Von den leeren Zitzen des Erinnerns / Fangen wir wieder an zu rauchen 16

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Pfronten / Falkenstein / Mariengrotte / Gebetsbank / 14. Juni 2022

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KN / Cafe Sud / 8.3. 2022

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Die alten fächer

Wir hatten sie nicht geteilt

Keine bewegung der luft

Während ich sitze

Und ziehe bilder an land

Die schon ertrunken

Sollten sie dies

Staubige schuhe

Ich fege den flur

Ihr ohr an der wand

Ist schmelzender schnee

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Den stift in der hand

Die zitzen des erinnerns

Müdes ritual

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Schrieb ich am Internationalen Tag der Frau, als ich wieder begann zu trinken, auf einen Bierdeckel. In der alten Heimat. Die Ärzte da unten machten meiner linken Hand Hoffnung auf eine Rückkehr an die Saiten. Davon später genaueres.

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Werde das Gereime oben nochmal überarbeiten. Steckt mehr drin. Aber so aus der Hüfte erbärmlich in die Welt geschossen, das mag ich auch.

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Lese eben ein neueres Buch von Frank Schulz. Anmut und Feigheit. Allein der Titel. Eine Freude. Und der Rest auch.

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Was ich gerne vergaß: Stand ich mal oben und begriff, wo ich eigentlich herkam und wie lange und mühsam der Aufstieg gewesen war? Eigentlich nie. Aber ich frage dann halt meine alten Knie, was die sagen, geht es wieder hinab. Steiler und schneller runter denn hoch. Nun der Rest der Rauchpause.

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RAUCHPAUSE / Teil 16

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Ich fand diesen Song immer bescheuert. Und den Roger Daltrey mit seiner blöden Fransenlederjacke und der nackten Brust. Aber Rache muß sein. Du kannst nicht einfach alles verraten, was eine Freundschaft ausmacht. Du kannst nicht alles, was war mit dem Etikett Vergangenheit versehen und in einem Herlitz – Ordner abheften. Und hoffen, daß dieser stillhält. Und schweigt. Nee.

Erst ging es ganz langsam. Sehr langsam. Heilige Nebel stiegen auf. Im Duett. Und dann ging es auf einmal ganz schnell. Hansis erschreckender Hustenanfall, mein COPD, eine sich öffnende Haustür und der energische Schlag einer geschulten Krankenschwester mit einer eingeschweißten Gurke auf meinen Hinterkopf. Direkt auf meine wunderbare Beule. Das Souvenir der letzten Nacht. Doppelschlag nennt man das wohl.

Innerhalb von weniger als 12 Stunden erwachte ich zum zweiten Mal aus dem Koma. Diesmal saß ich auf einem Küchenstuhl in der Wohnung meines alten Gefährten Hansi, in Handschellen, neben mir zwei Wachtmeister und am Küchentisch saß Gitti, die weinte. Die Tür zum Küchenbalkon war offen. Der 1.Oktober war ein erstaunlich warmer Tag, als wolle Gott den Giftkranken noch so eine Art Gnadenfrist gewähren. Draußen auf dem Balkon stand Hansi, versuchte mit dem Lasso einen Blumentopf mit Basilikum zu fangen und in seinem Mundwinkel hing eine Reval. Kalt, nicht angezündet. Er sang vor sich hin: „I´m free “ Den ganzen Song. Konsequent, wie er schon immer war.

(Hustenanfall) COPD. (drückt die letzte aus) Cold on parental device. Auf deutsch: Kalt auf elterliche Anordnung. (lacht) Ich glaub, ich sollte wieder rein. Immerhin hat der Sack heute Geburtstag. Und Gitti ist schwanger. Fast wie einer Soap. Wie sagte Dylan einstens: „Peace, love and happiness is one thing. But you got to have forgiveness too.”

Ok. 1 Jahr auf Bewährung wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Nötigung und – das fand ich jetzt etwas übertrieben – Körperverletzung. Nun habe ich eine Therapeutin und einen Bewährungshelfer am Hals. Fleischgewordene lange Unterhosen. Aber ich habe mich ganz gut gehalten. Noch kein einziges Mal habe ich gesagt, was ich nicht sagen darf. Noch nicht mal heute abend. (stumm artikulierend: Zigarette, Rauch, Feuerzeug etc.)

Heute Nachmittag war ich in meinem Büdchen. Stoff kaufen. Das geht ja noch. Bei meiner guten alten „Dealerin“. Ehemalige Hardcorekonsumentin. Kürzlich mußte sie für längere Zeit ins Krankenhaus. Und darf es nicht mehr tun. Eigentlich. „Nur noch 3 bis 3 und eine halbe am Tag genehmige ich mir.“ Sagte sie. Ich habe ihr eine geschenkt. Menthol. In memoriam Helmut Schmidt. So eine Art kleines Souvenir. Und wegen früher. “Once upon a time, there was a tavern / Where we used to raise a glass or two. / Remember how we laughed away the hours / Think of all the great things we would do? Those were the days, my friend.” (lacht, tanzt) “See me feel me touch me heal me.

Sie hat sich übrigens gefreut. Über die Mentholzigarette. Wirklich.

So. Jetzt geh ich rein. Einen trinken. Ist noch nicht verboten. Und atmen. Frische Luft. „Freiheit.“ (grüßt in der Art der alten FDJ´ler und geht ab, hustend)

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(Gießen / Spätherbst 2009 / is now fertig)

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Blick ins Vilstal / 14. Juni 2022

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Vom Abnagen krachender Knochen / Fangen wir wieder an zu rauchen 15

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Pfronten / Dorfwirt / 11. Juni 2022

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Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald. Einst klang dies in den Ohren vor allem der Kinder wie eine Verheißung. Der monatliche Höhepunkt auf dem familiären Speiseplan. Papa holt ein / zwei Hähnchen aus Friedrich Jahns Gockelbude, Mama macht Fritten im Backofen. Und Mayonnaise ohne Ende aus der Tube. Und dann wird genagt bis das Zitronentuch zum Einsatz kommt und die Fettfinger wunderbar chemisch und frisch riechen. Es gibt solche und solche Nager. Die einen lassen was am Knochen hängen, die anderen nagen die kleinsten Fitzelchen bis auf die Knochenhaut runter und werden trotzdem nicht satt. Extremisten lassen sogar die Knochen krachen und saugen sie aus. So verfahren wir dieser Tage mit Mutter Erde. Wohlfühlmassaker allenthalben. Lassen wir was über.

