Wo ist die Zeit ? / Telegram Sam iss tot

…..

…..

Was ist wichtig? Was ist schnell? Wer kommt noch schneller? Und doch nicht zu früh.

*

Man kann auf vieles verzichten. Was davon wird vermisst? „deine oma ist gestern gestorben. bitte anrufen!“

*

Ein Telegramm konnte man anfassen. Eine SMS nicht mehr. Ein Telegramm hing länger mal an einer meiner Wände.

*

Trennung per Telegramm? Gab es, soweit ich weiß, nicht. Zwischen dem Telegramm und Dir vermittelte ein menschliches Wesen. Zwischen der SMS und dem Empfänger: nur Du. Verlust.

*

„ankomme gleich. In liebe.“ Und trotzdem bleibt noch genügend Zeit die Wohnung aufzuräumen. Auch wenn die nur ein Zimmer war. Was ist wichtig? Braucht man schneller als schnell? Zeitlose Zeit. Schnappatmung.

*

Wo ist die Zeit? / Die Kakerlake Keef

…..

…..

Wenn ein Prominenter und dann auch noch eine, wie die bedenkenlos nachplappernde Journaille in und außerhalb der Netze gerne schreibt, „Legende“ Geburtstag hat oder gar stirbt, purzeln die ewig wiedergekäuten Bonmots aus den Tastaturen. Aber dieses „gute Wort“ ist dann doch zu hübsch, um hagestolz ignoriert zu werden:

*

„Den nächsten Atomkrieg überleben nur die Kakerlaken und Keith Richards!“

*

Heute hat „Keef“ Geburtstag und auch noch Hochzeitstag. Möge der ewige Blues ihm treuer Begleiter bleiben. Und der Anblick dieser verwachsenen, verwundeten, wieder zusammengewachsenen Hände macht mich jedes Mal fertig. Aber vielleicht geht es darum. Das Ganze einfach durchstehen.

*

Als mich die letzten Tage Mr Covid umgeschmissen hatte, las ich Lesley – Ann Jones‘ „The Stone Age“. Ein sehr lesenswertes Buch über 60 Jahre Rolling Stones. Die Autorin lässt keine Arschlöchrigkeit der Bandmitglieder aus. Und davon gibt es unzählige. Die Wirkung ihrer Musik aber bleibt. Über Qualität oder Nicht – Qualität mögen andere urteilen, die sich dazu berufen fühlen. Und dieses schöne Zitat merkte ich mir noch: „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land. Man macht die Dinge anders dort.“

*

Damit wären wir bei „Vernichten“ von Michel Houellebecq. Die zweite Covid – Lektüre. Davon demnächst.

…..

…..

Wo ist die Zeit? / Endlich Weltmeistern

…..

Thomas Müller / Manuel Neuer / Hansi Flick / oben Jogi Löw / 11.10.2022 / Schaufenster in KN

…..

Entschuldigung. Hallo. Die Chancen. Der Pfosten. Die Latte. Die Spanier. Die Japaner. Wo liegt eigentlich Costa Rica. Oder Bremen. Können Zahnlücken die Nation retten. Oder gar Kiel. Entschuldigung. Bremen. Entschuldigung. Wir waren kurz davor bis ans Ende aller Tage Weltmeister zu bleiben. Statt zu werden. Haben die 9 wieder entdeckt. Dann wurde sogar der götzliche Mario einverwechselt. Der Krug geht so lange zum Zahnarzt bis man davon berichtet. Nein. Das darf man sich doch schenken. Als ewiger Weltmeisterer.

*

Nein. Niemals nie nicht zynisch werden und so tun, als wären die Pöhlerei und das Feuilleton irgendwie miteinander verwandt. Die BILD von gestern ist der Bildmann von morgen. Ick freue mir über verdiente Enttäuschungen.

