Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 04

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Torgau / Sachsen / 21. Juni 2023

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Das Theater da lang und ich bog ab.

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Selbstredend ist es nicht die Regel und über einen Kamm geschoren. Aber eine Conclusio wäre, daß ich letztlich unter den wohlsituierten Bürgerkindern, welche die Theater dominieren und dies mehr und mehr tun, ist doch der wütige Aufsteiger von unten her schon länger als toxisch markiert, immer etwas fehl am Platze war. Und die Sache mit den eingeschmierten Ellenbogen, ich konnte es nie. Die Schafe anmalen mit angeblich wissendem Herzen schon gar nicht. Wie gesungen: keine Klagen.

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Menschen und Landschaften, welche ihre Wunden und Narben überschminken, sind mir fremd. Menschen und Landschaften und Städte, welche ständig von ihren Verletzungen singen und für ihre Narben und Wunden Denkmäler bauen und Feiertage einführen, sind mir auch fremd. Am fremdesten jedoch sind mir jene, die behaupten durch ein Leben gekommen zu sein, ohne jemals einen Schaden angerichtet zu haben.

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Theaterseelchen

Gekränkte Idioten die wir

Puhlen die eine Erbse

Auf der wir unsere Empfindlichkeiten

Wollen zu Ende liegen

Bis uns Denkmäler gesetzt

Und schneller vergessen sind als Morgentau

Wenn aber diese gestürzt vor der Zeit

Welch Erlösung für die Hülsenfrüchte und Seelchen

Unter den durchgelegenen

Matratzen wohlfeiler Scheinwütelei

Es schwenkt nach Dir der Verfolger

Heller Bühnenfleck der Rest

Säuft ab zum Hintergrund und

Rein in die Kulissen Abgang

In Schmoll

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Was, bitte, wolltest Du eigentlich von mir? Sprich!

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 03

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HoyWoy / siehe oben

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Ein Meister klagt nicht, noch jammert er.

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Die letzten zwei Tage ein durchaus sentimentaler Ausflug nach HoyWoy. In Sachen Gundi. Eine sehenswerte, manchmal wild hin und her springende, aber die Musik Gundermanns überraschend neu interpretierende Aufführung des Staatsschauspiel Dresden in der dortigen, ja, legendären Lausitzhalle. Viele Altvordere vor Ort, die wußten, von was gesungen wurde. Und vor allem, dank der wunderbaren Auswahl von Gundis Texten, was da verhandelt wurde. Ergreifend teils. Und nie sentimental. Nix Ostalgia. Nichts vergessen wurde, aber vorwärts gedacht wird.

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Sechs Gundermänner und Gunderfrauen teilten sich die Worte und die Lieder. Do it like Dylans „I’m not there“. Mehr Ambivalenz auf der Bühne geht kaum. Stimmig, aber am Ende wurde es lang und länger. Klar. Da müssen noch die Hits gesungen werden. Hoyerswerda jubelte. Schön. Gerührte Mimen.

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Danach dann doch die Traurigkeiten. Die Gundermann – Projekte 1 & 2 waren meine letzten ernstzunehmenden Theaterarbeiten. Dann kam Corona und danach – Sorry Kiel – nur noch schwachbrüstige Komödchen, denen ich versuchte wenigstens einen Hauch vom Ernst des Lebens und Liebens einzuhauchen. Doch diese Mühsal ist Vielen nicht mehr geheuer oder gar emotional etwas zu teuer. Also trennten sich unsere Wege, traurig, aber klaglos. Das Theater da lang und ich bog ab.

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Geburtstage? Im Mai? Wir sind dabei!

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Meine liebste und (einzige) Schwester hat zwei Tage vor dem Meister Geburtstag. An der Kante der Sternzeichenwende. Eben hatten sich die bockig verbissenen Stiere vom Firmament gemacht und überließen den ambivalent bestimmten und fröhlich verwirrten Zwillingen das Himmelszelt. Es wurde so entspannter. Aber auch etwas uneindeutiger.