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RAUCHPAUSE / Teil 15

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Meine Haustürklingel meldete sich, Sturmklingeln. Ich hatte keine 4 Stunden geschlafen. Ich öffnete. Vor mir ein Mann in Cordjacke. Er hält mir seinen Ausweis unter die Nase. Gesundheitsamt oder Ordnungsamt. Er übergibt mir ein Schreiben: „Wegen Verstoßes gegen das NRSG, Abschnitt 1, Paragraph 6 und weil sie nicht nur Gast, sondern Mitinhaber und als Exempel. Kurz und knapp: 2500€ Bußgeld.“ „Wie? Was? Wo? Und wann?“ „Heute nacht gegen 1Uhr27. Im „Wind und Wasser“. Finden Sie das eigentlich nicht einen bescheuerten Namen für eine Kneipe? Man hat sie gesehen, wie sie es getan haben. Sogar mit einer Rothhändle. Ohne Filter.“ „Zur Feier des Tages.“ antworte ich. „Haben Sie da noch eine übrig?“, fragt er mich. Also sitzen wir da zusammen in meiner Küche und zwei Rothhändle brennen. Er ist sehr freundlich: „Wissen Sie, ich tue nur meine Pflicht.“ „Kein Problem. Eine Frage nur, wer hat mich gesehen?“ „Eine Frau hat uns angerufen.“ „Danke, schon gut, will ich gar nicht wissen.“ Mein Schädel bummert und schreit nach Erlösung. „Ich überweise das heute noch. Kein Problem. Hier, die Packung Rothhändle schenke ich ihnen. Auf Wiedersehen.“

Das Lasso. Total bescheuert. Hansi und ich damals in Texas. Dieser uralte rote Toyota Corolla, den wir überführten vom Osten in den glorreichen Westen war zusammengebrochen und wir hingen in irgendeinem traurigen Kaff fest. Corpus Christi. Hosianna. Kreuzigt ihn. Hansi hatte die vollkommen wahnwitzige Idee ein Lasso zu kaufen, die Zeit zu nutzen und Cowboy zu trainieren. Also stehen wir zwei Tage in der Wüste, während die Mechaniker auf die Ersatzteile aus Yokohama warten und versuchen mit dem Lasso Gebüsche und Zaunpfähle einzufangen. Später haben wir das als kleines Ritual hier in der Heimat eingeführt. Einen leeren Bierkasten auf einen Holzpflock oder Tisch gestellt. Und wer als erster den Bierkasten fängt, gewinnt eine Packung Reval. Bißchen albern, gebe ich zu. Aber kreativer als Everquest oder Warcraft.

Nun gut, vor einiger Zeit im Rahmen von irgendeiner ominösen Basis – Fengshuisierung von Hansis und Gittis Wohnburg hat mir Hansi das Ding vermacht: „Paß Du bitte auf „Holden Caulfield“ auf.“ Holden Caulfield. So hieß das Lasso. Hansi hatte ja die Angewohnheit alle Gegenstände benennen zu müssen. Holden Caulfield. Der Fänger im Roggen. Hansi reichte mir das Lasso, sagte: “Nimm Du das bitte. Ich kann mit diesen seltsamen Energien nicht mehr umgehen. Verstehst Du? Was Erinnerung so auslöst. Körperlich. Und Gitti meint auch, man muß sich von Dingen trennen können. Zum Beispiel von der ewigen Pubertät, die gerade uns Männer öfters krankmacht und so. Verstehst Du?“ „Schon gut.“

Was jetzt kommt, darf ich gar nicht erzählen. Zu lächerlich. Obwohl so lächerlich, wie hier draußen stehen, frieren und klagen ist es dann auch nicht. Meine Fresse. Sehen alle so lächerlich aus, denen man was weggenommen hat? Der gute alte Verlust. Täusch ich mich, oder wird es gerade was wärmer. Selbstgratifikation. Ok. Das noch. Auf Bewährung. (zündet sich eine letzte an)

Ein bißchen komisch kam ich mir schon vor, als ich morgens um 9 mit einem Lasso über der Schulter und einer Stange Reval unter dem Arm durch die Gassen einer deutschen Kleinstadt stolperte. Bevor Hansi überhaupt realisiert hatte, was hier abgeht, hatte ich ihn mit dem dreifachen Nevadaloop zu Fall gebracht, fachgerecht verschnürt – Yeeha! – und an seinen Kühlschrank, den guten alten Gevatter Bosch gefesselt. „Holden Caulfield“ gehorchte mir wie in den besten Tagen. Dann zwei Reval angezündet und die eine, die seine, in seinen Mund gesteckt. „Und jetzt inhalier, Judas.“ Dann ging ich zur Stereoanlage und legte die CD mit seinem Lieblingssong ein – „I´m free“ von THE WHO – und drückte die Repeattaste:

I’m free. I’m free.

And freedom tastes of reality.

I’m free. I’m free.

And I`waiting for you to follow me.

If I told you what it takes to reach the highest high

You’d laugh and say, „Nothing’s that simple.“

But you’ve been told many times before, Messiahs pointed to the door

No one had the guts to leave the temple.

I’m free. I’m free.

And freedom tastes of reality.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Begriffe so lange kneten, bis sie nicht mehr wissen, was sie erzählen sollten / Fangen wir wieder an zu rauchen 14

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Reutte / Tirol / 16. Juni 2022

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Redlichkeit. Ein altes Wort. In Moralsaucen aller Art über Jahrhunderte mariniert. Aufrecht gehen. Ritterlichkeit. Fällt mir heute dazu auch noch ein. Einsicht in die Notwendigkeit. NOT. WENDIGKEIT. Sprich: Begreifen. Und was man spricht, nach Abwägung (noch ein schönes im Sterben liegendes Wort) vieler Aspekte der Not – Muß man hier und heute gar wenden? – redlich bedenken. Gelingt uns sehr selten. Und dann packen wir das schöne Wörtchen redlich in den fürchterlichen Satz „Das habe ich mir doch redlich verdient!“. Während wir mit 200 km/h über den Highway brettern und unseren Steuerberater anrufen, ob da nicht noch was gehe, prinzipiell. Nur für diesen kleinen bedeutungslosen Kick heute auch mal eine Lichtgestalt gewesen zu sein, die die absolute Kontrolle über sein beschossenes Fürstentum namens Leben für fünf Minuten zurückerobert.

