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Eisschollen knacken
Hoffnungsfrohes Erwachen
Öffne das Fenster
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Die Amsel schlägt an
Mag sie alleine singen
Ein Spiegelei brät
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Erinnerungen
So ein Tag so wunderschön
Schmiede einen Vers
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Texte. Vergessen, wiedergefunden, wiedergekäut. Neues aber auch. Autor: Christian Lugerth
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Eisschollen knacken
Hoffnungsfrohes Erwachen
Öffne das Fenster
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Die Amsel schlägt an
Mag sie alleine singen
Ein Spiegelei brät
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Erinnerungen
So ein Tag so wunderschön
Schmiede einen Vers
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… ein Blick zum Himmel und in den Kopf / fünf
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Seit vier Wochen jeden Sonntag ein Blick in den Himmel im Kopf. Stelle mir vor, ich begebe mich in den Winterschlaf wie ein Bär. Erwache erst, wenn der ganze Mist vorüber. Träume mich durch alte Lieder. Ab und an hebe ich ein Augenlid, blicke in den Himmel und schaue nach, ob es sich lohnt, mich wieder zu bewegen. Jeden Sonntag. Seit vier Wochen.
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ich hatte gestern
immer wieder den zweifel
dieser zweifel
das zweifeln
ob
ob das
oder aber eher nicht
nein
leg dich wieder hin
hinlegen wieder
nicht neues
in der nacht bleiben
haften
haftenbleiben
nichts mehr umlegen
keine schalter
keine bewegung
wohnen bleiben
und godot soll bleiben wo auch immer
weg
ich warte nicht mehr
nichts umlegen kein
kein neuer morgen
keiner mehr mehr
keine neuen pferde
kein ritt in die untergehenden sonnen
kein neues pony
wie lange noch
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oder: Merkenau, wie sie singt und lacht
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Wenn Pflückebeutel hinter sich gebracht
Den kalten Tag und für die Nacht
Bezieht die kahlen Schlafesbäume
Ereilen manchmal böse Träume
Ihn von Städten oder Auen
Auf die im Flug hinunterschauen
Er konnte wohl in diesen Tagen
Wie in die Lüfte stiegen Klagen
Ihm unter seine schwarzen Schwingen
Davon könnt er ein Liedlein singen
Die Klage ist ein Elixier
Dem Menschen wohl und darum hier
Ein Reim gereimt zur Fassenacht
Und dann Gut‘ Nacht Habt acht!
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Es klagt und jammert Deutscher Michel
Mal Reichkriegsflagge mit Hammer Sichel
Grün oder schwarz auch liberal
Ach wie schön war’s dunnemal
Lechts oder rinks es ist egal
Germanenleben, welche Qual
Es singen nicht nur Onkels, Tanten
Auch alle and’ren Anverwandten
Selbst Michaela klaget mit
Denn Klagen ist ein Quotenhit
Es netzen ein ins Jammertal
Die Medien sich ach so sozial
Auch Deutschlands Funk und Schlaugazetten
Nicht nur die trivialen Blätter wetten,
Preisen aus, daß eine geile
Lauthals klagend` Titelzeile
Fühlt die Kassen und die Herzen
Singen wir von deutschen Schmerzen
Turbo stampft das Kapital
Der linken Rentner täglich Qual
Die wohl beheizt in großen Räumen
Von Revolutionen träumen
Tun, während die Gegenseite
Der Merkel gern den Gang bereite
An den Galgen heute noch
In vielen Hirnen schärt das Loch
Ich oh ich, ich leide doch
Mal ist`s zu kalt, dann viel zu warm
Und man entdeckt den eig`nen Darm
Dort wüten Pilze, Viren, Sporen
Die Freiheit, die ist auch verloren
Und wegen Schweinchen Corona
Komm ich nicht den Stränden nah
Es stehen an den Hängen Pisten
Dichtgedrängte Skiautisten
Die Kicker dürfen zum Frisöre
Singen uns die Medienchöre
Es klagt der Porsche klagt der Trabi
Es klagt sich mit und ohne Abi
Ausdauernd und tausendmal
Dreimal Helau im leeren Saal
Und ein Alaaf dahin geschmettert
Danach wird weiter dann gewettert
Jetzt auch noch Schnee
Ohjeminee
Keiner sieht mein Herzensweh
Die Welt die ist so ungerecht
Und mir ist schlecht wie weiland Brecht
Als er sprach
Mit Weh und Ach
Des Menschen Schicksal ist der Mensch
Ich aber Keiner niemals Täter
Stets ein Opfer nie Verräter
Aufrecht edel ohne Fehl
Ob Frau, ob Mann
Was bin ich dann
Tja eigentlich bin ich ganz anders
Komm selten nur dazu
Ene mene blinde Kuh
Ein Ho Narro
Ein letztes noch
Es pfeift auf seinem letzten Loch
Germania so wunderbar
Der Klage sei ein Trullala
Trulalla Trullala
Der Klage sei ein Trullala
Trullalaaaaaaaaaaa …
(Pflückebeutel schläft ein und träumt von der holden Merkenau)
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Am nächsten Morgen bitterkalt
Fliegt Pflückebeutel in den Wald
Dort ist es still
So Gott es will
Doch leider nicht gedeckt die Tafel
Zurück zur Stadt trotz des Geschwafels
Es quellen über ohne Zahl
Müllbehälter freie Wahl
Solang trotz Klagen füllen seinen Magen
All die Reste der Klagefeste
Mag er nichts sagen
Und kackt gerne
Unter Menschenbäume weiße Sterne
Und dies nicht nur zur Weihnachtszeit
Allzeit bereit
Und Merkenau
Die krächzt: Genau!