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Ich glaube dieses Sternzeichen wurde für Dylan erfunden. Und für die beste Ehefrau aller Zeiten. Und sogar für den Bruder. Selbstredend wissend von den unzähligen Turbulenzen. Meine erste Ehe war eine in Sachen Stier. Nun, jeder macht und ich das auch gerne mal mit unüberlegter Überzeugung, schwere Fehler. Zahle aber dann ohne lautes Murren alle Rechnungen.

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Ach und unvergessen die Abende in kölschen Kneipen. Nachts. Alle breit. Letzte Runde. Zahlen. Proteste. Nie habe man 12 Kölsch getrunken. Höchstens 11. Alaaf. Habe ich gerne mal den leeren Geldbeutel gezückt. Machet op minge Deckel. Drissejal. Dat letzte Hemd hätt keine Däsche. Stößchen. Gelle. Und auch für den Kurzen, den Roman. Aber das war schon wieder in Gießen. Wo beginnt und wo endet Humor? Mit oder ohne Galgen?

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Mein guter alter Mentalmentor wird heute mal wieder älter und alt. Also oben ihn feiern und unten feiert er einen anderen. Schön dies zu sehen.

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Las die Tage ein wunderbares Buch. Wie man von Okapis träumt und dann wird irgendwo im Dorf gestorben. Und wie die Liebe selbst bis nach Japan reichen kann. Und zurück. Und wie irgendwann jemandem auffällt, daß die Hauptfigur und Mutter und Oma, mit dem herrlichen Namen Selma versehen, aussieht wie Rudi Carrell. Geht das? Ja. Es geht. Und bleibt.

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Irgendwann in den frühen „Nullern“ hatte ich meine Schwester und ihren Gatten (Einwurf: Hömma! Mach Dich keine Sorgen! Wir werden Maista!) zu einem Dylan – Konzert nach Düsseldorf eingeladen. Die Jugend soll ja was lernen dürfen. Und die Schwester sagte, der Meister sähe aus wie …

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Meine Mutter ist Krebs. Sternzeichen natürlich. Und da lauern dann schon wieder neue Geschichten. Und Reime. Und bald ist vorbei auch dieser Mai. Als extrem launischer April verkleidet schleicht er laut von dannen. Vom Ruhme kaum bekleckert. Meine Mutter heißt nicht Robert Zimmermann.

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Nachtrag zwei Stunden später. Da kommt die teure Gattin nach Hause. Etwas zu laut singt das Geburtstagskind von der Katze, der es prinzipiell gut geht, die aber dann doch auch mal schlafen sollte. Eines dieser eher belanglosen Lieder des Meisters. Das sind diese, welche ich liebe. Dann werde ich noch im Vorbeigehen aufs andere Geburtstagskind hingewiesen.

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Auf den Knien meines Herzens gedenke ich also stante pede des zweiten Mentalmentors und wertvollen Wegweisers zu Zeiten, da ich zwischen und unter den Probebühnen hin und her irrte. Dauernd verwirrt. Aber: Warten ist die wahre Zeit. Hat er gesagt. Als er „Mein Kampf“ schrieb. Der Györgi!

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Zwo Null Zwo und Drei / Lieb‘ Welt so reim‘ oder ich fress Dich aufs Neue 27

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Eine Küche in Gießen / Zwischen Frühstück und Abendessen / Anfang des Jahres

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Nach den Verstellungen

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Vor Jahren habe ich einen Bumerang

Weggeschmissen und jetzt

Lebe ich in ständiger Angst vor dem Nach

Verstellungen schreibt man können bei Licht betrachtet

Nachgestellt werden

Diese Aufstellungen könnten statt der Reime Beschauung werden

Von Untiefen oder

Irgendwas

Fass!