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Vor kurzem sagte ein ehemalige Schauspielkollegin was sehr Schönes. „Ich kann das Wort gemeinsam nicht mehr hören. Machen wir es doch einfach zusammen!“ Wir müssen uns alle dringendst entfloskeln. Und das redlich.

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FRÜHER fuhren wir zum Beispiel nach Griechenland. Mit elterlichen Geldern. Entdeckten einen Strand. Griechenland war billig. Da iss keiner. Das ist mein Strand. Kann man unbehelligt dingseln. Änderte sich irgendwann. Haben wir uns bis an unser Lebensende das Recht auf ungestörtes Dingseln redlich verdient? So ein Blödsinn. Heute humpeln wir rentengefüttert durch die heimischen Wälder. Wenn wir es uns leisten können. Seit einiger Zeit tun dies auch jüngere Menschen. Nicht wirklich leiser als wir damals sind sie. Sie dürfen das. Oder? Habe ich mir die Stille, sobald ich die Bühne Wald betrete, redlich verdient? Warum? Ich finde darauf keine Antwort. FRÜHER gibt es nicht. Auch Vater hatte einen Vater.

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RAUCHPAUSE / Teil 14

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Gonzo hat sich dann bereit erklärt den Schlichter zu machen. Und er hatte eine geniale Idee. Die sogenannte Gerade-Ungerade-Tageregelung. Das „Aquarium“ – Verzeihung das „Wind und Wasser“ – wurde, wie ich es gerne ausdrücke, zu einer veritablen „Wendejacken“ – bzw. „Große Koalitionskneipe“. Gerade Tage Hansi und Gitti. Keine Luftverpestung, Tee und sonst nur noch alkoholfreies Weizen. Ungerade Tage und traditionsbewußtes Kneipenleben unter meiner Leitung. Das hatte auch noch seinen tieferen Sinn, weil, wie mir Gitti klarmachte, steht der gerade Tag für die positive Energie und umgekehrt der ungerade für die eher nicht so positive. Kann man akzeptieren. Kröten zu schlucken hatte jede Partei. Das Pärchen mußte nach meiner Schicht die ersten drei Stunden bei offenem Fenster arbeiten. Feng Shuisierung der Raumluft sozusagen. Ich durfte dafür zu Beginn meiner Schicht Teebeutel und Zuckertütchen aus den Aschenbechern fummeln und die Weizenbiergläser von frischen Schnittblumen befreien. Es war ein bescheuerter Kompromiß, aber jeder hatte das Gefühl, wir seien da alle mit einer Win-Winsituation raus. Funktionierte leidlich. Die Schnittmengen waren klein, aber vorhanden.

Kompromiß. Teilen. Sich entgegenkommen. Machen wir es doch so. Hier draußen Heizung und Gift. Drinnen gesund und kälter. Aua. Aua. So langsam dreh ich am Rad. Komm, geh rein, du sentimentales Rindvieh. Rede mit anderen. Nein. Haltung. In Ordnung, eine noch. (schmeißt noch ein paar Zettel ins Aschenbecherlagerfeuer und zündet sich daran eine an)

Jetzt hatte ich natürlich nicht mit diesem Tsunami NRSG gerechnet. Ich dachte, so ein Gesetz dauert und dauert. Pustekuchen. Es kam quasi über Nacht. Das Fallbeil. Die Wende. Das NRSG. Die ersten Warnzeichen – keine Cowboys mehr in der Kinowerbung, die hübschen Kurzgedichte auf den Packungen, seltsame Nachrichten aus Irland und Italien – hatten wir nicht wirklich ernstgenommen. Jetzt war es da. Von einer Sekunde auf die andere. Ab dem 1. Oktober 2007 gab es nur noch gerade Tage. Und plötzlich stehst Du so was von auf der falschen Seite. Gitti grinste ab sofort Tag und Nacht wie 30 Buddhastatuen. Hansi knetete unentwegt seinen Handrücken.

Der 30.9. war ein, obwohl gerader, sehr trauriger Tag. Das „Wind und Wasser“ war rappelvoll. Die Stimmung hatte was von Abiturfeier und Abschied. Ich hatte der treuen Kundschaft 10 Stangen Gift zur Verfügung gestellt. Ich sah Fluppen in den Gesichtern von Menschen, wo ich sie noch nie gesehen hatte.  Für Mitternacht, die Minute der Ankunft des Monsters NRSG hatten sich Gonzo und noch ein paar Hardcore – Giftler was Hübsches einfallen lassen. Punkt Mitternacht betraten sie die Kneipe mit einem dieser „Laubwegpustegeräte“ – ein wahnsinniges Gedröhne – pusteten damit die noch brennenden Todesfinger aus, schütten den Inhalt aller Aschenbecher in einen riesigen Plastikeimer, verließen die Kneipe und kippten sich den Eimerinhalt aufs Haupt. Dort stimmten sie einen lauten Wehgesang zu den Klängen von „Yellow Submarine“ an: „Wir haben schwer gesündigt und hörn jetzt damit auf, hörn jetzt damit, hörn jetzt damit auf. Verzeihet ihr Gerechten, drum die Asche auf dem Haupt, Asche auf dem Haupt, Asche auf dem Haupt.“ Eine große Geste. Fand ich.

