Esel im Schatten / Reim zur Zukunft

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Unter jenem Baum voller Äpfel und ohne Pflaum‘

Stand ein Esel man sah ihn kaum

Im Schatten und wir hatten

Kaum noch Zeit um hin zu sehen

Wir mussten ja nach Hause geh’n

Wohin war uns nicht klar

Jedoch im nächsten Jahr

Da werden wir es wissen

Wenn wir in uns’re Kissen

Weinen

Und scheinen

Zu schreiten

Beizeiten

Voran und stets zurück

Der Esel fraß ein Stück

Der Nesseln nieder

Iaah Iaah er blöckte leise

Eine wunderschöne Weise

Und stand starr

Graues Haar

Ohne mich das Toben

Karger Tisch

Die Disteln zu loben

War sein einziges Brevier

Nach Hause fuhren wir

Gelassen dann

Und irgendwann

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Immer wieder Sonntags …

… ein kleines Stück Dylan zum Frühstück

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Seit ein paar Wochen jeden Sonntag – ok, fast jeden Sonntag und wenn ich Lust und Zeit habe und nicht meinen Gemüsegarten gießen muß – ein kleines Stückchen Bob Dylan zum Frühstück. Oder Abendessen. Frisch verwurstete Texte. Oder altes Material. Eigener Mist. Fremder Mist. Fundstücke. Auch das alte Brot muß man essen können ohne zu würgen. Auf geht’s. Fast jeden Sonntag. Fast ist mehr als nüscht. Heute ist Samstag.

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Mein Ding

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Alles rast auf Mauern zu

Die Hoffnung ist nur Selbstbetrug

Kein Lied erkauft sich Änderung

Ich sitz‘ in diesem anderen Zug

Ein halbes Wort ist kein ganzer Satz

Es ist die Uhr mit der ich ring

Auch Du, Du bist schon lange fort

Ich denke dieses ist mein Ding

*

Ich hätte nie gedacht, daß ich tue was ich tu

Daß ich lüge glücklich zweigeteilt

Daß es möglich ist so falsch zu sein

Daß mir jegliche Vernunft enteilt

Daß ich wiedermal dem eig’nen Spiegelbild

Ein letztes Ständchen sing

Daß ich nicht mehr weiß, wen ich zuletzt geküßt

Ich glaub auch dieses ist mein Ding

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Der Zug kriecht aus dem Bahnhof raus

Der Mandelstrauch verblüht

Ich schrei dem Rücklicht hinter her

Das in der Ferne verglüht

Ich pisse an den nächsten Baum

Polier den Ehering

Ich wache auf wie frisch gefoltert

Ich schätz auch dieses ist mein Ding

*

Du warst voll Angst Deine Mauern hoch

Ich wollte sie zerbröckeln seh’n

Ich wollte, daß auf Deinen Wangen

Nur meine Lenden glüh’n

Nachdem ein Sieg errungen war

Die Fahne windstill hing

Geb‘ ich Dir Deine Haut zurück

Auch das ist jetzt mein Ding

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Ich seh‘ Dich immer wieder geh’n

Es zerfetzt mir mein Gedärm

Ich würde Dir so gerne folgen

Solang ich Deine Füße wärm‘

Ich blieb nie vor Deiner Türe steh’n

Weil dort ein Hinweis hing

Daß wer heimlich kommt ein Verbrecher ist

Auch dieses bleibt mein Ding

*

Das Einzige was mich mit Stolz erfüllt

Ich half Dir auf das Pferd zurück

Als Du erschöpft von einer Ohnmacht warst

Ging ich mit Dir ein kleines Stück

Ob ich ein Heuchler bin oder nur ein Narr

Gar Dein Herzensschmetterling

Abgebroch’ne Flügel wachsen nach

Auch dieses ist vielleicht mein Ding

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Ich traf mich in Dir, Du fielst in mich

Bin ich denn alles was Du brauchst

Ich höre unser „Ja ich will!“

Auch wenn Du es zu leise hauchst

Laute Angst schnürt uns die Kehlen zu

Wenn die Liebe uns zusammen zwingt

Und Du bewegst Dich lieber nicht

Ich denk‘ auch dieses bleibt mein Ding

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Noch ist die Rechnung nicht an uns verschickt