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PS: Plückebeutel ist der Fabelname des Raben. Besserwisserisch, diebisch, dumm, eitel, sagt man, sei er. Nennt man ihn Merkenau, ist es eine Krähe. Die sei naiv und leichtgläubig, behaupten die Fabulierer. Lassen wir das mal so dahingestellt sein.
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„Der Vater war 44, als er sich aufhängte. Als ich endlich 45 war, war ich froh. Ich hatte ihn nicht umgebracht, doch ich war älter geworden als er, immerhin. Etappenziel erreicht.“ (Bov Bjerg / Serpentinen)
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So empfand ich am 11. Mai 2004. Nun war ich also älter geworden als der, der mein Vater war. Heute ist es 48 Jahre her, daß er gehen musste, gehen wollte, einfach ging, grußlos. Mit 48 Jahren.
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Bücher wählt man nicht aus, sie suchen Dich. Davon bin ich überzeugt. In meinem privaten, aber auch dienstlichen Leben (ist eh ein und dasselbe!) liefen mir ziemlich gehäuft Bücher über den Weg, die zum Thema hatten Tod, Schmerz, Trauer, die Unfähigkeit dazu, Erinnerungsversuche der Hinterbliebenen, Verarbeitungsversuche der schmerzlich Alleingelassenen. Es brauchte eine Zeit, bis mir die Gedanken aus fremder Feder zu einer Hilfe werden konnten. Fremder Schmerz kann manchmal als aufdringlich empfunden werden, relativiert er doch das eigene, als einzigartig definierte Leiden. Schnell weist man eine aus tiefem Herzen gut gemeinte Empfehlung – „Das mußt Du lesen!“ – als unangemessen zurück. Igelt sich ein. Das ist nicht nötig. Viele meiner Bücher sind Geschenke guter Freunde. Die meisten Bücher aber erwarb ich auf Grund der Lektüre von Querverweisen. Jedes Buch weist auf ein nächstes hin.
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„Der Vater ging voraus, und ich ging hinterher. Im Esszimmer stand ein Kofferradio. Es spielte ein einziges Lied: „Ja Grüezi wohl Frau Stirnimaa, säged Si wie läbed Si, wie Si Si au so draa? Grüezi wohl Frau Stirnimaa, säged Si wie läbed Si, wie gaht’s dänn Ihrem Maa?“
Das Radio spielte ein einziges Lied, die ganze Zeit, und der Vater ging die ganze Zeit um den Tisch herum, und ich ging die ganze Zeit hinterher.“ (Bov Bjerg / Serpentinen)
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Ich liebe die Koinzidenz. Kurz vor Weihnachten stieß auf Bov Bjergs `Serpentinen`. War mir bis jetzt komplett unbekannt. Zu Weihnachten schenkte mir die Schwester Bjergs `Auerhaus`. Ich las die Bücher mit großer Freude, bewegt und aber auch mit Vergnügen. Eine karge, klare Sprache. Humor. Wut auch. Keine Larmoyanz. Kein Blabla.
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Wie soll man es benennen? Selbstmord? Klingt immer noch die Straftat nach, katholisch verboten. Begrabt den Täter vor den Mauern des Gottesackers. Suizid? Eine technokratisch klingendes Fluchtwort. Man vermeidet den Schmerz. Etwas, was das eigene Leben bedrohen könnte. Kein Ausdruck für Betroffene. Selbsttötung? In meinen Ohren ungelenk. Als sei es ein Unfall, ein Zufall gar gewesen. Hand an sich legen? Wie bitte? Der letzte große Abgang, die ultimative Masturbation? Nee. Vielleicht einfach sagen, wie es geschah. Er warf sich vor den Zug. Sie nahm Tabletten. Er erschoß sich. Sie schlitzte sich die Pulsadern auf. Er erhängte sich. Wahrscheinlich das Beste. Oft sehr oft, wurde ich gefragt, sagte ich, mein Vater starb sehr jung. Oder: er ging mit 48. Je nach Gegenüber. Heute meist: Er hat sich aufgehängt.