Es mag vielleicht gegen 1 / halb 2 Uhr morgens gewesen sein. Ich hatte mir eine sozusagen „Letzte vor Ort“ ins Gesicht gesteckt, als es plötzlich mit aller Macht von draußen gegen die Eingangstüre donnerte. Ich erschrak mich zu Tode und ich fiel rücklings vom Barhocker und war weg.  Als ich wieder zu mir kam, sich die Schockstarre löste, lagen neben mir die restlichen 3 nicht konsumierten Stangen fein säuberlich zerbröselt und auf meiner Brust klebte ein handgeschriebener Zettel mit den Worten: „Dafür wird gebüßt, du Verpester.“ „Das war sie nun die neue Zeit!“, habe ich mir gedacht. „Nehmen wir alles nicht so ernst. Vielleicht war es nur ein Geist und ich träume bös.“ Ich schlich nach Hause. Mein letzter Blick in den Badezimmerspiegel zeigte mir, daß sich auf meinem Schädel eine beulenhafte Erhebung gebildet hatte. Sehr schmerzhaft dazu. Nun gut. „Solange dein Leben in Gefahr ist, weißt du, daß du lebst. Der Rest ist Fernsehen.“ Dann zählte ich Schafe. Ich schlief ein, komatös und von Alpträumen geplagt.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Von dem steten Menetekeln statt sich vor den Konsequenzen mal zu ekeln / Fangen wir wieder an zu rauchen 13

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Schwangau / 16. Juni 2022

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Da haut sich ein Gletscher ins Tal, weil er in den letzten Tagen das erste Mal in seinem gewiß mehr als 50000 Jahren altem Leben 10 grad Celsius PLUS erleiden mußte. Und nimmt ein paar Bergsteiger*innen (Verzeihung! Ich verzichte auch auf meinen Vortrag morgen an der Uni Sowieso!) mit in die Hölle. Da soll es ja noch wärmer sein als hier oben. Obwohl? Sicher dat?

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Hörte eben davon in den Nachrichten im Radio, während ich spülte. Das Wasser kommt so warm aus der Leitung, daß mein Wasserkocher binnen kürzester Zeit abschaltet. Na also, tu klagendes Germania, die finsteren Wolken über unserem Geldbeutelhimmeln, so schlimm können sie gar nicht sein. Ach, vergaß ich fast: dann noch mein Lieblingsspruch am Ende der Nachrichten. Konzentration: „AUCH DEUTSCHE UNTER DEN OPFERN!“ Die Opfer der Deutschen sind meist entschieden leiser.

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Weniger als fünf Minuten duschen? Weia! Abu Ghreb ante portas!

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Befürworte die Wiedereinführung des Prangers. Auf den wesentlichen Flughäfen des Landes werden die Nasen, welche nicht in der Lage waren die Dinger rechtzeitig zu Ende zu bauen und die Bösewichte, die für das „Chaos“ dieses Sommers zuständig sind, an die guten mittelalterlichem Schimpfpfähle gekettet und wir Selbstgerechten dürfen ihnen die ausgestreckten Zeigefinger ins rechte oder wahlweise linke Augen stechen. Das ist wahre Demokratie.

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Gibt es Flughäfen, die von einer Gletscherschmelze bedroht sein könnten? Die Suche nach den Schuldigen sei hiermit eröffnet.

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RAUCHPAUSE / Teil 13

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Wenn ich hier so stehe, möchte ich mich gar nicht mehr sehen. Nicht nur lange Unterhosen, ich glaube irgendjemand hat mir auch einen Morgenmantel übergestreift und ich habe es gar nicht bemerkt. Herr Marlboro sucht sein Pferd. Da bist Du kein Altbundeskanzler. „In allen Theatern herrscht Rauchverbot. Nicht für mich. Ich bin Teil der Inszenierung.“ Sagt der und gibt seiner Loki Feuer. Vom Schulhofheld zum Hinterhoffeigling. Große Karriere.

Nach einer Woche auf meinem AB die Stimme von Gitti. „Ruf uns mal an. Hansi und ich wir müssen Dich unbedingt sprechen. Es geht um das Aquarium.“ Das war vielleicht ein Treffen. Das erinnerte mich an die Abrüstungsverhandlungen Anfang der 80er. Rechts Reagan, links Breschnew, in der Mitte ein langer Tisch mit Kaffeekannen und Wasserflaschen sowie 10 Brötchen. Kalter Krieg und kalter Braten. Meist redete Gitti. „Also erst mal, wir haben uns verlobt.“  Meine Gesichtshaut erstarrt zur Maske. Bei Gitti kurzes Aufblitzen des Lächelns. Hansi nickt. Knetet sich den Handrücken und tritt mir unter dem Tisch auf den Fuß vor lauter Aufregung. Gitti: „Schau nicht so konsterniert. Ein ganz normaler Vorgang auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Zum Eigentlichen: Hansi ist ja noch ein bißchen labil. Und leider umgeben von verantwortungslosen „Freunden“, die nichts dabei finden, einem Rekonvaleszenten Alkohol und Nikotin einzuflößen.“ „Wie meinen?“ „Laß mich bitte ausreden, auch wenn ich nur eine Frau bin. Also ich habe gekündigt in der Klinik.“ Hansi: „Ja, der Job hat sie am Ende echt fertig gemacht.“ Gitti: „Du Mausebär, laß mich mal machen. Du mußt dich noch schonen.“ Mausebär? Ok. Wenn es der Wahrheitsfindung dient. Gitti: „Wir haben uns mal was überlegt wegen dem „Wind und Wasser“ „Wie, was? Wind und Wasser?“ „Der neue Name von der Kneipe. Auf chinesisch heißt das Feng-Shui. Wind und Wasser eben.“ Hansi: „Im Wasser lebt ja das Aquarium noch fort.“ Blödes Gekicher. Gitti weiter: „Mausebär, bitte. Also im Feng-Shui ist man bemüht durch richtiges Handeln und Betrachten der Dinge die Geister der Luft und des Wassers sinnbringend und positiv zu vereinen, um heilende Energie freizusetzen. Also Ihr habt, sag ich mal so, bis jetzt nur die Flüssigkeitsseite betrachtet, und das sehr exzessiv, und die Geister der Luft habt ihr tagtäglich mit Qualm gefoltert. Das spürt doch jeder, daß da kein Qi drinnen fließen kann. Und dem wollen wir ein Ende setzen. Wir wollen das „Wind und Wasser“ zur ganzheitlichen Kneipe machen. Was meinst Du, warum der Hansi eigentlich damals kollabiert ist? Unterversorgung mit Qi.“ „Ne, eher Überversorgung mit Grappa und Schwarzer Krauser. Und zu viel betrunkener Verkehr mit viel zu jungen Mädels.“ Scheiße. Wieder hatte ich es nicht geschafft mich zu beherrschen. Aber dieses immer im Nachhinein Bescheid zu wissen. Als hätte ich mein vorheriges Leben nur im Fernsehen angeschaut. Geht mir gehörig auf den Sack. Da neige ich zur Verwundung. Ich wurde etwas lauter. „Hansi, tut mir leid, aber das ist gequirlte Kacke mit Schlagsahne. Wir sind hier keine Krankenhauskantine. Sondern sozusagen ein Zuliefererbetrieb.“  Gitti: „Mausebär, wir gehen. Mich wundert, daß du es neben so einem herzlosen Monster überhaupt so lange ausgehalten hast. Du hörst von uns.“ Knall. Peng. Tür zu.