Wäre dies und jenes heller was tatsächlich gewesen sei vermutlich

Aber wäre nicht die Türe welche

Zu zu gefallen und verhindert die nötigen Worte

Empörung Ächtung labberndes Schweigen Skandalon

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Den Strukturen bleiben wir fern

Hecheln Oberflächeln und die Wünsche

Packen keine Schwänze mehr

Wenn man keine mehr hat

An Diesen oder Jenen jedoch

Die Erwartungen

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Stell Dir vor ein Später

Ohne gelernten Text

Dann ruft der Inspizient

Dich ein

Und Du darfst lediglich noch

Die Bühne wischen

Trocken jedoch

Schlechte Träume

Übermüdete Cliffhanger wortlos

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(Gießen eben am 22. Mai 20 / Zwo / Drei)

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Traf gestern einen alten Kollegen. Der hat ebenso die Bühne verlassen und kümmert sich nun um wichtige Dinge. Also Menschen, die Hilfe brauchen. Wir hatten so ein bisserl spöttisch bis bitter auf die Vergangenheit geblickt. Die Selbstbestätigungskarusselle statt dem Erzählen von Geschichten. Wie war es denn? Was war das? Und auf all die aktuellen Empörungen und allwissenden Rückblicke. Die müden Bühnen halt. Deshalb der Reim. Oder?

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Jetzt noch eine kleine Ärzterunde in Sachen mieser kleiner linker Ringfinger und dann die Koffer gepackt. Erwartungsfroh: Prosdokia! Und die Vorfreude: Prosmoni! Bühne frei: Meister George Dalaras nochmals!

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Ist also Geben seliger denn’s Nehmen?

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Flensburg / Museumshafen / 19. Februar 2023

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Mein erste Regiearbeit als Rentner ist getan und ich kehre an die Tasten zurück. War nach Meinung etlicher Außenstehender eine gute Arbeit. Dennoch alt und manchmal wie aus der Zeit gefallen fühlte ich mich. In den letzten Jahren sind mir auf den Probebühnen öfters Menschen begegnet, welche die berühmte „work – life – balance“ flüssiger vorwärts und rückwärts buchstabieren konnten als die dringend zu lernenden, weil auf der Bühne notwendigen, Worte und die ihren vegan eingestellten „body“ weitaus achtsamer behandelten als die Kostüme, die Requisiten und fremde Zeit. Werden die (mentalen) Stechuhren an den Theaterpforten der Kunscht dienen? Fragen wir unseren Arzt oder Apotheker.

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Im Zug nach Hause las ich im Speisewagen die altehrwürdige ZEIT. Wie es sich für einen Boomer gehört als Papier. Man titelte „Rente – Traum oder Alptraum?“. Gute Frage. Ich bestellte noch einen Grauburgunder. Und las in einem der Artikel zum Thema eine kleine Geschichte von Rudyard Kipling.

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„Der Brahmane Purun Bhagat ist der überaus erfolgreiche Premierminister eines kleinen, von den Engländern geduldeten unabhängigen indischen Fürstentums. Eines Tages beschließt er, sich selbst in Pension zu schicken und als frommer Eremit Erleuchtung zu finden. Doch eines Nachts kommt es zu einem gewaltigen Erdrutsch, der das Gebirgsdorf bedroht, in dem Bhagat seine Einsiedelei bezogen hat, und der Eremit wandelt sich – er weiß nicht, wie ihm geschieht – augenblicklich zurück in den Staatsmann, der er gewesen. Er stürmt ins Dorf, befiehlt Evakuierung, organisiert die Flucht in sicheres Gelände – und stirbt, erschöpft von der Rettung, aber endlich mit sich im Reinen, noch in derselben Nacht. Nicht fromme Einkehr hat ihn erlöst, sondern die Tat. Nicht Sorge um das Selbst, sondern die Verantwortung für andere.“

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Vielleicht der richtige Zeitpunkt über den bis hierher zurückgelegten Weg zu sinnen. Mit längerem Atem all den Verästelungen und Abzweigungen nachgehen. Mal schauen, was sich findet oder vor die Erinnerungsfüße fällt. Arbeitstitel: „Der Riß.“ Das Seemannsheim darf noch ein wenig warten.

