Von dem steten Menetekeln statt sich vor den Konsequenzen mal zu ekeln / Fangen wir wieder an zu rauchen 13

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Schwangau / 16. Juni 2022

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Da haut sich ein Gletscher ins Tal, weil er in den letzten Tagen das erste Mal in seinem gewiß mehr als 50000 Jahren altem Leben 10 grad Celsius PLUS erleiden mußte. Und nimmt ein paar Bergsteiger*innen (Verzeihung! Ich verzichte auch auf meinen Vortrag morgen an der Uni Sowieso!) mit in die Hölle. Da soll es ja noch wärmer sein als hier oben. Obwohl? Sicher dat?

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Hörte eben davon in den Nachrichten im Radio, während ich spülte. Das Wasser kommt so warm aus der Leitung, daß mein Wasserkocher binnen kürzester Zeit abschaltet. Na also, tu klagendes Germania, die finsteren Wolken über unserem Geldbeutelhimmeln, so schlimm können sie gar nicht sein. Ach, vergaß ich fast: dann noch mein Lieblingsspruch am Ende der Nachrichten. Konzentration: „AUCH DEUTSCHE UNTER DEN OPFERN!“ Die Opfer der Deutschen sind meist entschieden leiser.

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Weniger als fünf Minuten duschen? Weia! Abu Ghreb ante portas!

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Befürworte die Wiedereinführung des Prangers. Auf den wesentlichen Flughäfen des Landes werden die Nasen, welche nicht in der Lage waren die Dinger rechtzeitig zu Ende zu bauen und die Bösewichte, die für das „Chaos“ dieses Sommers zuständig sind, an die guten mittelalterlichem Schimpfpfähle gekettet und wir Selbstgerechten dürfen ihnen die ausgestreckten Zeigefinger ins rechte oder wahlweise linke Augen stechen. Das ist wahre Demokratie.

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Gibt es Flughäfen, die von einer Gletscherschmelze bedroht sein könnten? Die Suche nach den Schuldigen sei hiermit eröffnet.

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RAUCHPAUSE / Teil 13

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Wenn ich hier so stehe, möchte ich mich gar nicht mehr sehen. Nicht nur lange Unterhosen, ich glaube irgendjemand hat mir auch einen Morgenmantel übergestreift und ich habe es gar nicht bemerkt. Herr Marlboro sucht sein Pferd. Da bist Du kein Altbundeskanzler. „In allen Theatern herrscht Rauchverbot. Nicht für mich. Ich bin Teil der Inszenierung.“ Sagt der und gibt seiner Loki Feuer. Vom Schulhofheld zum Hinterhoffeigling. Große Karriere.

Nach einer Woche auf meinem AB die Stimme von Gitti. „Ruf uns mal an. Hansi und ich wir müssen Dich unbedingt sprechen. Es geht um das Aquarium.“ Das war vielleicht ein Treffen. Das erinnerte mich an die Abrüstungsverhandlungen Anfang der 80er. Rechts Reagan, links Breschnew, in der Mitte ein langer Tisch mit Kaffeekannen und Wasserflaschen sowie 10 Brötchen. Kalter Krieg und kalter Braten. Meist redete Gitti. „Also erst mal, wir haben uns verlobt.“  Meine Gesichtshaut erstarrt zur Maske. Bei Gitti kurzes Aufblitzen des Lächelns. Hansi nickt. Knetet sich den Handrücken und tritt mir unter dem Tisch auf den Fuß vor lauter Aufregung. Gitti: „Schau nicht so konsterniert. Ein ganz normaler Vorgang auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Zum Eigentlichen: Hansi ist ja noch ein bißchen labil. Und leider umgeben von verantwortungslosen „Freunden“, die nichts dabei finden, einem Rekonvaleszenten Alkohol und Nikotin einzuflößen.“ „Wie meinen?“ „Laß mich bitte ausreden, auch wenn ich nur eine Frau bin. Also ich habe gekündigt in der Klinik.“ Hansi: „Ja, der Job hat sie am Ende echt fertig gemacht.“ Gitti: „Du Mausebär, laß mich mal machen. Du mußt dich noch schonen.“ Mausebär? Ok. Wenn es der Wahrheitsfindung dient. Gitti: „Wir haben uns mal was überlegt wegen dem „Wind und Wasser“ „Wie, was? Wind und Wasser?“ „Der neue Name von der Kneipe. Auf chinesisch heißt das Feng-Shui. Wind und Wasser eben.“ Hansi: „Im Wasser lebt ja das Aquarium noch fort.“ Blödes Gekicher. Gitti weiter: „Mausebär, bitte. Also im Feng-Shui ist man bemüht durch richtiges Handeln und Betrachten der Dinge die Geister der Luft und des Wassers sinnbringend und positiv zu vereinen, um heilende Energie freizusetzen. Also Ihr habt, sag ich mal so, bis jetzt nur die Flüssigkeitsseite betrachtet, und das sehr exzessiv, und die Geister der Luft habt ihr tagtäglich mit Qualm gefoltert. Das spürt doch jeder, daß da kein Qi drinnen fließen kann. Und dem wollen wir ein Ende setzen. Wir wollen das „Wind und Wasser“ zur ganzheitlichen Kneipe machen. Was meinst Du, warum der Hansi eigentlich damals kollabiert ist? Unterversorgung mit Qi.“ „Ne, eher Überversorgung mit Grappa und Schwarzer Krauser. Und zu viel betrunkener Verkehr mit viel zu jungen Mädels.“ Scheiße. Wieder hatte ich es nicht geschafft mich zu beherrschen. Aber dieses immer im Nachhinein Bescheid zu wissen. Als hätte ich mein vorheriges Leben nur im Fernsehen angeschaut. Geht mir gehörig auf den Sack. Da neige ich zur Verwundung. Ich wurde etwas lauter. „Hansi, tut mir leid, aber das ist gequirlte Kacke mit Schlagsahne. Wir sind hier keine Krankenhauskantine. Sondern sozusagen ein Zuliefererbetrieb.“  Gitti: „Mausebär, wir gehen. Mich wundert, daß du es neben so einem herzlosen Monster überhaupt so lange ausgehalten hast. Du hörst von uns.“ Knall. Peng. Tür zu.

Ich würde ja gerne mal wissen, wie Mausebär auf Chinesisch heißt. Und ich würde gern mal wissen, wie Kälte auf Chinesisch heißt. Und warum da keiner mehr rauskommt. Aber bis ich die Geschichte zu Ende erzählt habe, halte ich durch. (holt einige seiner Zettel aus der Tasche, legt sie in den Aschenbecher, zündet sie an und wärmt sich daran die Hände) Worte können auch warm machen.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Wo ist die Zeit? / Leere Räume sollten leere Räume sein / Peter Brook ist tot

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Gotha / Ekhof – Theater / 7. Oktober 2021

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Zwei Meister waren mir Vorbild als Theaterschaffender. Der große Grummler George Tabori: „Und wenn Du mit Deiner Aufführung nur eine Seele im Publikum berühren konntest, hat sich Deine Arbeit gelohnt.“ Und der nun verstorbene Peter Brook: „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.“

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Eines meiner beeindruckendsten Theatererlebnisse: 1983 Staatstheater Stuttgart. Gastspiel von Brooks Inszenierung. „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte.“ Vier unfaßbar gute, weil auf das Wesentliche reduziert inszenierte Schauspieler. Ein Musiker. Der Raum: ein Teppich. Zwei Stühle. Zwei Lampen. Ein Kleiderständer. Gehirne, denen man beim Denken zusehen durfte. Körper, die Erkenntnisse abbildeten. Im leeren Raum. Es zumindest versuchten. Er ließ sie machen. Ein großer Meister.