Ich würde ja gerne mal wissen, wie Mausebär auf Chinesisch heißt. Und ich würde gern mal wissen, wie Kälte auf Chinesisch heißt. Und warum da keiner mehr rauskommt. Aber bis ich die Geschichte zu Ende erzählt habe, halte ich durch. (holt einige seiner Zettel aus der Tasche, legt sie in den Aschenbecher, zündet sie an und wärmt sich daran die Hände) Worte können auch warm machen.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Wo ist die Zeit? / Leere Räume sollten leere Räume sein / Peter Brook ist tot

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Gotha / Ekhof – Theater / 7. Oktober 2021

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Zwei Meister waren mir Vorbild als Theaterschaffender. Der große Grummler George Tabori: „Und wenn Du mit Deiner Aufführung nur eine Seele im Publikum berühren konntest, hat sich Deine Arbeit gelohnt.“ Und der nun verstorbene Peter Brook: „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.“

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Eines meiner beeindruckendsten Theatererlebnisse: 1983 Staatstheater Stuttgart. Gastspiel von Brooks Inszenierung. „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte.“ Vier unfaßbar gute, weil auf das Wesentliche reduziert inszenierte Schauspieler. Ein Musiker. Der Raum: ein Teppich. Zwei Stühle. Zwei Lampen. Ein Kleiderständer. Gehirne, denen man beim Denken zusehen durfte. Körper, die Erkenntnisse abbildeten. Im leeren Raum. Es zumindest versuchten. Er ließ sie machen. Ein großer Meister.

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Sein Hauptwerk „Der leere Raum“ habe ich bestimmt dreimal gekauft und noch öfters verliehen. Nie zurückbekommen. Muß wohl ein gutes Buch sein. Heute sind leere Räume selten. Hektische Projektionen überfluten sie. Setzen das Denken unter Wasser. Scheinemotionale Videos erzeugen Nähe aka Enge und kleistern die Türen der Erkenntnis zu. Es quillt so manches über. Die Flüße trocknen derweilen aus. Zurück zur Windmaschine!

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Will ich herausfinden, ob zum Beispiel ein Italiener einen mehrmaligen Besuch wert ist, bestelle ich beim ersten Mal eine Pizza Margherita. Oder Spaghetti Bolognese. Der Rest erledigt sich von selbst. Legt aber eine Grieche eine Orangenscheibe neben die gebratene Leber, muß ich leider aufstehen. Große Lieder auf kleinen Tellern servieren ist Blödsinn.

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Mal was weniger, mal was mehr fühlen, statt sich gescheit denken zu müssen / Fangen wir wieder an zu rauchen 12

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Pfronten / Frühstück / Geburtstag / 14. Juni 2022

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Manchmal reicht ein Zitat aus einen ganzen Tag gescheit zu füllen. Dachte ich so unverblümt naiv heute: „Männer haben häufiger das Problem, daß ihre Frau nicht mehr ist, wie sie mal war, Frauen dagegen, daß ihr Mann immer noch so ist, wie er mal war. Wie also können wir objektiv über Veränderungen sprechen?“ Notiert von Susanne Schneider im heutigen SZ – Magazin. Kam gerade meine Frau rein nach der Arbeit und sagte: „Stimmt so nicht! Leider nur Brigitte – Niveau!“ Überrascht werden ist gut. Na dann. Weiter im Text.

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RAUCHPAUSE / Teil 12

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Gut, Hansi hat es schon richtig umgehauen. Ich wußte bis dahin überhaupt nicht wie es auf einer Intensivstation aussieht und was es da alles für Apparate gibt und wie viel Substanzen und Flüssigkeiten man in einen Menschen reinpumpen kann, um ihn am Leben zu erhalten oder wieder zurück zu holen. Speiseröhrenriß. Das Pech muß man erstmal haben. Klar, Du mußt davor deine Innereien schon ordentlich mit allem möglichen malträtiert haben. Aber so was kommt in ganz Deutschland vielleicht 10 bis zwanzigmal im ganzen Jahr vor. Das hat der Professor mir erzählt, der Hansi das Leben gerettet hat. Lustiger Typ. Der hatte in jeder Pause sofort ein Ding im Mund. Hat mich an meinen ersten Hausarzt erinnert. Auf seinem Schreibtisch in Behandlungszimmer immer ein halbvoller Ausdrückbecher. Und mit seiner Reibeisenstimme pflegte er zu sagen: „Nehmen Sie Platz, junger Mann. Das ewige Leben kriegen Sie hier nicht, aber Pflästerle und allerlei Tinkturen.“  Oder, werde ich nie vergessen, mein Geschichtsprofessor damals an der Uni. Zweierlei, sagte er vor jedem Seminar, werde er in seinen Vorlesungen nicht dulden: Fresser und Klapperer. Wer also gedenke, seine historischen Studien mit einem Apfel zu versüßen, Stullen zu schmatzen oder („Das sind die Schlimmsten“) einen von den damals gern getragenen Norwegerpullis zu stricken, solle lieber das Weite suchen. Rauchen war erlaubt. Bier auch. Das waren Zeiten. Ein Hohelied der Sorglosigkeit gesungen. Wir zahlten an die Krankenkasse brav.

