Aufgestanden. Zähne geputzt. Gefrühstückt. Oder andersrum. Dann – Routine nun – statt im Cafe wie – Darf man schon „damals“ sagen? – na ja, eben wie einst, nun die Zeitungen gelesen wie man es halt so tut dieser Tage im weltweitem Netze. Meist auch das lediglich Routine. Neue Zahlen. Keine Feste ohne Teste. Söder, Löw und Fink und Star. Wo ist denn jetzt der Frühling? Der nächste Urlaub wieder nicht möglich? Was tun? Aufgeblasene Luftballons, die sich weigern zu platzen. Karussellfahrten kostenlos, aber vom wohligen Schwindel befreit. Unzählige Hamsterräder, simulierend gestriges Glück. Besserwissen ist geschissen. Eigene Nase anpacken. Das mentale Sieb braucht schon große Löcher. Dann aber das sehr berührende Interview. Freue mich immer, wenn es jemandem gelingt das Persönliche und das Allgemeine in eine Art von sinnvollem Zusammenhang zu führen. Fällt uns schwer. Müssen wir halt dranbleiben. Vielen Dank für den Text!
Las eben in der Zeitung seit zehn Jahren nun sei dieser April wieder ein rechter April. Wie er früher einmal war. Sollte man eigentlich dankbar frieren und das Auf und Ab, Hin und Her, Holterdiepolter genießen mögen. Man gewöhnt sich wohl zu schnell daran, wenn es zu angenehm wird gegen alle Vernunft. Man sollte sich vielleicht doch schneller an Unvermeidliches gewöhnen können sollen. Ist möglicherweise vernünftiger trotz Gänsehaut. Nochmals der Verweis auf den Weggefährten. Er ist momentan gewitzter im Kopp als ich. Er wird dies aber bezweifeln wollen. Dafür liebe ich ihn.
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ich will es nicht wissen
was mir das Fremde in mir hielte ich es in den Händen gestern war
Bergwerke tiefe Gräben gesprengt in den Karst schuppender Erinnerungen
diese Landkarte mag ich lesen morgen wenn übrig mehr
an verlorener Zeit
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(Archibald Mahler / Poet der Meteorologie und Meisterschüler)
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Ich hatte mich mit einem Beckett – Gedicht in die Bühnenpause verabschiedet. Hier wieder eines zur Rückkehr. Dylan. Beckett. Ä Gläsle Spätburgunder. Soviel mehr benötigt man eigentlich nicht. Und natürlich: das Vergessen können lernen. Freiwillig. Und jemanden der zurückliebt.
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gut gut es gibt ein Land
wo die Vergessenheit
sacht auf die unbenannten Welten drückt
da verschweigt man den Kopf der Kopf ist verstopft
und man weiß nein man weiß nichts
der Sarg der toten Münder stirbt
am Strand er ist angelangt
es ist nichts zu beweinen
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mein Einsamsein ich kenne es ja ja ich kenn‘ es kaum
ich habe Zeit so sag ich mir ich habe Zeit
doch welche Zeit hungrig Gebein die Zeit des Hunds
die des stetig verblassenden Himmels meines Stückchen Himmels
des Strahls der zitternd emporschimmert
der Mikronen der Dunkeljahre
..
es heißt ich soll von A nach B gehen ich kann es nicht
ich kann nicht `raus ich bin in einem fährtenlosen Land
ja ja es ist eine feine Sache die sie da haben eine ganz feine
was ist das fragen sie mich nichts mehr
Spirale Staub von Augenblicken was es ist das gleiche
Die Stille die Liebe der Haß die Stille die Stille
Sagte der Schalk zum Dieb: „Es soll doch einen Weg geben, der hier rausführt!“
Sagte Estragon zu Wladimir: „Du sagtest, daß wir morgen wiederkommen müssen!“
Sagte Lobkowitz zu Shlomo: „Lass uns warten, Schlomo. Warten ist die wahre Zeit. Wenn man auf den Messias wartet, kommt es aufs Warten an, nicht aufs Kommen.“
Sagte Shlomo zu Lobkowitz: „Oh Herr!“
Sagte Wladimir zu Estragon: „Das sagt man so!“
Sagte der Dieb zum Schalk: „Kein Grund sich aufzuregen!“
Mischte sich Bertolt Brecht ein: „Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.“
Sagte George Tabori: „In der Erinnerung ist das ganze Leben ein Tag.“
Wiederholte Wladimir: „Das sagt man so!“
Also sprach Samuel Beckett: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“
Und Winnie starrte zum Zenit und sagte: „Wieder ein himmlischer Tag!“
Willie antwortete: „Fürchte nicht mehr!“
Wieder Wladimir: „Das sagt man so!“
Darauf Winnie mit derselben Stimme: „Was?“
Willie wurde wütend: „Fürchte nicht mehr!“
Sagte aber Clov zu Hamm: „ … Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende!“
Sagte Hamm zu Clov: „Es ist aus. Mit uns ist es aus. Bald aus!“
Sprach Godot: „Wartet nicht auf mich!“
Erzählte George Tabori einen Witz: „Hängen zwei Schächer am Kreuz. Fragt der eine: „Tut’s sehr weh?“ Antwortet der andere: „Nur wenn ich lach‘.“
„Call me Snake!“ Die Augenklappe. Die Dystopie. Das Ende der Zivilisation. Ernest Borgnine, ungeschlagener Meister funkelnder Nebenrollen und der Lieblingsschauspieler meines Vaters als Cabdriver Cabbie. Harry Dean Stanton. Lee van Cleef. Ein Sammelsurium einsamer weißer böser – würden manche heute sagen – Männer. Die Not schweißt sie zusammen. Und die große Aufgabe. Nicht zu vergessen: Zynismus. Man rettet den Präsidenten, auch wenn er ein Arschloch ist. Pflichtbewußtsein mit Stinkefinger. Ich lieb(t)e den nun vierzigjährigen Film. „The name’s Plissken!“
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1981 war ein Jahr in dem die Apokalypse nicht nur im Kino abgefeiert wurde. Reagans Krieg der Sterne, SS 20, Waldsterben, Wettrüsten, ein andauernder Wirtschaftsabschwung, der die letzten Reste des guten, alten Jahrzehnts der Sozialliberalen endgültig wegfegen sollte. Mehr Demokratie wagen war der Wirtschaft inzwischen zu teuer geworden. Die RAF hat ihren Teil dazu beigetragen die letzten Reste einer gesellschaftlichen Utopie wegzubomben. Man begann hauptsächlich eigene Suppen zu kochen. Kohl ante portas.