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Sein Hauptwerk „Der leere Raum“ habe ich bestimmt dreimal gekauft und noch öfters verliehen. Nie zurückbekommen. Muß wohl ein gutes Buch sein. Heute sind leere Räume selten. Hektische Projektionen überfluten sie. Setzen das Denken unter Wasser. Scheinemotionale Videos erzeugen Nähe aka Enge und kleistern die Türen der Erkenntnis zu. Es quillt so manches über. Die Flüße trocknen derweilen aus. Zurück zur Windmaschine!

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Will ich herausfinden, ob zum Beispiel ein Italiener einen mehrmaligen Besuch wert ist, bestelle ich beim ersten Mal eine Pizza Margherita. Oder Spaghetti Bolognese. Der Rest erledigt sich von selbst. Legt aber eine Grieche eine Orangenscheibe neben die gebratene Leber, muß ich leider aufstehen. Große Lieder auf kleinen Tellern servieren ist Blödsinn.

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Mal was weniger, mal was mehr fühlen, statt sich gescheit denken zu müssen / Fangen wir wieder an zu rauchen 12

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Pfronten / Frühstück / Geburtstag / 14. Juni 2022

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Manchmal reicht ein Zitat aus einen ganzen Tag gescheit zu füllen. Dachte ich so unverblümt naiv heute: „Männer haben häufiger das Problem, daß ihre Frau nicht mehr ist, wie sie mal war, Frauen dagegen, daß ihr Mann immer noch so ist, wie er mal war. Wie also können wir objektiv über Veränderungen sprechen?“ Notiert von Susanne Schneider im heutigen SZ – Magazin. Kam gerade meine Frau rein nach der Arbeit und sagte: „Stimmt so nicht! Leider nur Brigitte – Niveau!“ Überrascht werden ist gut. Na dann. Weiter im Text.

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RAUCHPAUSE / Teil 12

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Gut, Hansi hat es schon richtig umgehauen. Ich wußte bis dahin überhaupt nicht wie es auf einer Intensivstation aussieht und was es da alles für Apparate gibt und wie viel Substanzen und Flüssigkeiten man in einen Menschen reinpumpen kann, um ihn am Leben zu erhalten oder wieder zurück zu holen. Speiseröhrenriß. Das Pech muß man erstmal haben. Klar, Du mußt davor deine Innereien schon ordentlich mit allem möglichen malträtiert haben. Aber so was kommt in ganz Deutschland vielleicht 10 bis zwanzigmal im ganzen Jahr vor. Das hat der Professor mir erzählt, der Hansi das Leben gerettet hat. Lustiger Typ. Der hatte in jeder Pause sofort ein Ding im Mund. Hat mich an meinen ersten Hausarzt erinnert. Auf seinem Schreibtisch in Behandlungszimmer immer ein halbvoller Ausdrückbecher. Und mit seiner Reibeisenstimme pflegte er zu sagen: „Nehmen Sie Platz, junger Mann. Das ewige Leben kriegen Sie hier nicht, aber Pflästerle und allerlei Tinkturen.“  Oder, werde ich nie vergessen, mein Geschichtsprofessor damals an der Uni. Zweierlei, sagte er vor jedem Seminar, werde er in seinen Vorlesungen nicht dulden: Fresser und Klapperer. Wer also gedenke, seine historischen Studien mit einem Apfel zu versüßen, Stullen zu schmatzen oder („Das sind die Schlimmsten“) einen von den damals gern getragenen Norwegerpullis zu stricken, solle lieber das Weite suchen. Rauchen war erlaubt. Bier auch. Das waren Zeiten. Ein Hohelied der Sorglosigkeit gesungen. Wir zahlten an die Krankenkasse brav.

Damals aber, als ich fast täglich im Krankenhaus war, um Hansi zu besuchen, da war ich abstinent. Gar nicht mal wegen Hansi. Sondern eher, weil: vor der Klinik standen die Patienten. Im Morgenmantel. Mit Schlappen an den Füßen. Thrombosestrümpfe. Bleichgesichtig. Etliche sogar an ihr Infusionswägelchen angeschlossen. Und sie haben sich eine reingezogen. Brutal. Ab und zu kam eine Krankenschwester vorbei und hat streng gekuckt. Sonst nix. Das war mir dann doch einer zuviel.

Krankenschwestern. Auf irgendeine Art und Weise bewundere ich sie. Obwohl sie mir erst einmal grundsätzlich suspekt sind. Alles was nach Helfersyndrom riecht, macht mich nervös und unleidig. Schon wenn meine Mutter mir damals die Jacke zugeknöpft hat, habe ich nichts anderes gespürt als Abhängigkeit. Dann lieber frieren. Krankenschwestern. Gitti. Hansis Hauptkrankenschwester auf der Intensivstation. Haut und Knochen. Als liefe sie jeden Tag zwei Marathons. Einen vor, einen nach der Schicht. Aber leuchtende blaue Augen hatte sie und wenn man sich 10 Kilo dazu denkt, eine Schönheit vor dem Herrn. „Bleiche Göttin.“ So der bei Charon anklopfende Hansi. Mir fiel dann bald auf, daß, wenn sie an irgendeiner der tausend Kanülen und Kabel und Schläuche, mit denen sie Hansi wieder ans Leben gebunden hatten, herumwerkelte, ihre langen schmalen Finger verdächtig lang auf Hansis Arm oder Schulter liegen blieben.

Irgendwann kam Hansi raus. Und war nicht mehr alleine. Der erste Abend mit Hansi im „Aquarium“. Wir sahen beide gleich Scheiße aus. Ich, weil ich praktisch 3 Monate durcharbeitet hatte und vor lauter Schiß um das Leben von diesem Depp eher wenig bis kaum geschlafen habe und Hansi, weil er erst seit einer Woche wieder bei fester Nahrung angelangt war. Unser Kneipenloch war nicht wieder zu erkennen. Auf dem Tresen: Wasserkocher, zwanzig verschiedene Teesorten. Auf den Tischen keine Aschenbecher, sondern Duftkerzen und Wasserkaraffen. Und wir hatten unsere legendäre Cocktailkarte umgeschrieben. Wie immer drei Drinks. Der „Mahatma Gandhi“: heißes Wasser mit Ingwer versetzt. Der „Uschi-Glas-Special“: alkoholfreies Kristallweizen mit Biozitronenschnitzen. Und „Der Asket des Hauses“: Kanne Brottrunk. Im Hintergrund lief Cat Stevens statt The Clash. Alles ruhig und gelassen. Aber nach einer Stunde wuchtet sich Hansi hoch und brüllt: „Verdammte Scheiße, ihr Idioten, ich lebe noch und will jetzt ein kleines Helles und eine Fluppe.“ Wir haben alle ein bißchen verdattert gekuckt. Der Mann war eigentlich schon durch die Himmelspforte durchgegangen. Leiser Protest regte sich allenthalben. Nur Gitti sagte leise, aber bestimmt: „Leute. Es ist sein Leben. Laßt ihn. Krankheit ist ja nicht gleich Tod. Ich kann das verantworten.“ Erstaunlich was so ein kleines Bier inklusive Nikotinflash mit einem Menschen machen kann, der nicht mehr voll im Training steht. Kurz und knapp: Es tat ihm nicht gut. Ich glaube ja inzwischen Gitti hat das mit Absicht getan. So eine Art letzter Beweis.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Tja so war’n die oiden Rittersleit, sans heit a noch und net so viel g‘scheiter / Fangen wir wieder an zu rauchen 11

