Wahrscheinlich wiederhole ich mich. Aber nun tue ich es aus quasi aktuellerem Anlaß. Die Wiederholung: Wenn ich am Schreibtisch sitze und schreibe, schaut mir der älteste aller Altkanzler über die Schulter, garniert mit seinem „Lieblingsgedicht“, wovon ich wohl mal las und es sogleich verwurstete. Weil es mir gut gefiel stets und noch gefällt. Bisserl Olli Kahn: Weiter! Immer weiter! Schön naiv bleiben. Weniger klagen halt! Dinge tun!
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Letzte Woche sah ich eine Dokumentation über JFK im TV und guckelte nach. Das Gedicht ist gar kein Gedicht, sondern lediglich die letzte Strophe. Und gewünscht hat sich die Reime Kennedy zur Amtseinführung. Manchmal dauert es halt 60 Jahre, bis man was begreift. Oder nie. The complete poem:
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Whose woods these are I think I know.
His house is in the village though;
He will not see me stopping here
To watch his woods fill up with snow.
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My little horse must think it queer
To stop without a farmhouse near
Between the woods and frozen lake
The darkest evening of the year.
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He gives his harness bells a shake
To ask if there is some mistake.
The only other sound’s the sweep
Of easy wind and downy flake.
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The woods are lovely, dark and deep,
But I have promises to keep,
And miles to go before I sleep,
And miles to go before I sleep.
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(Robert Frost)
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Robert Frost? Bob Frost? Seit etlichen Jahren, seitdem Dylan seine Platten selber produziert, was gut so ist, nennt er sein Produzenten – Alter Ego: Jack Frost. Mein zweiter Name ist Hans. Vater eben. Ich mag diese Coincidencien. Mit oder ohne jegliche Bedeutung versehen. Verbindungen.
Muß mich auf diesem Weg nochmals für die Einladung bedanken, an diesem Abend mitzuwirken zu können. War eine Freude. Erhellend. Und ordentlich Nachdenkstoff für die nächste Zeit.
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Zitate:
„Die Zeit ruckt. Im Kopf immer weiter schreiben. Auch im Schlaf noch. Und dabei spüren, wie die Zeit an mir zieht. Man spürt es als Schmerz.“
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„Zeit lassen unterwegs. Der Weg läßt sich Zeit.“
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„Daß uns die verlorene Zeit nur nicht nachträglich zur Idylle mißrät!“
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„Vielleicht daß ich doch schon in diesem vorigen Winter von der Zeit und dem Wintersonntag anfing und dann nicht aufhören konnte. Gerade weil alles vergeht. Aber beim Erzählen, sobald man anfängt zu sprechen, ist immer Gegenwart.“
„Petrus schaut gleich vorbei, holen sie so lange ihr Gepäckstück ab!“
„Das ist aber beschädigt!“
„Entschuldigung, was erwarten Sie denn am Ende eines Lebens?“
„Gibt es da wenigstens einen finanziellen Ausgleich für?“
„Wie? Wünschen Sie ein Einzelzimmer im Fegefeuer?“
„Ich frag‘ ja bloß!“
„Weil es nichts kostet, oder? Leben Sie halt das nächste Mal mit Rollkoffer!“
„Das konnte ich mir nie leisten. Wir wurden eher mit einem Plastiklöffel im Mund geboren.“
„Da gibt es auch andere Erzählungen, mein Sohn!“
„Apropos Sohn, wo ist denn mein Vater untergebracht?“
„Das hier ist kein Familienzusammenführungsinstitut. Auch wenn man bei Euch da unten anderes erhofft. Eine jede Seele verbleibt in Einzelhaft. So wie’s begann, so wird es enden.“
„Aber ist das hier nicht die Himmelspforte?“
„Ihr seid echt süß, Ihr Menschenkindlein. Das hier ist bestenfalls ein Übergangslager!“
„Also gibt es so etwas wie eine Wiedergeburt?“
„Es gibt eine Verlosung ab und an. Hat man Glück, hat man Glück!“
„Und erworbene Verdienste?“
„Nicht jede Reise hat das Ende, welches sie verdient hätte. Oder sagen wir, im Rahmen der Möglichkeiten der Vorsehung, angemessen.“