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Las zum Frühstück in der SZ eine Würdigung Kurt Russells, der heute 70 wird. An dem einen Film kommt man nicht vorbei. Welcher Schwachkopf hat eigentlich „Escape from New York“ den deutsch – dämlichen Titel „Die Klapperschlange“ verpasst, fragte ich mich mal wieder. Ging dann raus, Mineralwasser holen. Und brauchte außerdem 2 neue T – Shirts. Mußte ich im Netz einen Termin machen. „Eine Stunde Shopping – Erlebnis buchen.“ So heißt das heute. Maske, Schlange stehen, QR – Code ausgedruckt, wird gescannt, es piept und rein ins Erlebnis und ich dachte, hätte man mir damals 1981 als bekennendem Apokalyptiker einen kleinen Ausblick in diese Tage geschenkt, hätte ich es geglaubt? Das Absurdistan vor der Haustüre? Wie man sich doch an Unvorstellbares gewöhnen kann? Wieder zu Hause guckte ich nochmal in meine alte Reimekiste und fand Folgendes.
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wegen carl im februar
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das war heute ein schöner tag. ich habe mich nicht getraut in den spiegel zu schauen. ich habe sie angelächelt. sie hat nichts merken dürfen. sie ist die fernsehansagerin.
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das war heute ein schöner tag. ich habe mich so stark gefühlt um einen mülltonne damit füllen zu können. ich habe mich nicht gefürchtet. er hat mich wieder mal gerettet. er ist die spinne.
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das war heute ein schöner tag. ich habe mit meiner zunge sanft meinen gaumen gestreichelt. ich habe meine zufriedenheit gehört. er war schneller in mir als er dachte. er war ein big mäc.
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das war heute ein schöner tag. ich habe den dunst der stadt mich grüssen sehen. ich habe krankheit in den gesichtern gerochen. sie zog ihre bahn. sie war die linie fünfzehn.
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das war heute ein schöner tag. ich habe die lichter aus der anderen welt gesehen. ich hatte den finger am abzug des erfolges. es tickte und klingelte orgiastisch. es war ein freispiel.
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das war heute ein schöner tag. ich habe die trübheit meiner augen geschärft. ich habe die letzten schwankungen der ewigkeit erraten. es trug mich auf einer woge ins pissoir. es war mein zehntes bier.
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das war heute ein schöner tag. ich habe über einen menschenleeren platz geschrien. ich habe autos um verständnis angefleht. er hielt sich raus. das war mein schöner tag.
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(köln / 19. februar 1981)
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Und hätte große Lust mich in diesen Tagen der Askese sinnlos durch die Nacht zu trinken, zu flippern und zu spinnen, um den bevorstehenden Weltuntergang zu feiern. Auch wenn er nur im Kopp rumtanzt. Oder eine trunkene Premierenfeier in der Parisiana – Bar ausklingen zu lassen.
Als ich im letzten Herbst aus dem Gundermann – Abend am Stadttheater ein Solo – Programm bastelte, wurde mir erst richtig klar, wieviel Trost die Texte von Gundermann bereithalten. Die meisten Lieder entstanden in den Neunzigern, als die verbliebene Bevölkerung der untergegangenen DDR mannigfache Einbrüche, Umbrüche, Zusammenbrüche zu durchleben hatte, neu gewonnene Freiheit hin oder her. Was ist die eigene Biographie wert? Was bleibt von einem Leben?
Zweimal hat Freundchen Corona meinen „Gundermännern“ letztes Jahr den Stecker gezogen. Erst im März, dann im November. Es wird jedoch weitergemacht. Hier von 4:30 an.
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Immer wieder wächst das Gras
Klammert all die Wunden zu
Manchmal stark und manchmal blaß
So wie ich und du
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Zum Schluß hier ein großes Danke schön an Heiner Kondschak. Ohne den kein Gundermann im Westen. Und den König von Deutschland verdanke ich ihm auch. Noch ein Trostlied.(Schöne Erinnerungen an die Terrasse bei Tübingen. Damals mehr Sommer und sehr viel Hoffnung!) Überlebt wird ganz gewiß bis Übermorgen. Und mehr.
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PS: Die Fotos hier: Gundermanns Schaltzentrale in der KuFa Hoyerswerda. Uwe Proksch und Reinhard „Pfeffi“ Ständer hatten mir damals sehr geholfen, als ich im Sommer 2019 vor Ort den Gundermann – Abend verfasste.