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„Frieder dachte den ganzen Tag nach. Wenn er was rausgefunden hatte, sah er mich kurz an, als ob er auf eine Einladung wartete. Dann sagte ich „Und?“, und Frieder sagte, was er rausgefunden hatte.
Ich sagte:“Und?“
Frieder sagte: „Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied.““ (Bov Bjerg / Auerhaus)
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Was bleibt? Ein Arschloch wie 1 m Feldweg (aus Auerhaus) oder Du fehlst? Es ist gut, wenn man beides aushalten kann.
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„Frieder sagte: „Das Saufen schiebt den Suizid raus. Manchmal so weit, daß man am Saufen stirbt.“
„Ich sagte: „Der Imiglykos.“
„Frieder sagte: „Kann sein.“ (Bov Bjerg / Auerhaus)
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Kein Holz im Schuppen
Die Winde drehen auf Nord
Die Spatzen füttern
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Der Frost spaltet einen Baum
Die Kraniche kehren um
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Gefrorener Weg
Der Krokus lässt sich noch Zeit
Jetzt das Beil schärfen
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Auf dem Eis tanzt ein Esel
Bezähme die Ungeduld
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In den alten Almanachen
Schlafen tausend müde Drachen
Zahnlos kalt sind ihre Rachen
Während uns’re Red’ verflacht
Habt acht! Habt Acht!
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Würden jemals sie erwachen
Ihren Zorn vertausendfachen
Die Blinden pfeifend weitermachen
Auf den Zinnen keine Wacht
Zu spät oh Freund. Dies mit Bedacht
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Wer wird den nächsten Sturm entfachen
Alle Sicherheiten krachen
Ins Bodenlose und verlachen
Was wohlfeil ward in Anbetracht
Gold’nem Kälbertanz erdacht
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Und wenn sie dich erstachen
Bevor sie sprachen
Wohlbedacht
Dir noch eine Nacht
Vor jener Schlacht
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Dann ohne Fracht
Hinaus
Es brennt Dein Haus
Habt acht!
Wer lacht zur Nacht?
Es sind die Raben
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(sommer 2015 / überarbeitet)
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… wie teuer die Liebe sein mag
Nie wieder wecken den Tag
(Teil 4)
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Manchmal, vor allem in den ersten zwei Jahren der Ausbildung, bekam der Provinzler Besuch aus der alten Heimat. Pflichtprogramm war dann eine ausgiebige Kneipentour. Euphorie und Stolz: auch ich nun in einer Großen Stadt. Immer ein Muß auf der Tour: das BLUE SHELL. Eine Erinnerung: Frühes Nachmittagskölsch. Mehrere. Die Eingangstüre, Doppeltüre, schwingt sich auf, herein fährt „De Plaat“ aka Onkel Jürgen aka Zeltinger auf einem Minimotorrad. Parkt am Tresen rechterhand des Eingangs. Bestellt lauthals Getränke und ruft dann in den noch recht leeren Saal – mit Blick auf seine feingliedrigen Jungs, die meist in seinem Schlepptau auftauchten – außerdem hätte er noch gerne was zum f….! Sofort! Meiner Begleitung fiel die süddeutsche Kinnlade runter. Mir auch, aber als neugeborener Ex – Provinzler tat ich professionell unüberrascht. Mochte diesen Laden sehr. Noch eine Erinnerung: saß hier oft mit C., die sich dort wohler fühlte als in den Kaschemmen der Südstadt, die meist die 70er nicht hinter sich lassen wollten oder konnten.
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C. war in meiner Schauspielschulklasse. Sie spielte im Speckhut mit. Die jüngste Prostituierte. Wir schlichen eine Zeitlang um einander herum, waren beide liiert, so fest, wie man das damals halt war. In diesem Sommer, auch über die hitzigen Proben, fanden wir zusammen und blieben es fast sechs Jahren lang im steten Auf und ab. Nach wenigen Wochen war sie schwanger. Von wem? Wohl ich. Hoffentlich. Gemeinsam entschieden wir den Abbruch. Ich war dabei. Hielt Hand, als das kleine blutige Ding entsorgt wurde. War es vor oder nach der Premiere, ich weiß nicht mehr. C., zäh wie sie war, stand wenig später wieder auf der Bühne. Die Sommerferien verbrachten wir getrennt. Mißverständnisse. Wir hatten den Verlust nicht verarbeiten können. Sprachlos jenseits der Bühne. Im Herbst, kurz vor Beginn des nächsten Semesters steht sie vor meiner Tür. Wieder schwanger. Ich? Möglich. Ich reagiere arschlöchrig. Zwei Tage später gehen wir durch den Park des Klinikums in Porz. Ich war nicht mehr miteingebunden in die Entscheidung. Selber schuld. Idiot!