Damals aber, als ich fast täglich im Krankenhaus war, um Hansi zu besuchen, da war ich abstinent. Gar nicht mal wegen Hansi. Sondern eher, weil: vor der Klinik standen die Patienten. Im Morgenmantel. Mit Schlappen an den Füßen. Thrombosestrümpfe. Bleichgesichtig. Etliche sogar an ihr Infusionswägelchen angeschlossen. Und sie haben sich eine reingezogen. Brutal. Ab und zu kam eine Krankenschwester vorbei und hat streng gekuckt. Sonst nix. Das war mir dann doch einer zuviel.

Krankenschwestern. Auf irgendeine Art und Weise bewundere ich sie. Obwohl sie mir erst einmal grundsätzlich suspekt sind. Alles was nach Helfersyndrom riecht, macht mich nervös und unleidig. Schon wenn meine Mutter mir damals die Jacke zugeknöpft hat, habe ich nichts anderes gespürt als Abhängigkeit. Dann lieber frieren. Krankenschwestern. Gitti. Hansis Hauptkrankenschwester auf der Intensivstation. Haut und Knochen. Als liefe sie jeden Tag zwei Marathons. Einen vor, einen nach der Schicht. Aber leuchtende blaue Augen hatte sie und wenn man sich 10 Kilo dazu denkt, eine Schönheit vor dem Herrn. „Bleiche Göttin.“ So der bei Charon anklopfende Hansi. Mir fiel dann bald auf, daß, wenn sie an irgendeiner der tausend Kanülen und Kabel und Schläuche, mit denen sie Hansi wieder ans Leben gebunden hatten, herumwerkelte, ihre langen schmalen Finger verdächtig lang auf Hansis Arm oder Schulter liegen blieben.

Irgendwann kam Hansi raus. Und war nicht mehr alleine. Der erste Abend mit Hansi im „Aquarium“. Wir sahen beide gleich Scheiße aus. Ich, weil ich praktisch 3 Monate durcharbeitet hatte und vor lauter Schiß um das Leben von diesem Depp eher wenig bis kaum geschlafen habe und Hansi, weil er erst seit einer Woche wieder bei fester Nahrung angelangt war. Unser Kneipenloch war nicht wieder zu erkennen. Auf dem Tresen: Wasserkocher, zwanzig verschiedene Teesorten. Auf den Tischen keine Aschenbecher, sondern Duftkerzen und Wasserkaraffen. Und wir hatten unsere legendäre Cocktailkarte umgeschrieben. Wie immer drei Drinks. Der „Mahatma Gandhi“: heißes Wasser mit Ingwer versetzt. Der „Uschi-Glas-Special“: alkoholfreies Kristallweizen mit Biozitronenschnitzen. Und „Der Asket des Hauses“: Kanne Brottrunk. Im Hintergrund lief Cat Stevens statt The Clash. Alles ruhig und gelassen. Aber nach einer Stunde wuchtet sich Hansi hoch und brüllt: „Verdammte Scheiße, ihr Idioten, ich lebe noch und will jetzt ein kleines Helles und eine Fluppe.“ Wir haben alle ein bißchen verdattert gekuckt. Der Mann war eigentlich schon durch die Himmelspforte durchgegangen. Leiser Protest regte sich allenthalben. Nur Gitti sagte leise, aber bestimmt: „Leute. Es ist sein Leben. Laßt ihn. Krankheit ist ja nicht gleich Tod. Ich kann das verantworten.“ Erstaunlich was so ein kleines Bier inklusive Nikotinflash mit einem Menschen machen kann, der nicht mehr voll im Training steht. Kurz und knapp: Es tat ihm nicht gut. Ich glaube ja inzwischen Gitti hat das mit Absicht getan. So eine Art letzter Beweis.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Tja so war’n die oiden Rittersleit, sans heit a noch und net so viel g‘scheiter / Fangen wir wieder an zu rauchen 11

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Zell (Allgäu) / Blick von Ruine Eisenberg zur Ruine Hohenfreyberg / 15. Juni 2022

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Die Burgruine Eisenberg gehörte dem Vater. Die Burgruine Hohenfreyberg errichtete der Sohn. Der war wiederum – Es lebe die Binse again! – auf der damals noch nicht Ruine Eisenberg aufgewachsen. Dann wollte der Sohnemann dem herrschsüchtigen Herrn Papa mal zeigen, wo der architektonische Burgenhammer hängt, und lässt auf dem Hügel gegenüber eine neue Burg errichten. Nach dem Vorbild der Staufer. Höher, stärker, standhafter, g’scheiter eh. Was man als Sohnemann so ist. Vermeintlich. Nach dem Vorbild der Staufer? Was daran im 16. Jahrhundert besonders fortschrittlich gewesen sein soll? Nun, manche Menschen glauben heutzutage ja auch immernoch an den guten Kern der Sowjetunion.

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Auch diese zwei Burgen wurden abgefackelt im Rahmen des dreißigjährigen Krieges. Siehe Burg Falkenstein bei Pfronten. Geschliffen wurden sie nicht. Schade denke ich manchmal. Jetzt stehen sie halt blöd oder scheinattraktiv in der Gegend rum und erzählen müde und seltsam sehnsüchtige Geschichten. Mahnmalismen nennt man das wohl. Wären sie geschliffen, müßten sich die Nachkommen zum Disput in den Tälern treffen. Oder gar in den Ebenen, wo die Mühen wohnen. Ohne die alten Scheingewißheiten.

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Gescheiter wie die Rittersleit sammer net g’worn. Aber entschieden unlustiger und unentspannter. Dachten wir so, als wir zwischen den Ruinen hin und her pendelten und versuchten Verse dieses sinnfreien Liedes zusammenzukramen. Wie sprach der berühmteste Ritter der deutschen Dramatik ? „Er möge mich im Arsche lecken!“ Dies heute als ein kleiner Gruß in die Welt. War der Berlichinger ein Vorfahr von Johnny Rotten?