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Zell (Allgäu) / Blick von Ruine Eisenberg zur Ruine Hohenfreyberg / 15. Juni 2022

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Die Burgruine Eisenberg gehörte dem Vater. Die Burgruine Hohenfreyberg errichtete der Sohn. Der war wiederum – Es lebe die Binse again! – auf der damals noch nicht Ruine Eisenberg aufgewachsen. Dann wollte der Sohnemann dem herrschsüchtigen Herrn Papa mal zeigen, wo der architektonische Burgenhammer hängt, und lässt auf dem Hügel gegenüber eine neue Burg errichten. Nach dem Vorbild der Staufer. Höher, stärker, standhafter, g’scheiter eh. Was man als Sohnemann so ist. Vermeintlich. Nach dem Vorbild der Staufer? Was daran im 16. Jahrhundert besonders fortschrittlich gewesen sein soll? Nun, manche Menschen glauben heutzutage ja auch immernoch an den guten Kern der Sowjetunion.

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Auch diese zwei Burgen wurden abgefackelt im Rahmen des dreißigjährigen Krieges. Siehe Burg Falkenstein bei Pfronten. Geschliffen wurden sie nicht. Schade denke ich manchmal. Jetzt stehen sie halt blöd oder scheinattraktiv in der Gegend rum und erzählen müde und seltsam sehnsüchtige Geschichten. Mahnmalismen nennt man das wohl. Wären sie geschliffen, müßten sich die Nachkommen zum Disput in den Tälern treffen. Oder gar in den Ebenen, wo die Mühen wohnen. Ohne die alten Scheingewißheiten.

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Gescheiter wie die Rittersleit sammer net g’worn. Aber entschieden unlustiger und unentspannter. Dachten wir so, als wir zwischen den Ruinen hin und her pendelten und versuchten Verse dieses sinnfreien Liedes zusammenzukramen. Wie sprach der berühmteste Ritter der deutschen Dramatik ? „Er möge mich im Arsche lecken!“ Dies heute als ein kleiner Gruß in die Welt. War der Berlichinger ein Vorfahr von Johnny Rotten?

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RAUCHPAUSE / Teil 11

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Gut, ja. Ich hatte öfters auch mal ein Scheißgefühl. Vielleicht sollten wir das Ganze einfach seinlassen. Aber da steckst du nicht drin. Es gibt nun mal Menschen, die neigen zum Extrem. Mittelmaß ist denen ein Fremdwort. Ich fand Rothhändle irgendwann schon – sagen wir mal – heftig. Nicht so Hansi. Schwarzer Krauser. Und Grappa. Konsequenz war sein Stichwort. Du konntest die Uhr stellen. Punkt 12: erstes Bier. „Der Abend bricht jetzt an.“ Punkt 6 Uhr abends: erster Grappa. „Es naht die Nacht.“ Punkt 10 Uhr abends: die Frikadelle. „Der Mensch muß essen.“ Punkt 2 Uhr nachts: „Laß mich in Ruhe. Hatatitla kennt den Weg nach Hause.“ Rausschwanken. Autofahren war ja nicht mehr. Hansi hatte jetzt so ein Fahrrad mit noch oben gebogenem Rennlenker. Er nannte es „Hatatitla“. “Die Gesinnungspolizei hat mir die Strassen weggenommen, aber Hatatila, mein Stahlroß, bleibt treu an meiner Seite.“ Ich hatte immer Schiß, der tritt in jeder Beziehung das Erbe von Charlie an.

Manchmal frage ich mich, friert man eigentlich auch noch, wenn man tot ist? Man hat ja nicht so viel an im Sarg. Nur dieses Hemdchen. Als Junge dachte ich immer, bloß kein Unfall oder so etwas im Winter. Schmerzen und Frieren ist einfach einer zu viel. Im Sommer kann man schon mal mit dem Fahrrad stürzen. Das geht. Aber im Winter. Ne. Allein die Vorstellung, wie das Blut auf der Straße festfriert.

Hansi und die Frauen. War schon immer so. Wir waren mal länger in den USA. Ein bißchen so die Buben auf Jack Kerouacs Spuren. Wir hatten uns gerade einen alten Straßenkreuzer gekauft. Hellblauer Stationwaggon. Verchromte Zierleisten. Haifischflossen. Zwei Zigarettenanzünder. Einer vorne, einer hinten. Vier Aschenbecher. Wir wollten runter nach Mexico. Da liegt plötzlich ein Brief aus der deutschen Heimat im Kasten. „Ankomme in zwei Wochen in N.Y. Flug pipapo. Ich liebe Dich. Deine … Billy, Bulli, Schnulli.“ Der Sack. Verliebt sich kurz vor dem Abflug. Ich hatte damals schon getobt: „Du Hirni, wir sind jetzt 9-10 Monate „on the road“, Pfoten weg, gibt nur Ärger.“ Und jetzt hat der Papi der Kleinen Sommerferien über dem Atlantik spendiert. Langer Rede, kurzer Sinn: 10 Tage nach der unglückseligen Postzustellung sehe ich nur noch das Auspuffrohr von „Easy does it“ – so hieß unser hellblaues Schlachtroß – in der Ferne verschwinden. Ich bin dann 3 Monate lang alleine in der Gegend rumgetrampt. Klasse. Oder ein andermal. Hansi, ich und Gonzo – noch so ein Chaot – hatten eine Jungmännerverabredung getroffen: in 4 Wochen um 12h mittags auf dem Djem nal Fa in Marrakesch bei den Zahndoktoren. Darauf eine Riesentüte und heiliger Schwur. Hansi ist schon vor, ich hatte noch einen Job. Kurz bevor ich loswill, wird meine damalige – recht neue – Freundin „krank“ – also hat gewisse Rauschmittelprobleme nicht mehr ganz so im Griff und mußte in die Klinik. Aber ich: Ein Mann, ein Wort und los. Die Frau, eigentlich schon so eine Art sehr wichtige Frau. Eigentlich total wunderbare großartige wunderschöne extrem wichtige Frau. Gut. Was ist man manchmal für ein dummes Arschloch. Diese Frau jedenfalls schickt herzzerreißende Briefe hinter mir her. Beziehungsweise voraus. Posta restante. Nach Avignon, Malaga, Tanger. Aber Gonzo und ich: der postpubertäre Ponyexpress reitet weiter. Wir hatten uns inzwischen beide in Tanger eine Art Amöbenruhr eingehandelt und standen trotzdem pünktlich um 12 in Marrakesch bei den Zahnklempnern und bewunderten mit schmerzverzerrtem Gesicht die Klempnerwerkzeuge und die zahnlosen Gestalten, die da auf Kundschaft aus der Wüste warteten. Wer nicht da war: Hansi. Beim Postamt hatte er eine Nachricht hinterlassen: „Bin schon mal weiter. Hab jemand kennengelernt. Der Wind ruft mich. Sorry. Hansi“ Ich hätte es damals schon wissen müssen.

