… wie teuer die Liebe sein mag
Nie wieder wecken den Tag
(Teil 6)
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Seit jetzt bald vier Wochen nehme ich mir vor an der kleinen Rückblickserie „Wenn der Anu Branco wüßte …“ weiterzuschreiben, doch es will mir nicht gelingen. Einfach fiel es mich an einen euphorischen Anfang und an die ersten Einbrüche der sogenannten Realität zu erinnern. Viel Vergessenes ploppte wieder auf. Aber den Bogen schlagen ins Heute? Geschlossene Theater zum einen und auch noch die Rente aus Altersgründen vor Augen? Schwer und auch emotionaler als ich dachte. Was bleibt? Was ging so alles unterwegs verloren? Ist es wichtig? Ist es wurscht? Ein paar Stichworte und dann wieder zurück auf die längere Bank.
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Bleiben tut nicht viel. Kaum Fassbares. Paar kopierte Kritiken. Fotos auf der Festplatte. Begegnungen auf der Straße. Das und das war toll. Gelegentlich betrunkene Weisstunochs. Wir bauen keine Stühle, Instrumente, malen keine Bilder. Ein Fingerschnipps und alles ist futsch. Das Wort. Die Aufführung. Die Schminke. Das Bühnenbild nach einer halben Stunde durch das nächste ersetzt. Das berühmte Premierenloch. Schon nach der Premierenfeier erwacht man oft und weiß eigentlich nicht mehr, warum man sechs Wochen mit etlichen Menschen in einem von oft fürchterlichen Aufs und Abs geprägten Liebesverhältnis verbracht hat. Eine Nähe zulässt, die man sich in anderen privaten Zusammenhängen eher verbieten würde. Das, was stets blieb, war der Ausblick auf die nächste Arbeit. Oft voller Freude, gelegentlich war es halt die Pflicht. Das fällt dieser Tage weg. Aus zweierlei Gründen. Radikaler Entzug also.
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Was ging alles verloren an Glaube, Liebe, Hoffnung? Verglichen mit 1982 erarbeiten an den Theatern heute 50% weniger Mitarbeiter 50% mehr Produktionen zu 50% weniger Bezahlung. So ist Pi mal Daumen die Entwicklung vor allem der letzten 10 bis 15 Jahre beschrieben. Die Politik hat als Grundvoraussetzung zur Leitung eines Theaters mehr und mehr ein abgeschlossenes Betriebswirtschaftsstudium gemacht. Den finanziellen Druck weitergegeben in die Kunst hinein. Nun, in diesen Monaten der Pandemie fällt plötzlich allen auf, daß die Künstlers in einem prekären Gewerbe arbeiten. Die Sparpolitik hat uns die Zeit nachzudenken und die Luft in den Köpfen genommen. Ein Hamsterrennen ist die Folge, oft auch noch ein uns selbst auferlegtes, die wir gerne Meister der Selbstausbeutung sind. War in den letzten Jahren oft sehr anstrengend, vor allem auch, wenn Deine Gegenüber, Augenränder bis an die Knie, die Lage weglächeln wollen.
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Andererseits: Mitleid ist das Gegenteil von Kunst. Als Don Quichote gegen die Windmühlen anrennen, meist aus enttäuschter Liebe? Macht kaputt ohne daß du die Maschine kaputt kriegst. Die lacht. Frei nach John Lennon: Theater ist das, was Du machst, während Du darüber nachdenkst, was das ganze Theater soll und warum? Und: keiner hat dich dazu gezwungen. (Außer Dein Ego womöglich!)
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Das Theater und ich waren eigentlich immer ein Paar, daß sich gerne küßte und dann schlug. Offensichtlich von Anfang an. Folgendes entdeckte ich kürzlich in meinem wiedergefundenen USA – Tagebuch von 1979. Nachdem ich nach ein paar Wochen Schauspielschule dem Vorsprechen der Absolventen zugeschaut hatte plus anschließender Feier notierte ich:
Oh, Mann, diese wahnsinnigen Kinder. Gezüchtet sich vor den Augen eines stumpfsinnigen Allesfresserpublikums aufzureiben. Träume, gekauft, injiziert, traurig und gnadenlos durchsichtig. 4 Jahre eingesperrt taumeln sie aus ihrem Gefängnis und können es nicht fassen. Aufgebaut und vollgepumpt mit nichtssagendem Applaus fahren sie, kokainschnupfend wie die Leithammel, gen New York, um berühmt zu werden. (Hoffentlich bleibt mir dieser Wahn erspart. Diese widerlichen Abgrenzungsshows, die Unfähigkeiten zu spontanen, tiefen Gemeinsamkeiten, öffentlich – oberflächliche Zärtlichkeiten, kultureller Dschungelkampf. Romantische Gosse oder Werbung, aber halt doch immer dieses verdammte Gefühl anders zu sein.)
Nennen wir es Wehwut. Die Geschichte dürfte noch nicht zu Ende sein, auch wenn es dieser Tage oft nicht so einfach ist, darauf zu hoffen. Vorläufige Conclusio: was man unterwegs begreift ist wichtig, aber wegschmeißen mag ich nie, was eigentlich der Antrieb war, als wir losliefen im Jahre 1982. Klicke auf „Ich wette nie würde er singen.“ Oben. Bis ich mich etwas ausgiebiger mit einer Rückschau in Sachen Beruf beschäftigen mag oder kann, unten ein Zwischenbericht aus dem Jahre 2006. Wie singt doch Gerhard Gundermann? „So wird es Tag! So wird es ein Leben! Wenn wir nicht wie tote Fliegen kleben an dem süßen Leim zu dem man Schicksal sagt!“
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PS: Alle Fotos zum „Anu Branco“ hat mir Google unter der Eingabe „Köln Luxemburgerstrasse 1982“ zur Verfügung gestellt. Danke dafür.
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