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RAUCHPAUSE / Teil 11

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Gut, ja. Ich hatte öfters auch mal ein Scheißgefühl. Vielleicht sollten wir das Ganze einfach seinlassen. Aber da steckst du nicht drin. Es gibt nun mal Menschen, die neigen zum Extrem. Mittelmaß ist denen ein Fremdwort. Ich fand Rothhändle irgendwann schon – sagen wir mal – heftig. Nicht so Hansi. Schwarzer Krauser. Und Grappa. Konsequenz war sein Stichwort. Du konntest die Uhr stellen. Punkt 12: erstes Bier. „Der Abend bricht jetzt an.“ Punkt 6 Uhr abends: erster Grappa. „Es naht die Nacht.“ Punkt 10 Uhr abends: die Frikadelle. „Der Mensch muß essen.“ Punkt 2 Uhr nachts: „Laß mich in Ruhe. Hatatitla kennt den Weg nach Hause.“ Rausschwanken. Autofahren war ja nicht mehr. Hansi hatte jetzt so ein Fahrrad mit noch oben gebogenem Rennlenker. Er nannte es „Hatatitla“. “Die Gesinnungspolizei hat mir die Strassen weggenommen, aber Hatatila, mein Stahlroß, bleibt treu an meiner Seite.“ Ich hatte immer Schiß, der tritt in jeder Beziehung das Erbe von Charlie an.

Manchmal frage ich mich, friert man eigentlich auch noch, wenn man tot ist? Man hat ja nicht so viel an im Sarg. Nur dieses Hemdchen. Als Junge dachte ich immer, bloß kein Unfall oder so etwas im Winter. Schmerzen und Frieren ist einfach einer zu viel. Im Sommer kann man schon mal mit dem Fahrrad stürzen. Das geht. Aber im Winter. Ne. Allein die Vorstellung, wie das Blut auf der Straße festfriert.

Hansi und die Frauen. War schon immer so. Wir waren mal länger in den USA. Ein bißchen so die Buben auf Jack Kerouacs Spuren. Wir hatten uns gerade einen alten Straßenkreuzer gekauft. Hellblauer Stationwaggon. Verchromte Zierleisten. Haifischflossen. Zwei Zigarettenanzünder. Einer vorne, einer hinten. Vier Aschenbecher. Wir wollten runter nach Mexico. Da liegt plötzlich ein Brief aus der deutschen Heimat im Kasten. „Ankomme in zwei Wochen in N.Y. Flug pipapo. Ich liebe Dich. Deine … Billy, Bulli, Schnulli.“ Der Sack. Verliebt sich kurz vor dem Abflug. Ich hatte damals schon getobt: „Du Hirni, wir sind jetzt 9-10 Monate „on the road“, Pfoten weg, gibt nur Ärger.“ Und jetzt hat der Papi der Kleinen Sommerferien über dem Atlantik spendiert. Langer Rede, kurzer Sinn: 10 Tage nach der unglückseligen Postzustellung sehe ich nur noch das Auspuffrohr von „Easy does it“ – so hieß unser hellblaues Schlachtroß – in der Ferne verschwinden. Ich bin dann 3 Monate lang alleine in der Gegend rumgetrampt. Klasse. Oder ein andermal. Hansi, ich und Gonzo – noch so ein Chaot – hatten eine Jungmännerverabredung getroffen: in 4 Wochen um 12h mittags auf dem Djem nal Fa in Marrakesch bei den Zahndoktoren. Darauf eine Riesentüte und heiliger Schwur. Hansi ist schon vor, ich hatte noch einen Job. Kurz bevor ich loswill, wird meine damalige – recht neue – Freundin „krank“ – also hat gewisse Rauschmittelprobleme nicht mehr ganz so im Griff und mußte in die Klinik. Aber ich: Ein Mann, ein Wort und los. Die Frau, eigentlich schon so eine Art sehr wichtige Frau. Eigentlich total wunderbare großartige wunderschöne extrem wichtige Frau. Gut. Was ist man manchmal für ein dummes Arschloch. Diese Frau jedenfalls schickt herzzerreißende Briefe hinter mir her. Beziehungsweise voraus. Posta restante. Nach Avignon, Malaga, Tanger. Aber Gonzo und ich: der postpubertäre Ponyexpress reitet weiter. Wir hatten uns inzwischen beide in Tanger eine Art Amöbenruhr eingehandelt und standen trotzdem pünktlich um 12 in Marrakesch bei den Zahnklempnern und bewunderten mit schmerzverzerrtem Gesicht die Klempnerwerkzeuge und die zahnlosen Gestalten, die da auf Kundschaft aus der Wüste warteten. Wer nicht da war: Hansi. Beim Postamt hatte er eine Nachricht hinterlassen: „Bin schon mal weiter. Hab jemand kennengelernt. Der Wind ruft mich. Sorry. Hansi“ Ich hätte es damals schon wissen müssen.

Hier. (holt eine Postkarte aus der Tasche) „ich möchte daß meine Liebe stürbe / daß es regnet auf den friedhof / und in die gassen wo ich gehe / jenen beweinend der mich zu lieben glaubte“ Beckett. Diese Karte lag in Malaga. (Hustenanfall, ein paar Tränen) COPD. Was so alles stirbt im Laufe eines Lebens.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Zell (Allgäu) / Blick von Ruine Hohenfreyberg zur Ruine Eisenberg / 15. Juni 2022

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Von der Geduld der Biberburgen und unserer hektischen Erbsendrückerei / Fangen wir wieder an zu rauchen 10

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Das Moor bei Pfronten / Biberdamm / 13. Juni 2022

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Biber sind nicht blöd. Gut, sie müssen mit einem Gebiß leben, welches ihnen bei Heidi Klum wenig Chancen auf ein sogenanntes Foto einräumt. Aber sie sind gescheit. Sie bauen erst ihr Häuschen – man nennt es eine Burg – und dann schichten sie – da kann mal auch mal scheiße aussehen, wenn die Beißerchen ihre ganze Arbeit leisten – einige Meter flußabwärts einen Damm auf. Und warten. Warten deshalb, weil bis das Gewässer seinen Pegel steigen lässt, der Haupteingang der Biberburg so unter Wasser liegen soll. Dann erst ziehen sie ein. Im Biberleben gibt es keine Rabatte, keine Sonderangebote, keine Pfennigfuchserei. Regnet es mehr, zieht man schneller ein. Ansonsten wird gewartet und ein neuer Baum angenagt.

