wie viele tote eintauschen gegen das freie leben willst du dir leisten dürfen

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Aufgestanden. Zähne geputzt. Gefrühstückt. Oder andersrum. Dann – Routine nun – statt im Cafe wie – Darf man schon „damals“ sagen? – na ja, eben wie einst, nun die Zeitungen gelesen wie man es halt so tut dieser Tage im weltweitem Netze. Meist auch das lediglich Routine. Neue Zahlen. Keine Feste ohne Teste. Söder, Löw und Fink und Star. Wo ist denn jetzt der Frühling? Der nächste Urlaub wieder nicht möglich? Was tun? Aufgeblasene Luftballons, die sich weigern zu platzen. Karussellfahrten kostenlos, aber vom wohligen Schwindel befreit. Unzählige Hamsterräder, simulierend gestriges Glück. Besserwissen ist geschissen. Eigene Nase anpacken. Das mentale Sieb braucht schon große Löcher. Dann aber das sehr berührende Interview. Freue mich immer, wenn es jemandem gelingt das Persönliche und das Allgemeine in eine Art von sinnvollem Zusammenhang zu führen. Fällt uns schwer. Müssen wir halt dranbleiben. Vielen Dank für den Text!

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boredom is my inspiration / bob dylan

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Ich habe mich dieser Tage an den Dialog mit den alten Gefährten gewöhnt. Bleiben wir also dran am Alterndem Egoist. Oben der aktuelle Wanderstock.

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hinter mir der Weg liegt vor mir das neue Jahr schon gestorben vor der Zeit

das Nest verließ ich singend im Aprillaunengewitter am Stock

drücke ich mich in die erhofften Höhen

neue Lieder wie die ersten Schmetterlinge stammelnd

taumelnd Rauhreif auf den Flügeln durch die hohle Gasse hinauf

flatterhaft ohne Ziel Trommelwirbel Ungewißheit in den Innereien knirscht

des Winter Laub unter dem Fuß gnädige Erinnerung

und wäre ich dieses eine welke Blatt

und wäre man dieses eine Blatt das welken wird

und bliebe man ein Blatt welkend

man bliebe dieses Blatt

und welkte

eben noch erwacht

so ein Blödsinn aber auch

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(Archibald Mahler / Freund der Ambivalenzien und Zimmermannologe)

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Unten mein Beckettgedicht zum heutigen Tage

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Musik der Gleichgültigkeit

Herz Ruhe Luft Feuer Sand

der Ruhe Einsturz der Lieben

übertöne ihre Stimmen damit

ich mich nicht mehr

schweigen höre

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(Samuel Beckett / 1937 – 1939)

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Stille die Liebe den Haß die Stille stille

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Las eben in der Zeitung seit zehn Jahren nun sei dieser April wieder ein rechter April. Wie er früher einmal war. Sollte man eigentlich dankbar frieren und das Auf und Ab, Hin und Her, Holterdiepolter genießen mögen. Man gewöhnt sich wohl zu schnell daran, wenn es zu angenehm wird gegen alle Vernunft. Man sollte sich vielleicht doch schneller an Unvermeidliches gewöhnen können sollen. Ist möglicherweise vernünftiger trotz Gänsehaut. Nochmals der Verweis auf den Weggefährten. Er ist momentan gewitzter im Kopp als ich. Er wird dies aber bezweifeln wollen. Dafür liebe ich ihn.

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ich will es nicht wissen

was mir das Fremde in mir hielte ich es in den Händen gestern war

Bergwerke tiefe Gräben gesprengt in den Karst schuppender Erinnerungen

Laub im Lenz schon runzelnd

mein Finger streicht über

rauhe Häute Schürfwunden liebevoll Gewebe vernarbt

diese Landkarte mag ich lesen morgen wenn übrig mehr

an verlorener Zeit

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(Archibald Mahler / Poet der Meteorologie und Meisterschüler)  

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Ich hatte mich mit einem Beckett – Gedicht in die Bühnenpause verabschiedet. Hier wieder eines zur Rückkehr. Dylan. Beckett. Ä Gläsle Spätburgunder. Soviel mehr benötigt man eigentlich nicht. Und natürlich: das Vergessen können lernen. Freiwillig. Und jemanden der zurückliebt.

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gut gut es gibt ein Land

wo die Vergessenheit

sacht auf die unbenannten Welten drückt

da verschweigt man den Kopf der Kopf ist verstopft

und man weiß nein man weiß nichts

der Sarg der toten Münder stirbt

am Strand er ist angelangt

es ist nichts zu beweinen

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mein Einsamsein ich kenne es ja ja ich kenn‘ es kaum

ich habe Zeit so sag ich mir ich habe Zeit

doch welche Zeit hungrig Gebein die Zeit des Hunds

die des stetig verblassenden Himmels meines Stückchen Himmels

des Strahls der zitternd emporschimmert

der Mikronen der Dunkeljahre

..