*

Roberto von Moralia und Nancy Faeser haben Katar gezeigt wo der Hammer hängt. Her mit dem Gas! Frieren ist kein Spaß! Kicken ohne Müller? Wird Annalena dem Finale beiwohnen? Verhandeln in Sachen Außenmeniskus?

*

Ich weiß nicht warum, aber offensichtlich ist krachendes Scheitern in diesem unserem Lande keine Option mehr für einen Wechsel. Sondern im Gegenteil. Heiter und weiter auf der eigenen Leiter. Jogi, please kamm beck.

…..

Bei Kardamili in Griechenland am Strand im Juni 2018 / Erstmal zu Penny

…..

Wo ist die Zeit / Hendrix beinahe 80

…..

…..

Das Geld für drei Platten hatte ich zusammengebracht zu meinem 16. Geburtstag. Einmal von Mama, dann erspartes Eigenkapital und noch ein Geschenk von Klassenkameraden, vor allem *innen, die zusammengelegt hatten. Also auf zu Bertelsmann, obwohl die Auswahl da doch leicht eingeschränkt war in Sachen, was wichtig war in jenen Tagen. Aber da gab es auch noch Rabatt, weil die Eltern seit Jahren Abonnenten waren. Lesezirkel hieß das, meine ich mich zu erinnern. Begleitet wurde ich von zwei Klassenkameradinnen. Hinter der Einen war ich schon seit einiger Zeit hinterher. Als sie mich dann im Jahre drauf auf einer Südtiroler Landschulheimwiese erhören sollte? Eigentor. Die Andere war die beste Freundin der Einen. Und dann gab es noch eine Dritte. Und mehr Mädels waren zu der Zeit nicht in unserer Klasse. Dann noch, je nach Lage in Sachen Auf- oder Abstieg, um die zwanzig Buben.

*

So eine Art Tresen. Barhocker. Man konnte sich die Platten anhören. Zwei oder drei Hörplätze mit zwei bis drei Kopfhörern. Riesenteile. Weich und manchmal was klebrig und garantiert nicht desinfiziert. Als erstes „Derek and the Dominos“. War klar. Das große Liebesjammern von Eric Clapton. Layla und die anderen klagenden und bettelnden „assorted“ Lovesongs. Auf den Knien. Grauenhafte Selbstentäußerung eigentlich. Aber da konnte sich der Bub in seine unerfüllten Sehnsüchte reinfallen lassen. Immer die schwer bis nicht Erreichbaren im Visier. Als ob er Niederlagen als Ersatz für die Bestätigung herbeirufen müsse. Das manchmal ebenso lange Jahre lang eine Dritte, hier sogar die Dritte, entflammt am Rande der Tanzfläche stand, erfährt der Bub vielleicht beim 30 – jährigen Abiturtreffen. Zu spät und ein bisserl kokett.

*

Ok. Aber jetzt musste noch der vermeintlich „harte Kerle“ in dir bedient werden. Black Sabbath. Paranoid. Gleich der erste Song War Pigs trifft. Mehrere Fliegen sind geschlagen. Mit der plakativen Wut auf die Kriegsschweine ist einiges unter den Hut zu bringen. Der junge Maoist. Der Pazifist. Natürlich mit der revolutionären Knarre in der Hand. Der Sohn eines armen Soldaten. Der kleine Träumer. Der Selbstzweifler. Der Klassen(laut)sprecher. Und die noch nicht entdeckte Wut, ein treuer Begleiter später. Man steht aber auf der richtigen Seite. Rein in die Tüte.