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Flensburg / 19. Februar 2023

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Von den leeren Zitzen des Erinnerns / Fangen wir wieder an zu rauchen 16

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Pfronten / Falkenstein / Mariengrotte / Gebetsbank / 14. Juni 2022

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KN / Cafe Sud / 8.3. 2022

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Die alten fächer

Wir hatten sie nicht geteilt

Keine bewegung der luft

Während ich sitze

Und ziehe bilder an land

Die schon ertrunken

Sollten sie dies

Staubige schuhe

Ich fege den flur

Ihr ohr an der wand

Ist schmelzender schnee

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Den stift in der hand

Die zitzen des erinnerns

Müdes ritual

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Schrieb ich am Internationalen Tag der Frau, als ich wieder begann zu trinken, auf einen Bierdeckel. In der alten Heimat. Die Ärzte da unten machten meiner linken Hand Hoffnung auf eine Rückkehr an die Saiten. Davon später genaueres.

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Werde das Gereime oben nochmal überarbeiten. Steckt mehr drin. Aber so aus der Hüfte erbärmlich in die Welt geschossen, das mag ich auch.

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Lese eben ein neueres Buch von Frank Schulz. Anmut und Feigheit. Allein der Titel. Eine Freude. Und der Rest auch.

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Was ich gerne vergaß: Stand ich mal oben und begriff, wo ich eigentlich herkam und wie lange und mühsam der Aufstieg gewesen war? Eigentlich nie. Aber ich frage dann halt meine alten Knie, was die sagen, geht es wieder hinab. Steiler und schneller runter denn hoch. Nun der Rest der Rauchpause.

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RAUCHPAUSE / Teil 16

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Ich fand diesen Song immer bescheuert. Und den Roger Daltrey mit seiner blöden Fransenlederjacke und der nackten Brust. Aber Rache muß sein. Du kannst nicht einfach alles verraten, was eine Freundschaft ausmacht. Du kannst nicht alles, was war mit dem Etikett Vergangenheit versehen und in einem Herlitz – Ordner abheften. Und hoffen, daß dieser stillhält. Und schweigt. Nee.

Erst ging es ganz langsam. Sehr langsam. Heilige Nebel stiegen auf. Im Duett. Und dann ging es auf einmal ganz schnell. Hansis erschreckender Hustenanfall, mein COPD, eine sich öffnende Haustür und der energische Schlag einer geschulten Krankenschwester mit einer eingeschweißten Gurke auf meinen Hinterkopf. Direkt auf meine wunderbare Beule. Das Souvenir der letzten Nacht. Doppelschlag nennt man das wohl.

Innerhalb von weniger als 12 Stunden erwachte ich zum zweiten Mal aus dem Koma. Diesmal saß ich auf einem Küchenstuhl in der Wohnung meines alten Gefährten Hansi, in Handschellen, neben mir zwei Wachtmeister und am Küchentisch saß Gitti, die weinte. Die Tür zum Küchenbalkon war offen. Der 1.Oktober war ein erstaunlich warmer Tag, als wolle Gott den Giftkranken noch so eine Art Gnadenfrist gewähren. Draußen auf dem Balkon stand Hansi, versuchte mit dem Lasso einen Blumentopf mit Basilikum zu fangen und in seinem Mundwinkel hing eine Reval. Kalt, nicht angezündet. Er sang vor sich hin: „I´m free “ Den ganzen Song. Konsequent, wie er schon immer war.

(Hustenanfall) COPD. (drückt die letzte aus) Cold on parental device. Auf deutsch: Kalt auf elterliche Anordnung. (lacht) Ich glaub, ich sollte wieder rein. Immerhin hat der Sack heute Geburtstag. Und Gitti ist schwanger. Fast wie einer Soap. Wie sagte Dylan einstens: „Peace, love and happiness is one thing. But you got to have forgiveness too.”

