Manchmal ist man auf der Flucht. Vor sich. Vor dem Anderen. Vor einer Liebe. Man ist bereit eine ganze Welt auf den Müll zu werfen. Um zu fliegen ohne mit den Wimpern zu zucken. Dann, der Tank leert sich so langsam, muß man wieder landen. Warnblinker zuckten. In der Not halt eine nötige Notlandung. Man nennt sie dann freiwillig. Davon ein altes Lied.
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nachtwanderungen
der schlaf hat mich plötzlich und schwer umarmt und sich genauso plötzlich und schwer davongemacht. morgens um vier besuchen sie mich: deine, meine, unsere gespenster. nicht laut schreiend und wehklagend wie die tage zuvor, nein leise, ihre forderungen nur sachte an die wände malend. du hast ihnen einlass gewährt, hast ihnen nicht die begrenzte haltbarkeit deiner gastfreundschaft klargemacht. sie klagen und kratzen an den fenstern, sie huschen durchs dachgeschoß, daß ich betrete und fühle, dort oben wohne nicht ich, nicht wir, dort oben ist noch terra incognita, heimstatt eines schmerzlichen betruges. ich höre das ferne röcheln anderer wartender. gespenster haben eine fürchterliche eigenschaft. in jedes loch fehlender klarheit nisten sie sich ein und reiben ihrer stinkenden schwänze. und aus jedem qualvoll verspritzten tropfen erwacht ein neues noch größeres gespenst, eines dessen hohnlachen noch lauter und schneidender den schlaf erwürgt. oh du fata morgana, lichtspiegelung in der wasserwüste der liebe. draußen taumeln die seemänner und wollen an land, doch die nächtlichen schweren ketten rasseln vor einer hafeneinfahrt, welche gar nicht existiert. leuchttürme, in denen alte wächter mit rum gurgeln, versinken in der flut. heute nacht ist meine haut hart und glänzend, über meinen innereien liegt der panzer der erschöpfung und ich breche auf. was bist du, eine leinwand auf der aufgeregte leichtmatrosen ihre farbreste verkleckern, eine kneipe, in der vaterlose gesellen unter die tische pinkeln, die dornenhecke, in der liebeskranke troubadoure ihren rausch ausschlafen, um morgens das blut ihrer wunden in ihre weinkaraffen zu ergießen? oder bist du einer dieser spiegel, in die man hineingreift und plötzlich sein blutendes herz in den händen hält? ich erinnere mich nicht daran, daß von den zinnen deiner burg proviantpakete auf die singenden ritter hinabfielen, ich erinnere mich nur an das rasseln der skelette, über die ich stolperte und zu deren rhythmus ich neue lieder bastelte. in deinen gemächern stapeln sich nicht abgesandte worte, seidentücher, um die sich ganze bataillone duellieren würden. und dann schickst du dein kleines kind hinaus und weinend zucken die eben noch festen knie in den sand. das morgenlicht liebkost die wahnsinnigen und die eine rose, die du gabst, zerstreut sich in alle himmelsrichtungen, eine jede faust umklammert schwitzend ein blütenblatt. zuhause, in ihren jämmerlichen hütten sitzen die wallfahrer, alte kompendien wälzend, in der irren hoffnung ihre tränen und die leblosen säfte ihrer lenden erweckten das tote souvenir zu neuem leben. ich besteige mein armes altes pferd und rauchend machen wir es uns auf einer wegkreuzung bequem. die sonne leckt meine müdigkeit und traurig erwarte ich dein lächeln. der rosarote wind trägt mir entgegen, was ich verlor, den geruch deiner ewigkeit.
Man kann seit ein paar Jahren wieder in der Lahn baden. Sagt man, macht es. Ich tat dies ein paar Mal vor zwei Jahren, eher aus purer Verzweiflung, als uns in jenem Sommer eine unserem nicht wirklich gescheiten Lebenswandel geschuldete extreme Hitze überfiel. Ein Freund und Wegbegleiter – ihm verdanke ich eine der schönsten Theaterarbeiten meiner Laufbahn, obwohl und wohl weil diese Arbeit nicht am Stadttheater verwirklicht wurde – und vor allem auch seine Lebensgefährtin hüpfen seit einigen Jahren zweimal täglich und dies vom späten Mai bis in den Oktober, man munkelte gar von einem frühen November, in diese – Verzeihung – doch recht trübe Flut. Sage ich, der ich in unserer Ehe den Kampfnamen trage: „Der am Bodensee Aufgewachsene.“ Hugh, ich habe gesprochen!
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„Eisvogel (Alcedo atthis) (16 cm). Klein mit großem dolchförmigem Schnabel. Oberseite glänzend blaugrün. Unterseite rotbraun. Eisvögel sitzen oft stundenlang auf Ästen oder Zweigen, die über dem Wasser hängen, und lauern auf Beute. Typisch ist auch ihr geradliniger, pfeilschneller Flug, meist dicht über der Wasseroberfläche.“
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Diesen Sommer, der nicht ganz so wahnsinnig heiß war, dafür aber von anderem Wahnsinn gebeutelt, besuchten wir, meine Gattin und ich, die zwei befreundeten und ausdauernden Lahnschwimmer ab und an am Steg des „Männerbadevereins“ – heißt wirklich so, Frauen dürfen aber auch – um zu quatschen und, von unserer Seite aus, bestenfalls mal einen Fuß in die Lahn zu stecken. Und da sah ich ihn, nach Hinweis der Schwimmer, das erste Mal. Den glitzernden Alcedo Atthis. Beeindruckender Tiefflieger.
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„Streit gab es um die Frage, ob Eisvögel auch schillern. (Können die auch goethen? Gruß und alles Gute im Neuen Jahr. Euer Säzzer!) Schillerfarben sind solche, bei denen die Farbe sich mit dem Blickwinkel ändert. Paradebeispiele sind die Pfauenaugen oder auch die als ‚fliegende Edelsteine‘ bewunderten Kolibris. Für den irisierenden Effekt verantwortlich sind geordnete Nanostrukturen aus Melanin. Sie liegen in den Federstrahlen, die von den Federästen abzweigen. Einen echten Pfauenaugeneffekt zeigt der Eisvogel nicht – also auch keine echten Schillerfarben.“
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Seit Beginn der erneuten Schließrunterphasen Anfang November gehe ich täglich spazieren an der Lahn, da gibt es einen der wenigen Orte in Gießen, wo man ein bisserl weiter gucken kann. Übers Wasser. Siehe Foto oben. Manchmal scheint sogar hier die Sonne. Und bei jedem zweiten bis dritten Besuch iss er da: der Eisvogel. Glitzert vorbei auf Augenhöhe. Gestern, zum Jahresabschluß, saß er auf einem Pfahl, geschlagene zwei, drei Minuten und beobachtete mich aufmerksam, der ich auf das trübe Gewässer blickte und das alte Jahr an mir vorbeirauschen ließ sinnend und er schillerte und goethete. Wunderbar. Mein Freund behauptet, es gäbe mehrere Eisvögel an der Lahn. Ich glaube, es gibt nur den einen Alcedo atthis mittelhessensis.
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Ich kannte den Eisvogel bisher lediglich als Etikettentier des Bieres aus Lich. Schrieb einst mal sogar ein Lied über dieses Getränk. Da unten noch der böllerbefreite Mond der letzten Nacht. Prost Neujahr.