*

Und dann ist da noch der Schwarze Mann. Der akkurat getrimmte Wuschelkopf. Das schreiend bunte Hemd. Und der verliebt gesenkte, fast schon meditative Blick auf seine Gitarre. Aber die hängt doch falsch rum am Musikus. Warum? „Der ist Linkshänder!“ Ich doch auch. Eigentlich. Aber wir wurden bei der Einschulung umgepolt. „Gib dem Onkel die rechte, nicht die böse Hand!“ Was wissen die schon! Was weiss ich schon? Jimi Hendrix und seine Bande der Zigeuner antwortet. Und dann das damals überhaupt nicht nachvollziehbare Anfangsgeschrammel von Machine Gun. Was ist das denn für ein Instrument? Bass, Gitarre, Drums gemeinsam in einem undurchdringbarem TschakaTschakaRumms. Die Wucht dieses ersten Hörens, die mich noch öfters einholen sollte, habe ich nie mehr vergessen.

*

„Who Knows“

They don’t know

They don’t know

Like I know

Like I know

Do you know

They don’t know

I don’t know

I don’t know

*

Etliche Jahre später las ich mal, dass Hendrix ein großer Dylan – Verehrer war. Er rieb gerne den, dann die Augen verdrehenden Soul Sisters oder Brothers, die drei Zentralwerke Subterranean Homesickblues, Highway 61 revisited und Blonde on Blonde unter die Nase. Las ich.

*

Was für ein schönes Cover der Tränen des Zorns. Und eine Feier der Kraft einfacher Musik. Wenn sie nicht aufhört zu träumen, naiv bleibt und halt Musik macht. Also die Musik. Oder so. Am besten im ewigen Hotelzimmer. Nicht perfekt werden wollen. Was wissen wir schon. And life is brief.

…..

…..

Wo ist die Zeit / Tschö Quatschkiste!

…..

Leipzig / 22. August 2010

…..

Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder du warst drinnen oder draußen. So wie bei M. oder C. oder B. oder M. Nicht zu vergessen A. B. war unerreichbar. Die wichtigste aber: T. Sie war der Schlüssel. Sie war in der Lage Entscheidungen zu forcieren. Drinnen oder draußen. Warst du drinnen, schlug es gegen die verschmierte Glastüre. Warst du draußen und dein Bedürfnis jetzt und sofort drinnen sein zu müssen schrie durch die neblige Nacht, könnte es geschehen, dass du an der Pforte gerüttelt hast, ungeduldige Tritte und auch, die Türe aufgerissen, die bekiffte oder anderweitig aufgeladene Hand am Kragen des dauertelefonierenden Vorgängers sich festfraß. Drinnen dann stank es. Pisse. Unverdautes. Undefinierbares. Natürlich hattest du die Nummer der göttlichen S. vergessen und ihre etwa achthundert anderen Anbeter haben selbstredend diese Seite aus dem klebrigen Telefonbuch gerissen. Oder sich darauf … ja … auch danach roch es manchmal. Du versuchst die Fassung zu bewahren, die GÖTTLICHE wohnt ja noch bei ihren Eltern und vielleicht waren es nur Kunden, Geschäftspartner. Und das letzte Zehnerle? Wo ist es nur? Dieses eklige Klicken in der Leitung, welches euch trennt, bevor es zur Vereinigung kam, du wirst es nie mehr vergessen. Und du hattest ihr doch schon den Rest der Nacht aus den Rippen gequatscht, obwohl sie morgen früh eine Mathearbeit schreiben musste. Ihr Bruder hatte dir, gegen fünf Gramm afghanisches Zeugs, den Kellerschlüssel besorgt, um am Papa Zerberus vorbei in ihre Höhle schleichen zu dürfen. Jetzt hast du mich verlassen. Du Schlampe T.

*

Zwanzig Jahre später. Köln. Südstadt. Zwischen M. und S. Drei Umzüge in zwei Monaten. Zu Hause liegt die Mutter in der Klinik. Kein einfacher Eingriff. Proben in Aachen. Hin. Her. Und hin. S. ringt dir ein unnötiges Eheversprechen ab. Sie ist nun mal nicht die S. von damals. Egal. Jeden Abend das Bulletin abtelefonieren. Sohnespflicht. Ecke Alteburger / Teutoburger. Januar. Arschkalt. Gab es damals noch. Jetzt gehen auch Markstücke in den Schlitz. Immer einen Sack voll dabei. Erkläre dem besoffenen Arsch do drusse, dat et jrad wichtich ess. Blaues Auge. Dann ins Backes. Die zukünftige Kurzzeitgattin besorgt sich ein Mobiltelefon. 1995 noch wegweisend. Hätte ich mal besser T. geheiratet.