Hier. (holt eine Postkarte aus der Tasche) „ich möchte daß meine Liebe stürbe / daß es regnet auf den friedhof / und in die gassen wo ich gehe / jenen beweinend der mich zu lieben glaubte“ Beckett. Diese Karte lag in Malaga. (Hustenanfall, ein paar Tränen) COPD. Was so alles stirbt im Laufe eines Lebens.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Zell (Allgäu) / Blick von Ruine Hohenfreyberg zur Ruine Eisenberg / 15. Juni 2022

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Von der Geduld der Biberburgen und unserer hektischen Erbsendrückerei / Fangen wir wieder an zu rauchen 10

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Das Moor bei Pfronten / Biberdamm / 13. Juni 2022

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Biber sind nicht blöd. Gut, sie müssen mit einem Gebiß leben, welches ihnen bei Heidi Klum wenig Chancen auf ein sogenanntes Foto einräumt. Aber sie sind gescheit. Sie bauen erst ihr Häuschen – man nennt es eine Burg – und dann schichten sie – da kann mal auch mal scheiße aussehen, wenn die Beißerchen ihre ganze Arbeit leisten – einige Meter flußabwärts einen Damm auf. Und warten. Warten deshalb, weil bis das Gewässer seinen Pegel steigen lässt, der Haupteingang der Biberburg so unter Wasser liegen soll. Dann erst ziehen sie ein. Im Biberleben gibt es keine Rabatte, keine Sonderangebote, keine Pfennigfuchserei. Regnet es mehr, zieht man schneller ein. Ansonsten wird gewartet und ein neuer Baum angenagt.

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Meine Frau bekam unlängst eine therapeutische Erbse geschenkt. Aus Plastik. Um die eigene Ungeduld und Unruhe zu bändigen und zu besänftigen, soll man drei Erbsen aus der Hülle drücken. Alles Plastik selbstredend. Das ist gar nicht so einfach. Und soll beruhigen. Man schaut in den Spiegel und denkt: Was soll die Hektik? Drück. Drück mich. Drück dich. Druck. Währenddessen wartet der Biber und nagt vor sich hin. Zeit hat Zeit.

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RAUCHPAUSE / Teil 10

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Ewiges Leben? Narzißmus. Grenzenlose Überschätzung der eigenen Wichtigkeit. Narziß wollte sein eigenes Spiegelbild küssen, ist dann voller Verzückung in den Teich gefallen, der ihn spiegelte und ersoffen. Andere wiederum sagen, ein Blatt sei in den Teich gefallen, hätte das Spiegelbild getrübt. Narziß meinte daraufhin, er sei potthäßlich und entleibte sich. Da kann ich es auch weitertreiben.

Wenn man bedenkt, das ist eigentlich meine Kneipe. Ok. Unsere. Hansis und meine. Unser „Aquarium“. Die einstmals letzte Insel im Meer der Hektik und der Geschwätzigkeit. Der Ruhepol. Das Reservat.

Hansi und ich hatten ein Ritual. Wer inhaliert, der schweigt. Und da mußten andere, auch Frauen, die eventuell neben einem saßen, einfach warten, bis Du wieder sprechen kannst. Und du, du mußtest die Nerven haben, das auszuhalten. Das Schweigen. Gerade eben habe ich zu Hansi noch gesagt: „Weißt Du was? Ich vermisse das Schweigen.“ Die Augen nach oben gedreht hat er daraufhin und den Kopf geschüttelt. Depp.

Du bist echt ein Depp. Ich stehe jetzt hier draußen und rede mit mir selbst. Und rede mich nicht wirklich warm. Und warte. Auf was? Auf was eigentlich? Auf noch so einen traurigen Ritter, der dieselbe Klage singt? Ich würde gern mal mit Helmut Schmidt eine quarzen. Oder mit Loki. (zündet sich mal wieder eine an)

Unser altes „Aquarium“. Gut, das war im Prinzip Hansis Geld. Seine Lieblingstante hatte ihm damals ordentlich was vermacht. Vor etwa 6 Jahren. Ich war gerade frisch geschieden und Hansi hatte ein paar Probleme in seinem Job. Nun gut, wenn Du als Taxifahrer (mit 27 Semestern Erziehungswissenschaften und Linguistik) zweimal innerhalb eines Jahres den Lappen für zwei Monate abgeben mußt – Getränke und so – wird dein Chef irgendwann sauer. Und meine Scheidung wiederum war für mich eine finanzielle Bauchlandung. Ärger gab es also ausreichend in Hansis und meinem Leben. Unser Refugium wurde das „Aquarium“. Wir sind da quasi untergetaucht. Haben geschwiegen. Inhaliert. Uns innerlich feucht gehalten.

Es ist etwas Seltsames mit der Zeit und den Geschlechtern. Wird eine Frau 40, bleibt sie das bis an ihr Lebensende. Ein Mann in derselben Situation mutiert geistig schlagartig zum 20-Jährigen. Er halbiert quasi die Zeit und verfällt in eine Art postpubertäre Starre. Er etabliert ein Paralleluniversum. Dieses ist bestimmt von Ritualen, die gerne auch zur Zwangshandlung mutieren. Zum Beispiel: Aufsagen des gesamten Textes von „Supper`s ready von Genesis. Oder der Aufstellung der Meistermannschaft des HSV von 1982 inclusive Ersatzbank. Exakte Länge der einzelnen Tracks auf „High Voltage“ von AC/DC. Und. Und. Eine permanente Reise zurück in eine glorreiche Zeit, als die Welt noch beseelt war von einem heiligen Ernst. Falls das so war. War schon so.

Eigentlich bescheuert. Hansi und ich, zusammen nun wieder zarte vierzig Jahre jung, im Kokon unserer Vergangenheit klebend. In der Kneipe „Zeitlosigkeit“ und über unseren Köpfen baumelten die an die Decke geworfenen Teebeutel der letzten Jahrzehnte. Sie klebten dort wie unsere abgehangene Trauer und unsere müde Wut.