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Meine Frau bekam unlängst eine therapeutische Erbse geschenkt. Aus Plastik. Um die eigene Ungeduld und Unruhe zu bändigen und zu besänftigen, soll man drei Erbsen aus der Hülle drücken. Alles Plastik selbstredend. Das ist gar nicht so einfach. Und soll beruhigen. Man schaut in den Spiegel und denkt: Was soll die Hektik? Drück. Drück mich. Drück dich. Druck. Währenddessen wartet der Biber und nagt vor sich hin. Zeit hat Zeit.

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RAUCHPAUSE / Teil 10

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Ewiges Leben? Narzißmus. Grenzenlose Überschätzung der eigenen Wichtigkeit. Narziß wollte sein eigenes Spiegelbild küssen, ist dann voller Verzückung in den Teich gefallen, der ihn spiegelte und ersoffen. Andere wiederum sagen, ein Blatt sei in den Teich gefallen, hätte das Spiegelbild getrübt. Narziß meinte daraufhin, er sei potthäßlich und entleibte sich. Da kann ich es auch weitertreiben.

Wenn man bedenkt, das ist eigentlich meine Kneipe. Ok. Unsere. Hansis und meine. Unser „Aquarium“. Die einstmals letzte Insel im Meer der Hektik und der Geschwätzigkeit. Der Ruhepol. Das Reservat.

Hansi und ich hatten ein Ritual. Wer inhaliert, der schweigt. Und da mußten andere, auch Frauen, die eventuell neben einem saßen, einfach warten, bis Du wieder sprechen kannst. Und du, du mußtest die Nerven haben, das auszuhalten. Das Schweigen. Gerade eben habe ich zu Hansi noch gesagt: „Weißt Du was? Ich vermisse das Schweigen.“ Die Augen nach oben gedreht hat er daraufhin und den Kopf geschüttelt. Depp.

Du bist echt ein Depp. Ich stehe jetzt hier draußen und rede mit mir selbst. Und rede mich nicht wirklich warm. Und warte. Auf was? Auf was eigentlich? Auf noch so einen traurigen Ritter, der dieselbe Klage singt? Ich würde gern mal mit Helmut Schmidt eine quarzen. Oder mit Loki. (zündet sich mal wieder eine an)

Unser altes „Aquarium“. Gut, das war im Prinzip Hansis Geld. Seine Lieblingstante hatte ihm damals ordentlich was vermacht. Vor etwa 6 Jahren. Ich war gerade frisch geschieden und Hansi hatte ein paar Probleme in seinem Job. Nun gut, wenn Du als Taxifahrer (mit 27 Semestern Erziehungswissenschaften und Linguistik) zweimal innerhalb eines Jahres den Lappen für zwei Monate abgeben mußt – Getränke und so – wird dein Chef irgendwann sauer. Und meine Scheidung wiederum war für mich eine finanzielle Bauchlandung. Ärger gab es also ausreichend in Hansis und meinem Leben. Unser Refugium wurde das „Aquarium“. Wir sind da quasi untergetaucht. Haben geschwiegen. Inhaliert. Uns innerlich feucht gehalten.

Es ist etwas Seltsames mit der Zeit und den Geschlechtern. Wird eine Frau 40, bleibt sie das bis an ihr Lebensende. Ein Mann in derselben Situation mutiert geistig schlagartig zum 20-Jährigen. Er halbiert quasi die Zeit und verfällt in eine Art postpubertäre Starre. Er etabliert ein Paralleluniversum. Dieses ist bestimmt von Ritualen, die gerne auch zur Zwangshandlung mutieren. Zum Beispiel: Aufsagen des gesamten Textes von „Supper`s ready von Genesis. Oder der Aufstellung der Meistermannschaft des HSV von 1982 inclusive Ersatzbank. Exakte Länge der einzelnen Tracks auf „High Voltage“ von AC/DC. Und. Und. Eine permanente Reise zurück in eine glorreiche Zeit, als die Welt noch beseelt war von einem heiligen Ernst. Falls das so war. War schon so.

Eigentlich bescheuert. Hansi und ich, zusammen nun wieder zarte vierzig Jahre jung, im Kokon unserer Vergangenheit klebend. In der Kneipe „Zeitlosigkeit“ und über unseren Köpfen baumelten die an die Decke geworfenen Teebeutel der letzten Jahrzehnte. Sie klebten dort wie unsere abgehangene Trauer und unsere müde Wut.

Eines Tages kippte Charly, der legendäre Gründungsvater des „Aquariums“ und der erste und beste Kunde seiner selbst hinter seinem Tresen um. Und wir haben den Laden übernommen und einen heiligen Schwur geleistet: „Charly, der Kampf geht weiter.“ Charly hatte immer gesagt: „Drei Dinge braucht der Mann: Feuer, Feuchtigkeit und Haltegriffe am Tresen.“ Das war der definitive Minimalismus. War auch das Prinzip der „Karte“. Es gab nämlich keine Karte. Man kann ja fragen. Bier. Ein paar Spirituosen. Sonst nur Wasser und Apfelsaft. Keine braune Imperialistenbrause und kein Zuckerwasser. Sekt gab es nur, wenn eine mit einem Stammgast verbandelte Frau Geburtstag hatte und unbedingt darauf bestand. Einziges Nahrungsmittel: zwischen halb 11 abends und 2 Uhr morgens gab es Frikadellen. Das Brötchen war mit drin. Unsere Cocktailkarte: drei Basics. Der „Keith Richards“: Wodka Orange. Der „Queen Mum“ (für die Mädels): Gin-Fizz. Und die sogenannte „Traditionsperlung“: Asbach mit Apfelsaft. Das hat funktioniert. Die ersten drei Jahre waren ein Traum. Das „Aquarium“ schäumte.  Von Montag bis Samstag. Am Sonntag Ruhetag. Körperlich war das jetzt nicht durchgängig gesund. Aber seelisch durchaus. Reduce to the maximun.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Pfronten / Dorfwirt / Die Therapieerbse / 11. Juni 2022

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