*

Heute lese ich, dass die Bundespost, die es ja auch nicht mehr gibt, die letzten Telefonzellen plattmacht. Unwiderrufend. Ich bin traurig. Mach es gut, T., alte Geliebte. They paved paradise.

…..

…..

Wo ist die Zeit? / Es grünt so grün und im Hintergrund wird wer erschossen

…..

Hamburg / Lange Reihe / September 2021

…..

*

Heute werden im westmauretanischen Bad Finsterloh am blauen Nil die Weltmeisterschaften im Wetthäkeln angepfiffen. Gegen den erbitterten Widerstand aller Antigenderer und Transhysteriker hatte vor nun bald 10 bis zwanzig Jahren die damalige Infantin Angela von Notizien durchgesetzt, dass dieses die Welt in Atem haltende Turnier eben nicht wie tradiert auf einem Sofa irgendwo in Thüringen oder Oberfranken stattfinden soll, sondern, nein in den weiten, winddurchtosten Steppen der globalen Müden. Nur wer im Gebrause der internationalen Winde seine Häkelnadeln festhalten könne und Schlaufe um Schlaufe sich nach oben arbeite, habe den Titel des bedeutendsten Sportereignisses aller Welten verdient. Sagte die Infantin, stampfte auf, dass man die Erschütterungen selbst im fernen Bronchistan noch wahrnehmen konnte.  Und es war gut so. Erste Stimmen.

*

Gustavio Weichensteller, der erste Mann, der mit Sondergenehmigung teilnehmen darf: „In unserem Team packen wir uns alle begeistert in den Schritt. Meint Gott, was da an Spannung zu spüren ist!“

Defne Hortensia Abdullah Schmidt (Geheimfavoritin): „Ich möchte einfach nur der Infantin danken!“

Zensi Bauerfeind von Balderschwang, Trainerin des niederbayrischen Häkelteams mit Außenseiterchancen: „Eine Frage nur? Was macht der Hund dahinten in der Garderobenecken? Wern die do verspeist? Und wo bleim unsre Masskrüge?“

Scheich Mohammad Seppi Al Zuristan: „Hurenglatt das Ding. Und wer sich mir von hinten nähert, den werden die Dolche des Propheten ein Organ kürzer machen!“

Donald Trump, Ermöglicher: „Ich hoffe die Welt ist sich bewusst, wem sie dieses Turnier zu verdanken hat. Make Makramee great again!“

*

Leider, wie der Presse zu entnehmen war, weigern sich einige unverbesserliche Pessimisten und Gastronomen das Häkelturnier zu übertragen und häkeln … mäkeln … ständig rum und so. Wegen dem Wind und daß der Nil da schon morgens blau sei und weil die eh immer schlecht drauf sind.

*

„Rassistenpack, elendes!“ So eine Stimme aus den Reihen der IHK (Internationale Häkel Kader / kein Verein)

*

Nun aber hat der hessische Sport- und Unterhaltungsminister Mehmet „das“ Scholz ein kostengünstiges Schoppekicker – Turnier organisiert. Gleich um die Ecke. Man spare Heizkosten und die da unten könnten so was lernen. Und dem Volke, gebeutelt von Viren, Kriegen und überteuertem alkoholfreien Glühwein, biete man eine preiswerte Alternative. Nichts sei schlimmer als die Langeweile. Schalten wir also – siehe unten – einfach mal ins Stadion „Ahle Woscht“. Da steppen die Kamele. Sportsfreunde! Stimmen wir ein: „Zicke Zacke Zicke Zacke Inschallah und Hühnerkacke.“

…..