Eines Tages kippte Charly, der legendäre Gründungsvater des „Aquariums“ und der erste und beste Kunde seiner selbst hinter seinem Tresen um. Und wir haben den Laden übernommen und einen heiligen Schwur geleistet: „Charly, der Kampf geht weiter.“ Charly hatte immer gesagt: „Drei Dinge braucht der Mann: Feuer, Feuchtigkeit und Haltegriffe am Tresen.“ Das war der definitive Minimalismus. War auch das Prinzip der „Karte“. Es gab nämlich keine Karte. Man kann ja fragen. Bier. Ein paar Spirituosen. Sonst nur Wasser und Apfelsaft. Keine braune Imperialistenbrause und kein Zuckerwasser. Sekt gab es nur, wenn eine mit einem Stammgast verbandelte Frau Geburtstag hatte und unbedingt darauf bestand. Einziges Nahrungsmittel: zwischen halb 11 abends und 2 Uhr morgens gab es Frikadellen. Das Brötchen war mit drin. Unsere Cocktailkarte: drei Basics. Der „Keith Richards“: Wodka Orange. Der „Queen Mum“ (für die Mädels): Gin-Fizz. Und die sogenannte „Traditionsperlung“: Asbach mit Apfelsaft. Das hat funktioniert. Die ersten drei Jahre waren ein Traum. Das „Aquarium“ schäumte.  Von Montag bis Samstag. Am Sonntag Ruhetag. Körperlich war das jetzt nicht durchgängig gesund. Aber seelisch durchaus. Reduce to the maximun.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Pfronten / Dorfwirt / Die Therapieerbse / 11. Juni 2022

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All den Quittungen die Stirn bieten / Fangen wir wieder an zu rauchen 09

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Ammoudia / Epiros / Hellas / 16. August 2013

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Ich vergesse immer dieses Fremdwort, welches die Tatsache, daß man Unangenehmes wie eine Bugwelle vor sich herschiebt, kurz und knapp beschreibt. Es klingt jedenfalls ein bisserl wie Prostata. Da wird ja auch festgehalten und nicht losgelassen. Jedenfalls saß ich heute – endlich – an der Steuer. Für einen Selbstständigen, der nicht nur solo, sondern auch verheiratet und die Gunst bescheidener Coronahilfen genießen durfte, eine rechte Freud. Was dieses Foto da oben damit zu tun hat? Nun, ich sortierte die Quittungen (mache ich schon seit Neujahr) der letzten Monate des letzten Jahres. Hamburg. Alkohol. Überdrehte Herzen. Und da mußte ich an Frank Schulz denken und seine Hagener Trilogie. Man muß zu seinen Dämlichkeiten stehen. Leugnen ist da nicht förderlich. Dafür sind manche Dämlichkeiten zu wertvoll. Gewesen. Das Fluchtfahrrad sollte man jedoch nicht zu lange in der Gegend rumstehen lassen. Es wächst sonst zu.

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RAUCHPAUSE / Teil 09

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Ich stehe zurzeit auch unter so einer Art von Trauma. In Sachen Wortwahl. Bin da verunsichert. Unlängst hat mir mein Bewährungshelfer zur Auflage gemacht – er hat da einen eher gesamtheitlichen Ansatz – also: ich darf diese Wörter nicht mehr in den Mund nehmen wie z.B.: (stumm aussprechen: Zigarette, Rauchen, Feuerzeug etc).  Weil schon diese Worte im Rachen- und Gaumenraum, da materialisiert sich irgendwo negative teerhaltige Energie und das sei nicht gut. Ein Jahr auf Bewährung. Ein ganzes Jahr. Das I- Tüpfelchen auf dem Ende einer langen Freundschaft.

Ein ganzes Jahr. Und selber einsperren muß ich mich auch noch täglich. In diese kleinen gelben Quadrate auf den Bahnsteigen. Gelb. Die deutsche Farbe der Kennzeichnung. Hoffe nicht, der Haus- und Hofmaler der Bahn hat sich dabei was gedacht. Das kleine gelbe Quadrat. Da streckt man den Arm raus, schon steht man im Freien. Frei. Freier. Freiheit. Hier. Der kleine private Freiheitscheck bei Google. (noch ein Zettel) Eingegeben habe ich erstmal: „Frei Deutschland“. Trefferquote: 2.270.000 Einträge.  Dann „Freiheit Deutschland“: 2.210.000. Als nächstes – einengen gell – „persönliche Freiheit Deutschland“: sind es noch 1.380.000 Einträge. Es folgt die Spezifizierung auf höherem Level: „individuelle Freiheit Deutschland“ Da haben wir dann weltweit 940.000 Einträge. Unter „nur deutsche Seiten“ bleiben 759.000. Das heißt also vom Ausgangs- und Theoriewert „frei“ bis zur „Freiheit des Einzelnen“ bleibt gerade ein Drittel über. Schon seltsam.

Und hier draußen stehen jetzt die frierend Freien. Und mein bester Freund – Gitti sagte immer: „Warum heiratet ihr eigentlich nicht endlich mal?“ – steht drinnen. Ich frei unter Bewährung. Er drinnen eingesperrt. Aber warm. Schon absurd.

Andererseits, wir vom NRSG Verfolgten haben noch die Möglichkeit existentiell wesentliche Freiheits- und Anarchieerfahrungen zu machen. Einfach und genußvoll über diese gelbe Linie eine Qualmwolke rauspusten. Oder den Stick in die „Gute Zone“ raushalten. Oder den linken Fuß über die Linie stellen. Oder auf die gelbe Linie aschen. Stellt sich dann wie beim Tennis die Frage: „Ist Linie noch drin oder schon draußen?“ Kannste durchdrehen wie Mastermind of Emotion John Mc Enroe früher: „He you fucking, cuntlicking son of a bitch, you stupid asshole. Fucking train man. The ash was fucking in. Can you dig it? Bring me the lineman to take a second look at it, you bastard.” Das hat gutgetan. Gelle. Diesen Anarchiekick haben die anderen ja nur beim Bescheißen bei der Steuer oder beim Rechtsüberholen auf der Autobahn. Und wie die Anderen immer auf den Bahnsteigen um diese Quadrate rumschleichen. Wo es doch so ungesund ist. Entweder machen die jetzt alle eine Blockwartgrundausbildung und wollen so erste Fahndungserfolge melden. Oder es ist die berühmte Annäherungs – bzw Vermeidungstrategie. Schon auf dem Schulhof waren wir doch ständig neidvoll umringt von den „Gesunden“. Wir hatten das Gift. Alle Sorten. Und die hübschen Mädels und die Gitarren und die Schlagzeuge. Eric Clapton, den Stick oben am Hals in den Saiten gesteckt. „In a white room with black curtains near the station.“ Manchmal denke ich die gesunden Danebensteher die rächen sich jetzt an uns. Jetzt, Jahre später, ist die Stunde der Abrechnung gekommen. Während wir uns nach Leibes- und Lungenkräften dem kreativen Ruin hingegeben haben, haben die viel Zeit und Geld gespart, haben Karriere gemacht, sind fit und ausgeschlafen, können sich inzwischen die Band, in der sie nie mitspielen durften, mieten und lassen sie auf ihrem Fünfzigsten rocken. Und uns sperren sie zur Strafe in kleine gelbe Vierecke.

Und im Frühjahr, wenn der Schnee wegtaut, stehen in diesen kleinen gelben Vierecken lauter erfrorene eingetrocknete Statuen. Mir hängt dann ein Schild um den Hals: „Gestiftet von Gitti und Hansi.“ Ich übertreibe jetzt. Ja. Aber ein bißchen Selbstmitleid braucht der Mensch. (neuer Hustenanfall)

COPD. Macht einsam auf Dauer. Meine letzte Freundin, die ist gegangen. Nicht etwa, weil ich und meine Klamotten und meine Wohnung nach Gift stinken, sondern weil ich nach jedem Akt COPD – Anfälle habe. Sie nahm das persönlich. Verstehe ich ja. Aber: Gestorben werden muß. Nicht rumlamentieren wie Hölderlin: „Weh mir, wo nehm‘ ich, wenn/ es Winter ist, die Blumen, und wo / den Sonnenschein, / und Schatten der Erde?“  Was soll das? Ich fang noch mal ganz neu an, im Herbst. Da kannst Du gleich die ganzen Blätter aufsammeln und versuchen sie wieder an die Bäume zu kleben. Vergiß es. Herbst ist Herbst.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Reutte / Tirol / Österreich / 13. Juni 2022

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Erfolgreiche Ernte und Übertrittszeiten / Von Charon und so dem Acheron / Fangen wir wieder an zu rauchen 08

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Vilstal / noch Österreich / Gott sei Dank tagsüber / 14. Juni 2022

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Vor ein paar Tagen las ich von einer Frau, die folgendes nach dem Tod des Sohnes zu ihrem Mann sprach:

„Wir werden immer immer immer traurig sein, IMMER!