„Uff! Ich dachte hier oben sei man wesentlich einfacher gestrickt! Also mental!“
„Wer nicht glaubt, der nicht wagt! Aber auch dem Glaubenden bleibt die Sphinx nicht gänzlich fremd. Sollte zumindest. So, Sohnemann, ich habe zu tun. Du bist nicht der einzige Jammerlappen, der hier oben anklopft. Geh an die Bar und hole Dir einen letzten Wein. Oder was auch immer. Da hängen noch etliche mit kaputtem Gepäck rum. Geteiltes Warten. Wenn einer eine Reise tat, dann sollte er das erzählen!“
Nein, dies ist keine photographische Inszenierung. Obwohl ich zwei Loriot – Abende zusammengestellt und auf die Bühne gebracht habe. Man hatte mich beauftragt und dann auch gebeten damals. Wir saßen nun in der Küche beim Abendbrot, die Gattin und ich, und sprachen über den dieser Tage allgegenwärtigen Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow, als mein geliebtes Gegenüber ansatzlos in wilde Heiterkeit ausbrach. „Du hast da was!“ „Ach was!“ „Sagen Sie jetzt nichts!“ Und sie griff zum Telefon und photographierte mein Gesicht.
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Den ersten Abend hatte ich vor etwa 11 Jahren am Wallgrabentheater Freiburg gebastelt. Ein Anruf: „Loriot ist gestorben!“ Gründer, Grandseigneur und auf dem Weg in den endgültigen Ruhestand war dort Heinz Meier, unvergesslicher und neben der herrlichen Evelyn Hamann zentraler Partner des Meisters, der mir in den Rückblicken ein wenig zu gering gewürdigt scheint und mit ausdrücklicher Genehmigung von Loriot, dessen Szenen als Erster und lange Einziger aufs Theater bringen durfte. Ich hatte die Riesenehre und muß dies erwähnen, obwohl mir das „Namedropping“ eine ungute Version von Eitelkeit ist , Heinz Meier, der mich knurrend duzte, ich ihn ehrerbietig siezte, inszenieren zu dürfen. Da wir schon rumeiteln, hier ein Presseausschnitt: „Wer die legendären Loriot-Abende aus dem Fernsehen kennt, hat deren Szenerie und Spielfluss vor Auge. Aber muss man das wirklich Detail für Detail imitieren? Regisseur Christian Lugerth antwortet hierauf mit einem klaren Jein. Denn, und das zeigt der knapp zweistündige Abend unter dem Titel „Ach was! Loriot“ deutlich: Die Texte wirken schon aus sich heraus. Der Abend gibt da schon früh den Takt vor. Da steht ein älterer Herr vor dem Fernsehapparat und betrachtet kritisch einen Sketch, der ihn um ein paar Jährchen jünger zeigt. Der Herr macht eine abweisende Geste, schaltet die Kiste aus, ein Loriot’sches „Ach was!“ auf den Lippen. Der wirsche Tonfall indes ist nicht Loriot – er ist klar Heinz Meier. Als ob der Grandseigneur des Wallgraben-Theaters noch einmal Bilanz zöge über seine Rolle(n) in Loriots Stücken, mit zwei Worten und einer Geste, die viel mehr aussagen als lange Abhandlungen. Dem besagten Sketch, es ist der vom Lottogewinner Erwin Lindemann, gilt auch das virtuose Finale des Abends. Heinz Meier alias Lottemann, äh Lindemann, mit herrlich ostpreußischem Akzent und all den geplanten Versprechern, die, darf man das so sagen?, eine Spur rauer, eine Spur resignativer klingen als früher: Aus Erwin ist ein Estragon geworden, und vielleicht wartet der nicht auf Godot sondern auf Loriot.“
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Heinz Meier war ein großer Fußballfan. Was uns verband. Wir schauten also oft gemeinsam auf den kleinen Fernseher hinter der Bühne, wenn die Bälle rollten. Und redeten eher wenig. Umso mehr redete aber der „Kleine Prinz“, wie Meier den designierten Leiter des Theaters gerne nannte, der – man war „not amused“ – sich das kleine und sehr feine Theaterchen angeheiratet hatte. Er war sich sehr sicher zu wissen, daß es nur eine Sichtweise auf den Humor des Altmeisters gäbe und zwar die seinige. War stets ein freudlos anstrengendes Zuhören, er stand auch auf der Bühne, bis Heinz – inzwischen durfte – Ach was! – mußte ich ihn duzen, ein Machtwort sprach. „Der macht das schon!“ Gerettet! Holleri du dödel di!
