All den Quittungen die Stirn bieten / Fangen wir wieder an zu rauchen 09

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Ammoudia / Epiros / Hellas / 16. August 2013

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Ich vergesse immer dieses Fremdwort, welches die Tatsache, daß man Unangenehmes wie eine Bugwelle vor sich herschiebt, kurz und knapp beschreibt. Es klingt jedenfalls ein bisserl wie Prostata. Da wird ja auch festgehalten und nicht losgelassen. Jedenfalls saß ich heute – endlich – an der Steuer. Für einen Selbstständigen, der nicht nur solo, sondern auch verheiratet und die Gunst bescheidener Coronahilfen genießen durfte, eine rechte Freud. Was dieses Foto da oben damit zu tun hat? Nun, ich sortierte die Quittungen (mache ich schon seit Neujahr) der letzten Monate des letzten Jahres. Hamburg. Alkohol. Überdrehte Herzen. Und da mußte ich an Frank Schulz denken und seine Hagener Trilogie. Man muß zu seinen Dämlichkeiten stehen. Leugnen ist da nicht förderlich. Dafür sind manche Dämlichkeiten zu wertvoll. Gewesen. Das Fluchtfahrrad sollte man jedoch nicht zu lange in der Gegend rumstehen lassen. Es wächst sonst zu.

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RAUCHPAUSE / Teil 09

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Ich stehe zurzeit auch unter so einer Art von Trauma. In Sachen Wortwahl. Bin da verunsichert. Unlängst hat mir mein Bewährungshelfer zur Auflage gemacht – er hat da einen eher gesamtheitlichen Ansatz – also: ich darf diese Wörter nicht mehr in den Mund nehmen wie z.B.: (stumm aussprechen: Zigarette, Rauchen, Feuerzeug etc).  Weil schon diese Worte im Rachen- und Gaumenraum, da materialisiert sich irgendwo negative teerhaltige Energie und das sei nicht gut. Ein Jahr auf Bewährung. Ein ganzes Jahr. Das I- Tüpfelchen auf dem Ende einer langen Freundschaft.

Ein ganzes Jahr. Und selber einsperren muß ich mich auch noch täglich. In diese kleinen gelben Quadrate auf den Bahnsteigen. Gelb. Die deutsche Farbe der Kennzeichnung. Hoffe nicht, der Haus- und Hofmaler der Bahn hat sich dabei was gedacht. Das kleine gelbe Quadrat. Da streckt man den Arm raus, schon steht man im Freien. Frei. Freier. Freiheit. Hier. Der kleine private Freiheitscheck bei Google. (noch ein Zettel) Eingegeben habe ich erstmal: „Frei Deutschland“. Trefferquote: 2.270.000 Einträge.  Dann „Freiheit Deutschland“: 2.210.000. Als nächstes – einengen gell – „persönliche Freiheit Deutschland“: sind es noch 1.380.000 Einträge. Es folgt die Spezifizierung auf höherem Level: „individuelle Freiheit Deutschland“ Da haben wir dann weltweit 940.000 Einträge. Unter „nur deutsche Seiten“ bleiben 759.000. Das heißt also vom Ausgangs- und Theoriewert „frei“ bis zur „Freiheit des Einzelnen“ bleibt gerade ein Drittel über. Schon seltsam.

Und hier draußen stehen jetzt die frierend Freien. Und mein bester Freund – Gitti sagte immer: „Warum heiratet ihr eigentlich nicht endlich mal?“ – steht drinnen. Ich frei unter Bewährung. Er drinnen eingesperrt. Aber warm. Schon absurd.

Andererseits, wir vom NRSG Verfolgten haben noch die Möglichkeit existentiell wesentliche Freiheits- und Anarchieerfahrungen zu machen. Einfach und genußvoll über diese gelbe Linie eine Qualmwolke rauspusten. Oder den Stick in die „Gute Zone“ raushalten. Oder den linken Fuß über die Linie stellen. Oder auf die gelbe Linie aschen. Stellt sich dann wie beim Tennis die Frage: „Ist Linie noch drin oder schon draußen?“ Kannste durchdrehen wie Mastermind of Emotion John Mc Enroe früher: „He you fucking, cuntlicking son of a bitch, you stupid asshole. Fucking train man. The ash was fucking in. Can you dig it? Bring me the lineman to take a second look at it, you bastard.” Das hat gutgetan. Gelle. Diesen Anarchiekick haben die anderen ja nur beim Bescheißen bei der Steuer oder beim Rechtsüberholen auf der Autobahn. Und wie die Anderen immer auf den Bahnsteigen um diese Quadrate rumschleichen. Wo es doch so ungesund ist. Entweder machen die jetzt alle eine Blockwartgrundausbildung und wollen so erste Fahndungserfolge melden. Oder es ist die berühmte Annäherungs – bzw Vermeidungstrategie. Schon auf dem Schulhof waren wir doch ständig neidvoll umringt von den „Gesunden“. Wir hatten das Gift. Alle Sorten. Und die hübschen Mädels und die Gitarren und die Schlagzeuge. Eric Clapton, den Stick oben am Hals in den Saiten gesteckt. „In a white room with black curtains near the station.“ Manchmal denke ich die gesunden Danebensteher die rächen sich jetzt an uns. Jetzt, Jahre später, ist die Stunde der Abrechnung gekommen. Während wir uns nach Leibes- und Lungenkräften dem kreativen Ruin hingegeben haben, haben die viel Zeit und Geld gespart, haben Karriere gemacht, sind fit und ausgeschlafen, können sich inzwischen die Band, in der sie nie mitspielen durften, mieten und lassen sie auf ihrem Fünfzigsten rocken. Und uns sperren sie zur Strafe in kleine gelbe Vierecke.

Und im Frühjahr, wenn der Schnee wegtaut, stehen in diesen kleinen gelben Vierecken lauter erfrorene eingetrocknete Statuen. Mir hängt dann ein Schild um den Hals: „Gestiftet von Gitti und Hansi.“ Ich übertreibe jetzt. Ja. Aber ein bißchen Selbstmitleid braucht der Mensch. (neuer Hustenanfall)

COPD. Macht einsam auf Dauer. Meine letzte Freundin, die ist gegangen. Nicht etwa, weil ich und meine Klamotten und meine Wohnung nach Gift stinken, sondern weil ich nach jedem Akt COPD – Anfälle habe. Sie nahm das persönlich. Verstehe ich ja. Aber: Gestorben werden muß. Nicht rumlamentieren wie Hölderlin: „Weh mir, wo nehm‘ ich, wenn/ es Winter ist, die Blumen, und wo / den Sonnenschein, / und Schatten der Erde?“  Was soll das? Ich fang noch mal ganz neu an, im Herbst. Da kannst Du gleich die ganzen Blätter aufsammeln und versuchen sie wieder an die Bäume zu kleben. Vergiß es. Herbst ist Herbst.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Reutte / Tirol / Österreich / 13. Juni 2022

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