Wo ist die Zeit / Kleiner Ratschlaeger

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Einer meiner guten Freunde sagte mal zu mir: „Hast Du einen dicken Kopf, trage besser keinen zu kleinen Hut!“ Ein anderer besserer (?) Freund bemerkte: „Ist Dein Arsch zu dick, kaufe nicht zu weite und schlackernde Hosen!“ Mein Lateinlehrer wiederum warf ein: „Tragen Sie lange Haare hinter sich her, verstehe ich nicht, Verzeihung, warum Sie das Hemd in die Hose stecken wollen!“ Mein liebster Feind schrieb mir dann unlängst eine Mail: „Warum siehst Du aus wie Dein Biolehrer? Bist Du deshalb halt nur der Trommler?“ Bei dieser Band aber funktionierte so ein gnadenloser Stil – Mix. Jahre später hat der von mir geschätzte Calvin Russell in Sachen Getränke entscheidend abgerüstet und in Sachen Erscheinung zugelegt. Aber auch wer seine Dämonen überlebt hat, wie das alte Scarface, muß irgendwann an Charon seine letzte Münze weiterreichen.

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Update: Weshalb ich das reichlich wirre Zeugs letzte Nacht etwas überheitert hingeschrieben? Siehe unten so ab Minute 30. „The foolish roads taught more to me, then the wise one’s ever could.“ Aber auch da darf man sich gern mal täuschen.

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Eselsohren gelegentlich

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Wertheim / Goldener Ochse / 12. Oktober 2022

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Zwei Finger breit ja

Zwei Finger breit werde ich mir die Butter aufs Brot streichen

Am besten streichen lassen

Schrie er mir hinterher der Schmerbauch reicherer Jahre

Und Du Gemüsespacko kannst mich mal kreuzweise

Mein Auto bleibt hier stehen

Und wenn Du Tofukugeln kotzt

Im Strahl

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Mein Rücken war schon immer nur ein Garderobenständer

Gescheitle

Auf den Sackgesichter ihre vererbten Nerze hängten

Während meine Bandscheiben dahinschmolzen

Und die Kniescheiben mit dem Asphalt der seit dreissig Jahren

Nicht mehr oder weniger

Ausgebesserten Strassen verschmolzen

Und Du labberst mir einen zweiten Pullover in die kalte Wohnung

Lass mich mit dem Scheißkrieg in Ruh

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Hey, Boomer, sei froh, dass ich nur an Dein Haus piss

Und nicht in den verstopften Auspuff

Von Deim Elektrofahrrad

Du schnallst echt nur nix

Aber erst mal Deinen Gürtel enger

Vielleicht mal schnallen

Was soll ich aufheben

Hey, nochmal, was soll aufheben bitte

Ich?

Wenn Du nicht aufpassen tust kleb ich Dir

Deine Selbstgewissheit mit Sekundenkleber

Kannst Du Dir aussuchen wohin

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Biiiittte! Biiiiitte! Speeeende!

Jeden Tag zweimal dreimal Strassenseite wechseln

Das ist nicht Armut das ist doch organisiert so

Sagt Schlaumeierchen und will seine Ruhe und weiß sofort Bescheid

Künftiger oder vergangener Armut ins glasige Auge zu blicken

Dazn aber ein ganz anderes Thema

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Den fremden Lebensbüchern viele Eselsohren

Fügten wir zu

Das Bügeleisen glättete diese alten Hefte zu Poesiealben

Satt und Blatt und Mäh

Schrie die Ziege einst

Überfressen und im wüsten Grimm

Und wo ist mein Haus

Mein altes überheiztes

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Darf ich Sie mal was fragen?

Gerne.

Wo ist denn Ihr Haus?

Ich hatte mal eins.

Und wo ist das jetzt?

Weg! Aber ich hätte da noch ein Salatblatt für Sie.

Was soll ich damit?

Basteln Sie sich daraus ein Eselsohr!

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Auf der Hardt / Gießen / Wintersalat / Anfang Oktober 2022

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Novemberstolpern eines Blauen Engels

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Kiel / November 2021

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Und wie man fiel über den eigenen Unrat

Den lange Müdigkeiten gestapelt hatten unter den welkeren Häuten

Herr Professor und Löwe mähnenlos

Und nicht blickte aufs prangende Kneipenschild

Und nicht dachte ob und wie denn

Wird jemals ein Engel so blau wie Du

Holper die Stolper ins Vergessen

Nicht gerutscht: sondern getanzt

Und tat man dann als sei die Fremde visavis

So eine Art vergangener Zukunft

Die Möwen flogen über die Förde

Die Trawler warteten

Vor dem Grauburgunder mit Hafermilch

Abgeschleppt zu werden

Die Schwebefrau die mit dem Tablett den ungleich besetzten

Nachmittagstisch wohlwollend umkreiste

Blickte

Sehnsüchtig und der Sorgen voll

Dann auftritt die Chefin

Hadesfalten unter den Augen eines langen Lebens

Dienend daran die Engel blau zu machen

Kassierte ab beim Zurückgebliebenen

Der es nicht mal ahnte

Jedoch wußte

Einer geht noch

Nicht nach Hause

Und bleibt ein Geist

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(Kiel am 3. November 2021 / Gießen am 3. November 2022)

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Lindau / Oktober 2022

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Übers Wasser gehen und von der Rente

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Nonnenhorn / Freibad / 8. Oktober 2022

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Dem Dilemma

Die Hand geben

Sachte davon schweben

An der Geschichte weben

Die niemand erzählt

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Bleib nicht an Gesten kleben

Versuche eine Feder zu heben

Brich deiner Leiter Streben

Klag nicht über Kleinhirnbeben

Was hatte Hiob schon gequält

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In all den Wüsten

Als alle Tage noch düsten

Und uns nicht verdrießten

Oder vermiesten

Den Mangel an Glut

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Doch letztendlich mussten

Wir röcheln und husten

Jene Tage der bewussten

Stunden und von den Verlusten

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Heute geht es mir besser

Zwar lang noch nicht gut

Doch über Gewässer

Werde ich gehen

Wir werden es sehn

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Und außerdem hat Bob Dylan ein Buch geschrieben

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PS: Die meisten der letzten Photos von und an den Ufern des Bodensees habe nicht ich, aber die Lebensbegleitung gemacht. Danke dafür. Und mehr.

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Schwarzer Hund / Allerheiligenblues 22

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Lindau / 9. Oktober 2022

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Uuuuuuh singend

Höre ich mir selber zu

Derweilen

Laub dekorativ geblasen wirbelt rum

Ist nun ein Oktober doch vorbei

Beim Blick hinaus

Immer noch offene Fenster möglich

Leeres Fensterbrett aber

Wie aus den vergessenen Kinderreimen einst

Mit weinbestäubten Beschwörungen verloren träumen

Über die vertanen

Tage die Bücher alle Ungeduld

Dumme erschöpfte Fingerzeigeleien

Oder

Halt`s Maul nur

So sollte ich mich schämen zu atmen neben

Meiner Zeit und diesem Rest

Kling Klang Kling Klang uuuuh

Singen Sie bitte den Bluuuues

Analog so wie den täglichen Aufstehschmerz

Nachgereicht wird ein naiver

Spatz der auf dem Fensterbrett

Dem metallischen

Seinen Schnabel kleiner hackt

Auf der Suche nach

Brotkrumen

Er kurz nur mich anblickt

Verweilt aber

Für lange Sekunden

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(Gießen, 1. November 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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