Aber bitte: Laß uns nicht immer immer immer unglücklich sein.

Das dürfen wir nicht!“

Besser, dachte ich, kommst Du kaum aus einer Begegnung mit vermeintlich endgültigen Verlusten oder tatsächlich endgültigen Verlusten nicht raus.

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Dann dachte ich an Charon und an den Acheron, den wir vor bald zehn Jahren hochwateten. Eiskaltes Gewässer. Viel Überwindung. Aber eine Schlucht von grandioser Schönheit, welche jedoch geradewegs in Richtung Pforte Unterwelt führte. So einen Kilometer vor der Höllenpforte stand mir das eiskalte Wasser bis zum Hals. Wir kehren um und hatten den Rest des Tages gut durchblutete Leiber. In Ammoudia setzten wir uns an das Ufer des ins ionische Meer mündenden Flußes und tranken ein Üzelchen. Einen vor dem Speisen. Einen danach. Geburt und Ernte. Yamas! Zu seinen Ehren.

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Man muß die Ernte einbringen gewiß! Irgendwann! Wie reichhaltig diese dann sein wird? Es entscheiden andere! Nicht ich!

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RAUCHPAUSE / Teil 08

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Wie gesagt. Daumen und Zeigefinger. Den letzten Krümel reinziehen. Not und Genuß in einer Haltung vereint. Joints zieht man sich komischerweise immer noch so rein. Obersuperaffig waren schon immer diese Mittelfinger – Ringfingerkonsumenten. „Es war schon immer etwas teurer einen besonderen Geschmack zu haben: Attica.“: Attica. Ernte 23. Kurmark. Chesterfield. HB. Astor. Eckstein. Juno. Overstolz. Reval. Players Special. Lux. Kent. Peter Stuyvesant. Krone. Meine Sorte. Peer Export. Rothhändle. Salem Nr.6. Club. Karo. Ducados. Gitanes. Austria. Memphis. Muratti Ambassador. Parisienne. Karelia. MS. Neapel sehen und sterben. Neapel. In Neapel ist seit kurzem auch der Abusus von Stäbchen unter freiem Himmel verboten. In Parks mußt du das Stäbchen ausdrücken, wenn Neugeborene, Kinder unter 12 und Schwangere in der Nähe sind. Sonst kostet das bis zu 500€ Strafe. Also ich sehe ja auf zwei Kilometer sofort, ob eine Frau im zweiten Monat schwanger ist oder nicht. Und ich sehe auch, ob sie vielleicht noch abtreiben will. Vielleicht. Darf man dann das Ding brennen lassen? Oder muß man fragen? „Entschuldigung, Sie sehen so glücklich aus. Junge oder Mädchen?“  (zieht einen neuen Zettel aus der Tasche) Hier!

 „Eltern rauchen häufiger als Leute, die keine Eltern sind. Besonders häufig rauchen junge Eltern. Junge Mütter (25 bis 29 Jahre alt) mit Kindern unter sechs Jahren rauchen zu 50%. Was das Rauchen im Haushalt betrifft, müssen die Väter mit einbezogen werden. So gerechnet sind 60 Prozent aller Haushalte mit Kindern unter sechs Jahren nicht rauchfrei. In der unteren sozialen Schicht wird sogar in drei von vier Haushalten mit Kindern unter sechs Jahren geraucht.“

Was schlußfolgern wir daraus? Kinder sind gefährlich. Kinder gefährden nicht nur den Seelenfrieden, sondern ganz massiv und direkt ihre, unser aller Gesundheit. Ich merke das überall. Die Bahn hat ja kürzlich alle Giftabteile geschlossen. Schade: Diese Abteile waren selbst für Nichtgiftler so eine Art Rückzugsgebiet. Man fand dort Schutz vor den aufgedrehten Gören alleinreisender und wahrscheinlich auch alleinerziehender Mütter. Jetzt sind sie überall: Quäkend, frühreif, altklug, hyperaktiv. 4 Jahre alt und schon den I-pod in den Ohren. Lesen? Arbeiten? Aus dem Fenster gucken? Kannst Du alles vergessen. Und das Beste: die gestreßten Mamis rennen wahrscheinlich ständig aufs Klo, um sich dort eine reinzuziehen. Laut Statistik. Aber der Schaffner hat Dich als Täter im Verdacht. Schaut Dich ständig schief an, weil Du seit 150 Kilometer aussiehst, als stündest Du kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Also: Kinder machen krank. Aber wie bringen wir jetzt Neapel und diese Sache mit den jungen Müttern unter einen Hut. Man schützt, wo man geht und steht das werdende Leben und dann 9 bis 12 Monate später, spätestens nach dem Abstillen, steht Mami mit der Fluppe in der Hand am Kinderwagen: „Gutschigutschi – goo, wo ist denn mein kleiner Hosenscheißer?“ Gut, Frauen und Konsequenz, heikles Thema, ich weiß. Und die Frau ist da auch komplett unschuldig. Es ist wahrscheinlich wieder ein Mann. Z.B. Keith Richards. Ich könnte mir vorstellen, diese Frauen haben in der Schwangerschaft zu viel „Rolling Stones“ gehört. Unterschätzen sie das nicht. Der Keith haut sich seit 45 Jahren zwei Päckchen Gift am Tag rein, verdünnt das mit einer Flasche Wodka und der ein oder anderen Spritze.  Und das ist in der Musik drin. Das hört man, das spürt man und das hat seine Auswirkungen. Wie bei Hypnose. „I can`t get no satisfaction.“ Aah, noch eine. „And i try and i try.“ Tief einatmen. Also: sich von allem fernhalten, was das Gift oder die Materialisation giftiger Gedanken enthält. Da kommt schon was zusammen. Hier: (zieht eine Liste aus der Tasche) Albert Einstein, Marylin Monroe, Willy Brandt, Miles Davis, Bette Davis, Tom Waits, Marcello Mastroianni,  Romy Schneider, Andy Warhol, Groucho Marx, Fidel Castro, Che Guevara, Bob Dylan, Jean Paul Belmondo, Alain Delon, Truman Capote, Paul Auster, T.C.Boyle, Winston Churchill, John Lennon, Sean Connery, Jean Genet, Jean Gabin, Jean Cocteau, Jack Kerouac, Paul Bowles, Yves Saint Laurent, Coco Chanel, Jack Nicholson, J.F. Kennedy, Orson Welles, Pablo Picasso, Sophia Loren, James Dean, Helmut und Loki Schmidt, Helmut Kohl, Yves Montand, Clint Eastwood, Humphrey Bogart,  Oscar Wilde, Roland Topor, David Bowie, Ian Fleming, Marlene Dietrich, Jean Luc Godard, Madonna, Dean Martin, Sammy Davis jr. , Frank Sinatra, Alfred Hitchcock, John Wayne, John Travolta, Sigmund Freud, Virginia Woolf, Woody Allen, Brad Pitt, Robbie Williams, Hape Kerkeling und.. an alle werdenden Mütter noch mal: Keith Richards. Beschäftigen wir uns um Gottes Willen mit den Werken gesundlebender Menschen: Mogli, Das Urmel aus dem Eis, Wolfgang Schäuble, Bully Herbig, Tom Cruise, Nina Ruge, Uschi Glas, Eva Herman, Rudolf Heß, General Franco, Erich Honecker, George W. Bush, Adolf Hitler. (lange Pause) Aua, aua, aua. Entschuldigung. Nein, das wollte ich nicht. Scheiße, jetzt ist es mir auch passiert. Der unselige Vergleich.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Vilstal / nicht mehr Österreich / hinten die Zugspitze / 14. Juni 2022

