In the Bordertowns of Despair / Seven

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Bob Dylan / Opium

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Sie bekommt Besuch, ein alter Bekannter, auf den Sonnenstrahlen ist es hinab gerutscht, das Vieh, unerwartet, brutal, rasend und es saß vor ihr achtbeinig, grüngepelzt, grinsend, sich mit seiner langen knallroten Zunge die schleimigen Nasenlöcher ausleckend. Es hatte viele Gesichter. Vaters Gesicht, C.`s Gesicht, Mutters Gesicht, ihr eigenes Gesicht, das Gesicht eines Intendanten, eines Finanzbeamten, eines Schuhverkäufers, einer unfreundlichen Kassiererin im Supermarkt und seit heute noch ein weiteres Gesicht voller Erwartungen, Forderungen, Hoffnungen und das traf sie ins Mark. Das Gesicht des Anderen. In den letzten Tagen hatte sie es oft vergessen können, das Vieh, aber ihr unfehlbarer Instinkt sagte ihr, es ist da, zuschnappender, fordernder, wütender, freundlicher und tätiger denn je. Sie mußte sich der Anfechtungen erwehren und hatte sich ergangen in die Gleichförmigkeiten eines Alltags, schleppte samstags Blumen in die Wohnung, fand sich mit einem Einkaufskorb durch die neue Stadt gehen und belustigt sagte sie zu ihm am Telefon : „Wie meine Mutter.“ Das Tier spuckte sich in seine kleinen miesen Pfoten und pisste in ihren Kaffee. Ihr war schlecht. „Das wird mein größter Auftritt.“ Und sie war nicht gut vorbereitet. Zwar hatte sie viel schon in die Wege geleitet, Freundlichkeiten hier, Verweigerungen dort, aber nun begriff sie: wenn man etwas tut, bewegt sich nicht nur der eigene Arsch. In diesem Haus muss man samstags die Treppe wischen. Gott sei Dank. Nein, sie schüttet den Eimer nicht um, sie nicht, sie nicht. Die alten Damen, ein Stockwerk tiefer sehen mit Freude eine schöne und „eifrige“ junge Frau durchs Treppenhaus huschen. Unsere Schauspielerin, ach. Ihre Auge glänze noch.

„Weg. Weg. Weg. Meine Gattin weint. Ich halte sie umfasst. Es ist ein trübes Frühjahr. Unten treiben müde die Frachtschiffe vorbei.  An Bord eines der Schiffe ein grüner Golf. Quer steht er. Wäscheleinen. Niederländische Unterwäsche flattert im Fahrtwind. Der Rhein riecht verfault. Das ist nicht mehr das Wasser, welches meine Heimatstadt verlassen hat. Am Rheinkilometer NULL, da kannst du schwimmen, gegenüber der Wohnung meiner Mutter. Hier erinnern große Steintafeln daran wie weit das Haus der Mutter entfernt. Meine Mutter wohnt am Rheinkilometer NULL. Ich lebe diesen Fluß hoch und runter. Meine Gattin weint. Ich halte sie umfasst. Ein Stück Fleisch. Ich umfasse eine Erinnerung. Irgendwo fliegt die Löwenmähne durch den Tag, dieser Geruch ist in mir. Ich umfasse meine Gattin. Ihre riesigen Augen versuchen mich aufzusaugen, die Bitte, die eine große Bitte. Warum stoße ich sie eigentlich nicht diesen Felsen hinab, setze mir eine blonde Perücke auf, bleibe sitzen und warte darauf, daß vorbeiziehende Japaner mich fotographieren? Ich spreche, gelassen, traurig, Warteworte, Abwiegelworte, Streichelworte, Abwieglerworte. Anstatt meine Hände um ihre Gurgel zu legen. Weil sie mich liebt. Ihren Hals zu zerquetschen und ihr in die Rehdackelaugen zu schreien, du bist nicht, die die ich liebe, du bist mir eine entsetzliche Last, weil du funktionierst, wie ich will, weil du machst, daß es mir gut geht, löse dich auf, befreie mich von dir, mach es mir einfach, mach mich leicht. Haha, ich weiß nicht, was soll es bedeuten.“ Der Zug gleitet an der Loreley vorüber. Erschrocken, aber auch angezogen von seinen Abgründen klappt er die Kladde zu. Der Fußballprofi steht auf und lächelt. „Du denkst zu laut, Schauspieler!“, sagt er. Er bestellt ein letztes Bier. Der Lautsprecher meldet sich. „Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten, erreichen wir die neue Stadt. Dort haben sie Anschluss mit der S – Bahn um sowieso Uhr in eine der älteren Städte aus Gleis 2. Auf Grund umfangreicher Bauarbeiten kann es zu Gleisänderungen kommen. Bitte beachten sie die örtlichen Lautsprecherdurchsagen.“