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Ich hatte schon vor den Ferien am Schauspiel Köln begonnen für Edvard Bonds „Gerettet“ zu proben. Ich spielte – u.a. zusammen mit dem schwarzen M. – einen der Jugendlichen, welche ein Baby in einen Kinderwagen zu Tode steinigen. Regie führte A., eine der Hauptfiguren im oben erwähnten Buch von Ike über den „Speckhutsommer“. Es war ihre erste Regie und potenzierte ihre eh schon vorhandene Verbissenheit. Erst heute, beim Niederschreiben, stehen diese ständigen Begegnung mit dem Tod, auf der Bühne und im Leben, so plastisch vor meinem erinnernden Aug`.
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Wir nahmen die Proben am Speckhut wieder auf. Es war schwierig. Nicht nur da ich, der Halbstarke in „Gerettet“ trug natürlich Skinheadkopp, den Erzähler nun mit einer extra für mich von der Maske des Schauspiels angefertigten Perücke spielen mußte. Meine erste Perücke. Ein Fremdkörper. Kastriert wie Samson hielt ich das Herz in der Hand. Der intensive Sommer glimmte nur noch nach. Das alte Spielfeuer loderte müde und rauchte stinkend vor sich hin. Das Erinnern fiel allen schwer und es wurde mehr debattiert als ausprobiert. Profis waren wir noch lange nicht. Aber wir mussten noch einige Aufführungen – das war der Deal mit dem Verlag – in der Schlosserei des Schauspiel Köln spielen. Davon als nächstes.
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In diesem Herbst zog ich mir eine Entzündung zu, die ich nicht weiter ernst nahm. Jahre später sollte ich erfahren, daß dies der Grund dafür war, daß ich alle Gedanken an Vaterschaft vergessen mußte. Die Wegweisungen dieses langen Sommers.
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Wie schrieb O. uns ins Programmheft? Sie verwechseln das Theater mit dem Leben und das Leben mit dem Theater? Oder andersrum? Er hatte mir geraten um das Kind zu kämpfen. Ich war zu feige. Oder einfach nur zu wirr.
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(wird fortgeschrieben)
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oder Das Ich unterm Schreibtisch
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Bei der Lektüre fremder, eigener, ungeschriebener, geplanter Texte überliest man gerne das sehr häufig verwandte, wenn nicht am meisten geschriebene, getippte, angedachte kleine Wörtlein mit den drei Buchstaben. Und nimmt es als gottgegeben. Aus therapeutischen Gründen nun ersetze ich das Wörtlein im Folgenden mal. Frei nach Murakamis neuen Erzählband. Noch nicht gelesen, aber zumindest bestellt. Beim lokalen Buchdealer! Gelle!
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Natürlich kann Erste Person Singular letztlich nur von dem berichten, was Erste Person Singular als mein Leben bezeichne. Auch wenn Erste Person Singular versuche aus dem Fenster zu blicken und Erste Person Singular versuche zu beschreiben, was Erste Person Singular dort sehe, schon beim Niedertippen dieser wenigen Worte sage Erste Person Singular mir, weshalb Erste Person Singular solche Sätze ertrage, in denen sich das Wörtlein Erste Person Singular dermaßen stapelt, nur weil dort die drei Buchstaben Erste Person Singular zu lesen sind und nicht der aus Neunzehn Buchstaben bestehende auf drei Worte aufgeteilte Begriff „Erste Person Singular“ steht. Da ist doch seltsam, stelle Erste Person Singular fest. Da müssen Erste Person Plural reden von gewaltigem, eventuell vorhandenem Einsparpotential.
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Jetzt gehe Erste Person Singular raus in den Schnee und sage Reflexivpronomen Dativ, daß der Schnee weder für Reflexivpronomen Akkusativ noch gegen Reflexivpronomen Akkusativ vom Himmel fiel. Sondern weil es Gott so gefällt. Heute zumindest.
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Ich blicke, bevor Erste Person Singular aufstehe, unter meinen Schreibtisch und da liegen sie rum die eben aus dem Text Verbannten … Psst, Ihr kleinen vorlauten Säcke! … Singen wir lieber ein Lied und blasen den Kopp frei vom ERSTE PERSON SINGULAR! … Bereit?
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