Konstanz / Stadion am Tannenhof / August 2020

…..

Wo ist die Zeit? / Es gibt sie doch noch!

…..

Gießen / Mittelhessen / Eben am 15. November 2022

…..

Bob Dylan hat ein neues Buch geschrieben. Darüber sollte ich nachdenken.

*

„Bob Dylan hat ein neues Buch geschrieben. Für jemanden, den der „Meister“, wie ihn manche in der Anhängerschar etwas übertrieben bezeichnen, ein Leben lang mit seinen Songs und Texten begleitet hat, ist dies ein klarer Auftrag: auf zur Buchhändlerin des Vertrauens. Diese sagt dann: „Ich wusste gar nicht, dass Bob Dylan auch Bücher schreibt? Was ist das für ein Buch?“

Tja. Was ist das für ein Buch? „Die Philosophie des modernen Songs“ erschien am 2. November, C.H. Beck – Verlag, kostet € 35.- und hat 350 prall gefüllte Seiten. Worte. Bilder. Anregungen. Irritationen. Klarstellungen. Überraschungen. Erst mal halt ein Buch.

Ist es ein wissenschaftliches Buch? Die Philosophie im Titel mag es suggerieren. Nein, mit Wissenschaft hat Dylan nichts am Hut, ganz im Gegenteil. Meist ist er selbst Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen. Seit je her wird er kategorisiert, eingeordnet, gerne überhöht. In den Feuilletons der Welt herrscht da ein wilder Wettstreit in Sachen Bedeutungshuberei. Es gab sogar schon Bob-Dylan-Kongresse, etwa 2006 in Frankfurt. Eindringen will man in Dylans opulente Lied – und Bilderwelt und sie verstehen seine, ja, Kunst. Er schreibt dazu: „Songs, wie jedes andere Kunstwerk, streben auch sie nicht danach verstanden zu werden. Kunst kann man schätzen oder interpretieren, aber nur ganz selten gibt es dabei etwas zu verstehen.“  So geht er auch vor in seinem, sagen wir mal, Liederbuch. 66, hinter dieser Zahl könnte man ein sprechendes Geheimnis vermuten, 66 Songs hat er ausgesucht. Die werden meist in zwei Teilen „beschrieben“. Zuerst nimmt er den Leser an der Hand, macht ihn zu einem Du und assoziiert sich mit ihm durch den Song. „In diesem Song bist du der verlorene Sohn. Gestern bist du in Detroit ins Bett gegangen. Heute Morgen hast du verschlafen. Hast dir über deine Mutter Gedanken gemacht, deinen alten Papa vor dir gesehen. Jetzt willst du wieder nach Hause.“ Der ursprüngliche Songtext mutiert zur Fiktion. Mit überraschender Saugkraft. Dann folgt ein zweiter Teil. Eine historische, soziologische oder biographische Vertiefung. Wahlweise. „Als der Song entstand war Detroit ein angesagter Ort. Neue Jobs, neue Hoffnungen, neue Gelegenheiten. Und deshalb wirken Träume wie der von Bobby Bare heute noch genauso wahr wie an dem Tag, an dem er ihn zum ersten Mal besang.“ Schreibt er, um dem Leser wenige Sätze später gleich wieder den Löffel des Bescheidwissens aus der Hand zu hauen. „Wieso denkt man, ein Sänger würde plötzlich eine Wahrheit offenbaren, wenn er in einem Song eine Geschichte erzählt?“

