Was machst Du eigentlich so? / An den Ufern sitzen / Wein trinken / L(i)eben

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Konstanz / Durchgang zur Unteren und zur Oberen Sonne /11. März 2021

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Saß ich einst beim Glaserl Wein

Ließ Fünfe ungerade sein

Als eine Taube ungefragt

Sich auf meine Schulter wagt

Und gurrt und nickt den Taubenkopf

Rupft Haare mir aus meinem Schopf

Und taubt recht frech auf dieses Buch

Worinnen ich die Wahrheit such‘

Das müd‘ auf meinen Knien ruht

Ich kraulte durch die Wörterflut

Und ließ die Taub‘ gewähren

Und die Gedanken allzuschweren

Die aus meinem Hirn dem leeren

Fielen in den Hinterhof

Lagen rum und ziemlich doof

Die Taube von der Schulter runter

Pickt die Gedanken froh und munter

Ring sich durch zu einer Frage

Ich sage nur, dann frag‘, ich sage

Und das Viech, dumm, aber froh

Fragt nur: Was machst Du so

Den ganzen lieben langen Tag

Während wir Tauben sammeln

Und die Mimen gammeln

So vor sich hin

Wo ist der Sinn

Ich griff zum nächsten Glaserl Wein

Und ließ die Taube Taube sein

Weil ich ja auch nicht höre

Wenn mir das Leben rät

Dann ist es meist zu spät

Du mich nicht störe

Aus der Sonne geh‘

*

Im vino ist kaum veritas

Im Keller hab‘ ich noch ein Fass

Jedoch auch tausend nackte Fragen

Ich richte meinen Kragen

Die Taub‘ hatte drauf geschissen

Ich hätt‘ es wissen müssen

Ach ja was stand im Buche

Was der Taube Suche

Hat ich es gelesen

Sehr lange ist’s wohl her gewesen

Der Rhein der floß am Dom vorbei

Aus meinem Herzen tropfte Blei

Und sie sammelte Schuhe

Doch ich fand nie die Ruhe

*

Der Mensch lernt selten

Meistens nie

Säg‘ Dir doch ein Loch ins Knie

Und stelle dort den Christbaum rein

Mit allen Wünschen

Kugeln Sterne

Die aus Stroh

So sprach einst der Vater gerne

Depressiv doch lebensfroh

Bevor er sich vom Acker machte

Kalter Himmel müde lachte

*

Am Fluß an jedem Vorstadtufer

Steh‘n sieben einsame Rufer

Jedoch der Flößer streikt

An manchen Tagen

Was wollt‘ ich sagen

Dann bleib‘ ich noch was sitzen

Und laß‘ den Fluß gewähren

Bei einem Glaserl Wein

*

(Mix aus: Konstanz 1973 / Köln 1997 / Gießen 2006 / Kiel 2021)

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Die Lagerräume des eigenen Geistes

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War vor knapp drei Wochen an den Bodensee gefahren. Wollte mir etwas an Ruhe suchen, um Herz, Hirn und Körper zu ein wenig Klarheit – was immer dies auch sein mag – zu verhelfen. Nach weniger als zwei Tagen stürzte ich im vom Regen durchweichten Wald – ein gerüttelt‘ Maß an Dummheit beförderte diesen Fehltritt – und renkte mir äußerst kompliziert mein Handgelenk aus. Ab in den OP, dort wurde ich verdrahtet und seitdem überlagern – meist aushaltbare – körperliche Schmerzen die Verwirrungen der letzten Wochen.

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Nichtsdestotrotz – meist schien die Sonne und verjagte den Hochnebel – lief ich täglich mehrere Stunden, meinen geschienten Arm in einer Schlinge vor mir hertragend, durch die alte Heimat. Von mir weg oder vor mir weg, wer weiß das schon, gelegentlich aber auch hin zu mir. Wer immer ich, frei nach Bob Dylan, auch sein mag dieser Tage.

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Meine Füße hatten das Kommando übernommen. Sie erinnerten sich für mich und führten mich durch Straßen, Wälder, Hinterhöfe, Anhöhen, welche ich teilweise seit Jahren, ja Jahrzehnten, nicht mehr besucht hatte. Meine Grundschule. Unsere erste Wohnung. Im Wald dahinter der Hügel, wo ich das erste Mal rodelte. Der Schulhof auf dem ich Fahrrad fahren lernte. Das Haus in dem meine erste Freundin wohnte. Sie wohnt da noch immer. Der runtergekommene Hinterhof hinter der Hinteren Sonne, der zur Teestube führte. Von dort zur Bank, wo mir der erste Joint gereicht wurde. Das Ufer am Wasserwerk, wo wir die ersten Nächte am Lagerfeuer durchwachten. Trennungsbänke im Hörlepark. An der Schmugglerbucht. Sonnenhalde, Fürstenberg, Allmannshöhe, Riesenberg. Anhöhen im Stadtgebiet, von denen aus man bei Föhn den Säntis anfassen kann. Das einst so schön behäbige Sierenmoos, entsetzlich zugeparkt – diese Klage sei erlaubt – mit entsetzlich häßlichen Automobilen. St. Katharinen mitten im Wald. Wir fuhren mit dem Leukoplastbomber über Waldwege dorthin. Der Vater ein Bier. Die Kinder eine Bluna. Später Jahrtzehnte des Zerfalls. Nun wieder bewirtschaftet. Irgendwann stand ich bei den Tennisplätzen am Hörnle. Steht der Baum noch, an dem heute vor neunundvierzig Jahren mein Vater aufgegeben hatte?

