„Niemand glaubt mir, nicht mal ich!“ (Rammstein)

…..

…..

Die nahende Rente. Die Untätigkeit. Die Nachwirkungen der weiter umherschleichenden Pandemie. Diverse unangenehme Mondknoten. Die grauenvollen Zeitläufte. Da hadert man gerne. Mit sich. Den Anderen. Kurz: der ganzen Welt. Oder kramt in der Hoffnung auf gelegentliche Milderung in alten Pappkartons. Meist findet man das immer gleiche. Das Leben ist ein Karussell. Manchmal sogar eine Falle, die man sich selber stellte.

*

Dies denkend, höre ich im Radio – Rockantenne aka die alten Pappkartons und der immer gleiche Inhalt – das NEUE Album von Rammstein. Zeit. Wo ist sie hin, wie ich vor zwei Tagen hier schrieb. Ich mag das Pathos der Herren. Die Selbstironie. Und die versteckten Anspielungen. Und die Visualisierung in banaler Härte dieses ewigen Bubenwunsches: zurück in den Mutterleib. In jenen Momenten der Tiefe und Größe.

*

Gestern landete ein bestelltes Buch bei mir. Ich nahm es in die Hand und inhaliere es seitdem. Bernd Wagner: Verlassene Werke. Vor einiger Zeit (sic!), aber nicht sooo lange her, schenkten mir die Veranstalter einer Lesung im Gießener Büchnerclub, ich sang und rezitierte Gerhard „Gundi“ Gundermann, ein Buch von Bernd Wagner. Ich glaube: Die Wut im Koffer. Reichte ich dann an meinem alten Freund Thomas weiter und er fand mehr und mehr von Wagner. Noch begeisterter als ich. Wir kannten ihn beide nicht. Eine Entdeckung. Nun dieser NEUE 600 Seiten – Wälzer. Verlassene Werke. Aufzeichnungen aus den Jahren 1976 bis 1989.  Erstes Zitat: „Die DDR hat den totalen Sport erklärt! Schweigen ist Silber, Reden ist Gold. Die heiligen Kühe sind die zähesten.“

*

Zweites Zitat: „Verlassene Werke sind wie gewisse Steine an den Meeresküsten. Man kam von weit her, hob sie auf, schleppte sie ein Stück mit, man warf sie zurück in die See. Denn unter ihnen war nicht der richtige, der Urstein. Doch einmal lagen sie in der Hand, einmal wurden sie betrachtet. Ihre Unschuld ist dahin, sie können nicht zurück in die Anonymität. Sie gehen umher wie Geister und leben hinter geschlossenen Augen, unerlöst.“ (Bernd Wagner)

*

Nein. Erlösung wird man nicht finden. Wir sind keine Eidechsen, denen die abgefallenen Schwänze nachwachsen. Auch die dümmsten Gedanken müssen gedacht werden. Man kann sie zurück in die See werfen. Oder lässt sie am Strand rumliegen. Die meisten gehen vorbei. Vielleicht bückt sich einer. Gar eine. Was dann geschieht, lag mal in eigener Hand.

*

Drittes und vorläufig letztes Zitat: „Was mich zum Schreiben zwing, weiß ich: Ehrgeiz, die blödsinnige und durchschnittliche Sucht mich zu zeigen. Was aber rechtfertigt es? Nichts. Weder bin ich über alle Maßen phantasievoll noch intelligent. Ich kann nur nicht anders!“ Nun denn, sprach ich und bückte mich. Ein stechender Schmerz. Auf meiner Mailbox der Rücken. Zurück zum Radio und dem näherrückenden Krieg.

…..

Wo ist die Zeit die Zeit die Zeit wohin

…..

Konstanz / Nikolai – Torkel / Linkes Fenster: Miete einen Tennisplatz / März 2022

…..

