Im Winter das Laub zusammenfegen unter einem roten Sommermond

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Ein, zwei, drei Tage will ich noch als „einarmiger Bandit“ das Reimlaub des letzten Winters zusammenfegen, in den Vollmond glotzen und den Herzenskomantsche „Kleiner Wolf“ sein Liebesleid jaulen lassen und dann iss auch mal gut. Freue mich schon auf die Wut. Nein natürlich nicht. Wir sind ja alle so vernünftig. Ähem, also … Gibt es da draußen noch Welt?

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der wolf kennt nur ein einziges lied

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der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

wenn er dem mond ein ständchen singt

der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

wenn er mit seinem kummer ringt

der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

es jagt ihn seine ungeduld

der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

er jault von einer alten schuld

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der wolf kennt nur ein einzig lied

ein blues der meist in moll

der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

und singt die monde voll

der wolf kennt nur ein einzig lied

und reißt das nächste schaf

der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

und raubt dem dorf den schlaf

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der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

sie rotteten ihn aus

der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

verlassen öd das haus

der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

heut‘ nacht kehrt er dir wieder

der wolf kennt nur ein einzig‘ lied

und schenkt‘s dir immer wieder

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(gießen / januar 22)

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Indian Summer

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Gestern sammelte ich

Die braunen gelben roten

Blätter

Du hattest sie vom

Baum Deiner Liebe

Hinabrieseln lassen

Ich klebte sie

Wieder an die kahlen Äste

Nein, oh nein, gut sah das nicht

Aus

Nekromantie törichte

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(Klinikum KN / nach OP / Ende Januar 22)

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„Romeo is bleeding but not so as you’d notice … and he’ll die without a wimper like every hero’s dream.“ (Tom Waits)

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Heute schenkt man sich Blumen. Oder Worte. Oder schweigt. Oder redet wie ein Wasserfall über die vielfältigen Pfade, die einen dorthin geführt haben, wo man momentan steht, den Blick zurück. Vielleicht sogar nach vorne. Oder die Augen einfach schließen. Nicht hetzen jedenfalls. Lieder helfen:

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das war mein zweitbestes neujahr

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wir hatten die fenster geputzt

fremde stiefel traten sie ein

müder neujahrsmorgen

sie kam um die ecke

taumelnd

eine entscheidung ersehnend

die nacht vollgekotzt

neben ihre zukunft

von der sie behauptet später

diese wäre eine

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er räumt weg die scherben

sie will bleiben

weiter weiter arbeiten im zerstörten raum

trotzig stur

dann ging ich

und du warst beleidigt

warum liebste

habe ich dich nicht verlassen

jein nee ja

ja nee jein

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es müßten sich die dinge ändern

im neuen jahr

murmelte ich dich haltend

zu fest

du bist erstarrt

eingefroren

ich schlug mir mit dem sinnlosen hammer suff

auf mein wundes herz

welches leugnete den verlust

sowie du leugnestest

den gewinn

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(5.1.22 / Kiel / Angler / Tagesbierkneipe)

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ich möchte daß meine Liebe stürbe

daß es regnet auf den Friedhof

und in den Gassen wo ich gehe

jene beweinend die mich zu lieben glaubte

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(samuel beckett)

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weitergeh’n in ruh‘

aber da ist ein kiesel

in meinem schuh, Du

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(gießen / 14.2.22)

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„Jeder Mensch ist ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemanden zeigt.“ (Mark Twain)

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Keine Liebesgedichte mehr

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Das Wasser welches die

Badewanne eig’nes Leid

Überlaufen ließ

Hat inzwischen die Kläranlage

Verlassen

Rauscht Richtung Meer

Der Mond zieht sie zu sich

Die letzten losen Worte

Die ich auf einem

Papierschiffchen ausgesetzt

Der Strömung übergeben hatte

Auf der Rückseite des Mondes

Dort fände sie mich

Ich wäre schon mal vorgeflogen

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Ich drehte an den Rädchen

Meines Empfängers

Signalstörungen der Äther fiept

Ein paar verirrte Funksignale

Hadern mit den Frequenzen

Die Tankanzeige zuckt nervös

Die Landebahn im Dunkeln

Black out

Keine Liebesgedichte mehr

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Alles was ich je losgelassen

Trägt Krallenspuren

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„Das Aufhören ist Teil jeglicher Aufgabe.“ (Leslie Jameson)

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Von der Zuneigung unter den Wölfen