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Und das Gute an diesen Gängen war, sie waren – endlich? – frei von jeglichen dem Alter geschuldeten Sentimentalitäten. Eher so ein verwundertes „Sieh an! Was so alles geschah!“ Die Reime unten zielten eigentlich woanders hin, las sie heute Morgen und dachte an den heutigen Todestag. Vor dem Fenster in Gießen hörte ich dabei Kraniche schreien. Sie kehren nach Hause zurück. Vor der Zeit?

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Den Lagerräumen des eigenen Geistes entkommen

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Gestern noch von schwärmerischer

Ungeduld erfüllt eile ich

In den Lagerräumen des

Eigenen Geistes

Von Regal zu Regal

Schichte um sortiere suche

Reiße Aktenordner aus den

Fächern Schubladen Pappkartons

Blättere fluche finde nicht

Auf dem Boden alles ausgebreitet

Die Beweisstücke

Wütend beginne ich zu

Shreddern

Um sogleich den Verlust zu beklagen

Die eine Kladde jedoch

Bleibt mir verborgen

In die ich einstmals notierte

„WARUM DAS GANZE NUR?“

Der Schlüssel stecke nicht

Innen im Schloß so dachte ich

Welche Täuschung!

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(Konstanz – Staad / Ende Januar 2022)

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bagatelle sieben+fünfzig / konstanz 6

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als ich ging damals warst du

alt müde verschlafen

eine marlene dietrich unter den kleinen städten

die gartenzäune hochgezogen

sich selbst genug räkelste du dich in agonie

um einmal im jahre zu schreien

ho narro im filzenkleid

später als ich ab und zu dich besuchte

fand ich dich nicht mehr

denn tag und nacht standest du im badezimmer

vor dem spiegel dich anmalend jung und jünger

die schenkel gespreizt franken und frei

bordsteinschwalbe

verhöckernd den see

die eigene seele an lärm und getümmel

nur der novembernebel noch

hüllt ab und an deine gier in watte

schwätz it blöd rum heimat

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bagatelle sechsundfünfzig / konstanz 5

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in manchen nächten bildeten wir uns ein

die stadt läge uns zu füßen

wut waberte diffus

laternen dunkel geschüttelt

rückspiegel abgetreten

sterne gesammelt

vor der besetzten telefonzelle

kramte verzagte hoffnung

in den taschen nach dem letzten zehnerle

eine mutter legte auf

des herzerls seegfrörne

gelegentlich öffnete sich ein fenster

und spuckte einen ruhewunsch auf unseren struppigen schopf

das wolfsgeheul tanzender esel die antwort

hinter dem säntis kroch der tag

aus seinen vernebelten federn hoch

noch mal die hände gefaltet und

inhaliert die euphorie und alle müdigkeit

auch wir werden zahnräder werden

sang uns ein letzter blues

dann gingen wir in die welt hinaus

hänschen klein

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bagatelle fünfundfünfzig / konstanz 4

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in der ruine erinnerung

leben nicht mehr die toten

in der ruine erinnerung hausen nun

jene die dem tod vom schlauchboot sprangen

alles und nichts ist vergangen so

stöhnen söhne gläser voll

tote väter singen ohne groll

die mütter ringen weiter

die töchter bringen heiter

ruhe ins spiel

das ist schon viel

und wenn der ball ruht

und die sehnsucht muht

tritt nicht nach

denk wie alkmene

sprich einfach dein ach

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bagatelle vierundfünfzig / konstanz 3

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„zwei bilger bräu!“

das war der auftrag des vaters

„und zwei reval!“

hatte der tag und nacht nach tabak riechende nachbar

dem jungen zugeraunt

zehn pfennige extralohn inklusive

eine kugel eis damals

zigaretten solle der vater sich selber holen

so die mutter

hereinbrechende dunkelheit

der junge rennt und ist sich sicher

fänden die nächsten bundesjugendspiele im dunklen statt

er bräche alle persönlichen rekorde

das leergut mit bügelverschluß

lässt er rotieren um die zeigefinger

und stolpert über seine dünnen beine

dahin sein lohn der pfand

unten am bahnhöfle fällt der holzarm des besitzers

hart auf den tresen

schnapshauch ins gesicht des jungen pusten die worte

„und wo isch des leergut, kerle?“

abgezähltes geld

das zehnerle des nachbarn begleicht die schuld

meist zahlt man doppelt

frühe erkenntnisse

der heimweg verbummelte sich

furcht lähmt den größten sprinter

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bagatelle dreiundfünfzig / konstanz 2

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manchmal winkte er dem überpünktlichen jungen zu

der unter dem fenster des kleinen büros stand

in das er sich hochgearbeitet hatte

er hatte nun sogar einen stift

wie es damals hieß

stifte mit köpfen

es dauere noch ein wenig rief er zu

dem jungen der stand vor dem werkstor

wartend und stolz war jener und schämte sich

als die sirene ertönte und die proleten

grinsend erschöpft die schicht wechselten

die ein oder andere hand sein

streng gescheiteltes haar

verwuschelte

der vater käme auch gleich

er durfte dann seine aktentasche

tragen auf dem heimweg

das hatte der junge gefordert

dann schwiegen beide

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bagatelle zweiundfünfzig / konstanz 1

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mit den harten im garten

wollte ich warten

auf das ende der schmerzen

mit dröhnenden scherzen

das rothaus immer märzen

da der bauer den pflug

doch schon am anfang genug

vom eggen und pflügen

gott segne die lügen

die ich mir um die ohren schlug

der leiden genug

zu füllen den see

die in meinen taschen jacken wie hosen

gegenüber den kasernen der franzosen

gediehen

heimat es sei dir verziehen

am heutigen tage

keine weit’re frage

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