Vielleicht ist es aber auch gar kein Buch, sondern eine Jukebox? Genauso wie man Dylans Lieder lesen kann und auch sollte, kann man dieses Buch hören. Man sitzt in einer Kneipe mit alten Weggefährten, raucht, trinkt, wer Kleingeld hat, geht rüber zur Jukebox. Noch ein Lied. Man redet nicht viel. Man hört zu und reist zurück. Wie das halt so ist mit Songs. 90 Prozent von dem was man hört, ist meist nicht der Song selbst, sondern eine Erinnerung. Das was man mit dem Lied verbindet. Gelungene Liebe. Gescheitere Liebe. Gelungene Feten. Einsame Abende. Johnny Cash, Judy Garland, The Who, The Clash, Little Richard, Nina Simone, Frank Sinatra, natürlich Elvis und viele, viele Unbekannte stehen um Euren Tisch herum und erzählen die eine Geschichte. Und Bob Dylan spinnt sie am Nebentisch weiter. „Was zählt, sind die Gefühle, die ein Song bei seinen Hörern in Hinblick auf das eigene Leben hervorruft.“ Damit meint er nicht die Gefühle, welche ein lokaler Radiosender seinen Hörern zurückgeben möchte. Die hier versammelten Songs reden vom Tod, Niederlagen, all den lebensnotwendigen Irrtümern, den Tränen, der Wut, aber auch von der Hoffnung und den guten Nächten. Auch vom Krieg aber. Dann wird er doch philosophisch, wenn er sich Edwin Starrs „War“ anschaut. „Warum ist etwas unmoralisch, wenn man verliert, aber nicht, wenn man gewinnt?“ Ist es am Ende ein politisches Buch?

Über Bob Dylan zu schreiben birgt stets die Gefahr auf Bob Dylan reinzufallen. Oder wie Sam Shepard einst über das Chamäleon schrieb: „Wenn ein Rätsel gelöst wird, kommt der Fall zu den Akten. In diesem Fall, Dylans Fall, gibt’s keine Lösung des Rätsels, also beschäftigt der Fall weiter.“ Und das ist, wie bei vielen Songs des „Meisters“, auch Qualität und Merkmal dieses Buches. Es gibt sie nicht, die eine Antwort. „Kunst ist keine Übereinkunft! Geld ist Übereinkunft! Ich mag Caravaggio, du magst Basquiat. Beide mögen wir Frida Kahlo, aber Warhol lässt uns kalt. Kunst gedeiht durch solche lebendigen Auseinandersetzungen.“ Schreibt er im Zusammenhang mit „Money Honey!“ von Elvis Presley, den der junge Robert Zimmermann anbetete.

Vielleicht ist „Die Philosophie des modernen Songs“ einfach nur ein Reiseführer, der Türen öffnet. Augen und Ohren dazu. Ähnlich der Radiosendung „Theme Time Radio Hour“, die Dylan vor 10 Jahren moderierte und seine Hörer durch einen riesigen Fundus musikalischer Erinnerungen führte, anregte Vergessenes oder nie Gekanntes zu suchen. Oder ein Fragenkatalog, dem die Antwort weniger bedeutet als die Frage? Dylan war immer ein Reisender. Er schickt seine Lieder in der Welt herum. Spielt immer noch jedes Jahr bald hundert Konzerte. „Das Gute am Unterwegssein ist, dass man sich nicht verzettelt. Nicht mal mit schlechten Nachrichten. Du bereitest anderen Menschen Vergnügen und behältst deinen Kummer für dich.“

Was war noch die Frage? Ja, es ist ein gutes Buch. Eine Art Nachschlagewerk. Mit vielen wunderbaren Bilder. Ein Liederbilderbuch. Man kann es guten Mutes kaufen.“

*

Wird, hoffentlich nicht zu kastriert, bald in der Zeitung lesbar sein. Solange ein Lied vom Reisen.

*

Update 18.11.

…..

…..

Wo ist die Zeit? / Kölle Alaaf Alaaf

…..

Lindenberg (Allgäu) / 10. Oktober 2022

…..

