur ein Blödmann. Wie wir alle.

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PS: Es gibt auch genügend Blödfrauen. Gaia sei es gedankt! Gelle Daisy!

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Vom Gratismut oder wie das germanische Schaf blökt vor sich hin ergriffen

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Ich gestehe, ich kann mich nicht wehren gegen alte Reflexe und sitze heute Abend wohl mit mehr oder weniger Getränken vor dem Fernsehapparat – hoffe selbstredend auf einen ungarischen Sieg, wohl wissend daß dies Wunschdenken bleiben wird – und werde sogenannte Vorberichte über mich ergehen lassen, fluchend. Die beste Gattin aller Zeiten wird mir raten umzuschalten oder gar abzuschalten, ich jedoch bleibe verliebt in meine Wut*in und werde sehen, wie Doitschland sich die Lippen fusselig labbert darüber, wie es den Regenbogen entdeckte von BILD bis SZ über Brisant oder GALA und sogar bis nach Schalke und die seit heute wieder geöffneten Bordelle. Werde sehen, wie etliche Balltreter, die in Diensten des FC Bayern Katar stehen oder für Manchester Gazprom oder Borussia Hinsense mit Milliarden gefüllte Kugeln durch die Bedeutungslosigkeit treten, ihre ach so weitentwickelte politische Feinfühligkeit öffentlich abfeiern, aber ihre gewiß hundertfach vorhandene Homosexualität mit eingeklemmten Schwänzen verleugnen. Werde mich fragen, warum keiner auf die Idee kommt, die katarischen und chinesischen Werbebanden abzuhängen oder zumindest die Kameras elegant daran vorbeigleiten zu lassen, statt sich an Ungarns Ministerpräsident, der ein genauso großes Arschloch ist wie die meisten Fensterredenheuchler im doitschen Bundestag, die mit Erdogans Beistand die Flüchtlinge in Moria verrecken lassen, wohlfeil gratismutig abzuarbeiten. Nachvollziehen mag ich es, ist doch die doitsch so demokratische Exportwirtschaft eher gen Peking und nicht gen Budapest orientiert. Ich glaube, es werden mehrere Getränke und viele Flüche. Und dann werde ich, wie stets in den letzten Tagen, zu Beginn der zweiten Halbzeit einschlafen, da Fußballspiele, die um 21 Uhr beginnen gegen die Menschenrechtskonvention der UNO und die Charta der doitschen Rentenversicherung verstoßen. Auf dem Wohnzimmersofa hingestreckt dringen so die Tagesthemen mir ins schnarchende Ohr und ich werde folgerichtig von Frau*in Slomkas Besserwisseraugen alpträumen und die verhallenden Stimmen der Experten werden die kommende Vollmondnacht in Segmente einer mir seit Jahren gewohnten Schlaflosigkeit schneiden. Hoffe nur, daß mich der „Scho au“ aus Baden nicht auch noch heimsucht. Oder gar zu träumen, wie die Jenny und der Basti? Schlaf, Kindlein Schaf!

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idiotenwinde pusten durch das land der germanen die keine mehr sein wollen aber dies verbissener sind nun denn je

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Die Sprachpolizei jagt Schwachmaten durch die Labberlandschaften grüne gelbe und anders angepinselte Balltreter pinkeln sich an die Schienbeine man scheucht sich gegenseitig auf die Palmen des Bösen die Bären bocken und ein verspießertes Land jammert sich in den Sommer der neuen Freiheit hinein alte Männer sollen schreiben Texte mit * und * wie auch * die sie in ihre Einlassungen einfügen mögen und so lassen ihr verflossenes Leben außen vor und schon wieder Bayern München man mag so grüner werden hinter den Ohren dieser Republik die sich Erlösung von der Erbsünde Reichtum erträumt ohne ihre Schulden begleichen zu wollen sondern weiterhin verdienen will sich dumm und krumm und dämlich küß die Hand Madame die anderen mit schwarzer Klappe vor den Augen jeder Wetterbericht der Regen ankündigt ist eine Beleidigung der neu erträumten Fröhlichkeiten also verlasse Du der nicht atmet in meinem Takte meinen Strafraum Elfmeter für alle gegen jeden sofort ich aber unschuldig stets angeschossen nur meine Hand so bleibe ich wohlverdienend und hysterisch und werde gut und besser mit jedem meiner wohlfeilen Worte nicht handelnd aber faltet die Hände um unsere Geldbeutel aller mit mir Amen

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Mancher aber wünschte Deutschland regte sich ab und die eigenen Haufen von der Fahrbahn klaube es grün gelb lila gesprenkelte Würste stinken mal so dann anders eben Spieglein Spieglein an den Wänden oder mal bremsen 

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Nachtrag: Obiges schrieb ich heute Nacht in nicht nur nüchternem Groll, heute lese ich dazu von einem schön nüchternen Soziologen. Sehr gut.

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wohin auch immer sich die waage auf dem marktplatz der eitelkeiten neigen möge es schreite ein der eichmeister

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Las unlängst eine Meldung. Weiß gar nicht mehr, ob auf Papier oder auf einer der etlichen Mattscheiben. Inzidenz in Köln – Hahnwald 0. Inzidenz in Köln – Chorweiler 543. Das tat mir erhellend richtig weh.

