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Biber sind nicht blöd. Gut, sie müssen mit einem Gebiß leben, welches ihnen bei Heidi Klum wenig Chancen auf ein sogenanntes Foto einräumt. Aber sie sind gescheit. Sie bauen erst ihr Häuschen – man nennt es eine Burg – und dann schichten sie – da kann mal auch mal scheiße aussehen, wenn die Beißerchen ihre ganze Arbeit leisten – einige Meter flußabwärts einen Damm auf. Und warten. Warten deshalb, weil bis das Gewässer seinen Pegel steigen lässt, der Haupteingang der Biberburg so unter Wasser liegen soll. Dann erst ziehen sie ein. Im Biberleben gibt es keine Rabatte, keine Sonderangebote, keine Pfennigfuchserei. Regnet es mehr, zieht man schneller ein. Ansonsten wird gewartet und ein neuer Baum angenagt.
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Meine Frau bekam unlängst eine therapeutische Erbse geschenkt. Aus Plastik. Um die eigene Ungeduld und Unruhe zu bändigen und zu besänftigen, soll man drei Erbsen aus der Hülle drücken. Alles Plastik selbstredend. Das ist gar nicht so einfach. Und soll beruhigen. Man schaut in den Spiegel und denkt: Was soll die Hektik? Drück. Drück mich. Drück dich. Druck. Währenddessen wartet der Biber und nagt vor sich hin. Zeit hat Zeit.
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RAUCHPAUSE / Teil 10
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Ewiges Leben? Narzißmus. Grenzenlose Überschätzung der eigenen Wichtigkeit. Narziß wollte sein eigenes Spiegelbild küssen, ist dann voller Verzückung in den Teich gefallen, der ihn spiegelte und ersoffen. Andere wiederum sagen, ein Blatt sei in den Teich gefallen, hätte das Spiegelbild getrübt. Narziß meinte daraufhin, er sei potthäßlich und entleibte sich. Da kann ich es auch weitertreiben.
Wenn man bedenkt, das ist eigentlich meine Kneipe. Ok. Unsere. Hansis und meine. Unser „Aquarium“. Die einstmals letzte Insel im Meer der Hektik und der Geschwätzigkeit. Der Ruhepol. Das Reservat.
Hansi und ich hatten ein Ritual. Wer inhaliert, der schweigt. Und da mußten andere, auch Frauen, die eventuell neben einem saßen, einfach warten, bis Du wieder sprechen kannst. Und du, du mußtest die Nerven haben, das auszuhalten. Das Schweigen. Gerade eben habe ich zu Hansi noch gesagt: „Weißt Du was? Ich vermisse das Schweigen.“ Die Augen nach oben gedreht hat er daraufhin und den Kopf geschüttelt. Depp.
Du bist echt ein Depp. Ich stehe jetzt hier draußen und rede mit mir selbst. Und rede mich nicht wirklich warm. Und warte. Auf was? Auf was eigentlich? Auf noch so einen traurigen Ritter, der dieselbe Klage singt? Ich würde gern mal mit Helmut Schmidt eine quarzen. Oder mit Loki. (zündet sich mal wieder eine an)
Unser altes „Aquarium“. Gut, das war im Prinzip Hansis Geld. Seine Lieblingstante hatte ihm damals ordentlich was vermacht. Vor etwa 6 Jahren. Ich war gerade frisch geschieden und Hansi hatte ein paar Probleme in seinem Job. Nun gut, wenn Du als Taxifahrer (mit 27 Semestern Erziehungswissenschaften und Linguistik) zweimal innerhalb eines Jahres den Lappen für zwei Monate abgeben mußt – Getränke und so – wird dein Chef irgendwann sauer. Und meine Scheidung wiederum war für mich eine finanzielle Bauchlandung. Ärger gab es also ausreichend in Hansis und meinem Leben. Unser Refugium wurde das „Aquarium“. Wir sind da quasi untergetaucht. Haben geschwiegen. Inhaliert. Uns innerlich feucht gehalten.
Es ist etwas Seltsames mit der Zeit und den Geschlechtern. Wird eine Frau 40, bleibt sie das bis an ihr Lebensende. Ein Mann in derselben Situation mutiert geistig schlagartig zum 20-Jährigen. Er halbiert quasi die Zeit und verfällt in eine Art postpubertäre Starre. Er etabliert ein Paralleluniversum. Dieses ist bestimmt von Ritualen, die gerne auch zur Zwangshandlung mutieren. Zum Beispiel: Aufsagen des gesamten Textes von „Supper`s ready“ von Genesis. Oder der Aufstellung der Meistermannschaft des HSV von 1982 inclusive Ersatzbank. Exakte Länge der einzelnen Tracks auf „High Voltage“ von AC/DC. Und. Und. Eine permanente Reise zurück in eine glorreiche Zeit, als die Welt noch beseelt war von einem heiligen Ernst. Falls das so war. War schon so.
Eigentlich bescheuert. Hansi und ich, zusammen nun wieder zarte vierzig Jahre jung, im Kokon unserer Vergangenheit klebend. In der Kneipe „Zeitlosigkeit“ und über unseren Köpfen baumelten die an die Decke geworfenen Teebeutel der letzten Jahrzehnte. Sie klebten dort wie unsere abgehangene Trauer und unsere müde Wut.
Eines Tages kippte Charly, der legendäre Gründungsvater des „Aquariums“ und der erste und beste Kunde seiner selbst hinter seinem Tresen um. Und wir haben den Laden übernommen und einen heiligen Schwur geleistet: „Charly, der Kampf geht weiter.“ Charly hatte immer gesagt: „Drei Dinge braucht der Mann: Feuer, Feuchtigkeit und Haltegriffe am Tresen.“ Das war der definitive Minimalismus. War auch das Prinzip der „Karte“. Es gab nämlich keine Karte. Man kann ja fragen. Bier. Ein paar Spirituosen. Sonst nur Wasser und Apfelsaft. Keine braune Imperialistenbrause und kein Zuckerwasser. Sekt gab es nur, wenn eine mit einem Stammgast verbandelte Frau Geburtstag hatte und unbedingt darauf bestand. Einziges Nahrungsmittel: zwischen halb 11 abends und 2 Uhr morgens gab es Frikadellen. Das Brötchen war mit drin. Unsere Cocktailkarte: drei Basics. Der „Keith Richards“: Wodka Orange. Der „Queen Mum“ (für die Mädels): Gin-Fizz. Und die sogenannte „Traditionsperlung“: Asbach mit Apfelsaft. Das hat funktioniert. Die ersten drei Jahre waren ein Traum. Das „Aquarium“ schäumte. Von Montag bis Samstag. Am Sonntag Ruhetag. Körperlich war das jetzt nicht durchgängig gesund. Aber seelisch durchaus. Reduce to the maximun.
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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)
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