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(Mainz / Oktober 2000)

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In the Bordertowns of Despair / Zeitenwende (Mitfahrgelegenheit)

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Zeitenwende also!?! Wie darf ich mir das vorstellen? Ein inzwischen graumelierter 007, aber immer noch unbeleckt von gegenderten Zweifeln, der mit seinem – Zugeständnis an die Reise zurück in die Zukunft – hybriden Aston Martin durch die französischen Seealpen brettert auf der Jagd nach dem Großen Bösewicht. Er ist sich sicher seinen Gegenspieler (Feind?) vor sich herzujagen. Nur eine Frage der Zeit. Plötzlich kommt ihm dieser entgegen. Volles Tempo. Ausweichen wird der nicht. Natürlich ist die Straße zu eng für zwei, der Abgrund grüßt und die Kurven sind haarnadelig. Der Gegenspieler (alter Freund?) also schießt vorbei. Knapp ist das alles. Unser Agent, eben noch eingenickt, plötzlich hellwach. Powerslide. Handbremse anziehen. Gleichzeitig Vollgas. Lenkrad festhalten. 180 Grad. Zack. Richtungswechsel. Hinterher dem Hund. Wohin? Zurück? Unten im Hafen von Monte Carlo schlägt die Yacht noch gegen die Kaimauer, wo wir gestern gerne stets als Freunde? Wieviel Zeit nochmal auf der Rückseite der Goldenen Taschenuhr? War mal ein Geschenk!

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Zeitenwende also!?! Wie darf ich mir das vorstellen? Bis gestern schmurgelte das Omelett leise vor sich hin. Reduzierte Hitze in der Pfanne. Der Koch aber stand vor der Küchentüre, rauchte, telefonierte und kratzte sich gelegentlich am Genital. Plötzlich, ach plötzlich, aber Rauchschwaden aus der Küche. Der Koch stürzt zurück. Beschimpft den Kellner. Dieser habe wieder nicht aufgepasst. Verlernt hat man es nicht. Elegant – Salto rückwärts mit eingedrehter Schraube – fliegt der Pfannkuchen durch die Luft und landet satt ploppend in der überhitzten Pfanne. Das Rabenschwarze jetzt nach oben schauend. Rechtzeitig gewendet? Ist der Pfannkuchen noch genießbar? Egal. Verkauft und bezahlt war er schon länger.

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Zeitenwende also!?! Wie darf ich mir das vorstellen? Gundermann darf wieder baggern bis ans Ende aller Tagebauten? Freiburg hält in Sachen AKW Fessenheim einfach nachhaltig die Schnauze? Zusätzliche Panzerspuren auf unseren Autobahnen? Mitfahrgelegenheiten schaffen für Einsatzwaffen?

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Die Bettdecken wende beizeiten. Sprach der Narr zum König. Man liegt zu schnell im eigenen Duft.

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Zeitenwende also!?! Wie darf ich mir das vorstellen? In Kiew hat ein Heldenverleih aufgemacht. Wir bedienen uns. Wie hoch könnte die Zeche sein, die wir bezahlen mögen, wenn die Verbindungen gekappt sind und wir den Krieg nicht mehr im TV betrachten können? Hinter den sieben Bergen? Sondern ihn hören werden? Das Comeback des Molotowcocktails in neuen Zusammenhängen. Zeitenwende? Gute Leichen, schlechte Leichen?

