Wenn der Anu Branco wüßte …

… wie teuer die Liebe sein mag

Ich wette nie würde er singen

Nie wieder wecken den Tag

(Teil 5)

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In diesem Sommer `82 hatte etwas begonnen, oder es tat nur so, hatte begonnen, um sofort wieder zu enden. Als hätte dieser Anfang stets schon den Virus der Auflösung in sich getragen. War das zu sehen? Zu spüren? Oder ist das einfach nur normal? Ich weiß es nicht. Erinnerung verdichtet und interpretiert ja gerne. Eine Sicht vom damaligen Stand der Dinge von heutiger Warte aus.

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Möglicherweise war es der eine Tag, der wie unter einem Brennglas zusammenzufassen vermag, was ich meine. Der 1. Oktober 1982 war ein ziemlich warmer Tag, sagen mir die spärlichen Schnappschüsse meines zurückblickenden Hirns. (Natürlich habe ich meine vagen Erinnerungen googelnd verifiziert und also ja, in Richtung 20 Grad stieg das Thermometer.) In der Fabrikhalle im Hinterhof der Luxemburgerstrasse, in „unserem“ Theater, lief das Radio. Liveschalte nach Bonn. Helmut Kohl hatte es geschafft ein Mißtrauensvotum gegen Helmut Schmidt in die Wege zu leiten. Wir Schauspielschüler, nun beileibe nicht alle glühende Sozis und Schmidtverehrer, aber in Furcht vor dem, was da auf „dieses, unseres Land“ aus der Pfalz zuwalzte, hörten gebannt zu, während wir Bühnenbild, Requisiten, Kostüme und den Text des „Speckhuts“ transportfähig zusammenklaubten. Umzug in die Schlosserei. So hieß die kleine Spielstätte des Schauspiel Köln. Für ein paar Vorstellungen hinaus in die große, weite Theaterwelt. Noch zu Hause, in Vorfreude und Sicherheit: Empörung. Flüche. Gelächter. Zynische Traurigkeit. Hamm – Brücher war mutig, stellte sich gegen ihre Partei. Fanden wir gut. Der schwarze M. und ich mußten vor der Zeit gehen. Proben für „Gerettet“ in eben jener Schlosserei. War es einer der ersten Abläufe? Ich weiß es nicht mehr. Auf alle Fälle herrschte Krisenstimmung. Normal im Rückblick. Die erste Inszenierung einer jungen Frau. Der Intendant JF., ein bundesweiter Platzhirsch, murrte.  Und eigentlich wollten alle sowieso lieber vor dem Radio oder dem Fernseher sitzen in diesen geschichtsträchtigen Stunden. Mitten in die Probe platzte der Inspizient vom Großen Haus. „Die haben den Schmidt gestürzt!“ Das brüllte er von der Empore hinunter. Abbruch der Probe. Die Schauspieler wollen in die Kantine. A., die Regisseurin, protestiert. Ist rechtschaffen empört. Der Ablauf, überhaupt das Theater habe Vorrang, stünde über den Zeitläuften. Hin und her, es wurde laut und wenig später saßen wir in der Kantine, schauten fern, brauchten das ein oder andere Kölsch zur Beruhigung, als wir sahen, wie Schmidt aufstand, um Kohl zu gratulieren und der Berg von einem Mensch senkte sein Haupt wie ein Klosterschüler, voller Ehrfurcht. Geburtsstunde der Birne. In der Schlosserei wartete die Regisseurin auf uns, über den Text gebeugt, beleidigt. Es wurde einer der eher schlechten Abläufe.

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Am nächsten Tag, ein Samstag, Vorstellung „Speckhut“ an selber Stelle. Der Versuch in einem sterilen Raum (Betonfußboden, Metallgeländer, riesige Fensterscheiben, es hallte und knallte, in den Eimer sollte besser nicht gepinkelt werden, da, na ja, frisch durchgewischt) die versiffte Fabrikhallenatmosphäre aus der Luxemburgerstrasse herzustellen mußte scheitern. Genauso wenig gelang es das Vibrieren des vergangenen Sommers – die hohen Außentemperaturen erschienen wie ein letztes laues Gnadenbrot vor dem Einzug des geistig – moralischen Winters der Wende – in uns wieder hervorzurufen. Ich saß in der Maske, ließ mir die Perücke aufsetzen, war nicht mehr ich selbst. Fremdes Haar war mir gegeben, ohne Leben. Noch lange kein Profi. Gott sei Dank? Bei uns allen stieg die Aufregung, einiges an prominentem Publikum, bewunderte „Kollegen“ vom Schauspiel, Bürger der Stadt und die schlimmsten Druckvergrößerer: ELTERN!!! Und es geschah was ich in den folgenden, fast 40 Berufsjahren sehr oft noch erleben durfte (vor allem als zuschauender Regisseur): steigt der vermeintliche Druck, meist sich selbst auferlegt, rücken die Mimen nicht zusammen, vergessen Vereinbarungen und werden zu Solisten, auf der Suche nach dem Glanz, der Zuneigung, buchstabiere mir Erfolg und die Erzählung zerbröselt in unreflektierte Posen. Die Vorstellung war keine gute. Eitel. Ohne Hirn und Herz. Wir waren untröstlich. O., unser Regisseur hatte es kommen sehen und betrank sich nach der Vorstellung mit aller ihm zur Verfügung stehenden Wut.

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Die zweite Vorstellung war, wie unter Schock, um einiges näher an dem was wir erzählen wollten. Leider hat die kaum jemand gesehen. Schon gar keine Wichtigen. Aber – so brüllten die Plakate draußen – ab sofort werde sich „Leistung wieder lohnen.“ In Oggersheim wurde derweil angestossen.

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(wird fortgeschrieben)

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