Ok. 1 Jahr auf Bewährung wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Nötigung und – das fand ich jetzt etwas übertrieben – Körperverletzung. Nun habe ich eine Therapeutin und einen Bewährungshelfer am Hals. Fleischgewordene lange Unterhosen. Aber ich habe mich ganz gut gehalten. Noch kein einziges Mal habe ich gesagt, was ich nicht sagen darf. Noch nicht mal heute abend. (stumm artikulierend: Zigarette, Rauch, Feuerzeug etc.)

Heute Nachmittag war ich in meinem Büdchen. Stoff kaufen. Das geht ja noch. Bei meiner guten alten „Dealerin“. Ehemalige Hardcorekonsumentin. Kürzlich mußte sie für längere Zeit ins Krankenhaus. Und darf es nicht mehr tun. Eigentlich. „Nur noch 3 bis 3 und eine halbe am Tag genehmige ich mir.“ Sagte sie. Ich habe ihr eine geschenkt. Menthol. In memoriam Helmut Schmidt. So eine Art kleines Souvenir. Und wegen früher. “Once upon a time, there was a tavern / Where we used to raise a glass or two. / Remember how we laughed away the hours / Think of all the great things we would do? Those were the days, my friend.” (lacht, tanzt) “See me feel me touch me heal me.

Sie hat sich übrigens gefreut. Über die Mentholzigarette. Wirklich.

So. Jetzt geh ich rein. Einen trinken. Ist noch nicht verboten. Und atmen. Frische Luft. „Freiheit.“ (grüßt in der Art der alten FDJ´ler und geht ab, hustend)

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(Gießen / Spätherbst 2009 / is now fertig)

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Blick ins Vilstal / 14. Juni 2022

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Vom Abnagen krachender Knochen / Fangen wir wieder an zu rauchen 15

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Pfronten / Dorfwirt / 11. Juni 2022

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Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald. Einst klang dies in den Ohren vor allem der Kinder wie eine Verheißung. Der monatliche Höhepunkt auf dem familiären Speiseplan. Papa holt ein / zwei Hähnchen aus Friedrich Jahns Gockelbude, Mama macht Fritten im Backofen. Und Mayonnaise ohne Ende aus der Tube. Und dann wird genagt bis das Zitronentuch zum Einsatz kommt und die Fettfinger wunderbar chemisch und frisch riechen. Es gibt solche und solche Nager. Die einen lassen was am Knochen hängen, die anderen nagen die kleinsten Fitzelchen bis auf die Knochenhaut runter und werden trotzdem nicht satt. Extremisten lassen sogar die Knochen krachen und saugen sie aus. So verfahren wir dieser Tage mit Mutter Erde. Wohlfühlmassaker allenthalben. Lassen wir was über.

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RAUCHPAUSE / Teil 15

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Meine Haustürklingel meldete sich, Sturmklingeln. Ich hatte keine 4 Stunden geschlafen. Ich öffnete. Vor mir ein Mann in Cordjacke. Er hält mir seinen Ausweis unter die Nase. Gesundheitsamt oder Ordnungsamt. Er übergibt mir ein Schreiben: „Wegen Verstoßes gegen das NRSG, Abschnitt 1, Paragraph 6 und weil sie nicht nur Gast, sondern Mitinhaber und als Exempel. Kurz und knapp: 2500€ Bußgeld.“ „Wie? Was? Wo? Und wann?“ „Heute nacht gegen 1Uhr27. Im „Wind und Wasser“. Finden Sie das eigentlich nicht einen bescheuerten Namen für eine Kneipe? Man hat sie gesehen, wie sie es getan haben. Sogar mit einer Rothhändle. Ohne Filter.“ „Zur Feier des Tages.“ antworte ich. „Haben Sie da noch eine übrig?“, fragt er mich. Also sitzen wir da zusammen in meiner Küche und zwei Rothhändle brennen. Er ist sehr freundlich: „Wissen Sie, ich tue nur meine Pflicht.“ „Kein Problem. Eine Frage nur, wer hat mich gesehen?“ „Eine Frau hat uns angerufen.“ „Danke, schon gut, will ich gar nicht wissen.“ Mein Schädel bummert und schreit nach Erlösung. „Ich überweise das heute noch. Kein Problem. Hier, die Packung Rothhändle schenke ich ihnen. Auf Wiedersehen.“