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In the Bordertowns of Despair / Six

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Bob Dylan / Woman in Red Lion Pub

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6

Löwenmähne dachte er, Löwenmähne. Ihre Löwenmähne, eine gewaltiger wirrer lockender Haarwasserfall, den sie in seiner Gegenwart meistens streng zusammengefasst hatte, doch jeder Regisseur, jede Kostümbildnerin bat sie und meist mit Erfolg, ihr Haar zu öffnen und über die Bühne direkt in die Herzen und Hosen der Männer fliegen zu lassen. Sie liebt es hart, knapp und abgehackt zu spielen, jedes Wort behauen, ziseliert, Kontrolle bis in den kleinsten Finger, nur eines flog und wogte wild, jenseits aller Kontrolle: die Löwenmähne. An der Löwenmähne über die Bühne geschleift schrie das Tier Marie und der gelbe Schweiß des Woyzeck Franz benetzte ihre Haut. Haare, lachte er, da will sich einer die Haare abschneiden, um seine Unschuld zu beweisen. Der Fußballer lachte mit und meinte er lese die Spielberichte gar nicht mehr. Oh doch, er liebte es Kritiken zu lesen, sie selber schon mehrfach vorformuliert habend, mit unmäßiger Heraushebung der eigenen Leistung und dann dieser kleine allmonatliche Schock, wenn da so oft steht nichts, einfach nichts. Der Fotograf plusterte sich auf und sprach von den Großen vor seiner Linse. Der Kellner brachte Weißbier um Weißbier und zum ersten Mal verpasste er die Loreley, denn sie fuhren auf ihrer Seite. Es war ihm zum grässlichen Ritual geworden. Vor etwas mehr als drei Jahren, als er sich für sie entschied, nach langen Monaten des Werbens, Wartens, Gehens, Kommens, war er noch ein verheirateter Mann gewesen. Wenige Tage vor dem Geburtstag seiner Gattin hatte er die legendären Nägel mit Kopfen eingeschlagen, die, die er wollte, hatte ein lautes „Ich will dich doch auch!“ in den verräterischen nachmittäglichen Kissenkampf geschrien, er hat die Nacht durchgetrunken und sich morgens seiner Gattin offenbart. Sein Geburtstagsgeschenk hätte sein sollen: ein Rheinfahrt. Sie taten dies auch, nun verziert mit dem Bändel der Grausamkeit. Und so standen sie auf der Loreley, die Gattin weinte und weinte und weinte aus ihren riesengroßen waidwunden Augen und ihm war kein Umweg zu schade, kein Trick zu billig, um nicht sagen zu müssen: ich liebe: eine andere: nicht: dich. Und jedes Mal auf der Fahrt von seiner in ihre Stadt riss irgendetwas sein Auge aus der Zeitung, dem Text oder der Bierbüchse und er sah hinauf zum Felsen und trauerte, triumphierte oder es war ihm gleich. Es war wie ein kleines Wettspiel mit seinen Instinkten. Diese gewannen immer. Er war auf dem Weg zu einem neuen Denkmal. Ich weiß nicht was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin.

Der Andere war einer von uns. Warten sei die wahre Zeit, sagen wir, lässig die Zigarette in der Hand, lass dir Zeit, siegesgewiß und warm, es kommt wie es kommen muss, das Herz geht dahin, wo es muss und schon greifen wir das Telefon und schmeißen es ins angebetete Glashaus. Jedes kleine Hihi, ich denk an dich, ist eine Nagel. Unsere Wände, sie sind drapiert mit angenagelten Hoffnungen. Wir nageln sie. Wir nehmen sie. Wir belagern. Wir bleiben Ritter. Wir rennen gegen die Wände. Unser Lieblingswort ist der Schrei. Das aufgerissene getriebene himmelsmächtige Maul. Möge Gott der Herr Schwänze hineinstopfen. Ich werde sie malen, ich habe sie geformt, sie ist hart, klar, gnadenlos. Sie ist schön. Das sprach der Andere vor sich hin. Er drückt ihr sein Mantra ins Ohr. Auch er riecht, hier steht ein Burgfräulein auf den Zinnen. Die Luft sirrte von den Handygeschossen, diesen imaginären Sicherungsseilen virtueller Bergbesteiger in einer trostlos flachen Welt. Seine Form war die knappe, der Schmetterball. Er ahnte nicht welch offenes Tor er berannte. Manche wünschen die Uhren liefen rückwärts, er trat dem Stundenzeiger ins Kreuz. Sein Mädchen war pinkeln, das reicht ihm.

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(Mainz / Oktober 2000)

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