„Leev Jecke! Mr bitte üch nit inne Hauseinjänge zu urinieren. Un auch nit dort Kacka zu maache. Un wer auch immer meinen täte, er müsse durch den U – Bahntunnel stolpere, der hätt doch einen anner nit vorhandenen Waffel!“

*

Auftritt Frau Oberbürgermeisterin. Man möge Ihr und Ihrer Stadt bitte nicht vorschrivve, wie mr der Fastelovend fiere donn. Aha, sie spricht die Sprache der Eingeborenen. Die Mehrzahl der angereisten Entgrenzten (Sind Sie das?) versteht kein Wort davon. Sitzen sie doch schon seit Stunden in den, die Domstadt umzingelnden, überfüllten Vortortzügen. Inklusive ICEs. Mal was erleben. Ey und sorry! Man kann doch auch schon mal vor 11 Uhr Elf watt breiti sein. Beobachter fragen sich besorgt: sind auch Mittelhessen unter den Opfern? Oder Bayern? Oder gar Chinesen? Düsseldorfer gar? Erstaunlicherweise beherrschen die Besucher aber etliche Liedtexte der Einheimischen. Die Perücken verrutschen kaum. Die eingemeindeten Moderatoren der überhitzten Veranstaltung jubeln sich einen in die Büx.

*

Habe länger in Nippes gewohnt. Da wurde am 11.11. auf dem Wilhelmsplatz zwei Stunden früher, sprich 9 Uhr Elf die Session eröffnet. Ein Kölsch rechts und eines links und die Hände zum Himmel. Geht auch. Auf dem Walkman lief: „Lasst doch der Jugend, der Jugend ihren Lauf!“ Gelegentlich traf man eine Kielerin oder einen Ulmer. Seltener Transsilvaner*innen.

*

Die letzten zwei oder drei Jahre haben nicht ein Volk ausgehungert, sondern vielleicht ein vollkommen absurdes Anspruchsdenken weiter aufgeblasen. Vielleicht fast schon ausgeblasen. Ich habe ein Recht, weil erzwungener Verzicht iss nich. Sagen die Gäste.

*

Zurück nach Kölle. Mr lasse uns nit verzälle, wie dat mit dem fiere jeht, wenn der Schwaadlapp uch noch von drusse kütt. Sagt die OB. Zurück zum Besucher. Hey, kann mal wer der Tante erzählen, ich will mich hier einfach ordentlich wegtanken? Wie heißt die Stadt hier bitte? Solingen oder so?

*

Erinnere mich an ein oder zwei Sessionen in den Neunzigern. Da zogen Trupps mit Baseballschlägern durch die Stadt und nach dem Aschermittwoch gab es keine intakten Telefonzellen mehr. Hat sich später die Post zum Vorbild genommen und den Rest plattgemaat. Un wenn du drisse häs müsse, dann bisse halt innet Jebüsch. Kölsche Anarchie.

*

Wir hatten, nach vollzogen ungezogener Entleerung zu benutzen, stets einen Sixpack Kölnisch Wasser in den weiten Taschen der Clownsgewänder dabei. Kurz mal dröver jesprüht und die liebe Seele hatte ihre Ruhe und jubelte ein befreites Doppel – Alaaf in den einst noch etwas kühleren Novemberhimmel.  Und die Stadt roch angenehmer. Kölsche Ordnung.

*

Sonst? Ich mochte dat Jetrommel. Das Taumeln. Inklusive begrenzter Entgrenzungen. Tja. Wie alles, wird wohl auch grade der Karneval seiner Geschichte beraubt. Evver solang der Rubel rollt, iss auch dat drissegal.

*

Die kölsche Verlogenheit und selbstvergessen masturbative Sentimentalität haut mich jedes Jahr wieder um. Trotzdem schalte ich an diesem Tag den WDR ein und höre mir den alten und wohl noch immer geliebten Driss an.

*

Man bereit sich wahrscheinlich so auf Katar vor. Nee, wat iss et schön sich die Täsche voll zu lüje. Su janz solidarisch. Arsch runger. De Schnüss haale.

…..

…..