Das Lasso. Total bescheuert. Hansi und ich damals in Texas. Dieser uralte rote Toyota Corolla, den wir überführten vom Osten in den glorreichen Westen war zusammengebrochen und wir hingen in irgendeinem traurigen Kaff fest. Corpus Christi. Hosianna. Kreuzigt ihn. Hansi hatte die vollkommen wahnwitzige Idee ein Lasso zu kaufen, die Zeit zu nutzen und Cowboy zu trainieren. Also stehen wir zwei Tage in der Wüste, während die Mechaniker auf die Ersatzteile aus Yokohama warten und versuchen mit dem Lasso Gebüsche und Zaunpfähle einzufangen. Später haben wir das als kleines Ritual hier in der Heimat eingeführt. Einen leeren Bierkasten auf einen Holzpflock oder Tisch gestellt. Und wer als erster den Bierkasten fängt, gewinnt eine Packung Reval. Bißchen albern, gebe ich zu. Aber kreativer als Everquest oder Warcraft.

Nun gut, vor einiger Zeit im Rahmen von irgendeiner ominösen Basis – Fengshuisierung von Hansis und Gittis Wohnburg hat mir Hansi das Ding vermacht: „Paß Du bitte auf „Holden Caulfield“ auf.“ Holden Caulfield. So hieß das Lasso. Hansi hatte ja die Angewohnheit alle Gegenstände benennen zu müssen. Holden Caulfield. Der Fänger im Roggen. Hansi reichte mir das Lasso, sagte: “Nimm Du das bitte. Ich kann mit diesen seltsamen Energien nicht mehr umgehen. Verstehst Du? Was Erinnerung so auslöst. Körperlich. Und Gitti meint auch, man muß sich von Dingen trennen können. Zum Beispiel von der ewigen Pubertät, die gerade uns Männer öfters krankmacht und so. Verstehst Du?“ „Schon gut.“

Was jetzt kommt, darf ich gar nicht erzählen. Zu lächerlich. Obwohl so lächerlich, wie hier draußen stehen, frieren und klagen ist es dann auch nicht. Meine Fresse. Sehen alle so lächerlich aus, denen man was weggenommen hat? Der gute alte Verlust. Täusch ich mich, oder wird es gerade was wärmer. Selbstgratifikation. Ok. Das noch. Auf Bewährung. (zündet sich eine letzte an)

Ein bißchen komisch kam ich mir schon vor, als ich morgens um 9 mit einem Lasso über der Schulter und einer Stange Reval unter dem Arm durch die Gassen einer deutschen Kleinstadt stolperte. Bevor Hansi überhaupt realisiert hatte, was hier abgeht, hatte ich ihn mit dem dreifachen Nevadaloop zu Fall gebracht, fachgerecht verschnürt – Yeeha! – und an seinen Kühlschrank, den guten alten Gevatter Bosch gefesselt. „Holden Caulfield“ gehorchte mir wie in den besten Tagen. Dann zwei Reval angezündet und die eine, die seine, in seinen Mund gesteckt. „Und jetzt inhalier, Judas.“ Dann ging ich zur Stereoanlage und legte die CD mit seinem Lieblingssong ein – „I´m free“ von THE WHO – und drückte die Repeattaste:

I’m free. I’m free.

And freedom tastes of reality.

I’m free. I’m free.

And I`waiting for you to follow me.

If I told you what it takes to reach the highest high

You’d laugh and say, „Nothing’s that simple.“

But you’ve been told many times before, Messiahs pointed to the door

No one had the guts to leave the temple.