es heißt ich soll von A nach B gehen ich kann es nicht

ich kann nicht `raus ich bin in einem fährtenlosen Land

ja ja es ist eine feine Sache die sie da haben eine ganz feine

was ist das fragen sie mich nichts mehr

Spirale Staub von Augenblicken was es ist das gleiche

Die Stille die Liebe der Haß die Stille die Stille

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(Samuel Beckett / Sechs Gedichte / 1947 – 1949)

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Kleine Meditation über das Warten unter besonderer Berücksichtigung erinnerter Worte aus dem Theaterfundus

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Sagte der Schalk zum Dieb: „Es soll doch einen Weg geben, der hier rausführt!“

Sagte Estragon zu Wladimir: „Du sagtest, daß wir morgen wiederkommen müssen!“

Sagte Lobkowitz zu Shlomo: „Lass uns warten, Schlomo. Warten ist die wahre Zeit. Wenn man auf den Messias wartet, kommt es aufs Warten an, nicht aufs Kommen.“

Sagte Shlomo zu Lobkowitz: „Oh Herr!“

Sagte Wladimir zu Estragon: „Das sagt man so!“

Sagte der Dieb zum Schalk: „Kein Grund sich aufzuregen!“

Mischte sich Bertolt Brecht ein: „Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.  Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.“

Sagte George Tabori: „In der Erinnerung ist das ganze Leben ein Tag.“

Wiederholte Wladimir: „Das sagt man so!“

Also sprach Samuel Beckett: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

Und Winnie starrte zum Zenit und sagte: „Wieder ein himmlischer Tag!“

Willie antwortete: „Fürchte nicht mehr!“

Wieder Wladimir: „Das sagt man so!“

Darauf Winnie mit derselben Stimme: „Was?“

Willie wurde wütend: „Fürchte nicht mehr!“

Sagte aber Clov zu Hamm: „ … Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende!“

Sagte Hamm zu Clov: „Es ist aus. Mit uns ist es aus. Bald aus!“

Sprach Godot: „Wartet nicht auf mich!“

Erzählte George Tabori einen Witz: „Hängen zwei Schächer am Kreuz. Fragt der eine: „Tut’s sehr weh?“ Antwortet der andere: „Nur wenn ich lach‘.“

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Damals als die Gegenwart noch Science Fiction war (Kurt Russell zum 70ten)

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„Call me Snake!“ Die Augenklappe. Die Dystopie. Das Ende der Zivilisation. Ernest Borgnine, ungeschlagener Meister funkelnder Nebenrollen und der Lieblingsschauspieler meines Vaters als Cabdriver Cabbie. Harry Dean Stanton. Lee van Cleef. Ein Sammelsurium einsamer weißer böser – würden manche heute sagen – Männer. Die Not schweißt sie zusammen. Und die große Aufgabe. Nicht zu vergessen: Zynismus. Man rettet den Präsidenten, auch wenn er ein Arschloch ist. Pflichtbewußtsein mit Stinkefinger. Ich lieb(t)e den nun vierzigjährigen Film. „The name’s Plissken!“

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1981 war ein Jahr in dem die Apokalypse nicht nur im Kino abgefeiert wurde. Reagans Krieg der Sterne, SS 20, Waldsterben, Wettrüsten, ein andauernder Wirtschaftsabschwung, der die letzten Reste des guten, alten Jahrzehnts der Sozialliberalen endgültig wegfegen sollte. Mehr Demokratie wagen war der Wirtschaft inzwischen zu teuer geworden. Die RAF hat ihren Teil dazu beigetragen die letzten Reste einer gesellschaftlichen Utopie wegzubomben. Man begann hauptsächlich eigene Suppen zu kochen. Kohl ante portas.

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Las zum Frühstück in der SZ eine Würdigung Kurt Russells, der heute 70 wird. An dem einen Film kommt man nicht vorbei. Welcher Schwachkopf hat eigentlich „Escape from New York“ den deutsch – dämlichen Titel „Die Klapperschlange“ verpasst, fragte ich mich mal wieder. Ging dann raus, Mineralwasser holen. Und brauchte außerdem 2 neue T – Shirts. Mußte ich im Netz einen Termin machen. „Eine Stunde Shopping – Erlebnis buchen.“ So heißt das heute. Maske, Schlange stehen, QR – Code ausgedruckt, wird gescannt, es piept und rein ins Erlebnis und ich dachte, hätte man mir damals 1981 als bekennendem Apokalyptiker einen kleinen Ausblick in diese Tage geschenkt, hätte ich es geglaubt? Das Absurdistan vor der Haustüre? Wie man sich doch an Unvorstellbares gewöhnen kann? Wieder zu Hause guckte ich nochmal in meine alte Reimekiste und fand Folgendes.

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wegen carl im februar

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das war heute ein schöner tag. ich habe mich nicht getraut in den spiegel zu schauen. ich habe sie angelächelt. sie hat nichts merken dürfen. sie ist die fernsehansagerin.

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das war heute ein schöner tag. ich habe mich so stark gefühlt um einen mülltonne damit füllen zu können. ich habe mich nicht gefürchtet. er hat mich wieder mal gerettet. er ist die spinne.

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das war heute ein schöner tag. ich habe mit meiner zunge sanft meinen gaumen gestreichelt. ich habe meine zufriedenheit gehört. er war schneller in mir als er dachte. er war ein big mäc.