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Ich lebte lange in Kölle. Südstadt. Wenn man Richtung Süden am Rhing entlang spazieren ging wuchs das Einkommen der dort Ansässigen in 100Meter – Schritten exponentiell. Rodenkirchen. Marienburg. Hahnwald. Auf den letzten Metern in Hahnwald kam man sich vor wie ein Oscar – Gewinner. Von rechts und links im Visier der Kameras. Wir winkten dann immer in die Linsen. Wie damals Honecker. Oder die Queen. Manchmal royste leise ein Rolls vorbei. Oder Christof Daum. Oder halt Hans Gerling.

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1983 drehte ich meinen einzig nennenswerten Film in Chorweiler. Chorweiler ist eine dieser typischen sozialdemokratischen Frühsiebziger Sozialbau – Monsterburgen. Gut gemeint und übelst gelandet in der Realität. Ich spielte in diesem WDR – Werk (bekannter Alt 68er Regisseur / sein Motto: rein in die sozialen Brennpunkte, ich aber wohne in acht Zimmern in Neu – Ehrenfeld / mein Nachbar Wallraff hat nur sieben, dafür aber allein) einen Skinhead, Neonazi. Dumm wie Brot? Oder einfach nur verletzt vom Leben? Bei den Dreharbeiten machten uns dann echte Skins an. „Wat wollt ihr eijentlich hier, ihr Heiopeis? Allet besserwissen, oder watt?“

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Wenn ich aus dem Fenster schaue – siehe Foto oben – blicke ich auf ein Gebäude der Wohnbau Gießen. Als wir hier einzogen, wohnten da drüben hauptsächlich Rentner. Ruhige Nachbarn. Seit zwei / drei Jahren hat sich das geändert. Viele Kinder. Flüchtlingsfamilien. Es wird lauter und lauter. Stundenlang jagen und toben 20 und mehr Kinder übers Gelände. Unsere Bierbank unten im Hinterhof? Da gemütlich rumsitzen? Nicht mehr so dolle dort. Manchmal kotze ich, sitze ich doch hier oben an den Tasten und versuche meine coronabeschädigte Konzentration aufrecht zu erhalten. Warum eigentlich empöre ich mich? Oh du Sensibilität? Oder Arroganz?

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Vorgestern feierten sie da unten einen Geburtstag. Abstände? Vergiß es. Aber bevor ich meinen Moralfinger ausfahren konnte, dachte ich an die obige Meldung und sah die Kinderaugen strahlen und toben. Führen wir eigentlich die Diskurse an Orten, wo wir nicht betroffen sind? Gut möglich.

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Ich glaube, ich bin Mitglied einer Generation, der das Glück unter die Nase gerieben wurde. Wir durften unsere Eltern beschimpfen und wurden auch noch bezahlt dafür. Wir konnten aus unseren Traumata Geschichten basteln. Wir haben als ewige Besserwisser das Logo „Das wird man doch mal sagen dürfen!“ erfunden. Jetzt entzieht man uns halt das Copyright.

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Vorgestern regnete es wieder heftig. Möge es dies noch lange tun, spricht der Gärtner in mir. Ich ging nach unten, um den Müll in den Tonnen getrennt zu versenken. So 10 / 15 der Kinder tobten noch durch den Graupelschauer. Eines sagte: „Wir müssen jetzt rein!“ Antwort: „Nee, hier draußen ist doch viel toller als drinnen!“ So isses. Wollen wir wirklich wissen, was hinter den runtergelassenen Rolläden geschieht? Ich werde mich nie mehr wieder über lärmende Kinder in der Nachbarschaft aufregen. Das Schlauchboot mit dem ich mal auf dem Mittelmeer rumschipperte war nicht überlebenswichtig, sondern: FUN! Eben. Nachdenken ist anstrengend.

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damals und heute heraus zum 1. mai

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Komme eben von der 1. Mai – Demo und stelle fest, daß ich egal wo und wie, kaum eine Kundgebung zum „Internationalen Kampftag“, wie es so schön heißt, verpasst habe in den letzten 48 Jahren. Nicht nur Ritual, sondern auch Überzeugung. Nötiger denn je: Zusammenhalt gegen soziale Kälten.

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Obiges Fotos kuckelte ich unlängst beim seemoz, einer Netzzeitung, die ich gerne mal besuche, wenn mir nach alter Heimat ist. Das Bild aus dem Jahre 1973 bestätigt mein allererstes Herausgehen zum ersten Mai.

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Aufgenommen wurde das Foto auf der Marktstätte zu Konstanz. Die alte Hauptpost im Hintergrund. Da habe ich später dann eine Zeit lang gejobbt. Da liegen auch noch schöne Geschichten rum. Ich lief, glaube ich mich zu erinnern, beim vierten Transparent mit. Man forderte ein selbstverwaltetes Jugendzentrum. Das waren die etwas Älteren. Ich schaute zu ihnen auf. Einige von denen haben dann Wochen später das erste Haus in KN besetzt. Rosenlächerweg 2. Und das wäre der Sound dazu, die Gruppe aus Berlin.

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Nächstes Jahr gehe ich sicher nochmal raus in den Mai. Hoffentlich dann wieder „mit einem Schoppe in der Hand“, wie einer der vielen alten „Genossen“, die ich jedes Jahr hier vor Ort treffe, heute richtig bemerkte.

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PS: Dank nach KN fürs klaue könne vun sellem Foto. Oder it? I zahl aber au!

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