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Unlängst las ich Erinnerndes von Tim Moores, ein britischer, nein, ein walisischer Regisseur – Wie passend! – der die ersten Fernsehsendungen von Loriot bei Radio Bremen einrichtete. Der Bremer Sendechef damals war ein Schwabe. Tim Moores erinnerte sich, daß jedesmal wenn der Schwoab an ihrer Humor-Arbeit herummäkelte, sie so wussten, daß sie richtig lagen. Der „Kleine Prinz“ war – Ach was! – der Sohn eines schwäbischen Häuslebauers. Sagen Sie jetzt nichts. Ist Ihr Gatte auch dieser Ansicht?
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Der erste Loriot – Abend lief zwei Jahre lang mit Warteliste. Der Sommer 2013 war ein sehr heißer. Ich arbeitete wieder in Freiburg und war verantwortlich für die dortige Rathaus – Innenhof – Sommer – Inszenierung. Ab und an traf ich Heinz, der inzwischen ziemlich geschwächt. Er schleppte sich ins Theater für die letzten Vorstellungen. Kaum stand er auf der Bühne geschah diese Verwandlung, die unseren Beruf ausmacht. „Freue mich auf die Sommerpremiere. Du machst das schon!“ Sagt er noch. Nebenher auf den Proben die üblichen „Humordiskussionen“ mit dem inzwischen beförderten „Kleinen Prinzen“. Nach einem größeren Knall, ich hatte die Faxen dicke und dann im guten alten „Litfaß“ die Nacht durchgemacht, klingelt um 7 Uhr in der Früh das Telefon. „Der Heinz ist tot.“ Man hatte ihn in seinem Lehnsessel gefunden. Ein Gläsle Ihringer auf den Tischle und ein Buch in seinem Schoß. Am Tag der Generalprobe die Trauerfeier im Foyer des Theaters. Als – man verzeihe die Eitelkeit – letzter Regisseur des großen Heinz Meier – hielt ich eine kleine sentimentale Dankesrede. Der „Kleine Prinz“ weinte feuchte Lügen in die Dreisam.
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Drei Jahre später ein Anruf. Ein zweiter Loriot – Abend. Das Theater humpelte in Sachen Auslastung etwas am Soll vorbei. Die zweite Erfolgs – Platte auflegen. Noch mal eitle Presse: „‚Spielen Sie doch einfach, was da steht‘, heißt das Programm – und das ist auch die Idee, von der sich Christian Lugerth leiten ließ. Der Regisseur hat Loriots Geschichten von womöglich aus der Zeit gefallenem Beiwerk befreit und sich auf den Kern, auf die zerbröselte zwischenmenschliche Kommunikation, das Aneinander-vorbei-Reden, konzentriert. Sinnfällig wird dies nicht nur im Titel des gut zweistündigen Abend, sondern auch im Bühnenbild auf der Kellerbühne: Das rot-samtene Loriot-Sofa steht als Vergewisserung am Bühnenrand, als Requisiten aber reichen ein paar schlichte Stühle und ein Gazevorhang, mal ein Tisch, mal eine Stele. Und natürlich ein Klavier.“ Moment! Der inzwischen „Große Prinz“ sprach dazu was? Man wiederholte sich in den Auseinandersetzungen. Premiere. Abreise. An der Wiederaufnahme wurde später noch unnötig rumgedoktert. Nicht von mir. Dann starb auch noch Evelyn Hamann.