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Hoch und runter bleiben wir munter und scherzen so mit den Schmerzen / Fangen wir wieder an zu rauchen 07

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Zirbe auf dem Zirmgrat / 14. Juni 2022

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Einst fuhr ich gerne mit der Bergbahn nach oben und rannte dem Hügel den Rücken hinab. Als gäbe es kein Unten. Jetzt schiebe ich mich keuchend die Berge hinauf, belohne mich – Es lebe die Binse! – mit einem Höhenerlebnis und quäle mich schlackernden Knies ins Tal. Hilf ja nix. Runter muß man immer. Wenn es auch nur von den Illusionen ist. Die Wenigstens werden auf den Gipfeln bestattet. Die Särge werden in den Tälern verkauft. Aber runter schaun von der Höh‘: Schee isses immer noch und wieder. Und drunten reißt Du Dir die Klamotten von Leib und haust Dich in den kalten Bergbach. Nachert kannst Du wieder auffi. Vielleicht. Einmal noch.

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RAUCHPAUSE / Teil 07

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Schritt eins: Kennzeichnungspflicht. Ich bin bereit mir von der Bundesgesundheitsbehörde ein großes „R“ auf den Ärmel nähen zu lassen. Ich will jedem „NR“ die Möglichkeit geben, wenn er mich sieht, die Straßenseite zu wechseln. Aber dann andere auch. Zum Beispiel: GT: Gelegenheitstrinker. Oder auch WT: Wochenendtrinker. WKT: Wochenendkomatrinker.  WKTMHZR:  Wochenendkomatrinker mit Hang zu Randale. IJ:  Internetjunkie. W(BU): Workoholic (beziehungsunfähig). MM – manischer Masturbateur. SS – Shopping und Spiele. IBN – Ich bremse nicht. RMS – Radfahrer mit Sendungsbewußtsein.

Überhaupt: Radfahrer. Auch eine sehr interessante Entwicklung. Wer ist vor zwanzig Jahren Rad gefahren? Holländer. Chinesen. Eddy Merckx. Kinder zur Schule. Fertig. Und dann so Anfang der Achtziger? Aus allen Ecken rollte er hervor: Der Radfahrer. Aber jetzt nicht, um eine Entfernung Geld sparend und die Gesundheit fördernd zu überwinden. Nein: Radfahren als Botschaft, Radfahren als Geste, als Ausdruck und Manifestation von moralischer Überlegenheit. „Ich arbeite hart an mir und der Verbesserung der ganzen Welt. Jeder meiner Tage ist Kampf und Beweis.“ Und es gab plötzlich ein klar definiertes Feindbild: den Autofahrer. 4 Räder: Böse. Böse. Böse. 2 Räder: Gut. Gut. Gut. Die moralische Überlegenheit. Dadurch genießt man gewisse Vorrechte. Rechtsverkehr, Linksverkehr, egal. Du darfst überall fahren. Fahrbahn. Radweg. Gehweg. Fußgängerzone. Ein Botschafter muß die Möglichkeit haben, überall all zu missionieren und Präsenz zu zeigen. Ampeln? Leuchttürme des Bösen. Lobbysäulen der Autoindustrie. Klingel? Nicht notwendig. Nur der verhärmte, spießige, unsensible Mensch spürt nicht, daß sich auf dem Wanderweg von hinten ein Missionar mit 25-45 km/h nähert. Bei Dunkelheit Licht anmachen? Die Strahlkraft des guten Willens per se erleuchtet den Pfad des Gerechten. Hieß ja früher auch immer der Pedalritter. Vielleicht kann man ja jetzt den Rittern eine zusätzliche Aufgabe anbieten. Die dürfen jetzt überall herumfahren, Fußgängerzone, Gehweg, Rasenflächen, in Kneipen. Und immer, wenn die jemand sehen, der es noch macht, so von hinten vorbeifahren und – zack – kurz mal in die Rippen treten – nur als kleine Erinnerung, kleines moralisches Fingerzeichen. „Hallo! Du bist ein Sünder!“

Schritt zwei: Der Pranger. Der gute alte Schandpfahl: „Ja, ich habe gesündigt, habe meine Arterien verstopft, erektile Dysfunktion provoziert, Benzol, Nitrosamine, Formaldehyd und Blausäure in die frische Luft gepustet, ungeborenes Leben bedroht. Ja. Gebt mir Tiernamen. Werft Steine nach mir. Spuckt mich an. Laßt mich Eure Voodoopuppe sein. Ich bin ein schlechter Mensch. Spuck mich an.“ (auf die Knie) Spucken Sie mich an. Jetzt hier. Stellvertretend für alle, die es tun. Noch immer tun.  (aufstehen) Traut sich wieder keiner von den Moralisten. Aber mich in die Kälte stellen und mich dazu zwingen lange Unterhosen anzuziehen. Wissen Sie überhaupt, was für eine fatale tiefenpsychologische Komponente da mit ins Spiel kommt? Lange Unterhosen? Kindheitstraumata. Übermächtige Mütter zwingen dich in eine wollene lange Unterhose. Schleifen Dich raus zum Sonntagsspaziergang und Du verpaßt die neueste Folge von Bonanza. Fragt sich jetzt noch einer, warum ich suchtkrank geworden bin? Und jetzt bin ich quasi in einem Akt der Regression gezwungen mir die langen Unterhosen selbst anzuziehen. Ich bin meine eigene Mutter. Das ist schlimmer als jede Sucht. Und während ich die lange Unterhose anziehe, ruft sie mir mit Bert Brecht zu: „Darum sag ich: laß es / Sieh den grauen Rauch/ der in immer kältre Kälten geht: so/ gehst du auch.“ Aber was weiß meine lange Unterhose vom nucleus accumbens? Der Kernstruktur im basalen Vorderhirn. Dopamin ist das Stichwort. Ich habe mich mit meiner Sucht auseinandergesetzt. (wedelt mit seinen Zeitungsartikeln, Ausdrucken von Internetseiten, Statistiken und ähnlichen Krempel) Zum Mitschreiben für meine lange Unterhose: In diesem sogenannten nucleus accumbens wohnt praktisch das interne Selbstbelohnungssystem. Das braucht man, weil jeder Mensch wohl schon früh begreift, daß man sich nur auf sich selber verlassen kann und Undank der Welten Lohn ist. Selbstgratifikation sagt der Fachmann dazu. Beispiel: „Stairway to heaven“läuft: „and she`s buying…oh ich komme…a stairway… ich auch… to heaven.“ Und dann? Schön eine drehen. Van nelle halfsware. Die Rache des Niederländers an der deutschen Lunge. Und dann vielleicht sogar: Der Moment des höchsten Glückes. Sie sagt: “Du, darf ich mal ziehen?” Seufzer. Großer Seufzer. Riesenseufzer. Oder am Tresen: „Hast Du mal Feuer?“ Du drehst dich in Richtung der fragenden Stimme um und am anderen Ende des Stäbchens Lippen, welche in ein Gesicht übergehen, von dem Du weißt: „Dies wird meine Zukunft sein“. Das Stäbchen glimmt. Deine Stimme versagt. Der nucleus accumbens ruft: „Junge, zünde Dir eine an.“ Die Hand zur Stimme reicht Dir – Du wolltest dein Stäbchen gerade an der Tropfkerze auf der Chiantibastflasche anzünden – reicht Dir ihr Stäbchen mit den Worten: „Nicht. Sonst stirbt ein Seemann.“ Die zwei Stäbchen berühren sich, entzünden sich aneinander. Augen zu, Inhalation, Augen auf. Sie ist weg. Aber vor Dir liegt das Streichholzheftchen mit ihrer Telefonnummer. Lilafarben hingekritzelt, fünfstellig. Höchstens. Festnetz! Oh ja. Dieser Abend braucht das zweite Päckchen. Ich könnte heulen. Wo ist das Leben im Jetzt?