Noch lieben wir in Dunkelheit

Doch die ersten Glocken läuten schon

Der Tag der Rache ist nicht weit

Wenn das letzte Blatt gefressen ist

Zerplatzt der Engerling

Ob er sich dann in die Luft erhebt

Auch dieses bleibt mein Ding

*

Gestern Nacht ging ich alleine aus

Ich trank kein einziges Bier

Frauen sprangen mir ins Gesicht

Ich verzehrte mich nach Dir

Ich warte seit Tagen, daß Du Dich rührst

Ich befrage das I – Ging

Weil der Berg nicht zum Propheten kommt

Auch dieses ist mein Ding

*

In Deinem Badezimmer schwimmt eine Flaschenpost

Gib sie weiter, wenn Du kannst

Morgen schau ich Dir lachend zu

Wenn Du aus meinem Leben tanzt

Dreh Dich nicht um, wenn ich den Tränenwust

Aus meinem Auge wring‘

Der Rest wird keinem Mensch erzählt

Auch dieses ist mein Ding

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Ihr Buben und ihr Mädels

Ihr spielt das Spiel nicht schlecht

Ich sehe uns beim Lügen zu

Mein Herz behackt ein Specht

Du warst niemals mein Eigentum

Auch wenn ich meine Ketten schwing

Einer von uns muß den Abflug machen

Auch dieses wird mein Ding

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Selbst wenn wir uns nie wieder seh’n

Mein Herz erinner‘ Dich

Wie dies Lied Dich einst gestreichelt hat

Dir in Deine Seele schlich

Ich halt‘ mich an der Gitarre fest

Wenn ich noch leise für Dich sing

Niemand anders als Du kennt diese Melodie

Denn dieses war nur mein Ding

*

(Zwischen Neuss und Köln im Herbst 1996 nachgedichtet)

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PS: Alles sehr irritierend in Sachen Dylan zur Zeit. Bis das geklärt ist – was es vielleicht nie sein wird – schweigt diese Rubrik.

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Aus dem Bauchnabel Sternchen puhlen

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Eigentlich geht mir das ganze Sternchengezappel am Sitzfleisch vorbei. Seit frühesten Lesezeiten war mir die erlernte Sprache Freund, Helfer, Brötchenbeschaffer und verläßlicher Lebensbegleiter. Und ist es immer noch. Selbst die erste sogenannte Rechtschreibreform ignoriere ich seit nun bald 25 Jahren konsequent. Nun las ich auf den Blog eines befreundeten Journalisten im Ruhestand, daß er auf der Instagramseite (Heißt das so?) des ZDF folgende Perle entdeckt hat. Unter dem Photo eines Taliban stand folgender Satz. „Die Islamist*innen ziehen in immer mehr afghanische Städte ein.“ Weil es so unfassbar schön ist, gleich nochmal in Cinemascope.

 „DIE ISLAMIST*INNEN

ZIEHEN IN IMMER MEHR

AFGHANISCHE STÄDTE

EIN.“

Und ich sehe weinenden Auges der / die / das eine Karriere anstrebende Assistentchen über sein Tablettchen gebeugt im vorauseilenden Gehorsam über das Bildschirmchen wischen. Hatten wir nicht gemeint den Kadavergehorsam überwunden zu haben? Wohlstandslemminge. (Ha! Wieder dreimal um die Ecke einen Lieblingssong gepostet!) Am schlimmsten ist es aber, wenn althergebrachte Gedankenlosigkeit als die neue Feinfühligkeit verkauft wird. Der Bauchnabel als Wohlfühlzone der Reichen.

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PS: Inzwischen kriege ich schon ab und an private Mails, in denen Kollegen und alte Freunde mir Sternchen schicken. Weia!

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Die Raute wird uns verlassen / ein Reim

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Es stehen die Moralisten

Meist an den steileren Pisten

Und finden nicht was sie vermissten

Seit jenem, ach nenn ihn, den Tag

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Es weinen die Pessimisten

Vor ihren ach so vollen Kisten

Und rezitieren vergnüglich die Listen

Ihrer alltäglichen Klag‘

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Es rufen uns an die Vermissten

Seit Jahren die Flaggen sie hissten

Wir waren doch damals noch Christen

Da vorne der Gegner, den jag‘

*

Es rutschten von steileren Pisten

Männer die schrieben die Listen

Der Frauen die sie vermissten

Da keiner die andere mag

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Es schreien so gern Optimisten

Sie betanken die fetteren Kisten

Die voller Hoffnung sie leasten

Ersehnend das Ende der Plag‘

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Es murren noch ein paar Faschisten

Das Bier fällt aus traurigen Kisten

Keine Bauern mehr Ställe ausmisten

Die Säge säget das Hag‘

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Am Ende die meisten sie schießten

Auf den anderen und so sich vermiesten

Das Denken

Und ins eigene Beet sich so gießten

Gülle in Fülle und Hülle

Wer’s mag

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PS: Seltsamer Wahlkampf. Ob aber obiger Song, den Rio Reiser 1976 für unseren Eisernen Helmut im Kampf gegen die Walz‘ aus der Pfalz einst auftragsgemäß (warum nur?) geschrieben hatte, Armin Baerbock, Olaf Laschet, Annalena Scholz, Markus Habeck oder gar Robert Söder über die Ziellinie tragen könnte?  Mer waas et net, mer munkelt nur … Ei Gude wie!