I’m free. I’m free.

And freedom tastes of reality.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Begriffe so lange kneten, bis sie nicht mehr wissen, was sie erzählen sollten / Fangen wir wieder an zu rauchen 14

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Reutte / Tirol / 16. Juni 2022

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Redlichkeit. Ein altes Wort. In Moralsaucen aller Art über Jahrhunderte mariniert. Aufrecht gehen. Ritterlichkeit. Fällt mir heute dazu auch noch ein. Einsicht in die Notwendigkeit. NOT. WENDIGKEIT. Sprich: Begreifen. Und was man spricht, nach Abwägung (noch ein schönes im Sterben liegendes Wort) vieler Aspekte der Not – Muß man hier und heute gar wenden? – redlich bedenken. Gelingt uns sehr selten. Und dann packen wir das schöne Wörtchen redlich in den fürchterlichen Satz „Das habe ich mir doch redlich verdient!“. Während wir mit 200 km/h über den Highway brettern und unseren Steuerberater anrufen, ob da nicht noch was gehe, prinzipiell. Nur für diesen kleinen bedeutungslosen Kick heute auch mal eine Lichtgestalt gewesen zu sein, die die absolute Kontrolle über sein beschossenes Fürstentum namens Leben für fünf Minuten zurückerobert.

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Vor kurzem sagte ein ehemalige Schauspielkollegin was sehr Schönes. „Ich kann das Wort gemeinsam nicht mehr hören. Machen wir es doch einfach zusammen!“ Wir müssen uns alle dringendst entfloskeln. Und das redlich.

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FRÜHER fuhren wir zum Beispiel nach Griechenland. Mit elterlichen Geldern. Entdeckten einen Strand. Griechenland war billig. Da iss keiner. Das ist mein Strand. Kann man unbehelligt dingseln. Änderte sich irgendwann. Haben wir uns bis an unser Lebensende das Recht auf ungestörtes Dingseln redlich verdient? So ein Blödsinn. Heute humpeln wir rentengefüttert durch die heimischen Wälder. Wenn wir es uns leisten können. Seit einiger Zeit tun dies auch jüngere Menschen. Nicht wirklich leiser als wir damals sind sie. Sie dürfen das. Oder? Habe ich mir die Stille, sobald ich die Bühne Wald betrete, redlich verdient? Warum? Ich finde darauf keine Antwort. FRÜHER gibt es nicht. Auch Vater hatte einen Vater.

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RAUCHPAUSE / Teil 14

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Gonzo hat sich dann bereit erklärt den Schlichter zu machen. Und er hatte eine geniale Idee. Die sogenannte Gerade-Ungerade-Tageregelung. Das „Aquarium“ – Verzeihung das „Wind und Wasser“ – wurde, wie ich es gerne ausdrücke, zu einer veritablen „Wendejacken“ – bzw. „Große Koalitionskneipe“. Gerade Tage Hansi und Gitti. Keine Luftverpestung, Tee und sonst nur noch alkoholfreies Weizen. Ungerade Tage und traditionsbewußtes Kneipenleben unter meiner Leitung. Das hatte auch noch seinen tieferen Sinn, weil, wie mir Gitti klarmachte, steht der gerade Tag für die positive Energie und umgekehrt der ungerade für die eher nicht so positive. Kann man akzeptieren. Kröten zu schlucken hatte jede Partei. Das Pärchen mußte nach meiner Schicht die ersten drei Stunden bei offenem Fenster arbeiten. Feng Shuisierung der Raumluft sozusagen. Ich durfte dafür zu Beginn meiner Schicht Teebeutel und Zuckertütchen aus den Aschenbechern fummeln und die Weizenbiergläser von frischen Schnittblumen befreien. Es war ein bescheuerter Kompromiß, aber jeder hatte das Gefühl, wir seien da alle mit einer Win-Winsituation raus. Funktionierte leidlich. Die Schnittmengen waren klein, aber vorhanden.