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Wolfsstunde

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In der Stunde des Wolfes

Wenn im Tiefschlaf das

Ruhelose Gehirn

Archaisches Adrenalin

Durch die Adern schießt

Alte Gefahren erinnernd

Wölfe welche die Dörfer

Umkreisen

Ihre Choräle

Der selbstgewählten Einsamkeit in den

Mond heulend

Greife ich nach meiner

Durchgeladenen Flinte

Stelle mich an

Den Gartenzaun der

Mein dämmerndes Bewußtsein

Einhegt

Und nehme ins Visier

Die Sorgen Nöte die Unbill

Schwarz und weiß

Fauchen sie sich an

Unerbittlich

Schlagen sich die

Krallen in die Haut

Der bleiche Nachtmond wirft

Ihre Schatten bis an das Ende

Meines Horizonts und

Der Schlaf lacht mich aus

Tickende klickende Hülle Haut

Karussell ungebremst

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Das nahende Dämmern

Des kommenden Tages gewährt

Gnade lindernde und die Wölfe

Trollen sich

Sie köteln ein paar wirre Traumbilder

Milder jedoch

Vor meine Tür

Ich erwache in ein

Warmes Grau hinein

Und schreibe heute von

Den Zwischentönen

Versöhnt bis zur nächsten Nacht

Wolfsstunde

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(Konstanz / Februar 2022)

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Die Lagerräume des eigenen Geistes

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War vor knapp drei Wochen an den Bodensee gefahren. Wollte mir etwas an Ruhe suchen, um Herz, Hirn und Körper zu ein wenig Klarheit – was immer dies auch sein mag – zu verhelfen. Nach weniger als zwei Tagen stürzte ich im vom Regen durchweichten Wald – ein gerüttelt‘ Maß an Dummheit beförderte diesen Fehltritt – und renkte mir äußerst kompliziert mein Handgelenk aus. Ab in den OP, dort wurde ich verdrahtet und seitdem überlagern – meist aushaltbare – körperliche Schmerzen die Verwirrungen der letzten Wochen.

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Nichtsdestotrotz – meist schien die Sonne und verjagte den Hochnebel – lief ich täglich mehrere Stunden, meinen geschienten Arm in einer Schlinge vor mir hertragend, durch die alte Heimat. Von mir weg oder vor mir weg, wer weiß das schon, gelegentlich aber auch hin zu mir. Wer immer ich, frei nach Bob Dylan, auch sein mag dieser Tage.

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Meine Füße hatten das Kommando übernommen. Sie erinnerten sich für mich und führten mich durch Straßen, Wälder, Hinterhöfe, Anhöhen, welche ich teilweise seit Jahren, ja Jahrzehnten, nicht mehr besucht hatte. Meine Grundschule. Unsere erste Wohnung. Im Wald dahinter der Hügel, wo ich das erste Mal rodelte. Der Schulhof auf dem ich Fahrrad fahren lernte. Das Haus in dem meine erste Freundin wohnte. Sie wohnt da noch immer. Der runtergekommene Hinterhof hinter der Hinteren Sonne, der zur Teestube führte. Von dort zur Bank, wo mir der erste Joint gereicht wurde. Das Ufer am Wasserwerk, wo wir die ersten Nächte am Lagerfeuer durchwachten. Trennungsbänke im Hörlepark. An der Schmugglerbucht. Sonnenhalde, Fürstenberg, Allmannshöhe, Riesenberg. Anhöhen im Stadtgebiet, von denen aus man bei Föhn den Säntis anfassen kann. Das einst so schön behäbige Sierenmoos, entsetzlich zugeparkt – diese Klage sei erlaubt – mit entsetzlich häßlichen Automobilen. St. Katharinen mitten im Wald. Wir fuhren mit dem Leukoplastbomber über Waldwege dorthin. Der Vater ein Bier. Die Kinder eine Bluna. Später Jahrtzehnte des Zerfalls. Nun wieder bewirtschaftet. Irgendwann stand ich bei den Tennisplätzen am Hörnle. Steht der Baum noch, an dem heute vor neunundvierzig Jahren mein Vater aufgegeben hatte?

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Und das Gute an diesen Gängen war, sie waren – endlich? – frei von jeglichen dem Alter geschuldeten Sentimentalitäten. Eher so ein verwundertes „Sieh an! Was so alles geschah!“ Die Reime unten zielten eigentlich woanders hin, las sie heute Morgen und dachte an den heutigen Todestag. Vor dem Fenster in Gießen hörte ich dabei Kraniche schreien. Sie kehren nach Hause zurück. Vor der Zeit?

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Den Lagerräumen des eigenen Geistes entkommen

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Gestern noch von schwärmerischer

Ungeduld erfüllt eile ich

In den Lagerräumen des

Eigenen Geistes

Von Regal zu Regal

Schichte um sortiere suche

Reiße Aktenordner aus den

Fächern Schubladen Pappkartons

Blättere fluche finde nicht

Auf dem Boden alles ausgebreitet

Die Beweisstücke

Wütend beginne ich zu

Shreddern

Um sogleich den Verlust zu beklagen

Die eine Kladde jedoch

Bleibt mir verborgen

In die ich einstmals notierte

„WARUM DAS GANZE NUR?“

Der Schlüssel stecke nicht

Innen im Schloß so dachte ich

Welche Täuschung!

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(Konstanz – Staad / Ende Januar 2022)

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