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Von Mäusedreck und Koriander, dem Überdruß an der Überlegenheit und dem Scheitern der faulen Vorhäute

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Heute Nacht glotzte ich in die Glotze. Konsterniert. Stundenlang. Zwanzig Jahre lang dachte ich immer am Hindukusch wird eben nicht unser aller Freiheit verteidigt, sondern dort wird sie auf dem Altar unser aller Selbstgerechtigkeit und wegen des Rachebedürfnisses unserer transatlantischen Väter und Befreier geopfert. Verzweifelte Menschen hängen an den Rädern eines Düsenjets und fallen wie Spatzenkot auf die Landebahn. Es ist Wahlkampf. Oder doch nicht? Irgendwann schlafe ich ein.

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Dann muß ich erwachen. Ist auch besser so. Helter Skelter. Sollte Bob Dylan gar ein Kinderficker sein? Brauchen wir wieder Mauern? Beton meterhoch? Ich sehe täglich zu wie die Mauern in den Köpfen gebaut werden so hoch wie nie seit September 1939. Auf allen Seiten. Bei allen Beteiligten. Die Handflächen der Selbstgerechten sind verhornhautet vom täglichen Rubbeln. Fassungslosigkeit wird zu einer Art Metronom meines Alltags. Tic Tac Toe. Leider äußert man sich dieser Tage gerne komplett humorfrei und ironielos. Verächtlichkeit ist der gesellschaftlich allseits akzeptierte Sound. Lechts wie rinks. Mein Gott, wie müde und seiner selbst überdrüssig ist dieses Land. Als sehnte man die nächste Flut herbei, um sich wieder zu spüren als ein tätiges und lebendiges Wesen. Das Aufräumen haben wir ja gelernt. Nach den großen Niederlagen. Die sind nun leider wieder Alltag.

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Manche hatten mal gehofft Ost und West könnten sich gegenseitig befruchten. Hüben wie drüben. Fragen wir den ewigen Geheimrat.

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Keinen Reimer wird man finden,

Der sich nicht den besten hielte,

Keinen Fiedler, der nicht lieber

Eigne Melodien spielte.

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Und ich konnte sie nicht tadeln;

Wenn wir andern Ehre geben,

Müssen wir uns selbst entadeln;

Lebt man denn, wenn andre leben?

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Und so fand ich’s denn auch juste

In gewissen Antichambern,

Wo man nicht zu sondern wußte

Mäusedreck von Koriandern.

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Das Gewesne wollte hassen

Solche rüstige neue Besen,

Diese dann nicht gelten lassen,

Was sonst Besen war gewesen.

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Und wo sich die Völker trennen

Gegenseitig im Verachten,

Keins von beiden wird bekennen,

Daß sie nach demselben trachten.

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Und das grobe Selbstempfinden

Haben Leute hart gescholten,

Die am wenigsten verwinden,

Wenn die andern was gegolten.

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(aus dem „Buch des Unmuts“ im „West – östlichen Divan“)

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PS: Für obiges Bildchen des Goethehäuschen zu Weimar gilt es der liebsten Gattin zu danken. Wann war das nochmal? Glaube 2008 oder so.

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bagatelle sieben+fünfzig / konstanz 6

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als ich ging damals warst du

alt müde verschlafen

eine marlene dietrich unter den kleinen städten

die gartenzäune hochgezogen

sich selbst genug räkelste du dich in agonie

um einmal im jahre zu schreien

ho narro im filzenkleid

später als ich ab und zu dich besuchte

fand ich dich nicht mehr

denn tag und nacht standest du im badezimmer

vor dem spiegel dich anmalend jung und jünger

die schenkel gespreizt franken und frei

bordsteinschwalbe

verhöckernd den see

die eigene seele an lärm und getümmel

nur der novembernebel noch

hüllt ab und an deine gier in watte

schwätz it blöd rum heimat

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bagatelle sechsundfünfzig / konstanz 5