Kompromiß. Teilen. Sich entgegenkommen. Machen wir es doch so. Hier draußen Heizung und Gift. Drinnen gesund und kälter. Aua. Aua. So langsam dreh ich am Rad. Komm, geh rein, du sentimentales Rindvieh. Rede mit anderen. Nein. Haltung. In Ordnung, eine noch. (schmeißt noch ein paar Zettel ins Aschenbecherlagerfeuer und zündet sich daran eine an)

Jetzt hatte ich natürlich nicht mit diesem Tsunami NRSG gerechnet. Ich dachte, so ein Gesetz dauert und dauert. Pustekuchen. Es kam quasi über Nacht. Das Fallbeil. Die Wende. Das NRSG. Die ersten Warnzeichen – keine Cowboys mehr in der Kinowerbung, die hübschen Kurzgedichte auf den Packungen, seltsame Nachrichten aus Irland und Italien – hatten wir nicht wirklich ernstgenommen. Jetzt war es da. Von einer Sekunde auf die andere. Ab dem 1. Oktober 2007 gab es nur noch gerade Tage. Und plötzlich stehst Du so was von auf der falschen Seite. Gitti grinste ab sofort Tag und Nacht wie 30 Buddhastatuen. Hansi knetete unentwegt seinen Handrücken.

Der 30.9. war ein, obwohl gerader, sehr trauriger Tag. Das „Wind und Wasser“ war rappelvoll. Die Stimmung hatte was von Abiturfeier und Abschied. Ich hatte der treuen Kundschaft 10 Stangen Gift zur Verfügung gestellt. Ich sah Fluppen in den Gesichtern von Menschen, wo ich sie noch nie gesehen hatte.  Für Mitternacht, die Minute der Ankunft des Monsters NRSG hatten sich Gonzo und noch ein paar Hardcore – Giftler was Hübsches einfallen lassen. Punkt Mitternacht betraten sie die Kneipe mit einem dieser „Laubwegpustegeräte“ – ein wahnsinniges Gedröhne – pusteten damit die noch brennenden Todesfinger aus, schütten den Inhalt aller Aschenbecher in einen riesigen Plastikeimer, verließen die Kneipe und kippten sich den Eimerinhalt aufs Haupt. Dort stimmten sie einen lauten Wehgesang zu den Klängen von „Yellow Submarine“ an: „Wir haben schwer gesündigt und hörn jetzt damit auf, hörn jetzt damit, hörn jetzt damit auf. Verzeihet ihr Gerechten, drum die Asche auf dem Haupt, Asche auf dem Haupt, Asche auf dem Haupt.“ Eine große Geste. Fand ich.

Es mag vielleicht gegen 1 / halb 2 Uhr morgens gewesen sein. Ich hatte mir eine sozusagen „Letzte vor Ort“ ins Gesicht gesteckt, als es plötzlich mit aller Macht von draußen gegen die Eingangstüre donnerte. Ich erschrak mich zu Tode und ich fiel rücklings vom Barhocker und war weg.  Als ich wieder zu mir kam, sich die Schockstarre löste, lagen neben mir die restlichen 3 nicht konsumierten Stangen fein säuberlich zerbröselt und auf meiner Brust klebte ein handgeschriebener Zettel mit den Worten: „Dafür wird gebüßt, du Verpester.“ „Das war sie nun die neue Zeit!“, habe ich mir gedacht. „Nehmen wir alles nicht so ernst. Vielleicht war es nur ein Geist und ich träume bös.“ Ich schlich nach Hause. Mein letzter Blick in den Badezimmerspiegel zeigte mir, daß sich auf meinem Schädel eine beulenhafte Erhebung gebildet hatte. Sehr schmerzhaft dazu. Nun gut. „Solange dein Leben in Gefahr ist, weißt du, daß du lebst. Der Rest ist Fernsehen.“ Dann zählte ich Schafe. Ich schlief ein, komatös und von Alpträumen geplagt.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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