Immer dieses Früher, früher, früher! Wo bist Du Hansi? Jetzt? Hier? Wahrscheinlich ist das so ein Fluch. Wir, die es noch tun, leben in der Vergangenheit. Und es gibt keine Tür mehr in die Gegenwart. Außer den Verzicht. Vielleicht muß man das, was uns quält ausrotten. Gnadenlos. (drückt die letzte Kippe aus, zündet sich eine neue an) Ich weiß es nicht. Was wollte ich?  Bekämpfen aller Abhängigkeiten. Weiter im Katalog.

Schritt drei: Lückenlose Überwachung und Erfassung. Man könnte alle Monitore von Laptops und PCs mit Webcams die mit heimlich integrierten Rauchmeldern versehen sind ausstatten. Oder man baut Feuerzeuge mit elektronischen Zündern, welche bei jedem Zündvorgang sofort ein Erkennungssignal an die Krankenkassen senden. Zack, wird der Beitrag erhöht. Und reden Sie sich nicht blöd raus. Von wegen ich hab nur eine Kerze angezündet oder so. Nichts. Da herrscht Beweispflicht. Das müssen Sie halt mit einem Handyfoto dokumentieren. Oder noch besser: in die Filter von den Dingern kleine Einmal-Videocams einbauen, die das Gesicht des Sünders erfassen und sofort weiterleiten. Und in jedem 10ten Stäbchen ist keine Kamera, sondern ein selbstauslösendes Blasrohr mit einem Betäubungspfeil eingespeist. Treffer. So kann man den Betäubten direkt zum Zwangsentzug oder zum Sozialdienst abtransportieren. Z.B. Kippen aufsammeln, Decken streichen in Restaurants, Giftpackungen mit Horrorbildchen von amputierten Gliedmaßen bekleben, alle amerikanischen Filme der letzten 50 Jahre anschauen und dann notieren, in welchen Menschen zu sehen sind, die es tun. Und aus diesen Filmen werden dann die Sticks rausretuschiert. Man fragt sich dann zwar, warum sich die Schauspieler ständig ins Gesicht langen. Oder man schneidet alle Szenen raus, in denen es dampft. „Casablanca“ dauert dann wahrscheinlich nur noch 3 Minuten.

Und natürlich: Schritt 4: Von den USA lernen, heißt siegen lernen. In den USA herrscht Inhalierverbot sogar in den Gefängnissen. Da laufen die Todeskandidaten und Lebenslänglichen rum und dürfen nicht mal mehr quarzen. Ist das jetzt gut gemeint oder eine ganz perfide neue Art von Folter? Kriegt Amnesty International so was mit? Und was ist mit dem letzten Wunsch vor dem elektrischen Stuhl? „Ich hätte gern noch ein Tofuschnitzel und einen Brennesseltee.“ Und warum das Ganze? Die Amis haben einfach nur ein schlechtes Gewissen. Wie immer. Setzen was in die Welt und dann verlieren sie die Kontrolle. „Das machen wir schon, ein Kinderspiel. Haben wir im Griff.“ Ja: Vietnam, Kabul, Bagdad, und und und. Was das mit den Stäbchen zu tun hat? Ja, wo kommt der ganze Scheiß denn her? Aus Amerika. Kolumbus. Der hat das Zeugs mitgebracht. Kartoffeln, Mais und den Stoff. Früher da sind ein paar Inkas oder Apachen oder Irokesen einmal im Monat bei Vollmond im Kreis gehockt, haben das Zeugs angezündet, paar Zehnägel und Bisonhaare reingeschnippelt und den großen Quetzalcoatl oder den Manitu angerufen. Heilig, heilig. Das war praktisch wie Weihrauch schwenken bei den Katholiken. Ritual. Religion. „Schnitt schnitt. Misch misch. Paff paff. So jetzt sind wir Blutsbrüder.“ Selbst mein Opa, der hat noch Pfeife gepafft und unser Nachbar, der alte Kühn saß immer auf seiner Gartenbank mit einem fetten Stumpem im Gesicht. Das hat zwar gestunken wie Sau, war aber im Prinzip indianische Meditation. Und wer hat jetzt dann diese hektische Reinzieherei erfunden? Marlboro, Camel, Winston, Lucky Strike? Amis! „Hello schone Fraulein, you beautiful, want my marlboro und so.“ Ich weiß nicht, ob sich jemand erinnert. Fingerhaltung wäre jetzt das Thema. Klassische Zeigefinger – Mittelfinger – Haltung. Nein, das ist nicht das Original. Diese Haltung wurde mit Einführung des Filterstäbchens auf die Welt gebracht. Sollte wahrscheinlich cool aussehen. Das Original sieht so aus. Daumen – Zeigefinger. Die Sparhaltung. Das Ding bis zum letzten Krümel reinziehen. Unten im Schacht. Draußen auf dem Acker. Im Schützengraben.

„Es steht ein Soldat am Wolgastrand. Hält Wache für sein Vaterland.“ Muß oft an meinen Vater denken. Wenn der draußen auf dem Balkon stand, um sich eine reinzuziehen, hatte ich immer das Gefühl, der hält Wache. Im Januar. Im Unterhemd. Feinripp. Und wartet auf einen Feind, den nur er kennt.

Da fällt mir ein: Die sollen mal den Soldaten, die in Bagdad, Basra und Kabul unsere Heizkostenabrechnung verteidigen, die Fluppen – welche die übrigens umsonst kriegen – wegnehmen. Sollen Sie mal versuchen. Das würde mich interessieren, was dann passiert.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Vilstal / noch in Österreich / rechterhand die Vils / kalt /14. Juni 2022

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