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Uff! Wurde jetzt letztlich ein Plädoyer für die Heinz Meier dieser und vergangener Bretterwelten. Heinz Meier hatte mir – PSST! – beim Fußball gucken mal erzählt, daß Loriot sich in den Arsch gebissen hatte, ihm den Erwin Lindemann überlassen zu haben, der, wie er fallen ließ, für ihn lebenslanger Fluch und Segen war – und ich bin schuld – auch noch die letzten Worte wurden, die er auf der Bühne sprechen konnte / durfte / musste / wollte. Auf was warten wir? Auf Godot. Zurück zu Loriot.
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Krawehl, krawehl!
Taubtrüber Ginst am Musenhain
Trübtauber Hain am Musengibst
Krawehl, krawehl!
(aus: Die Reime des jungen Bülow)
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Außerdem hat die deutsche Sprache wunderbare Substantive,
die im Rahmen einer Liebeserklärung enorme Wirkung haben,
Auslegeware oder Sitzgruppe beispielsweise.
(aus: Minima Loriotika)
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Moment! Untiges lag noch hier rum. Es flog auf Wunsch des Prinzen – der sich nicht aufblasen wollte, es aber tat – aus dem zweiten Abend. Ach was.
Keine Zeitung mehr zu lesen und ein netzbefreites Leben zu leben ist gewiß erstrebenswert. Wir arbeiten dran. Als Süchtler nicht ganz so einfach. Manchmal verpasst man aber ohne Rituale wirklich Wichtiges. Einen Tod. Heute las ich über Umwege – Kölle! Karneval! Niedecken! BAP – Gedächtnistour 2024! – daß der mir liebste Kölsche Frank Hocker, einfach so gestorben. Ein Konstante der Freundlichkeit, wie ich stets fand, und eine Zeitlang Nachbar in Nippes mit gemeinsamer Kneipe op der Eck. Ein wunderbarer Gitarrist und Minsch. Mein Jahrgang. Schnauze Selbstmitleid.
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Dann ein Lied vom Köster auf dessen Homepage gehört. Er singt von der „Schmier“, die man früher so gerne beschimpfte und man heute mehr als froh sei, daß es sie noch gibt. Dann fiel mir obiges Bild über die Füße. Tja, die Jungs von Uncle Sam, die unsere Alterskohorte so haßliebte, aber letztlich froh war, daß der böse Ami Musik lieferte und noch bessere Filme und die bösen Buben mit Osttendenzen, zumindest hier im Westen, wild demonstrieren ließ. Klar, die dreieinhalb letzten Mitglieder der DKP sind da anderer Ansicht. Prinzessin Sarah Eisenherz wohl auch. Dennoch wollen wir den guten alten Sheriff wieder die Weltmeere durchpflügen lassen. Ich weiß es nicht. Andererseits und Sicherheit? Was immer das sein mag.
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Komme eben aus der Innenstadt. Eine traurige Karnevalsimulation vor einer Walldorfkneipe. Kinder hüpfen eine Chorusline. Kein Rudolf Steiner in Sicht. Aber billiges Bier. Und ein OB mit Narrenkappe statt abgelegtem Talar. Wohl ein Humorversuch ala Gießen. Da sind die Jungs also wieder in der Stadt. Zu elft am Elften. Und raten so vor sich hin. Was wäre unser Sinn?
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Mädel schwingt das Bein
Ein Orden ist nicht billig
Helau schreit die Sau
Metzger um die Ecke biegt
Die Sau sie quiekt
Ich bin historisch
Sie protestiert
Die Masse aber chorisch
Schunkelt ein Helau
Weg mit der alten Sau
Genau
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Kurz mal in die alte Kneipe geluurt und raus aus dem Gedankenkarussel. Die Jungs übernehmen. Ab in die Küche. Es gibt „Rouladen nach Oma Höppner“. Rezept aus Sachsen – Anhalt. Ist das auf dem Index? Weia!