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das war heute ein schöner tag. ich habe den dunst der stadt mich grüssen sehen. ich habe krankheit in den gesichtern gerochen. sie zog ihre bahn. sie war die linie fünfzehn.

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das war heute ein schöner tag. ich habe die lichter aus der anderen welt gesehen. ich hatte den finger am abzug des erfolges. es tickte und klingelte orgiastisch. es war ein freispiel.

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das war heute ein schöner tag. ich habe die trübheit meiner augen geschärft. ich habe die letzten schwankungen der ewigkeit erraten. es trug mich auf einer woge ins pissoir. es war mein zehntes bier.

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das war heute ein schöner tag. ich habe über einen menschenleeren platz geschrien.  ich habe autos um verständnis angefleht. er hielt sich raus. das war mein schöner tag.

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(köln / 19. februar 1981)

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Und hätte große Lust mich in diesen Tagen der Askese sinnlos durch die Nacht zu trinken, zu flippern und zu spinnen, um den bevorstehenden Weltuntergang zu feiern. Auch wenn er nur im Kopp rumtanzt. Oder eine trunkene Premierenfeier in der Parisiana – Bar ausklingen zu lassen.

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PS: 10 Bier gleich 10 Kölsch 0,2! Gelle!

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am winterteich / sieben

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Vor geschlossenem Fenster

Sternenlose Nacht

Regenglattes Pflaster

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Auf dem Fensterbrett ein Spatz

Keine Brotkrumen

Das Rumpeln der Müllabfuhr

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Ein Kranich fliegt nach Süden

Ein Paar streitet sich

Sturm zerrt am kahlen Baum

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Von der Ruhe des Teiches

Träumte mir gestern

Am offenen Fenster

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Gerhard „Gundi“ Gundermann wäre 66

Oder:

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Und wenn ich nicht mehr rennen kann

Da kann ich noch n bissel gehn

Und wenn ich nicht mehr gehn kann

Will ich hier noch n bissel rumstehn

Wenn ich nicht mehr stehn kann

Da schaffe ich es noch zu kriechen

Und wenn ich nicht mal mehr liegen kann

Dann fang ich eben wieder an zu fliegen

Jaja

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Als ich im letzten Herbst aus dem Gundermann – Abend am Stadttheater ein Solo – Programm bastelte, wurde mir erst richtig klar, wieviel Trost die Texte von Gundermann bereithalten. Die meisten Lieder entstanden in den Neunzigern, als die verbliebene Bevölkerung der untergegangenen DDR mannigfache Einbrüche, Umbrüche, Zusammenbrüche zu durchleben hatte, neu gewonnene Freiheit hin oder her. Was ist die eigene Biographie wert? Was bleibt von einem Leben?

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Und wofür waren all die Jahre

Die ich mein Fleisch ins Eisen schlug

Und wofür ließ ich meine Haare

Wofür bin ich nun hart genug

Daß ich meine Taschen fülle

Und mein Konto endlich auch

Und daß ich volle Flaschen kille

Und trage statt mein Kreuz ein Bauch

Hör die Wölfe heulen

Wale fallen wie Tränen auf die Strände

Ach, es ist noch nicht zu Ende

Hör die Wölfe heulen

Wale fallen wie Tränen auf die Strände

Ach, es ist noch nicht zu Ende

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Zweimal hat Freundchen Corona meinen „Gundermännern“ letztes Jahr den Stecker gezogen. Erst im März, dann im November. Es wird jedoch weitergemacht. Hier von 4:30 an.

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Immer wieder wächst das Gras

Klammert all die Wunden zu

Manchmal stark und manchmal blaß

So wie ich und du

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Zum Schluß hier ein großes Danke schön an Heiner Kondschak. Ohne den kein Gundermann im Westen. Und den König von Deutschland verdanke ich ihm auch. Noch ein Trostlied. (Schöne Erinnerungen an die Terrasse bei Tübingen. Damals mehr Sommer und sehr viel Hoffnung!) Überlebt wird ganz gewiß bis Übermorgen. Und mehr.

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PS: Die Fotos hier: Gundermanns Schaltzentrale in der KuFa Hoyerswerda. Uwe Proksch und Reinhard „Pfeffi“ Ständer hatten mir damals sehr geholfen, als ich im Sommer 2019 vor Ort den Gundermann – Abend verfasste.

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Am Aschermittwoch fängt es erst an

oder: Gotta serve somebody

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„Im Zeichen der Asche sehen wir unsere Bruchstückhaftigkeit und Vergänglichkeit. Alles hat Fehler und Mängel – alles hat ein Ende – alles vergeht.“

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„Wie bitte? Als habe man nicht genügend Verzicht geübt im letzten Jahr!“

„Nee, hat man nicht!“

„Was soll das jetzt wieder heißen?“

„Das letzte Jahr war geprägt von bescheidenen Übungen in Vernunft!“

„Sie spinnen doch!“

„Na ja, ich meine nur, Verzicht ist eigentlich eine freiwillige Angelegenheit!“

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„Bedenke Mensch, daß du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.“

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