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in manchen nächten bildeten wir uns ein

die stadt läge uns zu füßen

wut waberte diffus

laternen dunkel geschüttelt

rückspiegel abgetreten

sterne gesammelt

vor der besetzten telefonzelle

kramte verzagte hoffnung

in den taschen nach dem letzten zehnerle

eine mutter legte auf

des herzerls seegfrörne

gelegentlich öffnete sich ein fenster

und spuckte einen ruhewunsch auf unseren struppigen schopf

das wolfsgeheul tanzender esel die antwort

hinter dem säntis kroch der tag

aus seinen vernebelten federn hoch

noch mal die hände gefaltet und

inhaliert die euphorie und alle müdigkeit

auch wir werden zahnräder werden

sang uns ein letzter blues

dann gingen wir in die welt hinaus

hänschen klein

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Sie machen halt leider keine Fußballspieler mehr wie einstens Gerd Müller

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Fußball war mal eine ganz einfache Geschichte. Der Junge saß mit Vater und Bruder auf dem Sofa und schaute in den zur WM 1966 angeschafften Fernsehapparat. Schwarz – weiß, schnörkellos wie die Trikots der Nationalmannschaft. Das war möglich weil die Spiele, sogar die Endspiele, meist zwischen 14 und 16 Uhr angepfiffen wurden und so der Junge ordentlich spätestens um 20h, plus rausgeschundenen 30 Minuten Lesezeit, in der Heia liegen konnte. Aus dem Lautsprecher knarzte gelassen die Stimme von Ernst Huberty oder Heribert Faßbender oder dem großen Rudi Michel. Wie ein Sufi – Tänzer auf dem Weg zur Versenkung wiederholten die Kommentatoren die Namen der auf dem grauen Rasen umherlaufenden Spieler. Kein selbstverliebtes Abfeiern vermeintlicher Emotion, keine in der Mittelstufe stehen gebliebene billige Ironie, kein Ablesen von Datenbanken, kein Hurz der vermeintlichen Experten. Der Betrachter durfte selber hinschauen. Der Vater war ein Anhänger – der Fan war Gott sei Dank noch nicht erfunden – der Bayern aus München. Da mußte der Junge dagegenhalten und entschied sich nach dem legendären 2:1 gegen Liverpool für Stan Libuda und also die Schwarz – Gelben aus Dortmund. Gelegentlich bemerkte dann der Vater: „Na ja, kein Schlechter der Libuda, aber dem kleinen dicken Müller kann er nicht das Wasser reichen!“ „Und was ist mit Emma? Und Sigi Held!“ „Hab ich eben doch schon gesagt!“ Und natürlich, was den Jungen ärgern mußte, hatte der Alte recht. Und vor allem deswegen saß man entspannt auf dem Sofa, weil alle wußten, selbst in der 85. Minute – die Nachspielzeitorgien von heute gab es damals noch nicht – mag es noch so eng sein, noch so anstrengend, der Gerd Müller schießt noch sein Tor. Oder besser noch: DAS TOR!! Und so geschah es dann auch. Fast immer.

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Das Finale von München unter der Leitung eines anderen Hochgeschätzten, dem Mann mit der Mütze, sah der Junge alleine. Heimlich rauchend. Der Vater war inzwischen tot. Gerd Müller sollte sein letztes Tor schießen für das damals vom angehenden Abiturienten überhaupt nicht geschätzte Vaterland. Doch hat er sich trotzdem gefreut wie Bolle. Dies gelang dem nun Erwachsenen weder 1990 (gar nicht gesehen!), geschweige denn 2014 (Sorry Baden!). Also frei nach Kinky Friedman: They ain’t making Müllers like Gerd anymore. Und keiner jubelte nach Toren wie er. Ehrliche Freude!

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PS vom 20.08.2021: Las in den letzten 24 Stunden am Stück das wunderbare Buch von Hans Woller „Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam“. Es ist nicht nur die Erzählung vom genialen, schweigsamen und freundlichen Landei, dessen Tore Weltkulturerbe wurden, sondern verhandelt auch die tragischen Verstrickungen eines sturen, nachtragenden, eifersüchtigen und traurigen Saufkopps. Die Rollen, die der Kaiser Franzl und vor allem der Lifestyle – Maoist Breitner einnahmen in jenen – auch von mir gelegentlich – glorifizierten Tagen: Uff! Und nicht zu vergessen die Ambivalenzen des Großen Uli H. Vor allen Dingen, wenn man noch deren in der letzten Woche in Dauerschleife gesendeten Anekdötchen über Müller im Ohr hat. Mögen mehr Historiker vom Pöhlen schreiben und nicht nur die Auftragsschreiber und zu Autismus neigende Fans.

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