*

Wo ist die Zeit, die Zeit, die Zeit

Wo ist die Zeit, die Zeit, die Zeit

Wo ist die Zeit, die Zeit, die Zeit nur wohin

Wo ist die Zeit, die Zeit, die Zeit

*

Und die Fenster muß man putzen und Amerika ist weit

Und Han Solo macht Besuch im Krankenhaus

Und wir kommen und wir gehen und bleiben immer da

Und das Leben spielt mal wieder Nikolaus

Und der Kranich sitzt auf seinem Pfahl, der Säntis winkt und schweigt

Auf den Brettern wird ein neues Stück erzählt

Auch wenn der Eine zetert, ein Andrer leis rumort

Ich hätte mir kein anderes erwählt

*

Wo ist die Zeit, die Zeit, die Zeit

*

(gießen / juni 2005 / zu singen auf diese melodie)

…..

Mit Ebenholzherz Vorfahrt gewähren

…..

Konstanz / Hörnle / März 2022

…..

DANKBARKEIT

*

dankbarkeit nicht so leicht

wo’s grad mal für ein bitte nach dir reicht

oder mal ganz großzügig die vorfahrt geben

einer steifen oma einen cent aufheben

es macht dir angst, es mach dich klein

und das wolltest du nie wieder sein

drum bleibst du hart, drum bleibst du stolz

schnitzt dir ein herz aus ebenholz

*

und manchmal geht’s dann doch

und du kriechst aus deinem loch

ein verknittertes lachen, ein holpriges lied

wahrscheinlich ist es mal wieder zu spät

scheißegal, es zählt jeder versuch

über den meisten leben da hängt ein fluch

fünfzigmal an den pfosten geschossen

und das einzige tor nicht mal genossen

*

und manchmal geht’s dann doch

und du kriechst aus deinem loch

ein verknittertes lachen, ein holpriges lied

wahrscheinlich ist es mal wieder zu spät

scheißegal, es zählt jeder versuch

über den meisten leben da hängt ein fluch

fünzigmal an den pfosten geschossen

und das einzige tor nicht mal genossen

*

(gießen / juni 2005 / zu singen auf diese melodie)

…..

Picknickdecke / Kirschen / Königreich

…..

Konstanz / Tennisplätze Nikolai – Torkel / März 2022

…..

Ich war dieses Jahr, teils freiwillig, dann wieder gezwungen, dann auf freiwilliger Flucht, daraufhin wieder asylsuchend in der alten Heimat am See. Unfreiwillig gewollte Entscheidungen. Lief rum. Guckte. Fiel blöd und dann fiel mir wieder was ein. Will in nächster Zeit mich hier immer mal wieder und unregelmäßig erinnern. Was mir um – oder reinfällt. Mal so:

*

die picknickdecke war das königreich das hoernle der planet

der gummiring war niemals nie im

Aus

und im pudding steckten kirschen und wer die letzte aß

ging mit stolzgeschwellter brust nach haus

die tennisbälle wurden gelb und der sommer hatte zeit

gewitterwind septembersegel bläht

ein letztes Mal aufs große floß ein dachstuhl bricht entzwei

und die feuerwehr kommt immer viel zu spät

wo ist die Zeit wo ist die zeit

*

(gießen / juni 2005)

…..

Oder mal so:

*

wir sind wie schatten

auf einer wand.

wir huschen über sie hin.

verlieren uns in der

dunkelheit.

verschwinden und sind:

dahin.

wir sind wie träume

im morgengrauen,

die beim erwachen

vergehen,

wie echos leise und fern,

die mit den winden verwehen.

wir bauen häuser und mauern

und reißen sie nieder.

errichten uns monumente,

um kurz unsterblich zu sein.

und trotzdem wollen wir hoffen,

solange es irgendwie geht:

wenn zwei sich füreinander entscheiden,

daß dies für immer besteht.

*

(jürgen ruf / hh / august 1995)

*

Schrieb mir mein Bruder anläßlich meiner ersten Heirat. Schön. Hatte ich auch vergessen. Aber irgendwo abgelegt. Der Gedankenschrank ist demnach gefüllt und wird peu a peu entrümpelt. Freu mich auf die Fundstücke. Voila!

…..